Laurids Bruun
Van Zantens Insel der Verheißung
Laurids Bruun

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel

Ums Wachtfeuer

Während Pieter Goy das wollene Unterzeug mit offenem Mund anstarrte, als sei es vom Himmel gefallen, sprang Hendrik herbei, zog die Kiste vor die Höhle und kehrte das Unterste nach oben.

Jakob fror so furchtbar, daß ihm die Zähne im Mund zusammenschlugen.

»Es scheinen Diebe in unserer Höhle gewesen zu sein,« sagte er.

»Woher sollten die kommen?« Daniel sah sich unwillkürlich zum Wald um, wo zwei Papageien in einem alten Brotfruchtbaum um die Wette schrien, als wüßten sie Bescheid und amüsierten sich über die Verlegenheit der Sonnenbrüder.

Pieter Goy war der erste, der zu einem Resultat kam.

»Wenn keiner von uns das Zeug stibitzt hat, so müssen ja noch andere Menschen auf der Insel sein.«

Daniel sagte nichts. Die Logik in Pieter Goys Worten überwältigte ihn. Er fühlte sich so klein wie schon lange nicht mehr. Sollte die Sonneninsel schon von jemand vor ihm entdeckt worden sein? – War er nicht ihr Herr? – Hatte vielleicht jemand von seinem Plan gehört, während er in Amsterdam Vorstudien machte, und war ihm zuvorgekommen? – War es ein Schelmenstreich des Reeders, der ihm auch hier auf die Finger sehen wollte?

Er klammerte sich einen Augenblick an den Gedanken, daß einer der anderen das Zeug geraubt und es verborgen hatte; aber er ließ ihn gleich wieder fallen. Der Ausdruck in ihren Augen war nicht mißzuverstehen.

Schließlich fand er einen Anhalt. Und im selben Augenblick griffen auch Hendrik und Pieter danach.

»Die Proviantkiste haben sie nicht angerührt!« sagte Pieter Goy.

»Sie sind also nicht hungrig gewesen!« schloß Hendrik daraus und ging in die Höhle hinein, wo Daniel bereits die anderen Kisten untersuchte.

»Die Medizinkiste ist unberührt!«

»Die war aber auch abgeschlossen!« fügte Pieter hinzu.

»Den Werkzeugkasten haben sie auch nicht angerührt. Und der stand doch offen. Für Werkzeug scheinen sie also keine Verwendung zu haben!« sagte Pieter. »Da müssen sie besser versorgt sein als wir.«

»Oder sie verstehen sich nicht auf ihren Gebrauch!« sagte Daniel.

»Die Bücher sind auch unberührt!« fügte er hinzu.

»Sie verstehen also kein Holländisch!« sagte Jakob Beer.

»Oder sie können nicht lesen!« sagte Daniel.

»Hier ist meine Büchse!« jubelte Pieter und schloß sie in seine Arme, als sei sie ein teures Kind, »sie hat Gott sei Dank keinen Schaden genommen.«

»Ich hab's!« Hendrik ging vor die Höhle und wartete, bis die anderen sich um ihn versammelt hatten. »Wahrscheinlich sind es Wilde, die unser Zeug gestohlen haben. Den Proviant haben sie nicht angerührt, weil sie sich nicht auf Schiffszwieback und konserviertes Fleisch verstehen. Den Gebrauch des Werkzeugs kennen sie auch nicht. Und eine Büchse haben sie noch nie gesehen. Unsere Garderobe ist das einzige, was ihnen gefallen hat. Die haben sie natürlich als Putz unter sich verteilt. Oder der Häuptling stolziert allein im Schmuck unserer guten alten Sachen einher.«

»Hendrik hat recht!« sagte Daniel, »ich nehme an, daß Wilde kurz vor uns auf der Insel gelandet sind. Sie haben uns ausspioniert und gesehen, wo wir das Zeug, das ihnen in die Augen gestochen hat, versteckten.«

»Das wäre!«

Pieter Goy blickte sich zum Wald um, ob er nicht ein schwarzes Spähergesicht auf offner Tat hinter einem der Stämme entdecken könne.

»Ich verstehe nur nicht, warum sie mein wollenes Unterzeug liegen gelassen haben,« sagte Hendrik nachdenklich.

Daniel konnte trotz des Ernstes der Situation einen Witz nicht unterdrücken.

»Sie scheinen einen besseren Geschmack zu haben als du.«

Pieter hatte den Witz nicht verstanden. Er blickte auf und sagte bedächtig:

»Wenn sie einen besseren Geschmack haben als Hendrik, können sie doch nicht ganz wild sein.«

Hendrik mußte gegen seinen Willen lachen. Dann nahm er Goy das Unterzeug aus der Hand, rollte es zu einem Bündel zusammen und steckte es untern Arm.

