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Die Steppe im Wandel der Jahreszeiten

. Der Norden Afrikas ist Wüste, muß Wüste sein und wird ewig Wüste bleiben. Gegenüber den ausgedehnten, von einer sengenden Sonne durchglühten Ländermassen zwischen dem Noten und Atlantischen Meere verlieren die erdumgürtenden Gewässer ihre Bedeutung. Das Rote Meer kommt gar nicht in Betracht, das Mittelmeer erweist sich als viel zu klein, und selbst der Einfluß des Atlantischen Ozeans ist auf einen schmalen Rand längs seiner Küste beschränkt. Über so weiten und heißen Flächen muß jedes Wolkengebilde zerstäuben, ohne die lechzende Erde zu befeuchten und befruchten. Erst viel weiter im Süden, unfern des Äquators, wo sich auf der einen Seite der Atlantische Ozean tief einbuchtet und auf der anderen der Indische Ozean Afrikas Küsten bespült, wo, um mich so auszudrücken, beide Meere über den Erdteil hinweg sich die Hände reichen, ändern sich die Verhältnisse; hier stürzen alljährlich zu gewissen Zeiten unter Sturm und Blitz und Donner so ausgiebige Regenmassen hernieder, daß vor ihnen die Wüste weichen und der lebendigeren Steppe Platz machen muß. Daher teilt sich hier das rollende Jahr in zwei voneinander verschiedene Zeiten: in die der Regen und die der Dürre.

Zur Erklärung der Steppe erscheint mir eine flüchtige Schilderung ihrer Jahreszeiten unerläßlich. Denn jedes Land spiegelt das Klima wider, das in ihm herrscht, und jedes Gebiet ist ein Ergebnis der streitenden Gewalten seiner Jahreszeiten; es kann nur verstanden werden, wenn man diese und ihren Einfluß kennengelernt hat.

Mit dem Aufhören der Regen beginnt im Innern Afrikas die ertötende Zeit des Jahres, der lange und furchtbare »Winter«, der durch seine Glut dasselbe bewirkt, was der nordische Winter durch seine Kälte zuwege bringt. Noch bevor sich der bis dahin oft bewölkte Himmel völlig geklärt hat, werfen einzelne der im Frühling ergrünten Bäume ihren Blätterschmuck ab, und mit dem fallenden Laube verlassen auch die Wandervögel das herbstende Land, um in anderen Gefilden ihres heimatlichen Erdteils Zuflucht zu suchen. Die Halme der Brotfrüchte gilben noch vor dem Ende der Regen, die niederen Gräser welken und dörren. Zeitweilig fließende Gewässer versiegen, durch die Regen gefüllte Becken trocknen aus und zwingen nicht allein die in ihnen lebenden Kriechtiere und Lurche, sondern selbst die ihnen eigenen Fische, im feuchten Letten sich einzugraben und dort ein Winterlager zu suchen. Kerbtiere vertrauen ihre Eier, Pflanzen ihren Samen der Erde an.

