Laurids Bruun
Van Zantens Insel der Verheißung
Laurids Bruun

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Achtzehntes Kapitel

Eine gemütliche Häuslichkeit

Pieter Goy saß vor seinem schönen Bambushaus in der Sonne und flocht sich eine Fischreuse aus Pisangfäden, während er den letzten Gassenhauer pfiff, den er noch aus Amsterdam mitgebracht hatte. Da hörte er hinter sich im Gebüsch ein Knacken, als ob ein großes Tier durchs Laub bräche.

Das war etwas Neues. Er fuhr in die Höhe, griff nach der Büchse, die in der offenen Bambustür lehnte, und spähte in das Buschwerk über der Felswand, von wo der Laut gekommen war.

»Na, ich danke,« dachte er, »es gibt also doch große Tiere auf der Insel!«

Er sah schon in Gedanken, wie sich ein hungriger Löwe sprungbereit auf dem Rand des Abhanges zeigen würde.

Mit klopfendem Herzen überzeugte er sich, daß beide Läufe geladen seien, fühlte nach der Tasche, ob die Patronen da waren, und legte die Finger prüfend auf den Hahn. Dann zog er sich rückwärts über den freien Platz vor seinem Haus zurück, bis er das Gehölz erreichte. Hier versteckte er sich und blickte schußbereit zum Felsabhang hinüber.

Da hörte er eine menschliche Stimme stöhnen und prusten. Er sah, wie etwas Helles und Buntes sich in den Sonnenlichtern zwischen dem dichten Gebüsch bewegte, und erkannte im nächsten Augenblick Jakob Beers schmales Gesicht unter dem Strohhut.

Es wurde ein strahlendes Wiedersehen.

Jakob war ebenso froh, daß er ihn endlich gefunden hatte – er war dem Pfad vom Versammlungsort gefolgt – wie Pieter erleichtert war, daß der Krüppel nicht zu den gefährlichen Raubtieren gehörte.

Jakob machte große Augen, als er schließlich nach Pieters Anweisung unten auf dem Platz angelangt war.

Von so viel Wohlstand hatte er sich nichts träumen lassen. Da war nicht allein das gutgebaute, mannshohe Bambushaus, mit Blättern und Bast dicht gemacht und von einem richtigen Hofplatz umgeben, da war ein Hackblock, ein Stuhl, ein dreibeiniger Tisch, ein Herd aus Steinen, mit einem Haken, an dem der Topf hing. Die Tür der Hütte ließ sich fest schließen, so daß weder Getier noch Zug hereindringen konnte.

Und was Pieter Goy für ein Bett hatte! Jakob streckte sich längelang auf eine weiche, geflochtene Matratze, die sanft federte.

Im Hof war ein Schuppen, mit einem schrägen Halbdach, in dem Brennholz handgerecht aufgestapelt lag.

Vor dem Haus waren drei junge Bäume in einem Dreieck gepflanzt; dazwischen war ein Segel gespannt, aus großen, dunkelgrünen Blättern geflochten.

»Das ist mein Sonnensegel,« erklärte Pieter voller Stolz, »hier kann ich im Schatten bei meiner Arbeit sitzen und durch die Stämme zum Strand hinuntersehen.«

Das beste aber war der Vorratsschrank. Er war aus vier Pfählen in der Ecke zwischen dem Haus und der Felswand aufgeschlagen, so daß kein Sonnenstrahl zu ihm dringen konnte. Die Wände waren sowohl in- wie auswendig mit Bast dicht gemacht, um Getier fern zu halten; die Tür aber und die eine Seite waren aus dünnsten Lianenschnüren geflochten, so fein wie ein Fliegennetz, damit die Luft frei passieren konnte.

Da lagen Bananen, getrocknete Wurzeln und frische Kokosnüsse. Aus deren Schalen waren Kummen gemacht, in denen Pieter die Reste seines Mittagessens aufbewahrte. Und dann hingen da drei herrliche, junge Vögel – von der Sorte, die Jakob so gut kannte, mit einem Knoten auf dem rotgelben Schnabel.

Draußen im Hof war zwischen Haus und Schuppen eine Lianenschnur gezogen, an der große Blätter in Bündeln zum Trocknen hingen; sie hatten schon angefangen braun zu werden.

»Das ist mein Tabak!« sagte Pieter und befühlte ihn liebevoll.

»Jetzt wollen wir aber einen ordentlichen Schmaus halten!« sagte er und rieb sich vergnügt die Hände.

Während er Feuer anmachte, gab er Jakob einen der Vögel zum Rupfen.

