Clemens Brentano
Godwi
Clemens Brentano

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Sieben und dreißigstes Kapitel.

In dieser Umgebung lebte ich zwei Monden, während denen ich mehrere Streifzüge an den freudigen Ufern des Flusses und in das Land einwärts machte.

Ich trat stets mit einer eignen Empfindung solche Wallfahrten an, denn die bunte Einsamkeit des Lebens bey der Gräfin machte mich immer zu einem weltfremden Menschen, wenn ich durch die ruhige große Natur ging, die gar keine Gattung von Principien hat, und deren Lust und Leid sich in einen schönen Wechsel von Jahrszeiten flechten.

So oft ich zurückkehrte, behauptete die Gräfin, ich sey ein ganz neuer unbekannter Mensch, sie habe aber eine Ahndung, oder Erinnerung von einer alten Bekanntschaft mit mir. –

Gott, wie werde ich alt, sagte sie einmal, schon wieder jemand, der mir bekannt scheint, und ich weiß gar nicht, wo ich Sie zum erstenmale gesehen habe.

Es war am Abend, Madame, war es nicht in der Dämmerung, begegneten wir uns nicht zu Pferde am Rhein?

Sie haben ganz recht, seyn Sie mir willkommen. –

Dann küßte sie mich freundlich, ich schien wieder so ernsthaft, als das erstemal, und sie bekehrte mich wieder sehr emsig.

Violette war immer stiller geworden in der letzten Zeit, und schien sich mit einer schmerzlichen Zuneigung an mich zu hängen. Das Mädchen machte mir bange und jetzt, da ich meine ganze damalige Lage ruhig übersehe, bemerke ich mit Schaam und Reue, warum ich diese Bangigkeit zu vermeiden suchte. –

Violette mochte seyn, wie sie wollte, war nicht der erste Abend im Schlosse, und meine Unterhaltung mit ihr, das Einzige, auf das ich mit reiner Freude zurücksehen konnte? – Wie hatte sich die Jungfrau in ihrem Streite mit der Lust mit ihrem Reinsten in mich gerettet, und was versprach ich ihr, das ich ihr nicht hielt! – Die Gräfin mochte seyn, wie sie wollte, aber mit ihrem Kinde zusammen war sie schlecht. – Das Leben eines genialischen Menschen kann aus sich selbst hervorgeführt, mit eigner Kraft vertheidigt und durchgesetzt, ein gutes selbstgedeihliches Leben seyn, denn es ist das Leben der Eigenthümlichkeit, aber die Jugend kann sich an ihm nicht entwickeln; sie ist eine Allgemeinheit, und muß an dem Frühling, und nicht am Menschen hervorwachsen; denn das letztere heißt der Psyche die Flügel auseinander zupfen, oder ihr mit einem künstlichen Lichte die Sonne ersetzen wollen, ohne die Rücksicht, daß sie hineinfliegt und stirbt. –

Brachte ich Violetten nicht zur völligen Uneinigkeit mit sich, indem mein Verhältniß mit ihrer Mutter immer ihrer unschuldigen Neigung zu mir entgegen trat? –

Ich konnte in der letzten Woche gar nicht mehr offen mit ihr reden, denn ich bemerkte, daß sie stets verlegener ward, wenn ihre Mutter in ihrer Gegenwart mit mir vertraulich war. –

Diese Empfindung war es, die zu meinen Spazierritten mit wirkte, und ich wünschte so gar einigemal wieder zu Hause zu seyn.

Das letzte mal, da ich ausritt, nahm ich meinen Weg nach einem der schönsten Punkte am Rheine, dem Ostein, einem schönen Lustschlosse auf dem Niederwald, einem hohen Berge, dem Städtchen Bingen gegen über; dieser Berg macht den Winkel, um den sich hier der Rhein scharf herumwendet.

Der Besitzer des Schlosses war nicht gegenwärtig, und obschon ich den Mann zu kennen wünschte, der eine solche Anlage bloß zu seinem Vergnügen machen durfte, war es mir lieb, daß er nicht hier war. Ich hätte ihn hier meines Dankes ohne einigen Neid nicht versichern können.

