Clemens Brentano
Godwi
Clemens Brentano

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Wenige Schöne sind mehr in der Welt, die durch Unwissenheit sich schuldlos fühlen, die das Verlorne nicht suchen, weil sie es nicht vermissen, indem die freie Liebe, die Mutter aller Kunst, in ihnen wohnt. Wie reine Wesen erblicken sie den Spiegel, in dem sie sich spiegeln, und tragen aus der Welt mit ihrem eignen Bilde die Welt in sich zurück. Sie durchströmt das Leben, das sie selbst durchströmen, und das Schaffen, das sie mit dem Ganzen in sich aufnahmen, schafft unwillkührlich wieder in ihnen. Wie alle mit der süßen Gewalt der Geschlechtsliebe im Innern auf die rege Bahn treten, so treten nur wenige mit der Allmacht der freien Liebe ins Leben. Denn das Schaffen liegt im Geschaffenen. So wie die Materie aus ihrem allgemeinen Daseyn in der Geschlechtsliebe in die Vereinzlung und Aehnlichkeit des Liebenden tritt, so spricht auch die freie Liebe den Geist, oder die Gottheit in schönen Kunstwerken aus, indem sie das Unendliche in die Form ihrer Aehnlichkeit trägt, und dieser Form ein Leben im Einzelnen giebt. Durch eben diese Vereinzlung werden wir sonderbar gerührt, weil die Mannichfaltigkeit bis zur Unkenntlichkeit in ihr gebunden ist, das Einzelne ungeheurer und seltsamer vor uns steht, und wir erregt werden, indem wir das vor uns und mit uns leben sehen, worin und wodurch wir leben. – Ueber ein schönes Kind kann ich mich eben so sehr freuen, als über ein schönes Kunstwerk, weil diese zwei Arten sehr in mir zusammenhängen, und ich zu der ersten eine größere Fähigkeit habe. Jemehr der einzelne Theil der Göttlichkeit in dem Werke in sich selbst geründet ist, je weniger schmerzhaft dem Blicke der Uebergang von dem Alleinstehen des Einzelnen in die volle Verbindung des Lebens ist, je schöner ist das Werk, je reiner, je vollkommner ist ein Sinn hingestellt, ohne uns an das traurige Vermissen des Ganzen zu mahnen.

Die meisten Verbindungen der Künste zu einem Einzelnen werden mir daher gräßlich und erhalten etwas sonderbar todtes und ekelhaftes. Masken und Wachsfiguren können mir nie schön werden. Unsre Stümperei erscheint hier verbunden mit unsrer Unwissenheit. Die Farbe darf nie mit der greiflichen todten Form zusammenkommen, denn sie begleitet nur den Wechsel, indem sie sich selbst nicht angehört, sondern dem Lichte. – Deswegen sind Augäpfel an der Bildsäule so unerträglich. Denn eine Bildsäule soll nur die Oberfläche aussprechen, sie erscheint mir wie ein umgekehrtes erdichtetes Leben, in dem die Seelenäußerung von aussen nach innen geht. –

Ich habe Ihnen geschrieben, wie es mir mit dem Singen erging, mit dem Zeichnen und Mahlen wird es mir nie anders ergehen. Ja hätte ich das reizende Bild in mir, das mich in süßer Bewunderung auflösen kann, bestimmt mit allen seinen feinsten Umrissen, wie es in meinen Glauben, meine Liebe, in mich selbst hinüberschwebt, ohne Gränze ewig und vollkommen, und könnte ich es fest, wie es nur die Allmacht kann, auf eine Stelle hinbannen, ohne ängstlich die Linie an die Linie, den Punkt an den Punkt zu reihen – o des Mechanismus im Lebendigsten! – so würde ich mahlen. Wo ist der Künstler, der sich erreichte, und wer kann im Staube nachbilden, was seine Seele ahndet? Die großen angestaunten Bildner geben mir nichts, als das Gefühl ihres Uebergewichts. Wir stehen in Staunen hingerissen vor Bildern, die wir nicht begreifen können, wir schreiben dicke Bände über Gefühle bey einzelnen Kunstwerken, die uns unerklärbar sind. Sein Gemälde, das er in der Seele trug, hat der Künstler nur hingestümpert, und das Gemälde unsrer Seele bey weitem übertroffen; ihm selbst wird kein reiner Genuß, denn es ist unedel, im Gefühle des Schwächeren den Stral seiner Stärke brechen zu lassen. Darum muß man weit über mich erhaben seyn, um in seinem stets mislungenen Werke mein gelungenstes Ideal hinzustellen, und ich selbst kann mich also nicht damit trösten. Ja es ist mir mehr Genuß, mich, durch den leisen schwimmenden Nebel der Ahndung von meinem Geiste getragen, bescheiden dem größten Bilde meiner Phantasie zu nähern, als es schändend zum Spotte meiner Augen in Handgreiflichkeit vor mein Erröthen herabzuzerren. Uebrigens ist in meinen Idealen der Uebergang, der Wechsel, die Beweglichkeit zu reissend, um sie je in den stillen bildenden Künsten zu suchen; nicht der Blick, nein der Augenblick des Blicks, ist meine Sehnsucht, nicht die Bildung der Glieder, nein der Tanz, reißt mich fort.