»Das sollte Daniel wissen!«

Pieter sah auf und kniff das eine Auge zu.

»Denn du bist doch nicht krank?«

Jakob schämte sich, seine Angst vor der Einsamkeit zu gestehen.

»Krank bin ich nicht, Pieter – und es widerspricht eigentlich jeder Regel, daß ich dich hier aufgesucht habe. Aber der Grund ist der –«

Jakob suchte nach einem Vorwand. Da fiel sein Auge auf das herrliche Haus.

»Der Grund ist der, daß es bei mir zu Hause so ungemütlich ist. Meine Schlafpisangs haben weder Dach noch Wände, sondern nur die wehenden Blätter, die mir das Gesicht kitzeln. Und es zieht von allen Seiten, so daß ich mir die Decke über die Ohren ziehen muß, um nicht Zahnschmerzen zu bekommen. Ich habe leider keine solche Matratze wie du.«

»Bau' dir doch ein ordentliches Haus.«

»Ja, aber in meiner Gegend wächst kein Bambusrohr«.

»Dann wird's wohl andere Sträucher mit langen, geraden Zweigen geben.«

»Ja, freilich; aber ich versteh' mich nicht darauf, Pieter. Es ist nicht so leicht, sich ein Haus mit Wänden und Dach und allem zu bauen! Ich hab' es versucht, aber es gelang mir nicht.«

Pieter legte sich auf die Knie und blies bedächtig in die Reiser, die noch nicht ganz trocken waren.

»Das ist dumm!« sagte er und stand auf, »ein Dach überm Kopf muß man haben; denn wenn Daniel die Insel auch Sonneninsel nennt, so – –

»Gott, Pieter, wenn du mit mir kommen und mir ein Haus bauen würdest!«

Pieter blickte verstohlen zu Jakob hin, der über den Vogel in seinem Schoß gebückt saß.

»Wie rupfst du denn?« sagte er. »Sieh, so, mit fester Hand.«

Pieter kratzte sich seinen strohgelben Kopf, der von der Sonne gebräunt war. Er überlegte, während er den Kessel mit frischem Wasser aus einer Kokosschale füllte.

»Das geht nicht an!« sagte er schließlich, »wenn die anderen etwas davon erführen! Aber sieh dir genau an, wie ich's gemacht habe.«

Jakob betrachtete die Bambuswände von oben bis unten und seufzte.

Pieter kochte eine herrliche Geflügelsuppe mit Wurzeln und Kräutern, während Jakob seinen Stuhl dicht an den Herd heranrückte und den lieblichen Dampf einatmete, der aus dem Topf brodelte.

»Riecht fein, nicht?«

Pieter rieb sich die Hände und zeigte alle Grübchen in seinem fetten Gesicht, das von unzähligen Schweißperlen glänzte.

»Was hast du denn da auf der Brust?«

Jakob hatte seine Eier ganz vergessen. Jetzt zog er das Vogelnest heraus. Es war etwas platt gedrückt, so daß einige Eier zerbrochen waren.

»Eier?«

Pieter riß die Augen auf und nahm sie vorsichtig heraus.

»Hast du mehr von der Sorte bei dir zu Hause?«

»Viel mehr, als ich essen kann. Die Nester sitzen so dicht, daß sie sich fast berühren.«

»Das lob' ich mir! Paß mal auf, was das für 'ne Suppe gibt. Eier hab' ich die ganze Zeit furchtbar entbehrt.«

Pieter schlug die Schalen in der Mitte durch und goß sowohl die Dotter wie das Weiße in den Topf.

»Hühnerbouillon mit Ei!« sagte Pieter und servierte Jakob die Suppe in einer Kokostasse.

Einen Augenblick dachte er voller Wehmut an die schmutziggelben Wände der Löwenhöhle. Dann schlürfte er die heiße Suppe und sagte:

»Wenn man jetzt noch einen guten, holländischen Schnaps dazu hätte!« Er starrte vor sich hin, trocknete sich die Augen und seufzte. Dann dachte er an das, was Jakob von den Eiern gesagt hatte.

Nachdem Pieter den letzten Knochen abgenagt hatte, wischte er sich den Mund bedächtig mit dem Rücken seiner Hand und sagte:

»Es ist nicht aus Ungefälligkeit, daß ich dir nicht bei deinem Haus helfen will.«

»Das weiß ich wohl. Wir wollen nicht mehr darüber reden!«

Jakob sah schuldbewußt vor sich nieder. Er bereute, daß er Pieter zum Verrat an dem heiligen Gesetz der Einsamkeit und Selbsthilfe hatte verführen wollen.

