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K. Mühlmeister

Bei den Pelikanen im Roten Meer

. Mein letzter afrikanischer Jagdausflug, den ich im Geleit des Herzogs von Koburg-Gotha unternahm, war keine Lustreise. Dazu gab es zu wenig Zeit. Ich reiste mit der englischen Überlandpost in nicht ganz vierzehn Tagen von Leipzig bis Aden und fuhr von dort noch am Tage meiner Ankunft auf einer Fischerbarke wieder ab nach Massaua.

Ein Blick auf die Karte genügt, um festzustellen, daß man zu dieser Fahrt nach Massaua den ganzen Meerbusen von Aden und die Meerenge Bab-el-Mandeb durchschneiden und dann das Rote Meer überfahren muß. Bei günstigem Winde kann solche Reise in drei bis vier Tagen zurückgelegt werden, bei widrigem Wetter kommt es vor, daß man über einen Monat vor der Meerenge liegen muß, ehe der Schiffsführer imstande ist, die starke Strömung zu überwinden und in das Rote Meer einzufahren, wo er dann mühsam zwischen den Klippen dahinkreuzt. Wir hatten anfangs guten, dann aber schlechten Wind und mußten deshalb bei der Eile, die ich hatte, jeden Augenblick nutzen, um rechtzeitig in Massaua einzulaufen. Ich bedauerte das um so mehr, weil das Rote Meer in seinem südlichen Teile ein überaus ergiebiges Jagdgebiet für den Forscher ist.

So vogelarm der lange, schmale Meerbusen im Norden ist, so großen Reichtum entfaltet er im Süden. Es gibt dort wirkliche Vogelberge, wie im hohen Norden. Manche der kleinen vulkanischen Felseninseln sind seit Jahrhunderten so reich besuchte Wohnstätten der Vögel, daß man dort mit gutem Gewinn und leichter Mühe ihren Dünger sammeln könnte. Zwei Tölpelarten, sechs bis acht verschiedene Möwen- und mehrere Seeschwalben- und Pelikanarten sitzen dort Tag und Nacht zu Hunderten vereinigt, um zu verdauen, und eine dichte Wolke anderer Vögel umschwärmt die Gipfel.

Hart an solchen Eilanden ging unsere Fahrt vorüber, aber regelmäßig mit dem vortrefflichsten Wind, so daß unser leichtes Boot mit seinen großen Segeln in Eile vorbeijagte. Einige Male aber kamen wir förmlich hinein in die Vogelwolken, und dann wurde natürlich das treue, auf meinen früheren Reisen in Spanien, Norwegen und Lappland erprobte Jagdgewehr vorgenommen. Rechts und links stürzten die längst bekannten, aber in unseren Sammlungen damals noch seltenen Tölpel in die salzigen Wellen. An ein Aufhalten der Fahrt und ein Herausfischen der Beute war leider nicht zu denken. Die Takelung der arabischen Schiffe des Roten Meeres ist so vorweltlich, daß zu jeder Segelwendung die Rahe im Mast niedergelassen, mühsam herumgedreht und wieder aufgezogen werden muß. Mehr brauche ich nicht zu sagen, um zu beweisen, daß wir längst um Hunderte von Metern an den erlegten Vögeln vorbeigeschossen waren, ehe ein Halten bewirkt werden konnte, denn daß ein Reffen des Segels mehr Arbeit macht als das bloße Wenden, versteht sich von selbst. Und mit dem Reffen wäre es nicht einmal getan gewesen; man hätte noch das kleine Boot, das im Bauche des größeren lag, ins Meer lassen müssen. Kurz, jeder aufzunehmende Vogel hätte mindestens eine halbe bis dreiviertel Stunde Aufenthalt verursacht, und diese halben Stunden hatte ich leider nicht.

So schien es, daß ich ohne einen Vogel nach Massaua gelangen sollte. Ich schmollte meinem widrigen Geschick, ergab mich aber so gut wie möglich ins Unvermeidliche. Es sollte aber doch anders kommen. Ich fand Gelegenheit zu einer Jagd auf Pelikane, wie sie mir vorher nie geboten war.