Wenn ich vortreffliche Kupferstiche oder Gemälde betrachte, überfällt mich eine Bangigkeit, eine Unruhe, die oft in Schwermuth übergeht, wenn gleich diese Gemälde diese Empfindung nicht schildern. Ich glaube diesen Eindruck durch das Gesagte hergeleitet zu haben.

So ergeht es mir, lieber Freund, in den einzelnen Künsten; wie sollte es mir besser gelingen in der Seele aller, in der Poesie? Bin ich doch selbst ein Gedicht, und meine ganze Poesie. Aber ich lebe in einer Zeit, wo die schöne Form verlohren ging, und so fühle ich mich geängstet, und unglücklich, weil ich nicht in meiner eigentlichen Gestalt lebe. Nimmer werde ich der Welt ein Lied hingeben, denn sie giebt mir nichts hin. Die Gedichte der Natur, sie gehen stille vor mir auf und nieder, und ich traure, wenn ich in das Morgenroth sehe, und in das Abendroth, in den heißen treibenden Tag, und die tiefe volle Nacht. Sie rühren mich, als träten sie vor mich, und sagten flehend zu mir, o gieb uns eine Seele und ein Leben, daß wir deinesgleichen seyen, daß wir mit dir seyn können und mit dir lieben. Ich stehe vor ihnen wie ein Spiegel, sie sehen in mich und ich in sie, und sie sinken vor mir hinab, denn ich kann sie nicht befestigen. Im Leben muß ich sie sehen, um sie freudig zu erblicken. Nichts kann ich umarmen, denn mir ist die freie Liebe versagt. Zwischen mir und dem Geliebten muß die Poesie stehen, die von mir selbst ausgeht. Wenn er mich umarmt, und ich mich in ihm umfasse, so ist die Gestalt in mir und ihm, und ich habe gedichtet.

So wie mir das einzige Talent des Bildens in der Geschlechtsliebe liegt, so ist wohl durch die Stummheit mancher Sänger verstummt, so wie der größte Mahler blind, und der größte Tonkünstler taub geblieben seyn mag. Aber diesen Letztern bleibt ein Ausweg, die Poesie ist und bleibt die Seele ihres Drangs zu bilden, und sie sind Mahler, Sänger oder Tonkünstler geworden durch die größere Macht eines einzelnen Organs in ihnen. So kann denn aus den Gemälden des Blinden eine Musik oder ein Gedicht werden, und aus der Musik des Tauben ein Gemälde. – Nur der Größte und Gesundeste und Freudigste kann ein großer Dichter werden, der alles dichtet, denn wem die Macht der Ausübung und des Stoffs, das Leben und der Genuß im vollen blühenden Gleichgewichte stehen, der wird und muß ein Dichter werden.

Menschen mit voller Lebensfähigkeit, und so auch ich, stehen immer im Kampfe mit dem geregelten Leben. Sie sind blos für das Dasein, und nicht für den Staat gebildet. Schmerzhaft schlägt sie die bürgerliche Gesellschaft in das eiserne Silbenmaaß der Tagesordnung, und sie kämpfen, und verderben, weil die Liebe in ihr in das Handwerk des Ehestands gewaltsam eingezünftet ist. Häusliches Glück und gesellige Freude trägt man ihnen auf, die nur weltliches Glück und Freude des Universums erkennen. Viele, die frühe schon in diesem Kerker eingefangen sind, ja die in ihm die Augen eröffnen, siechen mit ihrer größern oder geringern Anlage fort, oder brechen durch übergroßen Reiz einseitig hervor, und der geringste muß wenigstens in einem Fieber, in einem Rausche, und oft schrecklich im Wahnsinn der ewigen Poesie ihren Tribut bezahlen. Solche heftige Reize sind Einsamkeit, Freundeslosigkeit, und Eitelkeit. –