So tröstete ich mich und dachte, er habe dieses Werk vollbracht, wie jeder, wenn er es gleich nicht weiß, durch irgend Etwas ein höchst wichtiger Mensch ist, so daß ich mir hieraus die Ursache erkläre, warum die Worte: es war ja ein gemeiner Mensch, keinen Todtschlag entschuldigen. Diese Wichtigkeit des Lebendigen ist mir der einzige Grund irgend eines Rechtes, so wie mir der einzige Grund der Moral ist, daß der Mensch aus den Augen heraussieht, daß er ein Repräsentant des Lebens ist. – Doch ich kehre zurück. –

Das kleine Lustschloß ist ein wahres Lustschloß, denn es ist voll lustiger Einrichtungen, voll geheimer Thüren, verborgner Treppen und doppelter Wände; man kann darin herumirren, wie ein verwünschter Prinz, und ich finde diese luftige, scherzende Gattung von Bauart hier recht angebracht, denn es würde in jedem Falle eine Stümperei geworden seyn, hätte man hier ein gediegenes Gebäude hersetzen wollen, wo selbst kaum des Menschen Herz sich erhalten kann, gegen die vollen reichen Ansichten der Natur.

Wo die Architektur der Natur so erhaben ist, zwischen den Massen der Felsen, den Ergüssen der Aussichten, den brausenden Wäldern hätte nicht leicht ein Gebäude stehen können, ohne plump und mühselig auszusehen, das im mindesten affektiren konnte, als wolle es etwas bedeuten. Ja ich glaube, es ist ein äußerst trotziger melancholisch hoffärtiger Gedanke, auf solchen herrlichen Gesichtspunkten der größten und reichsten Natur, die durch unendliche mannigfaltige Freiheit harmonische Unordnung der Aussicht mit einer pralend wichtigen Bausimmetrie äffen zu wollen, die in solcher Zusammenstellung nur unverdaute Mathematik an der Stirne trägt.

Ein leichtes luftiges Freudengezelt müßte hier aufgeschlagen werden, ein ergötzlicher Feenpallast, voll Muthwill und koquetter Mädchenhaftigkeit, doch ohne Prüderie und Sittenpedanterei, – und so ist es hier, man möchte sich umsehen, wo die fröhliche Gesellschaft geblieben ist, die hier in voller fürstlicher Freude, mit Maltressen, Haiducken, Laufern, Opernmädchen, und einem witzigen Hofnarren gehaust hat. – Wo ist die junge etwas schmachtende Gräfin, die hier an den militairisch schönen Prinzen denkt? – wo ist der muntere Dichter, der hier Singspiele dichtet, und Elegien schreibt, weil er in die junge Gräfin verliebt ist? – Ich wandelte durch die Stuben mit großen Spiegeln in buntgemalten Bretterwänden – verirrte mich auf den kleinen Treppen von Boudoir zu Boudoir; in den Weiberstuben berührte ich mit Herzklopfen umherliegende Kleinigkeiten, zerrissene Liebesbriefchen, Locken, und gemachte Blumen, welche die holden leichten Wesen von Frühling zu Frühling, wie den bunten Staub der Schmetterlingsflügel abstreifen. –

Und verzeihen Sie – aber es ist nicht anders – wenn ich es hin und her überlegte, und das ganze lustige Haus in einem Zuge zu genießen, mir einen Plan erdachte, so war es der, mit einem Schock nackter Mädchen, voll Freude, Witz, Tanz und Sing-Talent, drinne Haschen zu spielen.

Auf dem höchsten Punkte des Schlosses steht ein Belvedere, und ein gutes Perspektiv, für die, welche das ganze Buch nicht verstehen, einzelne Stellen erklären wollen, und gerne wüßten, ob auch dieses oder jenes Städtchen mit hier notirt wäre.

Dieses Thürmchen ist die Spitze des Schlosses, und die Pointe des ganzen epigrammatischen Gebäudes, das wie ein guter freundlicher Einfall hier oben hingezogen ist, und mir wie das Lied eines Thurmdeckers auf dem Münster vorkömmt.

