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Im Sandmeer der Wüste

. Am Saume der Wüste, unter einer dichten Palmengruppe, steht ein kleines Zelt. Ringsherum liegen in bunter Reihe, aber wallartig geordnet, Kisten und Ballen. Weiter nach außen stehen und hocken festlich gekleidete, das heißt frisch mit Hautsalbe eingefettete nubische Knaben.

Im Innern des Zeltes befinden sich Reisende, die auf einer Nilbarke gekommen sind und einen weiten Bogen des stromschnellenreichen Flusses abschneiden, also die von letzterem teilweise umschlossene Wüste durchziehen wollen.

Es ist Mittagszeit. Die Sonne steht fast senkrecht über dem Zelte am wolkenlosen, tiefblauen Himmel, und ihre sengenden Strahlen werden kaum durch die sperrigen Wedel der Dattelpalmen gehindert. Drückende Glut liegt auf der Ebene zwischen Strom und Wüste, die Luftschichten über dem erhitzten Boden wogen und flimmern, daß jedes Bild sich verschleiert.

Ein Reiterzug, von der Wüste herkommend, taucht am Rande des Gesichtskreises auf und wendet sich, ohne nach dem landeinwärts liegenden Dorfe abzulenken, geradeswegs nach dem Zelte. Dunkelbraune, in lange und weite Burnusse gehüllte Männer steigen unter den Palmen von ihren mageren, jedoch nicht unedlen Pferden. Einer von ihnen nähert sich dem Zelte und tritt mit der Würde eines Königs hinein. Es ist das Oberhaupt der Kameltreiber, der Scheich el Djemali, dem wir, die Reisenden, Botschaft sandten, um uns durch seine Hilfe mit Führern, Treibern und Kamelen zu versehen.

»Heil mit euch,« sagt er beim Eintreten, und grüßend legt er die Hand auf Mund, Stirn und Herz.

»Heil mit dir, o Scheich, die Gnade Gottes und sein Segen,« ist unsere Antwort.

»Groß war mein Sehnen, o Fremdlinge, eure Wünsche zu vernehmen,« versichert er, nachdem er sich auf dem Polster zu unserer Rechten, dem Ehrenplätze, niedergelassen.

»Möge Gott, der Erhabene, dein Sehnen vergelten, o Scheich, und dich segnen,« erwidern wir seine Rede und befehlen unseren Dienern, ihm frisch angezündete Pfeifen und Kaffee zu reichen.

Halbgeschlossenen Auges labt er seinen sterblichen Leib durch den Trank, seine unsterbliche Seele durch die Pfeife; in dichte Wolken hüllt er sein Haupt. Fast lautlose Stille herrscht im Zelte, das der Wohlgeruch des köstlichen Djebelitabaks durchduftet, bis wir endlich die Verhandlungen glauben beginnen zu dürfen.

»Wie ist dein Befinden, o Scheich?«

»Der Spender alles Guten sei gepriesen. Wohl, dir zu dienen. Und wie steht es um deine Gesundheit?«

»Dem Herrn der Welt sei Ruhm und Ehre; ich befinde mich ganz wohl. Groß war unser Sehnen, dich zu sehen, o Scheich!«

»Möge Gott, der Erbarmende, euer Sehnen vergelten! Ist euer Befinden zufriedenstellend?«

»Allah und sein Prophet, Gottes Gnade über ihn, seien gepriesen.«

»Amen. Es sei, wie du gesagt hast.«

Neue Pfeifen erquicken die unsterbliche Seele; neue, fast endlose Höflichkeitsbezeigungen werden ausgetauscht. Dann endlich gestattet die allseitig bindende Gebräuchlichkeit, geschäftliche Angelegenheiten zu behandeln.

»O Scheich, ich will mit des Allerbarmenden Hilfe diese Wüstenstrecke durchreisen.«

»Möge Allah dir Geleit geben!«

»Bist du im Besitz von Treibern und Lastkamelen?«

»Ich bin's.«

»Wie viele Kamele kannst du mir stellen?«

Statt einer Antwort auf die Frage entquellen nur Rauchwolken dem Munde des Scheich, und erst nach Wiederholung unserer Worte legt er für einige Augenblicke die Pfeife zur Seite und sagt würdevoll: »Herr, die Anzahl der Kamele der Beni Said kennt nur Allah; ein Sohn Adams hat sie noch nie gezählt.«

»Nun wohl, so sende mir fünfundzwanzig Tiere, darunter sechs Traber. Außerdem bedarf ich zehn großer Schläuche.«

Der Scheich raucht von neuem, ohne zu reden.