Je mehr sich die Sonne scheinbar nach Norden wendet, um so rascher rückt der Winter heran. Der Herbst beschränkt sich auf wenige Tage. Er bewirkt kein Verwelken der Blätter, kein Erglühen in Gelb und Rot wie bei uns, sondern er übt durch glühende Winde eine so vernichtende Gewalt, daß jene vertrocknen, wie gemähtes Gras im Strahle der Sonne, und teils noch grün zu Boden fallen, teils am Stiele zerstieben, und daß die Bäume mit wenigen Ausnahmen in kürzester Frist ihr winterliches Aussehen erhalten, über den vor wenigen Tagen noch mit hohem Grase bewachsenen Flächen wirbelt jetzt Staub auf; in den trocken gelegten Flußläufen und Wasserbecken klafft der Boden in tiefen Spalten. Alles Angenehme schwindet, alles Unangenehme tritt bedrohlich hervor: Blätter und Blüten, Vögel und Schmetterlinge welkten, wanderten oder starben; aber Dornen, Stacheln und Kletten blieben zurück und Schlangen, Skorpione und Taranteln feiern die Hochzeit ihres Lebens. Unsägliche Glut bei Tage und unerträgliche Schwüle bei Nacht sind die Leiden dieser Jahreszeit, und gegen das eine wie gegen das andere gibt es kein Mittel. Wer nicht selbst solche Tage erlebt hat, an denen das Thermometer im Schatten bis auf 50° C steigt, während derer man fortwährend schwitzt, ohne sich dessen eher als im kühlen Raume bewußt zu werden, weil die Glut allen Schweiß verdunsten läßt, während derer eine Staubwolke nach der andern zum Himmel wirbelt oder trockener Dunst bleischwer auf einem lastet, der vermag sich solche Leiden nicht auszumalen. Wer jene schwülen Nächte, in denen man sich schlaflos auf dem Lager wälzt, nicht durchseufzt hat, ist außerstande, die Qual der Menschen und Tiere in gleicher Meise bedrückenden Jahreszeit nachzufühlen. Selbst der Himmel ändert sein bisher selten getrübtes Blau in fahlere Farben um, denn der eben erwähnte Dunst verhüllt oft halbe Tage die Sonne, ohne ihr deshalb die Glut zu rauben: im Gegenteil, gerade wenn der Gesichtskreis von solchen Dünsten umlagert ist, scheint die Schwüle noch zuzunehmen. Ohne Erquickung für Geist und Körper reihen die Tage sich aneinander. Kein kühlender Hauch aus Norden fächelt die Stirn, kein Blütenduft, kein Vogelgesang, keine Zaubergemälde in leuchtenden Farben und tiefdunklen Schatten, wie das überquellende Himmelslicht der Tropen es sonst wohl hervorruft, erfrischt die Seele: alles Lebendige, Farbige, Dichterische ist verschwunden, in todähnlichen Schlaf gesunken, – und dieser ist viel zu grauenvoll, als daß er dichterische Gefühle wecken könnte. Mensch und Tier welken, wie früher Gras und Blätter welkten, und mancher Mensch, manches Tier sinkt für immer darnieder. Vergeblich ringt trotziger Mannesmut, sich von der Last dieser Tage zu befreien, in Seufzer und Klagen geht der festeste Wille unter. Jede Arbeit ermüdet, jede, auch die leichteste Decke wird zu schwer: jede Bewegung ermattet und jede Verletzung wandelt sich zur bösartigen Wunde.

Doch selbst dieser Winter muß endlich dem Frühling weichen. Grausenvoll aber ist auch dessen Wehen. Derselbe Wind, der in der Wüste zum Samum wird, regt als Herold des Lenzes seine Schwingen, wühlt in den Ritzen des Bodens, um sogar aus ihnen noch Staub zu entnehmen, wirbelt diesen in dichten Massen empor, baut aus ihm mauerähnliche Wolken auf und führt diese brausend und heulend durchs Land, wirft sie durch die Fenstergitter der besseren Wohnungen in den Städten wie durch die niederen Türen der Hütte des Eingeborenen und fügt neue Unannehmlichkeiten zu den gewohnten Plagen. Er allein hat endlich die volle Herrschaft errungen und übt sie unumschränkt, als wolle er alles vernichten, was noch widerstand; er aber ist es auch, der weiter im Süden regenschwere Wolken dem verbrannten Gelände entgegenführt. Bald will es scheinen, als verlöre er mit der sich mehrenden Stärke seine bedrückende Schwüle, als wehe er zuweilen frisch und erquickend. Es ist keine Täuschung: der Frühling rüstet sich zum Einzug, und auf des Südsturms Fittichen rauschen die Wolken einher. Noch kurze Zeit, und sie umgaukeln im Süden das Himmelsgewölbe; noch wenige Tage, und zuckende Blitze erleuchten fast allnächtlich die düsteren Schichten; noch einige Wochen, und ferner Donner kündet den belebenden Regen.