»Andererseits«, fuhr Pieter unverdrossen fort, »kann ich es eigentlich nicht verantworten, daß du mit deinem schwachen Rücken so schlecht liegst und nicht genug Schlaf bekommst – und wenn es Regen gibt –«

»Ich werde mich schon durchschlagen. Ein Gesetz ist ein Gesetz, wie Daniel sagt.«

»Pah, Daniel,« höhnte Pieter und kratzte seine Mückenstiche, »Daniel hier und Daniel da!«

Jakob sah ihn erschrocken an. Es sah Pieter gar nicht ähnlich, so respektlos zu sprechen.

Pieter Goy bekam einen roten Kopf.

»Ich meine nur, solche Gesetze mögen ja ganz schön sein und so; aber die Gesundheit geht doch wohl vor. Gott bewahre, alle Hochachtung vor Daniel – ich will ja gar nichts auf ihn gesagt haben – aber was kann es im Grunde ihm und Hendrik schaden, wenn ich dir ein bißchen bei deinem Haus helfe. Es ist nicht mehr als billig, hätte ich beinahe gesagt – daß der Stärkere dem Schwächeren hilft.«

Während Jakob hier gemütlich vor einem richtigen Haus und auf einem richtigen Stuhl saß, wurde es ihm erst recht klar, was er während der letzten Tage für ein jämmerliches Dasein geführt hatte. Es erschien ihm plötzlich wie eine Notwendigkeit, daß er ein ordentliches Haus bekäme. Darum widersprach er Pieter nicht länger, sondern dankte ihm für seinen Edelmut.

»Die anderen brauchen ja nichts davon zu erfahren!« sagte Pieter Goy und gähnte.

Jakob wollte ihm aus Dankbarkeit auch etwas antun.

»Ich will dir etwas vorspielen!« sagte er und griff nach seiner Violine.

»Ja, mach' 'n bißchen Musik!«

Pieter streckte sich längelang in den Schatten unter dem Sonnensegel, während Jakob sich gegen die Bambustür lehnte, die Violine stimmte und dann die ersten, tastenden Töne aus seiner großen Sinfonie zu spielen begann.

Er saß mit halb geschlossenen Augen da und spielte das Innerste seiner Seele auf den Saiten heraus, während um ihn herum alles still wurde.

Als er schließlich den Bogen sinken ließ und sich zu seinem Publikum umdrehte, lag Pieter im Gras und schlief, die Hände unterm Kopf.

Jakob betrachtete ihn mit einem mitleidigen und betrübten Lächeln. Im selben Augenblick erwachte Pieter.

»Das war ja recht hübsch!« sagte er und gähnte.

Kurz danach brachen sie zusammen auf. Bevor es Abend geworden war, hatte Pieter Goy Jakob ein Haus vor seinem Pisanggebüsch gebaut. Es war eilig und nicht halb so gut gemacht wie Pieters eigenes Haus; aber es war doch ein Dach überm Kopf; und drinnen war ein Lager aus Blättern und Moos.

Es war dunkel geworden, bevor Pieter fertig war; er mußte die Nacht über bei Jakob bleiben.

Als Pieter am Morgen erwachte und seine Glieder gründlich gestreckt hatte, galt sein erster Gedanke den Vogeleiern.

Jakob zeigte ihm die Bäume. Pieter kletterte hinauf. Während die Vögel verzweifelt schrien und ihm angstvoll um die Ohren flatterten, so daß es Jakob ins Herz schnitt, raubte er so viele Nester, wie er erreichen konnte. Dann untersuchte er den Baum genau, um ihn wiederzuerkennen, wenn er einem ähnlichen auf seinem Weg begegnen würde.

»Diese Eier nehme ich mit«, sagte er und machte sich in aller Eile einen Sack aus Pisangblättern.

Als er zum Abschied zwischen den Stämmen winkte, bekam Jakob Tränen in die Augen.

»Ich komme bald wieder!« sagte Pieter und warf einen verstohlenen Blick auf die Vogelbäume, »und den anderen gegenüber reinen Mund gehalten!«

Jakob seufzte tief. Er fand, daß sie schmählich und treulos gehandelt hätten; Pieter aber mußte die Verantwortung dafür tragen.

Die Einsamkeit schreckte ihn nicht mehr. Es war, als habe sie Respekt vor Pieter mit den geschickten Händen, den gutmütigen, runden Augen und der unangefochtenen Seelenruhe. Sie schien sich nicht wieder herauszuwagen, solange noch etwas durch das Haus, das er Jakob gebaut hatte, von seiner Gegenwart zeugte.


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