»Wirst du sie mir senden?«

»Ich werde es tun, um dir zu dienen. Allein die Besitzer stellen hohe Preise.«

»Und welche?«

»Mindestens das Vierfache der üblichen Löhne und Mieten.«

»Erschließe dich Allah, der Erhabene, Scheich! Das sind Forderungen, die niemand bewilligen wird. Preise den Propheten!«

»Gott, der Allerhaltende, sei gepriesen und sein Gesandter gesegnet! Du irrst, mein Freund. Der Kaufmann, der dort oben lagert, bot mir das Doppelte von dem, was ich verlange. Nur meine Freundschaft zu dir ließ mich so geringe Forderung stellen.«

Vergeblich scheint alles Feilschen. Frische Pfeifen werden gebracht und geraucht, neue Höflichkeitsbezeigungen ausgetauscht, der Name Allahs und seines Propheten gemißbraucht, Wohl und Befinden gegenseitig auf das genaueste festgestellt, bis endlich die erlernte Sitte der angeborenen weicht und der Abendländer die Geduld verliert.

»So wisse, Scheich, ich bin im Besitz eines Geleitbriefes des Khediven und eine vom Scheich Soliman. Hier sind sie. Was forderst du jetzt noch?«

»Herr, wenn du einen Geleitbrief Seiner Herrlichkeit besitzest, warum forderst du nicht das Haupt deines Sklaven? Er steht dir zu Diensten. Deine Wünsche nehme ich auf mein Haupt. Du befiehlst, dein Sklave gehorcht. Die Preise der Regierung kennst du. Das Heil Allahs über dich! Morgen sende ich dir Männer, Tiere und Schläuche.«

Nicht am andere Morgen, wie versprochen, erscheinen die Treiber und Tiere, sondern erst in den Nachmittagsstunden finden sie sich ein, und nicht am nächsten Morgen, sondern frühestens um die seit des Nachmittagsgebetes des folgenden Tages kann an den Aufbruch gedacht werden. »Bukra inschallah – morgen, so Gott will,« ist die Losung; sie widersteht jedem Machtgebot. In der Tat, es gibt noch viel zu tun, bevor die Reise angetreten werden kann …

Um das Zelt entwickelt sich ein lebendiges Bild. Zwischen den Gepäckstücken bewegt sich die Schar der Söhne der Wüste. Wenig fördernde Geschäftigkeit, aber unglaubliches Gelärme bezeichnet ihr Treiben. Die wallartig geordneten Gepäckstücke werden auseinander gezerrt, gewogen, mit andern verglichen, ausgewählt und verworfen, zusammengeschleppt und wieder getrennt. Jeder Treiber versucht den andern zu überlisten, jeder für seine Tiere die leichteste Ladung zu gewinnen, und jeder stößt daher auf Widerspruch. Alle lärmen und toben, schreien und schelten, schwören und fluchen, bitten, verwünschen. In Erwartung des Kommenden helfe gewöhnlich auch die Kamele getreulich mit, den Lärm zu verstärken; und wenn sie wirklich, statt zu brüllen, einmal schweigen sollten, so ist ihre Zeit nur noch nicht gekommen. Aber sie kommt! Ob mit oder ohne Kamelbegleitung, das Ohr des Abendländers wird förmlich gemartert durch alle die verschiedenen Stimmen, die sich ihm gleichzeitig aufdrängen. Lange Stunden währt das Gewirr und Getöse; und wenn man sich endlich zur Genüge gezankt hat, so ist erst das Vorspiel zu Ende.