Der Pelikan, der aus unseren Tiergärten wohl allgemein bekannt sein dürfte, bewohnt in mehreren Arten Afrika, das als sein eigentliches Heimatland betrachtet werden muß. Zwar kommen drei Arten dieser merkwürdigen Gattung auch in Europa vor, niemals aber in so ungeheuren Scharen wie in Afrika. Schon in den Strandseen Ägyptens vereinigen sich während des Winters Gesellschaften, von deren Stärke man sich keinen Begriff machen kann. Auf weite Strecken bedecken sie den See; aus der Ferne erscheinen sie wie ungeheure weiße Seerosen. Zur Zeit der Nilüberschwemmung sieht man ganze Heere der Vögel auf den unter Wasser gesetzten Fluren des Deltas. Einzelne vom Wasser überflutete Sandbänke sind zuweilen so überfüllt, daß Kampf und Streit um die Sitzplätze entsteht, wenn neue Pelikane hinzukommen. Auf den einzelnen Mimosengruppen der Strominseln des Weißen und Blauen Nils sitzen sie manchmal in solcher Menge, daß der ganze Hain mit großen weißen Blüten bedeckt zu sein scheint; die gewaltigen Adansonien in der Nähe der Flüsse, die gerade zu jener Zeit blätterlos sind und ihre dicken Zweige in die Luft recken, erhalten dann durch sie einen wunderbaren Schmuck.

In ebenso großer Anzahl, wenn auch mehr verteilt, finden sie sich auf dem Roten Meere, das ihnen ein Eldorado bedeutet. Es ist reicher an Fischen als alle anderen Meere, und die schuppigen Wasserbewohner, die Beute der Pelikane, bevölkern gerade die seichten, von der Sonne durchglühten Pflanzenreichen Stellen, auf deren Grund der langhalsige Vogel mit seinem Hamenschnabel hinabreichen kann. Kein Wunder also, daß sich die Tiere dort dauernd angesiedelt haben und unermüdlich Guano bereiten, vielleicht in der Hoffnung, sich dadurch als nützliche Mitglieder der Vogelklasse zu erweisen.

In einer Versammlung unserer deutschen Vogelkundigen erzählte einmal ein junger Mann von seinen Reisen in den Donautiefländern, ausschließlich zu dem Zweck unternommen, die dortige Vogelwelt zu beobachten. Dreimal wiederholte er in seinem Bericht, daß er Pelikane gesehen, sich mühsam an sie herangeschlichen und sie gewiß auch erlegt haben würde, wenn nicht … Ich konnte mich des Lächelns nicht erwehren, wenn ich dachte, wie ich früher in Afrika den Pelikanen mitgespielt hatte, konnte dem jungen Vogelkundigen aber nachfühlen, wie nahe es ihm gegangen sein mochte, die schönen Vögel ziehen lassen zu müssen. Wem nur ein Funke von Jagdfeuer in der Brust glüht, der versteht ohne Worte, daß ein so sonderbarer Vogel, dessen Wesen und Leben nicht weniger eigentümlich ist als seine Gestalt, notwendigerweise zur Jagd einladen muß.

Ich hätte eigentlich zufrieden sein können mit den Jagderfolgen auf früheren Reisen, die ich gerade bei den Pelikanen hatte, aber es kam mir darauf an, die früher nicht beobachteten Arten des Roten Meeres zu erbeuten, um wieder ein Scherflein auf den Altar der Wissenschaft werfen zu können.

Die Pelikane machen keinen Unterschied zwischen süßen und salzigen, wohl aber zwischen seichten und tieferen Gewässern. Nur eine in Mittelamerika lebende Art erwirbt sich ihre Nahrung durch Stoßtauchen, alle übrigen sind außerstande, in dieser Weise zu fischen, können dies vielmehr nur von der Oberfläche des Wassers aus. Das unter ihrer Haut liegende dichte Luftpolster macht sie unfähig, ihren Leib unter das Wasser zu zwingen; sie liegen wie Kork auf der Oberfläche und halten sich demgemäß nur an Wasserstellen auf, die sie mit Hals und Hamenschnabel ausbeuten Können. Zu diesem Zweck versammeln sie sich an seichteren Stellen der Gewässer, verteilen sich in einer gewissen Ordnung über einen weiten Raum und fischen, mehr und mehr zusammenrückend, das zwischen ihnen liegende Wasser aus. Auf schmalen Flüssen oder Kanälen teilen sie sich in zwei Haufen, bilden eine geschlossene Reihe auf dieser, eine auf jener Seite, schwimmen gegeneinander an und fischen so ebenfalls den betreffenden Teil rein aus. Ihr Hamenschnabel leistet ihnen dabei vortreffliche Dienste, weil er ihnen ein leichtes Erfassen und Festhalten der Beute ermöglicht. Für gewöhnlich fressen die Pelikane nur Fische, zuweilen greifen sie jedoch auch andere Wirbeltiere an. Junge Schwimmvögel, die sich in ihre Nähe wagen, sind immer gefährdet; sie schlingen selbst halberwachsene Enten hinab. Ihr Schlund ist so weit, daß er eine geballte Mannesfaust bequem durchläßt; ich habe mehr als einmal meinen gefangenen Pelikanen große Fische mit der Hand aus dem Magen gezogen.