»Soll er alles für sich behalten?« fragte Goy und blickte zu Daniel auf.

»Wenn du mir eine deiner Schildkröten gibst, sollst du die eine Unterjacke haben!« schlug Hendrik vor.

Darauf ging Goy sofort ein; Daniel aber sagte, daß auf der Sonneninsel Gütergemeinschaft herrsche. Der Handel sei eine der schlimmsten Einrichtungen des Staates, und somit eines der Dinge, dem sie ja gerade entflohen seien.

Hendrik weigerte sich; Daniel aber faßte ihn bei seiner schwachen Seite und warf ihm Weichlichkeit vor. War er es nicht gewesen, der am eifrigsten für Naturbekleidung gestimmt hatte? Hatte er nicht, bevor sie die Insel erreichten, von Adamskostümen gefabelt.

Dann wurde bestimmt – Pieter Goy hatte es vorgeschlagen –, daß Jakob auf Grund seiner gebrechlichen Gesundheit die Unterhose und die eine Wolljacke haben sollte.

Jakob kroch gleich hinein und bekam ganz rote Backen, als er die weiche Wolle auf seinem armen, erkälteten Körper fühlte.

Die andere Wolljacke sollte die Runde machen, und der jedesmalige Besitzer mußte die Verpflichtung übernehmen, sie für seinen Nachfolger zu waschen. Daniel bekam sie zuerst, damit das Eis in seinem Leib schmelzen konnte.

Der Regen hatte aufgehört, aber die Luft war noch feucht und kalt; und die Aussicht, sich ohne genügende Bekleidung behelfen zu müssen, machte sie alle niedergeschlagener, als sie selbst zugeben wollten.

Hendrik und Pieter taten sich zusammen, um Brennholz für ein neues Feuer zu sammeln; aber es war so feucht, daß es nicht brennen wollte.

»Laßt uns den Deckel der grünen Kiste nehmen!« sagte Pieter, »der ist ja doch zu nichts mehr nutze.«

Sie brachten mit dem Kistendeckel das Feuer zum Brennen und legten das nasse Reisig obenauf; und als die Feuchtigkeit erst herausgespuckt und geraucht war, brannte von neuem ein lustiges Feuer vor der Höhle.

Die Stimmung aber blieb trotz des guten Feuers noch immer gedrückt. Das Gefühl, die Sonneninsel nicht mehr für sich allein zu haben, rückte diese in ein ganz anderes Licht.

Sie fühlten sich nicht mehr als Herren der Insel. Es war etwas um sie herum, vielleicht in ihrer unmittelbaren Nähe, das ihnen Böses zufügen wollte. Und sie waren dem wehrlos preisgegeben.

Bei jedem Geräusch im Walde irrten ihre Blicke ängstlich durch die Stämme.

Daniel war mit seinen Erwägungen noch nicht zu Ende, als Hendrik die Geduld verlor und das Schweigen brach.

»Die Insel ist also dennoch bewohnt,« sagte er und warf Daniel einen scharfen Blick zu, »und wir müssen vor allen Dingen darauf bedacht sein, uns zu verteidigen. Ihr werdet jetzt vielleicht einräumen, daß meine Wohnung doch die beste ist, weil sie so hoch liegt, daß keiner mich meuchlings überfallen kann.«

»Ja,« sagte Jakob und dachte an sein armseliges Pisanggebüsch, das seine Schlafstelle war.

»Es ist ja gar nicht gesagt, daß sie uns übel gesinnt sind!« meinte Daniel. »Höchstwahrscheinlich haben sie ebensoviel Angst vor uns, wie wir vor ihnen. Oder vielleicht noch mehr.«

»Und sie scheinen auch nicht zahlreicher zu sein als wir,« sagte Pieter. »Sonst hätte doch einer von uns einen Schimmer von ihnen entdecken müssen. Wir sind doch nach allen vier Windrichtungen durch die Insel gegangen und haben uns jeder eine Woche lang herumgetrieben.«

»Warum sollten sie uns etwas tun?« sagte Jakob, »wir tun ihnen doch auch nichts.«

»Das ist Unsinn!« sagte Hendrik. »Man kann eher fragen: warum haben sie uns noch nicht überfallen, wenn sie uns etwas tun wollen?«

Es fing jetzt an, zwischen den Stämmen zu dunkeln. Der Gedanke, daß zwischen dem Dickicht vielleicht böse Augen lauerten, von der Dunkelheit gedeckt, während sie selbst hellbeleuchtet ums Feuer saßen, wirkte so unheimlich, daß sie unter dem Abhang dicht zusammenrückten und beschlossen, jeder solle eine bestimmte Richtung im Auge behalten, damit sie sofort etwas Verdächtiges entdecken konnten.