Nach dem Friedensschlusse beginnt man mitgebrachte Dattelbastfasern zu Stricken zu drehen; hierauf umschnürt man die Kisten und Ballen, bildet Ösen und Öhre, um je zwei Gepäckstücke auf dem Sattel des Tieres ebenso rasch verbinden wie lösen zu können, bessert eiligst noch Tragnetze aus, bestimmt, die kleineren Päcke aufzunehmen, und wendet sich sodann einer Prüfung der Schläuche zu, um auch an ihnen noch zu flicken und sie endlich mit stinkendem, aus Koloquintensamen bereitetem Teer einzuschmieren. Schließlich unterzieht man an der Sonne getrocknetes Fleisch einer nochmaligen Besichtigung, füllt einige Bastsäcke mit Kaffernhirse oder Durra, andere mit Holzkohlen, einige auch wohl mit dem gesammelten Kamelmist, spült oberflächlich die Schläuche aus, versieht auch sie mit frisch aus dem Strome geschöpftem Wasser und beschließt die langwierige Arbeit mit einem aus tiefster Brust hervorgestoßenen »El hamdulillahi«, einem »Gott sei Dank!«


Die Karawane ist mit dem ersten Sonnenstrahl aufgebrochen und zieht lautlos dahin. Weitaus schreiten die Lastkamele, federnden Ganges die Treiber neben, hinter ihnen her; im vollen Trabe eilen die Reitkamele an jenen vorüber und dem Reisezuge voraus; bald verlieren die Reiter den Lastzug aus den Augen. Vorwärts geht es mit ungeminderter Eile. Alle Knochen scheinen zu knacken unter den Stößen, die die hastenden Reittiere verursachen.

Sengend brennt die Sonne hernieder, stechend dringt sie durch alle Kleider, so viele ihrer zum Schutze gegen sie übereinander gehäuft werden mögen. Unter der dichten Hülle rieselt der Schweiß, unter der leichteren der Arme und Beine verdunstet er, sowie er auf die Haut tritt. Die Zunge klebt am Gaumen. Wasser, Wasser, Wasser ist der einzige Gedanke dessen, der solche Beschwerden noch nicht zu ertragen gelernt hat. Aber das Wasser, in landesüblichen Schläuchen verfrachtet, ist auf dem Rücken der Kamele mehr als lauwarm, übelriechend und übelschmeckend geworden. Es gewährt keine Labung, sondern verursacht nur neue Beschwerden. Qualvoll wird der Zustand des Reisenden noch bevor die Sonne in Mittagshöhe steht, und die Qual nimmt in demselben Maße zu, in dem sich das Wasser verschlechtert. Aber sie muß ertragen werden und wird ertragen. Wenn sich der Abendländer auch nie an Schlauchwasser gewöhnt, an die anfänglich unerträglich scheinende Hitze gewöhnt er sich bald, an die Beschwerden des Ritts um so eher, je mehr er mit seinem Reittier verwächst.

Gegen Mittag wird gerastet. Ist eine Niederung in der Nähe, so findet sich in ihr wohl eine schirmförmige Mimose, deren Blätterdach spärlichen Schatten bietet; erstreckt sich unabsehbar die sandige Fläche vor den Reitern, so bilden vier in den Sand gestoßene Lanzen und die dazwischen ausgespannte Wolldecke ein dürftiges Schattendach. Aber glühend ist der Sand, der zum Lager werden muß heiß und drückend die Luft, die man atmet. Mattigkeit und Schlaffheit bemächtigen sich selbst des Eingeborenen, um wie viel mehr des Europäers. Man ersehnt Ruhe, ohne sie zu finden, Erquickung, ohne sie zu genießen. Geblendet von dem überquellenden Licht und der flimmernden Luft, schließt man die Augen: gequält von der sengenden Hitze, vom brennendsten Durste, wälzt man sich schlaflos auf seinem Lager. Bleiern entschleichen die Stunden.

Der Lastzug schwankt langsam vorüber und entschwindet dem Auge in einem dunstigen Luftsee, aus dessen wogenden Wellenschichten die Kamele zu schweben scheinen. Noch immer verweilt man in derselben Lage, leidet man unter denselben Beschwerden. Die Sonne hat die Mittagshöhe längst überschritten, aber nach wie vor sendet sie ihre glühenden Strahlen hernieder. Endlich, in den Spätnachmittagsstunden, bricht man von neuem auf. Und wiederum ein Ritt, daß die rasche Bewegung einen beinahe kühlenden Luftzug entgegenführt, bis die Lastkarawane wieder in Sicht kommt und bald darauf auch erreicht wird. Singend schreiten die Kamelführer hinter ihren Tieren her. Einer trägt das Lied vor, die übrigen schließen die einzelnen Strophen mit regelmäßig wiederkehrendem Endreim.