Die Pelikane unternehmen trotz ihres langsamen, wankenden Ganges zuweilen weite Fußwanderungen, zeigen sich auch auf Baumwipfeln sehr geschickt und suchen diese auch regelmäßig auf, wo sie sich in der Nähe finden, um auszuruhen, sich zu sonnen oder ihr Gefieder zu putzen. Sie fliegen ungewöhnlich schön. Nach einem kurzen Anlauf, wobei sie wie die Schwäne mit den Flügeln auf das Wasser schlagen, daß es auf weithin schallt, erheben sie sich von der Oberfläche, legen ihren Hals S-förmig zusammen, den Kopf sozusagen auf den Nacken und den Kehlsack auf den Vorderhals, bewegen die Flügel zehn- bis zwölfmal rasch nacheinander in weit ausholenden Schlägen und streichen gleitend einige Meter weit fort, bis sie sich entweder kreisend in höhere Luftschichten emporschrauben oder in der angegebenen Weise weiterfliegen. Einzelne Inseln behagen ihnen so, daß sie sie nicht verlassen mögen; von ihnen aus fliegen sie dann, um einen reichlichen Fischfang zu tun, oft sehr weit.

Das tägliche Leben der Pelikane ist geregelt. Die frühen Morgenstunden werden zur Jagd benutzt. Kleinere oder größere Flüge ziehen dahin, jene in einer schiefen Linie, diese in Keilordnung: die einen wenden sich seichten Buchten zu, die anderen kommen von diesen bereits gesättigt zurück. Gegen zehn Uhr vormittags haben sich alle gesättigt und wenden sich nun einer beliebten Sandbank oder Baumgruppe zu, um zu verdauen und dabei das Gefieder neu einzufetten. Das nimmt immer viel Zeit in Anspruch, weil der ungefüge Schnabel das Geschäft erschwert und sonderbare Stellungen nötig macht. Bis Mittag kommen beständig neue herbei, und die Versammlung wächst von Minute zu Minute. Nachmittags zwischen drei und vier Uhr beginnen die Reihen sich wieder zu lichten: gesellschaftsweise ziehen sie zu neuem Fange aus. Die zweite Jagd währt bis Sonnenuntergang: dann fliegt die Gesellschaft dem Schlafplatze zu.

Am fünften oder sechsten Tage unserer Fahrt auf dem Roten Meere gelangten wir in jene Gegend, wo die Pelikane kaum minder häufig sind als bei uns die Sperlinge. Wir waren in die Nähe der Dahlakinseln gekommen und schon an einigen Eilanden vorübergefahren, die der braune Eingeborene nur zeitweilig mit feinen Viehherden besucht, sonst aber dem Geflügel des Meeres zur alleinigen Benutzung überläßt. Hier saßen die Pelikane in ganzen Regimentern am Strande, teils um verdauend auszuruhen, teils mit dem Putzen, Glätten und Einfetten des Gefieders beschäftigt. Manchmal schien es, als weideten große Herden weißer Schafe auf der Insel, und erst jetzt begriff ich, wie die Schiffer dazu kamen, die Albatrosse der südlichen Meere »Kapschafe« zu nennen.