Nimmer werde ich das wunderbare Mädchen vergessen, die ein junges Opfer des Lebens fiel. Kordelia war innig an mich gefesselt, und glücklich, da ich noch unfähiger meine Gluth in unbestimmte Sehnsucht ergoß, und doch wendete ich mich schon leise zur Sinnlichkeit, und konnte keine weite Aussicht ertragen. Sie war eine Schottländerinn, und ihren Eltern entflohen. Sie ward dem Prediger, der mich erzog, zugeführt, man hatte sie bettelnd in den Straßen aufgefangen und meinem Pflegevater überbracht. Sie sagte ihren Namen nie, so sehr man sich darum bemühte, denn sie fürchtete sich, zurückgebracht zu werden. Nach dem Tode meines Pflegevaters, der bald darauf erfolgte, blieb sie bei mir, und war enge mit mir verbunden. Sie arbeitete nie, ja sie hatte einen seltsamen Abscheu vor der Arbeit, was sie auch bewogen hatte, ihre Eltern zu verlassen, für die sie nicht ohne Zärtlichkeit war; aber auch diese Liebe war Ihren Eltern nicht begreiflich gewesen, wie ihr Abscheu vor der Arbeit, wegen dem sie von ihnen öfters hart behandelt worden war. Ich fand sie einstens Abends im Garten auf dem Angesichte liegen, und erschrack, weil ich glaubte, es müsse ihr etwas zugestoßen seyn. Ich rief sie, da sprang sie auf, nahm mich bei der Hand, und lief mit mir den Garten hinaus, nach unsrer Wohnstube. Ich war heftig erschrocken, und da ich sie dringend bat, mit die Ursache ihres Zustandes zu erklären, sagte sie mir: Sieh, ich saß im Garten, und sah die Abendsonne, ich war froh und glücklich, denn es war alles schön; aber plötzlich zerriß sich der Himmel, und es war alles noch herrlicher, und immer anders, und wieder und wieder, da konnte ich es nicht allein ansehen, es war zu viel und zu schnell. Mir fiel ein, daß meine Mutter einstens sagte, wie der Abend so schön sey, und mir die Thränen dabei in die Augen traten, weil ich nicht draussen am Walde seyn könnte, da nahm mich meine Mutter hinaus in den Wald, setzte sich zu mir, und ich liebte sie unendlich, aber sie lief wieder zurück an die Arbeit, und war traurig, daß sie nicht da bleiben durfte. Wie ich nun itzt im Garten saß, und den schönen Wechsel der Farben ansah, fühlte ich, daß meine Mutter itzt an der Arbeit sitze, und dies nicht sehe, und dies nicht; so warf ich mich denn auf das Angesicht, um es auch nicht zu sehen, denn es zerriß mir das Herz, daß die Farben so schnelle verschwanden, und nicht warteten, bis wohl die Arbeit meiner Mutter vorüber sey.