Wenn man die Mühsal erwägt, die ein Kameltreiber auf Wüstenreisen zu erleiden hat, wundert man sich freilich, daß man ihn singen hört. Vor Tagesanbruch belud er sein Lasttier, nachdem er mit ihm einige Handvoll weichgekochter Durrakörner geteilt hatte; während des ganzen Tages schritt er, ohne einen Bissen zu genießen, des Weges. Die Sonne sengte seinen Scheitel, der glühende Sand verbrannte ihm die Sohlen, die heiße Luft trocknete seinen schweißtriefenden Leib, und dennoch singt er jetzt seine Lieder! Das wirkt die Nacht in der Wüste.

Wenn die Sonne zur Rüste geht, scheinen sich die Glieder dieser ausgedörrten Wüstenkinder neu zu frischen, denn auch sie gleichen in allem und jedem der Wüste. Mit ihr erglühen sie um die Mittagszeit, mit ihr erblühen sie während der Nacht. Der Sänger preist wasserreiche Brunnen, Palmengruppen und dunkle Zelte; er grüßt ein braunes Mädchen in einem der Zelte, rühmt ihre Schönheit, vergleicht ihre Augen mit denen der Gazelle, ihren Mund mit der Rose, verschmäht des Sultans erstgeborene Tochter ihrethalben und sehnt die Stunde herbei, in der das Glück ihm gestattet, das Zelt mit ihr zu teilen.

So klingt es dem nordischen Fremdling entgegen, und auch ihm drängen sich Lieder der Heimat über die Lippen. Wenn die Nacht ihr Zaubergewand über die Wüste breitet, will es ihm scheinen, als sei das Schwerste leicht gewesen, als habe er während des Tages Glut keinen Durst, während des Rittes keine Beschwerde gefühlt. Heiter springt er aus dem Sattel, und während die Treiber ihre Kamele entlasten, häuft er den Sand zu seinem Lager, breitet Decke und Teppich darüber und gibt sich der ersehnten Ruhe hin.

Auf wenige Schritt nur erhellt das kleine Feuer die Ebene. Geschäftig bewegen sich die halbnackten Söhne der Wüste. Die Flamme wirft zauberhafte Lichter auf sie, und Ballen, Sättel und Geräte nehmen wundersame Formen an; die lagernden Kamele wandeln sich zu Spukgestalten, wenn ihre Augen im Widerschein des Feuers düster erglühen. Still und stiller wird es im Lager. Einer der Wüstensöhne nach dem andern verläßt die Kamele, mit denen er sein ärmliches Nachtmahl geteilt, hüllt sich in sein langes Leibtuch, sinkt auf den Boden und verschmilzt mit dem Sande. Das Feuerchen flackert noch einmal auf, verliert seinen Schein und erlischt. Es ist wirkliche Nacht geworden im Lager.

Wer sie zu schildern vermöchte, die Nacht in der Wüste! Ein Dichter müßte er sein von Gottes Gnaden. Nach des Tages Glut ist sie die milde, vergeltende Spenderin unsagbaren Wohlgefühls, die Frieden und Freude bringende Zeit, die der Mann herbeisehnt wie die Geliebte, die ihm das lange Harren vergilt. In nie geahnter Reinheit und Helle leuchten die Gestirne am dunklen Himmel; mit vollen Zügen atmet der Mensch die erquickende Luft, mit Entzücken läßt er sein Auge von einer Sonne zur anderen schweifen. Mehr und mehr scheint sich das Licht der Sterne herabzusenken, der Geist hält Zwiesprache mit anderen Welten. Kein Laut, kein Geräusch, nicht einmal das Zirpen einer Heuschrecke unterbricht nun sein Sinnen. Traumbilder voll unendlichen Reizes weben sich vor wachem Auge und spinnen sich fesselnd weiter fort, auch wenn die Sterne zu flimmern begannen und die Augen sich schlossen.

Nach leiblicher und geistiger Erquickung, wie sie die Nacht der Wüste bietet, trägt sich die Beschwerde des folgenden Tages leichter, so viele Überwindung es auch kosten mag, das stündlich schlechter und schlechter werdende Wasser zu trinken. Wirkliche Ruhe aber bringt doch erst der Aufenthalt am Wüstenbrunnen, an der Oase. Erst dort wird der Tag zum Feste, der Abend zur harmlos heiteren Feier, die Nacht zur erlabenden Ruhezeit.