Das Schlößchen scheint sich, wie ein fröhliches scherzhaftes Mädchen in den Mantel von Königen, hier in die herrlichen Berge zu verstecken, mit den Worten: ich bin auch da, liebt mich; am Ende, wenn's Nacht wird und nicht grade der Mond scheint, wenn's draußen stürmt, kommt ihr doch zu mir. –

Ich sprach von dem Schlosse zuerst, weil es heißer Mittag war, da ich herauf kam, und ich mich in den kühlen Stuben erfreute.

Als sich der Abend nahte, ging ich in den Wald, der auf wenigen Punkten von der Kunst berührt, doch nichts von seiner Schönheit verlor. Seine Gränze um den Berg herum ist die unbeschreibliche Aussicht, die alle Worte übersteigt. Man kann nicht zurück, der dunkle Wald liegt ängstlich hinter einem. Nirgends ward mir meine Geschichte so erbärmlich und so klein. Ich glaubte, hier zu stehen, sey der Zweck und das Ende meines Lebens. – Wie ein kleiner Bach sich durch dunkle Thäler, durch Klippen und Felsen stille oder nur brausend hinwindet, weil seine Ufer ihm weichen, oder ihm widerstreben, wie er endlich sich in eine unabsehbare See, sich selbst vernichtend hinstürzet, so stand ich hier.

Alles, Alles freudig hingeben, Freude und Lust, Freundschaft und Liebe, alle stolze Leiden der Demuth, alle Träume und Pläne freudig hingeben, in dieses Wehn der Luftströme, diese Tiefe voll großer Natur, diese freundlich heran dringende Ferne, war meine letzte Reflexion, meine Begierde war Schweben, und ich sah mit gefährlichem schwindelnden Neide den wilden Tauben nach, die sich freudig hinabstürzten, wo der Rhein den Fuß der grünen Berge küßte, deren Häupter von seiner rauschenden Umarmung trunken zu drehen schienen, und es war mir, als walle die Seele des kräftigen Stromes herauf durch die Adern des Berges, wie warmes lebendiges Blut, und der Boden lebe unter mir, und alles sey ein einziges Leben, dessen Pulsschlag in meinem Herzen schlage.

Hier hat alles sein Ende, und alles ist gelöst, hier ist alles vergessen, und ein neues Leben fängt an. – Der Mensch ist das Höchste nicht im Daseyn, sonst wäre keine Mühe in ihm, und keine Stuffung der Vollkommenheit: der Mensch ist nicht frei, er könnte sonst nicht wieder zurück ins enge dunkle Haus, er stürzte sich eher hier hinab. – Gefangen sind wir, wie das Weib, das ewig nach den Schmerzen der Geburt sich gerne wieder zum Werke der Lust hinwendet, gefangen sind wir, wie Leichtsinn und Schwermuth, zwischen Schmerz und Lust, und die Freiheit besteht in der Wahl zwischen zweien, wo uns das eine schon so ermüdet, daß wir das andere gern ergreifen – und was ist endlich die heiligste stolzeste philosophische Ansicht, als die Krankheit der Flamme, die zu verlöschen droht, um sich selbst zu sagen: ich bin das Licht und entzünde Alles. – Man kann höchstens so eine traurige Ansicht haben, wenn man nach Hause geht, und sich mit Hoffart trösten will, oder wenn man kömmt und sich vornimmt, doch etwas bessers zu seyn; – aber was hilft es endlich, wenn man hier steht, da muß das traurige Zeug, der konsequente eitle Trost doch zurück bleiben, denn wahrlich er ist das verdienstliche Bemühen der schweren Arbeit, und es wäre für jeden, der hier steht, eine sehr mitleidswürdige moralische Betrachtung, an die Verdienste der Philosophen und Gelehrten zu denken. –

Fast möchte ich glauben, daß das ruhige volle Genießen des einfachen unschuldigen Menschen der Gipfel des Lebens ist, und ich will mich bestreben, ein Trinker zu werden, und mir meine Weingärtner zu halten.