So war ihre Liebe, die Vorstellung des Todes war ihr nur fürchterlich, in so fern sie fürchtete, die Sonne nicht wieder zu finden, und den Mond; ob ein andrer stürbe oder lebte, das rührte sie wenig. Nie waren wohl verschiednere Menschen verbunden als wir beide. Zwischen ihr und der todten Natur war kein Mittler nöthig, so wie ich kein Interesse für die todte Natur habe, wenn sie sich mir nicht im Auge eines andern reflektirt. Der Abend- oder Morgenschimmer an den Bergen bestimmte ihre ganze Glückseligkeit. Jeder schöne Morgen war ihr ein freudiges Geburtsfest, jeder Tag ein glücklicher oder unglücklicher Freund, und jeder Abend ein Tod. Sie stiftete einzelnen Tagen, die ihr besonders lieb gewesen waren, Denkmäler, indem sie einzelne Blumen pflanzte, oder mehrere in eine bestimmte Ordnung stellte. An einem ähnlichen Tage erinnerte sie sich immer des verflossenen, und lebte mit der Zeit und ihren Gliedern in einer wunderbaren Verwandtschaft. Bei mondhellen Nächten war sie voll freudiger Wehmuth, und sie saß dann oft in einer wunderbaren Begeisterung im Garten. Sie nannte die Nacht die enthüllte Zukunft und Vorzeit, jeder Stern war ihr das Bild eines Tages in weiter Entfernung, der vorbei sey oder komme, es ergriff sie dann eine heftige Sehnsucht, und sie schien sich selbst nicht gegenwärtig; ich eile nach und eile entgegen, so drückte sie ihren Zustand aus. Sie liebte am Tage, und betete in der Nacht, dies war ihr Leben. Ich lehrte sie mit vieler Mühe schreiben, und sie schrieb dann die Geschichte ihrer verstorbenen Freunde, der Tage, auf, schrieb Briefe an sie, und dichtete im Winter elegisch. Sie entwickelte meine Anlage zur Schwärmerei, aber meine Schwärmerei war die der Sinnlichkeit. Wenn sie in den weiten Himmel sah, so berührte ich ängstlich, mit wunderbarem Entzücken, die Blätter und Blumen der Pflanzen, ich saß oder lag immer in mich selbst verschlungen im Garten, wenn wir solche Nächte zubrachten, und sie stand aufrecht und frei, mit gehobenem Gesichte. So trennten wir uns Innern schon bestimmt, wie wir uns nachher ganz trennten. So wie ich geschloßne heimliche Gegenden liebte, so war es ihr höchstes Entzücken, von Bergen oder Thürmen weit hinaus zu sehen. Auch hatte sie das Bedürfniß nicht, sich mir zu nähern, wenn sie mit mir sprechen wollte, jede Entfernung, die die Stimme bequem erfüllen konnte, war ihr schon hinlänglich, und lieber als Annäherung, und jede Umarmung war ihr unerträglich. Sie erschrack leicht, wenn sie von ungefähr meine Hand oder irgend etwas Lebendes berührte, und war bey einem hohen Grade von Schönheit, mit wunderbar durchsichtigen Bewegungen und Mienen das keuscheste Weib durch Anlage. –

Sie liebte mich, weil ich sie duldete, sonst empfand sie keine Neigung zu mir noch zu irgend einem andern Menschen. Als Godwi mich kennen lernte, als er mir immer näher kam, und endlich am nächsten, war sie in ein kleines Gartenhäuschen gezogen, und in der Nacht, in der ich Karln gehabt, verschwand sie. Vier Jahre nachher fand ich zufällig eine Sammlung von Gedichten in London, die ich für die ihrigen erkannte. In der Vorrede fand ich die Anzeige der Herausgeberinn, daß die Verfasserinn todt sey. Ich konnte nie erfahren, wer die Herausgeberinn war.

Meine Freundinn hatte in der Zeit, da ich meinen Weg von dem ihrigen trennte, mehr gedichtet als gewöhnlich, und eines ihrer Lieder hat mich wunderbar gerührt. Es ist mit dem Namen des Tags nach der Geburt Karls überschrieben, da sie also schon geflohen war. Das Lied ist ein Quartett zwischen dem Monde, der Sonne, der Nacht und einer geblendeten Nachtigall, die sich zu Tode singt, weil sie die Stunden der Ruhe nicht mehr erkennen kann. So gehen ihre Lieder allegorisch fort, und nähern sich zum Ende einem ganz eignen Sterben in sich selbst, alles, was mit den Sinnen erkannt wird, schwindet mehr und mehr. So klagt sie, daß der Mond immer dunkler werde, und die Sonne immer matter. Auch ist ein Klagelied darunter, an die ewige Dämmerung, die schon mehrere Wochen daure, dann ein Ruf an die fliehende Natur, die Bitte, nicht so schnell zu fliehen, damit das Mädchen mit könne; dann ein Lied an das Leben, das einzige, in dem sie von Menschen spricht, und das letzte, die Wiedergeburt genannt. Sie beschreibt in ihm, wie sie in die todte Natur zerrinnt, wie sie nun die Rolle wechseln, und so nach dem Leben schauen, und das Lebendige besingen werde, wie sie bis itzt der todten Natur gethan habe. –