Als aber Pieter Goy das Abendessen bereitet hatte, machte die warme Suppe und der Kaffee sie wieder mutig und stark.

Sie sprachen ruhig und vernünftig über die Sache und wurden sich einig, daß eine Gefahr kaum vorhanden sei. Die Wilden waren offenbar nicht sehr zahlreich und feige. Warum hätten sie sonst nach ihrem Diebstahl die Höhle wieder sorgfältig zugedeckt, anstatt sich anzueignen, was sie gebrauchten, und den Rest zu vernichten?

Da es aber wahrscheinlich war, daß sie wiederkommen würden, so wurde beschlossen, daß die Sonnenbrüder abwechselnd Nachtwache halten sollten, mit der geladenen Büchse in der Hand, ausgenommen Jakob Beer, der zu schwach war.

Sobald sich etwas Verdächtiges zeigte, sollte der Wachthabende die anderen wecken und die Büchse abschießen, um die Wilden zu schrecken.

Die Nacht verlief ruhig. Es zeigte sich nichts Verdächtiges, und die Büchse wurde nicht abgeschossen.

Montag Morgen hatte der Wind sich gelegt; das Wetter war milde und die Stimmung der Sonnenbrüder wieder froh und hoffnungsvoll geworden.

Hendrik scherzte über die armen Teufel, die ihr altes Zeug gestohlen hatten, und meinte, es wäre spaßhaft, wenn sie sie in ihrem neuen Staat zu sehen bekommen würden.

Pieter Goy, der die Hundewache gehabt hatte, war so beglückt, seine teure Sonntagsbüchse wieder im Arm zu halten, daß er sich erbot, noch einen Tag am Versammlungsort zu bleiben. Er wollte zum Schein mit den anderen fortgehen, sich aber in der Nähe verstecken, um zu sehen, ob jemand käme. Denn es war anzunehmen, daß die, die sie voriges Mal ausspioniert hatten, auch nach dieser letzten Begegnung zurückkehren würden, und wenn aus keinem anderen Grund, so aus Neugierde.

Darauf ging jeder in seiner Richtung davon.

Goy versteckte sich in einem Pisanggebüsch, von wo er die Höhle sehen konnte.

Er lag mit der Büchse im Arm und freute sich ihrer, bis er, durch die starke Hitze dösig gemacht, auf seinem Posten einschlief.

Als er wieder erwachte, war es schon weit über Mittag. Er fuhr in die Höhe und starrte zur Höhle; dort aber lag die Asche des Feuers noch ebenso, wie sie sie verlassen hatten.

Die Öffnung der Höhle war von Laub und Steinen bedeckt, und keine menschliche Spur ließ sich erblicken.

Er fühlte Hunger und hatte die größte Lust, eine der vielen Wildtauben, die unter den Baumkronen flatterten, zu schießen. Aber er überlegte, daß ein Schuß die Wilden verscheuchen würde, wenn sie unterwegs seien. Oder vielleicht würde einer der Kameraden ihn hören und glauben, daß Gefahr im Anzuge sei.

Es war auch viel einfacher, sich am Dosenfleisch gütlich zu tun. Es fehlte gerade, daß er sich nicht etwas vom Proviant gönnen sollte, da er hier auf einem ausgesetzten Wachtposten ausharren mußte. Eine Schildwache ist ihres Lohnes wert.

Dann ging er zur Höhle, zündete Feuer an, öffnete die Proviantkiste und hielt einen Schmaus.

Abends legte er sich ruhig zum Schlafen nieder, mit seiner Büchse neben sich. Und als auch der nächste Morgen hell und mild ohne die geringste Spur von etwas Feindlichem anbrach, wurde er des Wachehaltens überdrüssig. Er sehnte sich nach seiner guten Matratze und seinem behaglichen Bambushaus, vermißte sein Morgenbad und fürchtete, daß die Diebe bei ihm zu Hause gewesen sein könnten, während er sie hier erwartete.

Dann versah er sich noch mit einigen Dosen konserviertem Fleisch zum Lohn für seine Mühe und für die Gefahr, der er sich freiwillig ausgesetzt hatte, nahm die Büchse mit – es war nicht bestimmt worden, daß er sie zurücklassen sollte – , ebenfalls den ganzen Vorrat an Munition – und wanderte durch den Wald den Weg entlang, den er das erste Mal gegangen war, bis er den Wasserfall fand.

Das Bambushaus stand unberührt. Alles war, wie er es verlassen hatte. Pieter Goy aber war um eine Büchse reicher geworden.


 << zurück weiter >>