Geschäftig regt es sich, wogt und flutet es in und an allen von Süden kommenden Strömen. Noch haben sie sich kaum getrübt, – aber sie sind lebendiger geworden; denn sie steigen von jetzt an fortwährend und senden in allen tieferen Spalten und Rissen ihrer verschlammten Uferfläche das belebende Naß nach dem Innern des Landes. Und auch die Zugvögel sind bereits wieder eingetroffen und mehren sich von Tag zu Tage. In den oberen Nilländern erschien der Storch, um wieder von den alten Nestern auf den kegelförmigen Strohhütten der Eingeborenen Besitz zu nehmen, erschien mit ihm der heilige Ibis, um auch heute noch sein vor Jahrtausenden übernommenes Amt zu üben: Bote, Herold und Bürge zu sein, daß der alte Nilgott wiederum seines Segens Füllhorn über die Länder ergießen werde.

Endlich zieht das erste Gewitter heran. Beengendere Schwüle als je liegt über dem toten, verbrannten Gelände. Jeder Gesang, fast jeder Stimmlaut der Vögel ist verstummt: sie selbst haben sich im dichtesten Gelaube der immergrünen Bäume geborgen. Aber auch das Leben im Lager des Wanderhirten, im Dorfe, in der Stadt, scheint zu ersterben. Besorgt schleichen die sonst so lebhaften Hunde einem stillen, sicheren Ruheorte oder Verstecke zu, und alle übrigen Haustiere gebärden sich ängstlich oder wild. Die Rosse müssen gefesselt, die Rinder in ihre Umzäunung getrieben werden. In der Stadt schließt der Kaufmann seine Bude, der Handwerker seine Werkstatt, der Regierungsbeamte seinen Diwan, denn jedermann sucht Zuflucht in seiner Behausung. Und dennoch rührt sich noch kein Lufthauch, vernimmt man noch kein Geflüster in den Blättern der wenigen noch belaubten Bäume. Wohl aber sieht man, wie das Gewitter herannaht.

Im Süden schichtet sich eine dunkle und gleichwohl flammende Wand zusammen, vergleichbar der Feuerwolke über einer brennenden Stadt, einem meilenweit in Flammen stehenden Walde. Purpur, Dunkelrot und Braun, Fahlgelb, Grau, Tiefblau und Schwarz scheinen in ihr einen Farbenreigen zu führen, vermischen und sondern sich, gehen in dem Dunkel auf und treten wiederum grell hervor. Sie liegt auf der Erde und wächst zum Himmel empor, scheint stillzustehen und rast mit Sturmeseile dahin, verengert von Minute zu Minute den Gesichtskreis mehr und hüllt alles Vorhandene in undurchdringliche Schleier. Pfeifendes und sausendes Geräusch geht von ihr aus: auf dem Standpunkt des Beobachters aber ist noch alles ton- und klanglos.

Da braust plötzlich, kurz und heftig, ein Windstoß dahin. Starke Bäume beugen sich vor ihm wie schwache Gerten: die schlanken Palmen neigen ihre Kronen tief herab. Dem einen Stoße folgen andere: der Wind wird zum Sturm, der Sturm zum Orkan, und dieser wütet mit beispielloser Gewalt. Sein Toben ist so gewaltig, daß der Schall des ausgesprochenen Wortes das Ohr des Sprechers nicht erreicht, daß jeder Laut übertönt und verschlungen wird. Es rauscht und braust, tobt und saust, pfeift und heult, dröhnt und prasselt in den Lüften, am Boden, in den Kronen der Bäume, als ob alle Elemente miteinander im Kampfe lägen, der Himmel einfallen, die Grundfesten der Erde erschüttert würden. Unwiderstehlich trifft der gewaltige Sturm die Kronen der Bäume, reißt die Hälfte der Blätter mit sich, bricht mannsstarke Stämme wie sprödes Glas, bemächtigt sich der Krone selbst, rollt, dreht und wirbelt sie wie einen leichten Ball über ebene Flächen hin und gräbt sie endlich mit den Ästen, der breitesten Grundlage, nach unten, tief in lockere Erde oder Sand, um sie so den vernichtenden Termiten zu überliefern. Gierig wühlt er in allen Spalten der Erde, erhebt ihren Staub, Sand und Kies bis in die Wolken und führt sie mit solcher Gewalt mit sich fort, daß sie von harten Gegenständen mit hörbarem Prickeln und Knattern zurückprallen, verhüllt mit ihnen Himmel und Gelände und wandelt durch sie den Tag zur Nacht, so daß der geängstigte Mensch in seiner stauberfüllten Wohnung Laternen anzündet, um an der lebendigen Flamme gleichsam sich selbst wiederzufinden oder doch zu beruhigen.