Wie wenig ich mich zur Dichterinn schicke, beweist schon, daß ich immer auf den Verfasser zurückkehre. Ich kann nicht lange auf dem Gedichte verweilen, gleich überrasche ich mich auf dem Gedanken, welche Seele! die so dichtet, und nie habe ich die Schönheit des Werks, immer nur die Kraft und die Fülle des Meisters geliebt. Die Dichtkunst ist mächtiger als Mahlerei; wie mir jene Herabzerrung des Ideals ist, so ist mir diese Beflügelung desselben oder doch wenigstens völliges Erreichen. In der Poesie übergebe ich das Werk sich selbst, und die Macht, welche bildet, bildet sich selbst, denn das Werk ist in ihr die ganze Kraft des Meisters. Ich habe in ihr mit der Phantasie begehrt, und erfülle mit einer eben so großen Gewalt, mit der Phantasie. Die Bildung verhält sich in ihr zum Ideal, wie die Sprache zum Denken, in der Malerei aber wie die Farben, die Gestalt zum Denken. Ich kann mein Ideal in mir in der gedrängtesten Gestalt empfinden, und es in der Dichtung unendlich ausbreiten und entfalten, denn das Wort hat Farbe und Ton und beide haben Gestalt. So kann ich mit den Geistern aller Sinne mein Gedicht allen Sinnen übergeben, da ich in der Malerei das ganze weite vielgestaltete Bild auf die Macht des Auges beschränken muß, ich muß einen Sinn zum Richter der unendlichen Phantasie machen, und mit den Farben die Sprache erreichen wollen. – – Die Besinger sind den Mahlern so unähnlich, als die Sänger den Bemahlern – der Dichter ist größer als der Mahler, denn der erste hat mehr gedichtet als er mahlen konnte, der letztere aber kann nie mahlen, was er dichtete. Zum Mahler bin ich zu klein, welch' Lied würde das werden?

Alles dies hatte ich gedacht; und gefühlt, daß die Kunst mir nimmer die Liebe ersetzen kann. Diese künstliche Kunst! So war ich, als ich meinen Sohn fand – o könnte jeder, der einen Mißton in der Liebe griff, sich auf diesen Einklang retten. Diesen kann man mir nicht nehmen, nicht ich, nicht die Pflicht, nicht der Ueberdruß. Er ist von mir, er ist mein wieder beginnendes Leben, und wenn ich noch so viele Grundsätze zu befolgen habe, so kann dieser doch nie wegraisonnirt werden.

Oft ist mirs sehr wunderbar zu Muthe mit den Grundsätzen, ich kann sie dann gar nicht begreifen, und möchte dann so ein halb Dutzend Grundsätze auf den Kopf stellen, und sie umgekehrt befolgen, gar nicht aus Verachtung der Grundsätze, nein – aus lauter Langeweile. Grundsätze? – das ist mir so gar schwerfällig, als sollte ich eine Bastille aus Quadersteinen von Grundsätzen in mir erbauen; um die Gelüsten darinne einzusperren; ich sage die Gelüsten, denn wer kann die That erwischen, wenn sie geboren ist? Erklärt sie vogelfrei, sie ist unendlich geschwind, und fällt in die Anlage zur Handlung, wie ein Funke in das Pulver, nimmer werdet ihr sie bändigen, denn sie ist das Leben.

Godwi hat seinen Bedienten, der mich in meiner Morgens-Wallfahrt so unangenehm störte, einem Landedelmann, der mit seinem Sohne hier auf dem Landtage ist, überlassen, und von diesem Bedienten weiß ich, daß er bey Ihnen ist.

Der gute naive Landjunker, der aus Unerfahrenheit mit den Sitten der Stadt einen Platz in meiner Loge nahm, erzählte mir viel von einem seltsamen Herrn Baron Godwi, der bey ihm gewohnt habe, und ich erfuhr mit einigem Unwillen, daß er mit der Schwester des Junkers recht vertraut gewesen sey, so daß es diesem wie eine pur angelegte Sache vorgekommen ist, wie er sich in seiner Unschuld ausdrückte.

Nun so bin ich dann schon vergessen; oder ist er einer von den Mächtigen, deren Leichtsinn Universalität, deren Treue Einseitigkeit, deren Langeweile Tiefe, deren Schwärmerei Höhe ist? –

Küssen Sie Ihre Ottilie, danken Sie ihr für ihre Mühe an Eusebio.

Sollte Godwi nicht auf diesen Kleinen wirken, und wie wird er es thun?

Molly.


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