Clemens Brentano
Godwi
Clemens Brentano

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Godwi an Römer.

Ich bin schon wieder genesen. Ich gehe schon wieder durch Wald und Flur, und ohne Mühe, ohne Kampf mit dem Vorigen. Auch mein Körper ist sanfter gestimmt. Alles ist einfacher in mir. Ich kann lange an einer Stelle stehen, ohne jene innere Angst, die mich immer weiter treibt.

O wie ist die Natur so groß, und wie ist der Mensch größer! Wie kann er sie bändigen in sich; wie kann er weit hinaus sehen, und so unendlich viel in sein Auge fassen, und es mit seinem Geiste ruhig anfühlen und betrachten.

Es ist mir nun alles erklärbar, alles verstehe ich; es hängen mir nicht mehr um jede Aussicht alle Erinnerungen, und reissen mich von der Gegenwart gewaltsam zurück.

Sonst mußte ich immer durch eine düstere Wolke von Reflexionen durchbrechen, um zu genießen. Es ist als sey nach dieser Krankheit mein Bedürfniß kleiner und mein Begehren heftiger geworden.

Der Alte ist nun immer freundlicher mit mir, und ich bringe heilige Stunden mit ihm und Tilien zu.

Eins nur kann ich noch nicht lösen; wer war sie, die mit dem Knaben auf dem Arm am Ende der Wiese stand? –

Godwi.

 
Fortsetzung des Tagebuchs.

Die Worte Tiliens beschämten mich. Ich schwieg. Ich wollte Tilien ihre Götter rauben, und sie blieb mir freundlich. Ich sah in mich zurück und um mich her, da blieb es kalt und leer. Kein Bild sprach mit mir von einem heiligen Zusammenhange mit einem höhern Leben. O, wer giebt mir diese Religion?

Wenn ich Tilien und mit ihr den schönen Zusammenhang mit ihren stillen Lichtern erhalten könnte! Wie ehre ich nun diese stillen Lichter – Sind sie Tilien, was sie mir ist? – sollte mich nicht eine schöne Eifersucht bewegen, an ihre Stelle zu treten, meine Stelle mit ihnen zu vertauschen? Wie – wie kann die wilde verzehrende Flamme in mir zum stillen Lichte werden? –

So war es in mir. Tilie ging ruhig an meiner Seite und sang:

                Sprich aus der Ferne
                Heimliche Welt,
                Die sich so gerne
                Zu mir gesellt.

Wenn das Abendroth niedergesunken,
    Keine freudige Farbe mehr spricht,
Und die Kränze stillleuchtender Funken
    Die Nacht um die schattigte Stirne flicht:

                Wehet der Sterne
                Heiliger Sinn
                Leis' durch die Ferne
                Bis zu mir hin.

Wenn des Mondes still lindernde Thränen
Lösen der Nächte verborgenes Weh;
Dann wehet Friede. In goldenen Kähnen
Schiffen die Geister im himmlischen See.

                Glänzender Lieder
                Klingender Lauf
                Ringelt sich nieder,
                Wallet hinauf.

Wenn der Mitternacht heiliges Grauen
Bang durch die dunklen Wälder hinschleicht,
Und die Büsche gar wundersam schauen,
Alles sich finster tiefsinnig bezeugt:

                Wandelt im Dunkeln
                Freundliches Spiel,
                Still Lichter funkeln
                Schimmerndes Ziel.

Alles ist freundlich wohlwollend verbunden,
    Bietet sich tröstend und traurend die Hand,
Sind durch die Nächte die Lichter gewunden,
    Alles ist ewig im Innern verwandt.

                Sprich aus der Ferne
                Heimliche Welt,
                Die sich so gerne
                Zu mir gesellt.

So sang Tilie durch die Büsche, als bete sie. Der ganze Tempel der Nacht feierte über ihr, und ihre Töne, die in die dunkeln Büsche klangen, schienen sie mit goldnen, singenden Blüthen zu überziehen.

Ich selbst war wunderbar gerührt und weinte fast, daß ich an der Seite dieses hellen freundlichen Bildes so trüb und verschoben dastehe.

Hier wendete sich Tilie zu mir und sprach:

               Dir ist nicht wohl, du magst den Wald nicht leiden,
Weil Dunkelheit schon in dir selbst regiert;
So will ich dich den andern Weg geleiten,
Der über eine helle Wiese führt,
Wo Licht und Schatten nicht so bange streiten,
Und sich der Pfad in hellen Glanz verliert.
Durch jene Flur, in sanften grünen Wogen,
Wird sie von leisem Wehen hingezogen.

Tilie trat mit mir aus dem Walde auf die glänzende Wiese heraus, und ich erschrack fast vor ihrer Schönheit.

Ist des Lebens Band mit Schmerz gelöset,
Liegt der Körper ohne Blick, ohn' Leben,
Fremde Liebe weint, und er geneset.
Seine Liebe muß zum Himmel schweben,
Von dem trägen Leibe keusch entblößet,
Kann zu Gott der Engel sie erheben.
Und er hält sie mit dem Arm umfasset,
Schwebet höher, bis das Grab erblasset.

Ist er durchs Vergängliche gedrungen,
Kehrt die Seele in die Ewigkeit,
O, so ist dem Tod genug gelungen,
Und er stürzet rückwärts in die Zeit.
Um die Seele bleibet Wonn' geschlungen,
Alles giebt sich ihr, die alles beut,
Wird zum ew'gen Geben und Empfangen,
Kann des Wechsels Ende nie erlangen.

So war mir, als ich auf die Wiese trat und Tilie neben mir; es war als stürze alles Licht auf sie herab, sie zu verschlingen, oder zu erschaffen, oder sie erschaffe alles Licht; es war als entstehe sie aus den Wellen der Grashalmen und Blumen, über die sie schwebend hinging, wie Venus aus dem Schaume des Meeres.

Ich.
Wie diese stille Fläche sah der See
In meines Vaters Garten aus; Otilie,
Dort, wo die Büsche sich verengen, stand
Das weiße Bild, o Gott –
Tilie.
                                          Was ist dir?
Ich.
Dort steht die Frau.
Tilie.
                                Wo? Laß uns zu ihr hin;
Da steht sie, ja ich sehe sie, die Arme!

Ich war in die Erde gewurzelt, die weiße Marmorfrau stand am andern Ende der Wiese, und hatte den Knaben im Arm.

Tilie saß neben mir, rief mich dann und wann und rüttelte mich leise, ich war sinnlos niedergesunken.

Tilie.
      Wie ist dir, sprich, du machst mir bange,
Liebst du das weiße Frauenbild nicht mehr?
Hast du ihm wehgethan, daß du es fürchtest?
Mir war es lieb, daß sie sich vor uns stellte.
Ich.
Sahst du sie denn?
Tilie.
                              Gewiß, bis sie verschwand.
Doch komme, wunderbarer Mann, komm schnell,
Laß uns nach Haus zu meinem Vater eilen,
Mit dir ist es nicht gut allein zu weilen.

Das stille Licht sahen wir schnell durch den Wald hinfliehen, und trennten uns an der Thüre. Ich bin krank –

Godwi.


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