Doch das Toben der Windsbraut wird übertönt. Prasselnde Donnerschläge dröhnen, mächtiger als sie, und übertäuben ihr Heulen und Brausen. Noch immer sind die Staubwolken so dicht, daß man die Blitze nicht wahrnehmen kann. Bald aber mischt sich ein bisher noch nicht vernommenes Rasseln unter das Wirrsal der Laute und Geräusche, und damit beginnt die unnatürliche Nacht dämmernder Helligkeit zu weichen. Es ist, als ob schwerer Hagel herniederschlage, und gleichwohl sind es nur Regentropfen, die jetzt zu Boden fallen und den aufgewirbelten Staub und Sand mit sich nehmen. Nunmehr wird man der Blitze gewahr. Einer folgt so unmittelbar auf den anderen, daß man unwillkürlich die geblendeten Augen schließt und nur noch am ununterbrochen rollenden Donner das Wetter verfolgt. Der Regen wandelt sich zum Wolkenbruche; von den Bergen rauscht das Wasser in Bächen herab, in den Niederungen sammelt es sich zu Seen, in den Tälern flutet es in Strömen dahin.

Stundenlang währt der Niederschlag; aber schon mit Beginn des Regens ermattet der Sturm, und frischer, kühlender Wind erquickt Menschen, Tiere und Pflanzen. Allmählich verringern sich die Blitze, schwächt sich der Donner, wandelt sich der Wolkenbruch wieder in Regen, dieser endlich in sanftes Rieseln. Der Himmel klärt sich, die Wolken zerreißen, und strahlend bricht die Sonne dazwischen hervor. Frohlockend verläßt die braune Jugend, nackt, wie sie erschaffen, Häuser und Hütten, um sich in den Gewässern des Frühlings zu baden; nicht minder beglückt entsteigen ihrem schlammigen Grunde Kriechtiere, Lurche und Fische, und schon in der ersten Nacht nach dem Regen ertönt tausendfach die helle und laute Stimme eines kleinen Frosches, von dem man vorher nichts wahrnehmen konnte, weil er, wie einzelne Krokodile, viele Schildkröten und alle Fische der zeitweilig trockenliegenden Seen, in der Tiefe der Erde ein Winterlager gesucht hatte.

Allüberall regt sich jetzt das erwachende Leben. Gierig saugt die lechzende Erde die Feuchtigkeit ein, aber der Himmel öffnet nach wenigen Tagen wiederum seine Schleusen und erweckt durch das belebende Naß alle noch schlummernden Keime. Ein zweites Gewitter sprengt die Knospen aller einem Blätterwechsel unterworfenen Bäume und entlockt dem Boden sprossende Gräser; ein dritter Regenguß ruft Blüten und Blumen hervor und kleidet das ganze Gelände in saftiges Grün. Zauberhaft, wie er gekommen, wirkt und waltet der Frühling. Was bei uns der Frist eines Monats bedarf, vollendet hier in einer Woche den Kreislauf seines Lebens; was sich in gemäßigten Gürteln nur langsam entwickelt, entfaltet sich hier in Tagen und Stunden.