Hier aber war keine Jagd zu üben, denn sonderbarerweise zeigten sich die Pelikane hier scheuer als irgendwo. Sie wichen dem Boote sorgfältig aus und erhoben sich augenblicklich, wenn unser Führer sich ihnen zu nähern suchte. Ich schoß einige Male vergeblich unter die Haufen, fand es aber bald unterhaltender, einem der hier sehr häufigen Haifische eine Kugel zuzusenden. Schließlich gab ich die Jagd entsagend auf, bis mir ein glücklicher Zufall doch noch Erfüllung der Wünsche gewährte.

Auf unserem Boote war während der langen Fahrt das Brennholz ausgegangen, und unsere Matrosen taten alles Mögliche, um eine Landung zu bewirken. Eine kleine Insel schien ihnen besonders geeignet zu sein, sich mit neuem Vorrat zu versehen. Auf sie wurde also das Schiff gelenkt. Ich erfuhr beiläufig, daß die Insel von Menschen verlassen war und niemals wieder bewohnt werden würde, weil sie ihrem Namen Ehre machte. »Djesiret el Namuhs« hieß sie, die Mückeninsel. Nach den Versicherungen der Matrosen sollten die Quälgeister dort in unglaublichen Scharen zu Hause sein.

Gegen Abend stieg die Insel über den Meeresspiegel, und bald darauf erwies sie sich als ein ausgebrannter Krater, der rings von einem dichten Wald hoher Büsche umstanden war. Auf dem grünen Rande sah ich zu meiner Freude wiederum jene lebendigen Blüten, die Pelikane und Reiher hießen. Die Mückeninsel war ein Schlafplatz der Vögel, und wie es schien, hatte sich ein guter Teil der Bewohner des Roten Meeres auf ihr versammelt.

Ich beschloß sofort einen Besuch bei den zum Schlafen aufgebäumten Vögeln. Nächtliche Jagden habe ich von jeher gern betrieben, weil sie bei vielen Tieren, zumal bei Vögeln, gewöhnlich am ersten zum Ziele führen. Man kann sich erstens hübsch verstecken und zweitens hängt der arme fliegende Schelm, den man aus seinen Träumen aufstört, viel zu sehr am gewählten Platze, als daß er sogleich die Flucht ergriffe.

Bald nach Sonnenuntergang warfen wir Anker in einer jener seichten, mit reinstem Sand erfüllten Straßen, die zwischen den Korallenbänken verlaufen. Das kleine Boot wurde ausgehoben, zu Wasser gelassen und mit vier Matrosen bemannt. Ich hatte kaum mehr Platz zum Sitzen. Rasch steuerten wir der Insel entgegen. Als wir dort ankamen, war die Nacht schon hereingebrochen. Ich suchte mir mühsam einen Weg längs des Strandes, denn bald genug kam ich an Stellen, wo das Gebüsch hart ans Wasser reichte oder die Korallenbänke gehoben worden waren, ohne ihre Zerklüftung zu verlieren. Jeder Schritt konnte gefährlich werden. Man konnte, ohne es zu ahnen, in eine jener Höhlungen sinken, die brunnenähnlich in den Korallenkalk eingesenkt und meist mit Wasser angefüllt sind. Drei von den Matrosen gingen in der entgegengesetzten Richtung, um Holz zu sammeln, der vierte begleitete mich, und seinen Falkenaugen überließ ich es gern, den passendsten Weg zu erkunden. Ich hatte ohnehin mit meinen Augen genug in der Höhe zu tun.

Sobald wir den Busch betraten, spürten wir, daß die Insel ihrem Namen alle Ehre machte. Es war noch still zwischen den Bäumen, so daß wir das verhaßte Schwirren der Mücken deutlich genug vernehmen konnten. Wie hungrige Blutegel fielen sie über uns her. In kurzer Zeit waren wir von einer Wolke umgeben, und diese nahm an Dichtigkeit zu, je weiter wir vorwärts schritten. Aber der Jagdeifer ließ mich der Mücken nicht achten. Gleich beim Eintritt in den Wald verkündete mir der tiefe Baß eines Pelikans, daß er etwas Ungewöhnliches gewahrt hatte, und bald darauf verriet mir sein Flügelschlag, daß sich der Vogel erhoben hatte, um Rundschau zu halten. Ich blieb auf einer kleinen Blöße stehen, sah mehrere Vögel rege werden, bemerkte aber auch sofort, daß sie noch keine Ahnung von der Gegenwart eines gefährlichen Feindes hatten. Sie kreisten ruhig über dem Walde. Einer näherte sich, und der erste Schuß durchhallte die Nacht. Der Pelikan zuckte zusammen, die Flügel wurden schlaff, er sauste herab. Allein ich hatte die Richtung seines Flugs nicht beachtet. Das Parallelogramm der Kräfte machte sich geltend. Hart vor mir, aber immer noch zu weit entfernt, stürzte der Vogel klatschend ins Meer, und die vom Ufer zurückgeworfenen Wellen trugen ihn weiter und weiter hinaus in die See.