Um den fließenden Quell hatte sich, lange bevor der Mensch erschien, um Besitz zu nehmen, eine grüne Pflanzenschar angesiedelt. Wer vermag zu sagen, wie sie entstand? Vielleicht war es der Sandsturm, der Samen streute, die hart am Quell keimten, grünten, blühten und wieder Samen trugen und sich so über das ganze Tal verbreiteten. Von Menschen wurden sie nicht gepflanzt, denn die Mimosen, die ihren Hauptbestandteil bilden, sieht man auch in noch brunnenlosen Niederungen, einzeln, zu zehn, zwanzig, zu einem kleinen Haine vereinigt. Sie allein schon sind hinreichend, um Leben in der Wüste wachzurufen; sie grünen, blühen und duften – und wie frisch, wie golden, wie balsamisch! In ihrem freundlichen Schatten ruht die Gazelle, aus ihren Wipfeln erklingen die Lieder der wenigen gefiederten Sänger der Wüste. Ihre saftigen Blätter inmitten der starren Kalkmassen, schwarzen Granitkegel und des blendenden Sandes tun dem Auge wohl wie Maiengrün, ihre Blüten wie ihr Schatten erlaben die Seele. In größeren, wasserreichen Oasen hat der Mensch ihnen die Palme gesellt und damit der Wüstensiedlung neuen Zauber verliehen, denn die Palme ist hier alles in allem. Sie ist die Königin der Bäume, die den Menschen an den kleinen Fleck Erde fesselt und Früchte spendet, die von der Sage umrankte, vom Lied umklungene Nährpflanze, der Baum des Lebens. Was wäre eine Oase ohne die Palme! Ein Zelt ohne Dach, ein Haus ohne Bewohner, ein Brunnen ohne Wasser, ein Gemälde ohne Farben. Ihre Früchte nähren den Wanderhirten wie den seßhaften Siedler und wandeln sich in seiner Hand zu Weizen oder Gerste; ihre Stämme und ihre Blätter liefern ihm Gebäude, Geräte, Matten, Körbe, Säcke, Seile und Stricke. Im Sande der Wüste erst würdigt man ihren Wert; im Sande der Wüste wird sie zum Sinnbild der arabischen Dichtung.

Mimosen und Palmen sind die Charakterbäume aller Oasen, fehlen also auch denen nicht, die so viele Brunnen besitzen, daß man Gärten und Felder anlegen konnte. Hier beschränken sie sich, gleichsam als Vorposten gegen den andringenden Wüstensand, auf die äußere Umrandung der Wüsteninseln, in der Nähe der Quellen oder am Brunnen breiten sich oft reizende Gärten aus, in denen man fast alle Fruchtarten Nordafrikas anbaut. Hier klettert die Rebe, glüht die Orange im dunklen Laube, öffnet die Granate ihren rosigen Mund, breitet die Banane ihre Wedel, rankt die Melone sich durch die Gemüsebeete, vollenden Feigenkaktus und Ölbäume, vielleicht sogar Feigen-, Aprikosen- und Mandelbäume das Bild der Fruchtbarkeit. Weiter entfernt dehnen sich Felder aus, auf denen mindestens Kaffernhirse, günstigen Falles Weizen, selbst Reis gebaut wird.

Von solchen Oasen weit verschiedene Rastorte sind die Niederungen, in denen sich nur hier und da ein Brunnen befindet. Die arabischen Wanderhirten sind zufrieden, wenn er ihnen und ihren Herden für einige Monate oder Wochen notdürftig Trinkwasser gewährt; die hier rastende Karawane darf froh sein, wenn sie ihren Bedarf für einige Tage zu decken vermag.