Der Punkt, wo ich stand, war ein kleiner runder Tempel auf fünf Säulen, die voll von den Namen der Menschen standen, die eine solche Minute in ihrem Leben hatten – und wenn unter den vielen hunderten nur einem zu Muthe war, wie mir, so sind zwei Menschen hier ruhig geworden, und besser. –

Etwas später ging ich nach einem andern Punkte, einem alten Thurme, der auf dem Winkel steht, den der Berg macht und den Punkt bestimmt, auf dem sich der Rhein schnell und heftig wendet.

Die Aussicht ist hier nicht so ergossen, sie ist nicht ein ruhiges, willenloses Meer, das wie ein lebendiges unendliches Element ohne Fortschreiten durch die Größe schon fern und nah ist. Sie ist thätiger, drohender gegen den Stolzen, umarmender und erwärmender für den Liebenden.

Dort wird man vernichtet, man vergißt sich, und muß trunken ertrinken; hier drängen sich die Berge heran, die beiden Ufer wollen sich die Arme reichen, oder die Stirne bieten, die Brust der Berge will zusammendrängen, um den reißenden Fluß zurückzuhalten, der ihnen hier zu entfliehen scheint.

Dort ist man hingegeben, hier rückt die Natur heran, und bietet einem die kräftigen Hände, und man rüstet sich im Herzen, die Riesin zu empfangen.

Der alte Thurm ist mit einem bequemen Saale versehen, der ganz in dem derben Geschmacke jener braven Zeit eingerichtet ist, und auf einem kleinen Pulte am Fenster fand ich das Heldenbuch, und in einem Schranke in der Wand eine schöne Sammlung der neuern Werke, welche die Reste der Poesie des deutschen Mittelalters enthalten. –

An die Wand hatte der Graf selbst die Worte geschrieben: »Was waren das für gesunde Menschen, welche solcher Natur gegenüber stark warden, die uns heut zu Tage nur rührt und erschüttert.« –

Der Wechsel der Aussicht machte einen sehr wohlthätigen Eindruck auf mich, ich war mir hier als besserer Mensch zurückgegeben. Ich war dort mit unruhigem Gemüthe hinausgesegelt, und hier setzte mich das Meer geprüft und reich ans Land. Ich erkannte hier, wie viel Antheil der Mensch an der Natur hat, denn hier, wo alles näher an mich heran trat, sah ich in den eignen Busen, und fühlte, wie ich größer geworden war, seit wenigen Stunden. –

Der Sonnenuntergang, zwischen den Felsen und Wäldern, war eine Zwischenrede der Natur in mein Leben, ich war entzückt, wie ein Heiliger, die Flammen und Gluten brachen sich so geisterisch, so tausendfaltig lebendig, gestaltlos und beweglich in der heftig und rauh grouppirten Wildniß, und das Rauschen des Rheins stieg so mächtig in der allgemeinen Stille, als höre ich das Sieden der flammenden Geister um mich her, die in einem geheimnisvollen feurigen Tanze sich gaukelnd über die dunkeln Wälder und Schluchten hinschleuderten. –

Ich sah mit einer mir noch unbekannten Ruhe zu, wie ein Licht nach dem andern dem Schatten wich, und fühlte, wie sich zugleich im Ebenmaße mein Gemüth veränderte.

Jedem weichenden Lichte zog eine Erinnerung nach, und es schien mir als bezeichne ich die Stellen, von denen eine Farbe des Glanzes geschwunden war, mit Dingen, die mir lieb gewesen, oder noch waren.

Nun war es ganz ruhig, nur glänzte noch die Pforte, durch die alle die Flammen hingezogen waren, und auch diese schloß sich mit der Aussicht –, ich dachte an Violetten, und entschloß mich fest, nicht wieder zu der Gräfin zurück zu kehren. – Ich nahm mir vor, graden Weges von hier zurückzureisen, denn ich schämte mich meines Verhältnisses mit der leichtsinnigen Frau, sie schien mir so weit unter mir, und ich konnte nicht begreifen, wie sie mich verblendet hatte.