Ich kann den Eindruck nicht beschreiben, den dieser Schuß auf die schlafende Gesellschaft machte. Hunderte von Pelikanbässen wurden hörbar; die Reiher kreischten laut auf, alles flog und schwirrte durcheinander. Von allen Seiten vernahm man fuchtelnde Flügelschläge, ein Schatten nach dem andern zog an dem dunklen Himmel vorüber. Ich sandte rasch den zweiten Schuß ab, der aber leider erfolglos blieb; wahrscheinlich hatte ich mich in der Entfernung getäuscht. Wieder erhob sich ein neuer Schwarm aus dem Dickicht. Es schien, als hätten die Tiere den ersten Schuß überhört oder wären danach, vor Schrecken starr, augenblicks wieder aufgebäumt. Mit einem dritten Schuß holte ich einen zweiten Pelikan herab. Er fiel unweit von uns ins Gebüsch. Wie ein Leopard kroch der Somali, der mich begleitete, durch die Büsche und holte die Beute.

Tiefer und tiefer waren wir in den Wald gekommen, aber mit jedem Schritt wurde er undurchdringlicher. Tausende von Dornen mühten sich ab, mir meine Kleidung vom Leibe zu reißen. Äste, die ich nicht richtig gesehen hatte, schlugen mir den Hut vom Kopf oder verfingen sich in den Riemen der Jagdtasche; jeder Schritt mußte erst erkauft werden. In solchen Augenblicken spürte ich auch die mir nachziehenden stechenden Quälgeister. Es war unmöglich, weiter vorzudringen. Der Führer erhielt den Befehl zur Umkehr. Er tappte, er suchte, er kroch; der gute Somali hatte den Weg verloren.

Jetzt war unsere Lage keineswegs angenehm, obgleich ich es überaus lächerlich fand, mich in einem Walde zu verirren, der höchstens ein paar Morgen groß war. Alle Mittel wurden aufgeboten, um uns wieder herauszufitzen. Aber wie es bei solcher Gelegenheit geht: wir kamen nur tiefer ins Dickicht hinein. Der Matrose erhob seine Stimme, so laut er konnte; umsonst, es kam keine Antwort. Selbst das eintönige Getöse der Wogen, die gar nicht weit von uns an den Felsen brandeten, klang nur als schwacher Hall ins Ohr, denn jeder Laut erstickte in dem Geräusch der erschreckten Vögel. Man vernahm nichts als ein unentwirrbares Zusammenklingen der allerverschiedensten Stimmen, von denen keine einzige angenehm war. Es war ein Kreischen und Quaken ohne Unterlaß. Der Baß der Pelikane grollte nur dumpf dazwischen.

Mich fesselte unsere Lage. Ich träumte mich in das Vogelleben hinein und hielt eine Nacht in diesem Dickicht unter so anziehender Gesellschaft für wohl erträglich. Mir hätten uns ja häuslich einrichten können. Gefährliche Tiere gab es in diesem Urwalde nicht, und ein kräftiges Feuer mit daraufgeworfenen grünen Zweigen hätte die Mücken schon fortgetrieben. Mein Somali aber war anderer Ansicht. Ihm schauderte bei dem Gedanken, auf dieser verrufenen Insel nur eine Stunde länger verweilen zu sollen, als nötig war. Immer wieder versuchte er einen Ausweg zu finden. Endlich schien ihm das Glück gelächelt zu haben; er rief mich zu sich. Ich arbeitete mich durch die Büsche und sah nach etwa hundert Schritten vor mir den leuchtenden Wogenschaum an der Küste.