Nach wenigen Wochen aber ist der Frühling auch wieder vergangen und der kaum von ihm unterschiedene Sommer eingetreten in den Reigen des Jahres, ebenso rasch diesem der kurze Herbst gefolgt, so daß man, streng genommen, nur von einer einzigen, Frühling, Sommer und Herbst in sich begreifenden Jahreszeit sprechen darf. Und wieder steht der ertötende Winter vor der Tür und verwehrt ununterbrochen das Keimen, Wachsen und Gedeihen, wie andere Tropenländer dank ihrem größeren Wasserreichtum es ermöglichen. Genügend aber ist dennoch die Menge der Regen, um die starre Wüste zu verbannen und überall da, wo sie sonst herrschen würde, einen mehr oder minder üppigen Pflanzenteppich über den Boden zu breiten oder, mit anderen Worten, anstatt der Wüste Steppe hervorrufen.

Ich gebrauche das Wort Steppe zur Bezeichnung der dem Innern Afrikas eigenen Gefilde, die der Araber »Chala«, zu Deutsch »frische, grüne Pflanzen erzeugende Gelände« nennt. Die Chala ist freilich ebensowenig der Steppe Südrußlands und Mittelasiens wie der Prärie Nordamerikas, den Pampas oder den Llanos Südamerikas gleich, aber doch der erstgenannten in vieler Beziehung so ähnlich, daß ich kaum der Entschuldigung bedarf, wenn ich ein uns bekannteres Wort dem unbekannten vorziehe.

Die Steppe erstreckt sich über das ganze innere Afrika, von der Wüste an bis zur Karru (südafrikanische Steppe), von der Ostküste bis zur Küste des Westens, umgibt alle dort liegenden Hochgebirge und schließt alle auf ihnen wie in den tiefer eingesenkten und wasserreicheren Niederungen sich dehnenden Waldungen ein, umfaßt alle Länder im Herzen Afrikas, beginnt wenige hundert Schritt jenseits des letzten Hauses der Städte, unmittelbar hinter den letzten Häusern der Dörfer, nimmt die Felder der Ansässigen in sich auf und ernährt und erhält die Herden der Wanderhirten. Wo nach Süden hin die Wüste endet, wo der Wald aufhört, wo ein Gebirge sich verflacht, macht sie sich geltend; wo der Wald durch Feuer zerstört wurde, bemächtigt zuerst sie sich der Brandstelle; wo der Mensch ein Dorf verließ, dringt sie in dessen Weichbild ein, um es in wenigen Jahren bis aus die letzten Spuren zu vernichten; wo der Ackerbauer seine Felder aufgab, drückt sie diesen in Jahresfrist wieder ihr Gepräge auf.

Unfreundlich, eintönig und wechsellos erscheint die Steppe dem, der sie zum erstenmal betritt. Eine weite, oft unabsehbare Ebene liegt vor dem Auge. Nur ausnahmsweise erheben sich hier und da einzelne Bergkegel, die sich noch seltener zu Gebirgszügen einigen. Öfter reihen sich wellenförmig niedere Hügel an flach gesenkte Täler, zuweilen verschlingen sie sich zu wundersamen, netz- oder maschenartig verlaufenden Höhenzügen, die eingetiefte Kessel umschließen, in denen während der Regenzeit Lachen, Teiche und Seen entstehen, wogegen im Winter der lettige Boden durch Tausende von Spalten zerklüftet wird. In den tiefsten und längsten Niederungen findet sich an Stelle der stehenden Gewässer ein »Chôr« oder Regenfluß, das ist ein Wasserbett, das ebenfalls nur während des Frühlings teilweise, unter besonders günstigen Umständen auch wohl in wenigen Stunden bis zum Rande gefüllt wird und dann nicht nur strömt, sondern wie eine bewegliche Mauer donnernd zur Tiefe braust, keineswegs aber immer in einen wirklichen Fluß mündet. Mit Ausnahme solcher Wasserbetten und Wasserbecken deckt überall eine verhältnismäßig reiche Pflanzenwelt den Boden. Gräser verschiedenster Art, von niederen, auf dem Boden kriechenden Pflänzlein bis zu übermannshohen Halmen bilden den Hauptbestandteil der Steppenpflanzen. Bäume und Sträucher, insbesondere Mimosen, Adansonien, Dompalmen und Christusdornen verdichten sich hier und da, zumal an den Ufern der Gewässer zu Hainen oder Waldsäumen, sind im übrigen aber so spärlich in die weite Flächen gleichmäßig überziehenden Gräser eingesprengt, daß sie sich nur an wenigen Stellen zu einem dünnbestandenen Walde einen. Nirgends zeigen diese Bäume die Üppigkeit des Wachstums wie in den wirklichen Stromtälern, die den Segen des Frühlings bewahren durften, sind vielmehr oft krüppelhaft, mindestens niedrig. Ihre Kronen sind sperrig, und nur ausnahmsweise klettert eine Schlingpflanze zu ihren Wipfeln empor. Sie alle leiden unter der Strenge des langen, glühenden Winters, der ihnen kaum gestattet, das eigene Dasein zu fristen, und fast alle Schmarotzerpflanzen von ihnen abhält, wogegen die Gräser in dem wenn auch kurzen, so doch wasserreichen Frühling üppig aufschießen, blühen und Samen reifen lassen.