Hier rief mich ein Diener aus dem Schlosse zurück, er sagte mir, daß jemand angekommen sey, der mich sprechen wolle. –

Ich ging mit ihm zurück, und fand Violetten; der Gärtner hatte sie auf ihr dringendes Begehren hierher geführt. –

Sie überraschte mich auf eine unangenehme Art, und der gütige Eindruck der Natur auf mein Gemüth ward durch sie gewaltsam unterbrochen. –

Als wir allein waren, blieben wir noch lange stumm, bis sie sich mir mit Thränen näherte, und mich um Verzeihung bat, daß sie hierher komme, um meine Freude zu stören – sie müsse mir Vorwürfe machen, daß ich ihr Hülfe versprochen, und sie noch tiefer verstrickt habe.

Sie zeigte mir mit geschämiger Umständlichkeit, wie ich so verderblich für sie mich ihrer Mutter ergeben hätte, wie sie nun ihre Mutter hassen müsse, die ihr ihren einzigen Freund genommen: – ach, sagte sie, Sie selbst sind mir ein peinlicher Gedanke, ich muß immer an Sie denken, und Sie haben mich doch so sehr gekränkt! –

Ich sprach ruhig mit ihr, und sagte, was ich für wahr hielt, wie ich das alles empfände und wie ich mich herzlich schämte, mich so hingegeben zu haben; – doch gestand ich ihr auch offen, wie sie selbst einigen Theil dran habe, obschon in aller Unschuld, denn ihre Aeußerungen gegen mich hätten so zwischen kindischer Naivetät, Frömmigkeit und Sinnlichkeit geschwankt, ihre Reden gegen mich hätten am ersten Abende schon eine solche Unbestimmtheit verrathen, daß ich oft nicht gezweifelt habe, sie sey eine angehende Koquette, und schon so gut als verloren. –

Violette hörte das alles ruhig an. Sie haben recht geglaubt, sagte sie, hätte ich mich nicht in Ihnen betrogen gefunden in jener ersten Unterhaltung, so wäre ich es wohl geblieben, aber ich erwartete, daß Sie mich lieben würden, und da ich eben dieser Liebe meine Mutter aus dem Wege rücken wollte, zeigte ich mich Ihnen in einem unschuldigen Gewande, um Ihnen meine Mutter verhaßt zu machen; aber ich konnte mich gegen Ihre einfachen Antworten und Fragen nicht erhalten, und Sie wurden, was ich nicht wollte, nur gerührt: ich fühlte selbst, daß ich, als ich von meinem Vater und meiner Mutter sprach, mehr sagte, als ein Kind sagen kann, dennoch konnte ich mich nicht mehr fassen, und redete grade heraus, wie es mir mein Verdruß eingab, ich war in meinem Leben nicht so wunderbar zerrüttet, als an diesem Abend, ich fühlte, wie ich so gar nichts tauge, um zu lügen. – Meine Mutter hatte mich wirklich zu Ihnen geschickt, und ich stellte mich, als ging ich ungern, um ihr allen Verdacht der Eifersucht zu nehmen – aber wie ist alles geworden? – Es ist wahr, daß jene Angst in mir war, und ich habe lange gestritten mit der Andacht, aber das ist nicht mehr – meine Mutter kennt mich nicht, sie glaubt mich theils schlechter, theils besser, als ich bin. – Sie haben etwas fürchterliches in mir hervorgebracht, – ich faßte mich wieder zusammen und wendete mich mit Gewalt zu Gott. – Ich habe die ganze Nacht gebetet und geweint nach jenem Abend, – und als ich Sie am Morgen sah, mußte ich mich meiner und Ihrer schämen. – Doch ich muß ihnen noch sagen, Sie sind nicht zufällig zu uns gekommen, meine Mutter hat Sie ausgesucht, – wir haben Sie auf einem Balle gesehen, und sie entschloß sich gleich, Sie zu besitzen, und auch ich faßte meine kindischen Anschläge. – Ich habe in der letzten Zeit Ihren Mißmuth bemerkt, und so sehr es mich schmerzte, daß Sie mir aus dem Wege gingen, so sehr war es mir lieb, daß Sie über Ihre Lage zu reflektiren schienen. – Ich fühle, daß ich zu Grunde gehen werde, – ich fühle, daß Sie mir helfen können. –

Ich breche hier Violettens Worte ab, die sich immer mehr verwirrten – sie konnte bald nicht mehr sprechen, und brach in bittre Thränen aus. –