»Gott sei gelobt,« rief der Erfreute, »wir haben das Meer! Wir gehen nun am Strande entlang.«

Der gute Somali irrte sich wieder. Etwa fünfzig oder sechzig Schritte weit war der Strand so, wie man ihn wünschen mochte. Köstlicher gelber Sand unter hochästigem Gebüsch, ein wahrer Lustpfad. Und das Meer selbst beleuchtete ihn. Jede Woge, die sich am Strande brach, schimmerte hundertfach im phosphorischen Licht. Wie Feuerstreifen floß es vom Strande zurück; ein feuriges Band umschlang das Eiland, so weit wir sehen konnten. Es war ein Anblick zum Entzücken. Ungern fast setzte ich meinen Weg fort.

Er war sehr kurz. Ein in der Dunkelheit unübersteiglich scheinendes Korallenriff türmte sich plötzlich vor uns auf und ließ nur die Wahl zwischen Umkehr oder abermaligem Betreten des Waldes. Ich wählte das letztere, und wenige Minuten später befanden wir uns genau in der Lage von vorhin, mitten im Gebüsch, umschrien, umtobt und umflogen von ungezählten Vögeln, von denen ich einen um den andern herabschoß und der Last hinzufügte, die der Somali schon schleppen mußte. Der arme Kerl geriet zuletzt fast in Verzweiflung. Ich dagegen konnte mich von dem Komischen unserer Lage nicht losmachen und mußte bei jedem seiner Klagelieder lachen. Natürlich steigerte ich dadurch seine betrübte Stimmung noch mehr. Er war sehr unglücklich.

Plötzlich machte er halt und begann von neuem nach seinen Gefährten zu rufen. Zu meiner Verwunderung antwortete einer der anderen Matrosen, und wenige Minuten später hatte er sich glücklich zu uns durchgearbeitet.

Ein lebhaftes Gespräch zwischen beiden entspann sich: da es aber in der Somalisprache geführt wurde, mußte ich abwarten, bis sich die beiden verständigt hatten. Ich war des Glaubens, daß der Ankömmling von den andern Matrosen abgeschickt worden sei, um uns zu holen, erfuhr aber zu meiner Überraschung, daß er sich nur nach den Schüssen gerichtet und uns nur deshalb aufgesucht hatte, weil ihm das gleiche Schicksal zuteil geworden wie uns.

Jetzt wurde mir selber der Wald unheimlich, so klein er auch war. Auch die Matrosen sprachen ihre Furcht unverhohlen aus: natürlich träumten sie von Gespenstern. Ich trieb sie zu neuem Suchen an und befahl ihnen, die Küste zu erkunden. Obgleich die Dunkelheit inzwischen zugenommen hatte, gelang es nach kurzer Zeit. Ich vernahm die mir geltenden Rufe und arbeitete mich durch das dichte Gestrüpp.

Wir befanden uns auf einem langgestreckten Korallenriff, das ziemlich weit in die See hinausragte. Auf diesem gingen wir bis zur Spitze vor, spähten aber vergeblich nach dem Feuer auf unserem Schiffe. Die Insel mußte zwischen uns und dem Ankerplatz liegen. Nochmals versuchten wir am Strande entlangzugehen – es war unmöglich. Wer jemals Korallenklippen beschritten hat, wird es mir glauben. Man konnte keinen Schritt tun, ohne vorher mit dem Fuße getastet zu haben. Das Meerleuchten täuschte nur, konnte aber nicht helfen. Unzweifelhaft hätten wir die Nacht am Strande verbringen müssen, wenn nicht die andern Matrosen klüger gewesen wären als meine Begleiter, die kleinlaut auf der Klippe hockten. Selbst mir war die Musik des Wogenschlages gleichgültig geworden: ich sehnte mich nach dem harten Lager auf unserer Barke.

Da zeigte sich von fern ein leuchtender Streif auf den Wellen, und beide Matrosen jauchzten auf. Die Gefährten hatten ihre Holzladung glücklich zu Boot gebracht, vergeblich auf uns gewartet und darauf die ganze Insel umfahren. Auf unser Rufen kamen sie heran, und ungeachtet der Brandung sprangen wir ins Boot. Vom Landungsplätze schimmerte das Feuer freundlich herüber.

Nach wenigen Minuten lag ich, eine Pfeife schmauchend, auf meiner vorsorglich mit nach Afrika genommenen ungarischen Bunda.


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