Gerade sie aber tragen wesentlich dazu bei, der Steppe ihr eintöniges Gepräge aufzudrücken, denn sie gleichen, so niedrig sie sind, viele Gegensätze aus und wirken auch durch die Gleichmäßigkeit ihrer Färbung ermüdend. Nicht einmal der Mensch ist imstande, Abwechslung in dieses Einerlei zu bringen, weil seine Felder, die er mitten im Graswalde anlegt, von fern gesehen diesem genau gleichen und die runden, kegelförmig bedachten Hütten, die er mit schwachem Pfahlwerk stützt und mit Steppengras überkleidet, sich mindestens in der Zeit der Dürre wenig von der Umgebung abheben. Einzig die Jahreszeiten verändern das Bild, ohne ihm jedoch viel von seiner Eintönigkeit zu nehmen.

Unfreundlich ist auch der Empfang, den die Steppe dem Wanderer bereitet. Auf hohen Kamelen reitet man durch das Gefilde. Irgend ein Wild verlockt zur Jagd und verleitet in den Graswald einzudringen. Da erfährt man, daß zwischen den anscheinend so glatten Gräsern Pflanzen wachsen, die noch weit furchtbarer sind als die Mimosendornen. Auf dem Boden wuchert die »Tarba«, deren Samenkapseln so scharf sind, daß sie die Sohle leichter Reitstiefel durchschneiden; über ihm erhebt sich der »Essek«, dessen Kletten sich in alle Kleiderstoffe einfilzen; noch etwas höher strebt der »Askanit« empor, die furchtbarste Pflanze unter den dreien, weil seine feinen Stacheln sich bei der geringsten Berührung lösen, durch alle Kleiderstoffe dringen, sich in die Haut bohren und hier Eiterbeulen verursachen, die zwar an sich sehr klein sind, in ihrer außerordentlichen Menge aber sehr lästig werden. Alle drei Pflanzen verwehren jeden längeren Aufenthalt im Grase und werden Menschen und Tieren zur Qual, lassen auch bald begreiflich erscheinen, daß jeder Eingeborene eine feine Greifzange bei sich trägt, und daß, wie bei den Affen, der größte Liebesdienst, den einer dem anderen erweisen kann, darin besteht, ihm die nadelscharfen, kaum sichtbaren Stacheln auszuziehen. Daß auch die meisten übrigen Steppenpflanzen, insbesondere fast sämtliche Bäume und Sträucher, mit mehr oder minder hindernden Dornen und Stacheln bedeckt sind, nimmt den nicht wunder, der irgendwo in Afrika ein Dickicht zu durchdringen versuchte.