Meine Verlegenheit konnte nicht kleiner seyn, als die ihrige, ich fühlte, daß sie auch diese Rede mit einer Standhaftigkeit und einer ernsten Gleichheit reden wollte, der sie, wie jener naiven, unschuldigen Rolle, nicht gewachsen war, ihr armes verwirrtes Gemüth, das mit Leidenschaft, Selbstverachtung, und Unschuld, und Vorsatz stritt – kam endlich zu Tage. –

Dies arme Geschöpf war auf eine traurige Weise in die Höhe getrieben worden – ich konnte nichts erwiedern, denn auch ich stand sehr unwürdig, ja unwürdiger, als sie, da –

Sie kniete vor mir nieder, und bat mich heftig, sie mit zu nehmen, oder sie umzubringen, sie wolle mir wie eine Magd dienen, ich solle sie mißhandeln, aber zu ihrer Mutter könne sie nicht zurück. –

Ich fragte sie, ob ihre Mutter wisse, daß sie hier sey, und erfuhr, daß ihre Mutter es nicht wisse, daß sie verreist und sie gleich nach ihrer Abreise hierher gegangen war, um mir alles zu sagen, wie es ihr Gott in den Mund legen würde. –

Ich dachte nun nach, wie ich in der Sache handlen sollte, aber ich fand keinen Ausweg, immer verirrte ich mich in unnütze Betrachtungen, oder ertappte mich auf einer Bequemlichkeit, mich heraus zu ziehen.

Während dem war es ganz dunkel geworden, Violette hatte sich mir weinend zu Füßen gesetzt, und meine Hand ergriffen, und wir waren beide in jene dumpfe Sorglosigkeit gefallen, die einen geselligen Schmerz unter so vertraulichen Umständen leicht begleitet.

Ich fuhr auf, denn ich hörte ein Pferd im Hofe ankommen, ich sah zum Fenster hinab, und es war die Gräfin. –

Violette! Ihre Mutter, sagte ich bestürzt, wir müssen uns nicht verrathen, Ihr Hierseyn wird sie leicht entschuldigen, seyn Sie froh und munter, so gut Sie es können, ich will für Ihr Wohl denken. –

Violette sprang von der Erde auf. –

Gott! Gott! sagte sie, und ging mit mir ihrer Mutter entgegen. –

Diese war, wie immer, leichtfertig und zierlich gemein, sie scherzte mit Violetten, und freute sich, sie hier zu finden: dies ist dein erster Geniestreich, sagte sie, und ich hoffe für dich. –

Wir brachten den Abend so gut zu, als ich und Violette heuchlen konnten – der Schloßvogt wies uns einige Stuben zum Schlafen an – und wir trennten uns.

Dies war die fürchterlichste Nacht meines Lebens: ich wußte mir nicht anders zu helfen, als daß ich der Mutter einen Brief schrieb, in dem ich ihr alles sagte, was ich empfand, und sie dringend bat, ihre Tochter von sich zu entfernen.

An Violetten schrieb ich auch und suchte sie aufzurichten, und ihren Entschluß zum Guten zu befestigen. Dann ging ich hinab, bezahlte den Schloßvogt, es war drei Uhr des Morgens und ritt weg. –

Von meiner Reise lassen Sie mich schweigen, ich reiste Tag und Nacht nach Haus, und war mehr todt, als lebend.

Ich zweifle nicht, daß viele meiner Leser unwillig seyn werden, daß ich Violetten verließ, jetzt bin ich selbst unwillig darum, aber damals war es nicht anders möglich, wenn ich nicht selbst zu Grunde gehen wollte, ich hatte mich zuerst zu retten.

Man soll hier nicht denken, als habe mich mein Leben mit der Gräfin um seiner selbst willen gereut, nichts weniger, aber ich fühlte, daß dies freie Leben einen Charakter annehmen wollte, und darüber erschrack ich.

Die freie Lust ist wohlthätig, aber eine gebundne Unbändigkeit, die mich mit Zügellosigkeit zügelt, ist das verderbliebste und alles Gute geht dadurch zu Grunde.


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