Noch unangenehmere Erzeugnisse der Steppe bringt die Nacht zur Geltung. Auch in ihr muß man oft tagelang reiten, ohne an ein Dorf zu gelangen, und demgemäß im Freien lagern. Ein hierzu geeigneter, sandiger, von jenen quälenden Pflanzen freierer Platz am Wege ist endlich aufgefunden, das Reittier entbürdet und gefesselt, eine einfache Lagerstatt errichtet, das heißt der Teppich über den Boden gebreitet und ein mächtiges Feuer zum Schutze gegen Raubtiere angezündet. Die Sonne geht unter, die Nacht lagert wenige Minuten später über der Ebene; das Feuer beleuchtet das Lager und seine Umgebung. Da wird es hier wie im Lager selbst lebendig und rege. Angezogen durch die Strahlen der Flamme, rennt und kriecht es heran, einzeln, zu zweit, zu zehn, zu hundert. Zunächst erscheinen riesige Spinnen, die mit ihren acht Beinen fast ebensoviel Raum überdecken wie ein Mann mit seiner gespreizten Hand. Unmittelbar darauf finden sich Skorpione ein. Die einen wie die anderen laufen, beinahe unheimlich rasch, auf das Feuer zu, über Lagerteppiche und Decken hinweg, zwischen den zur einfachen Abendmahlzeit ausgestellten Tellern hindurch, kehren, sobald sie die strahlende Wärme des Feuers zurücktreibt, wieder um, lassen sich nochmals von der Flamme anlocken und vermehren dadurch das bedrohliche Gewimmel; denn diese Spinnen sind ihres gefährlichen oder doch schmerzhaften Bisses wegen kaum weniger gefürchtet als die stechenden Skorpione. Unmutig greift man nach dem zweiten Werkzeuge, das einem der kundige Geleitsmann vor der Reise als unentbehrlich aufgedrungen, zu einer langschenkeligen Feuerzange nämlich, packt so viele der ungebetenen Gäste, wie man erlangen kann, und wirft sie ohne Gnade ins knisternde Feuer. Dank den vereinigten Anstrengungen aller Reisegenossen hat so in kurzer Zeit der größte Teil des höllischen Gezüchts seinen Tod in den Flammen gefunden. Der Zuzug wird schwächer, man atmet auf – aber zu früh!

Wiederum neue, noch unheimlichere Gäste nahen dem Feuer: Giftschlangen, die ebenso wie jene Spinnentiere der Schein der Flamme herbeizog. Der Naturforscher erkennt in ihnen, mindestens in der am zahlreichsten sich einstellenden Art, höchst beachtens- und teilnahmswerte Tiere, denn es ist die sandgelbe Hornviper, die berühmte oder berüchtigte »Cerastes« der Alten, die auf vielen ägyptischen Denkmälern abgebildete Fi, dieselbe Giftschlange, durch deren Zähne sich Kleopatra den Tod gab. Der ermüdete Reisende aber verwünscht sie in den Abgrund der Hölle. Das ganze Lager wird lebendig, sobald ihr Name genannt wird; jeder greift, bei weitem rascher als früher, zur Zange, schreitet, wenn er der Giftschlange ansichtig wird, vorsichtig heran, packt sie im Genick, wirft sie ins lodernde Feuer und verfolgt ihren Untergang. An manchen Stellen der Steppe können einen diese Schlangen in gelinde Verzweiflung versetzen. Infolge ihres sandfarbigen Schuppenkleides und ihrer Gewohnheit, sich bei Tage oder während ihrer Ruhe bis auf die kurzen, als Fühler dienenden Hörner in den Sand einzuwühlen, sucht man bei Tage meist vergeblich nach ihnen; sobald aber die Nacht hereinbricht und das Lagerfeuer strahlt, sind sie zur Stelle und schlängeln und züngeln um einen herum. Zuweilen erscheinen sie in erschreckender Anzahl und hallen den müden Reisenden bis gegen Mitternacht wach, denn alle, die im Bereiche der Strahlen des Feuers geruht haben oder auf ihren nächtlichen Streifzügen in jenen gelangen, scheinen der Flamme zuzukriechen. Und wenn man endlich, ermüdet und schlaftrunken, die Zange aus der Hand und sich selbst zur Ruhe legt, weiß man nie, wie viel von ihnen in später Nacht noch über einen wegkriechen, erfährt aber nicht allzu selten des Morgens beim Aufnehmen der Teppiche, daß es der Fall gewesen, indem man eine oder mehrere unter den Falten des Teppichs versteckt vorfindet.

Mit den genannten sind aber keineswegs alle lästigen Tiere der Steppe aufgezählt. Eines von ihnen, zu den kleinsten aller zählend, erweckt zwar keine Angst um das Leben, wohl aber um das Eigentum des in der Steppe verweilenden Menschen. Dieses Tier ist die Termite, ein unserer Ameise ähnliches Insekt, das trotz seiner Kleinheit mehr Unheil anrichtet als die gefräßige Heuschrecke, deren Auftreten auch heute noch zur Plage werden kann. Denn die Termite gehört zu den allgegenwärtigen und ununterbrochen schadenden Tieren. Was das Pflanzenreich erzeugt, verfällt ihren scharfen Kieferzangen, was der Kunst- und Gewerbefleiß des Menschen erzeugt hat, nicht minder. Hoch über den Graswald der Steppe erheben sich ihre kegelförmigen Erdbauten, auf dem Boden dahin wie an den Bäumen empor verlaufen ihre Gänge und Verbindungswege.

Zur Nachtzeit oder im Dunkel beginnt und vollendet die Termite ihr vernichtendes Werk. Zunächst überzieht sie den Stoff, den sie in Angriff nimmt, mit einer alles Licht abhaltenden Erdkruste, und nunmehr geht sie an ihre Arbeit, deren Zweck und Ende Zerstörung ist. Alle am Boden liegenden oder an Erdwänden hängenden Gegenstände sind am meisten gefährdet. Der achtlose Reisende legt, von der herrschenden Schwüle bedrückt, eins seiner Kleidungsstücke neben sich auf den Boden und findet es am anderen Morgen siebartig durchlöchert und unbrauchbar vor, mit einem Worte: vernichtet. Der noch nicht mit dem Lande vertraute Naturforscher birgt seine mühsam gesammelten Schätze in einer Kiste, versäumt aber, diese auf Steine zu stellen, und sieht sich nach wenigen Tagen seiner Sammlung beraubt. Der Jäger hängt sein Gewehr an eine Lehmmauer und bemerkt zu seinem Ärger, daß zerstörungssüchtige Kerbtiere in kürzester Frist den Kolben mit Hohlgängen überzogen haben. Der Baum, den die Termite sich ausersieht, ist verloren, das Sparrwerk der Wohnung, in dem sie sich einnistet, der Vernichtung geweiht. Vom Boden bis zu den höchsten Zweigen leitet sie ihre verderbenbringenden Wege, durchfrißt Stamm, Äste und Zweige und gibt ihn so dem Sturme preis, der das ertötete und haltlos gewordene Wabenwerk in alle Himmelsrichtungen zerstäubt. An den Erdwandungen oder dem Pfahlwerk der Wohnungen steigt sie empor, durchlöchert alles Holzwerk und bewirkt binnen kurzem den Einsturz der Behausung. Unter dem gestampften Fußboden der besseren Häuser gräbt sie tausendfach verzweigte Gänge und bricht daraus oft zu Millionen hervor, um auch wieder nur das Verderben zu wirken. So wird sie zu einer der ärgsten Plagen ganz Innerafrikas und besonders der Steppe.

Böte diese nicht auch andere Erscheinungen dar, wäre sie nicht eins der reichsten Gebiete, eine der am zahlreichsten besuchten Herbergen der Tierwelt Afrikas, der Naturforscher würde sie ebenso gerne meiden wie der Handel treibende Reisende, der nur ihre abstoßenden, nicht aber ihre anziehenden Seiten kennenlernt.


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