Unsagbar arme Menschen sind die Wanderhirten, die hier die Zelte aufschlagen, so lange ihre Ziegenherden Nahrung finden; ihr Kampf ums Dasein ist nichts als eine Kette von Mühsal, Entbehrung und Not. Ein langes, dunkles Tuch aus Ziegenwolle, in seiner Mitte über ein einfaches Gerüst gelegt, mit beiden Enden an den Boden gepflöckt, hinten durch ein Stück desselben Zeuges, vorn durch eine Matte aus Palmenblättern geschlossen, bildet ihr Zelt, die Brautgabe der Frau, an der sie bis zum sechzehnten Lebensjahre sammelte und wob; aus einigen Matten als Lagerstätte, einer Granitplatte und dazugehörigem Reibstein zum Zerkleinern des Getreides, einer Tonplatte zum Rösten der Fladen, zwei bauchigen Töpfen, einigen Ledersäcken und Schläuchen, einer Axt und mehreren Lanzen besteht der Hausrat; eine Herde von zwanzig Ziegen gilt als reicher Besitz. Aber diese Leute sind ebenso brav wie arm, ebenso liebenswürdig wie wohlgestaltet, ebenso freigebig wie anspruchslos, ebenso sittenrein wie gläubig. Uralte Bilder tauchen auf vor der Seele des Abendländers, der zum erstenmal mit ihnen zusammentrifft. Biblische Gestalten treten ihm gegenüber und reden mit ihm in der von Kindheit her vertrauten Sprachweise. Tausende von Jahren sind über diese Wanderhirten hinweggegangen wie ein Tag; heute noch denken, reden und handeln sie wie die biblischen Erzväter. Derselbe Gruß, den Abraham spendete, klingt von ihren Lippen dem Fremdling entgegen; dieselben Worte, die Rebekka zum Knechte des Genannten sprach, sind mir geworden, als ich, vom brennenden Durste gepeinigt, am Brunnen der Bajuda vom Kamele sprang und von einem jungen braunen Weibe zu trinken begehrte. Da stand sie vor mir, die vor Jahrtausenden gewesene Rebekka, leibhaftig und in unverwelklicher Jugend, eine andere als jene, von der die Schrift redet, und doch dieselbe.

Beim Eintreffen einer Karawane versammelt sich die ganze Bewohnerschaft solcher zeitweiligen Siedlung. Der Älteste tritt hervor und spendet den Gruß des Friedens; alle übrigen heißen die Fremdlinge willkommen. Dann bietet man das Köstlichste, das diese begehren: frisches Wasser, bietet alles, was man besitzt. Gierig schlürfen die Reisenden das erquickende Naß; ungestüm drängen sich die Kamele zur Tränkstelle, obwohl sie aus Erfahrung wissen könnten, daß sie erst entlastet und auf die Weide gesandt zu werden pflegen, bevor man ihnen gestattet, nach vier- bis sechstägiger Entsagung ihren Durst zu löschen. Man spendet auch am Brunnen keinen überflüssigen Tropfen, gibt ihnen daher zunächst das etwa vorhandene Schlauchwasser zum besten und tränkt sie erst, nachdem die Schläuche wieder gefüllt sind. Nur an sehr wasserreichen Brunnen stillt man ihr maßlos scheinendes Verlangen.

Für Reisende und Lagerbewohner aber bricht ein Festtag an. Erstere finden frisches Wasser, vielleicht sogar Milch und Fleisch zur Würzung der ersehnten Rast; letztere heißen jede Unterbrechung ihres sich gleichmäßig abspinnenden Lebens willkommen. Einer der Kamelführer hat im nächsten Zelt das beliebteste Tonwerkzeug der Wüstenbewohner, die Tambura oder fünfsaitige Zither, aufgefunden und versteht es meisterhaft, seinen einfachen Gesang zu begleiten. Der Klang lockt die Töchter des Lagers herbei, und schlanke, schöne Frauen und Mädchen drängen sich fragend um die Fremden und heften ihre dunklen Augen auf deren Habseligkeiten. Wappne dein Herz, Fremdling! Diese Augen möchten es sonst in Brand setzen. Sie sind schöner als die der Gazelle. Und nunmehr wird alles zu Klang und Dichtung. Um den Zitherspieler ordnen sich Gruppen zum Tanze, und derbe und weiche Hände begleiten taktschlagend Zithertöne, Lieder und Tänze. Neue Gestalten kommen, bekannt gewordene verschwinden wieder; es ist ein ständig wechselndes Treiben, Drängen und Drehen rings um die Fremden, die klug sind, wenn sie so harmlos empfangen, wie ihre Wirte spenden. Alle Beschwerden der Wüstenreise sind vergessen, Sehnsucht und Verlangen gestillt; denn Wasser, Wasser sprudelt in genügender Fülle und ersetzt alle anderen Bedürfnisse.

Solche Rast labt Leib und Seele. Gestärkt und ermuntert setzt die Karawane ihre Reise fort; und wenn die Tage nichts Schlimmeres bringen als Sonnenbrand, Durst und Ermattung, so erreicht sie ungeschwächt auch den zweiten, dritten Brunnen und endlich das Ziel der Reise, die erste Ortschaft jenseits der Wüste.

Doch leicht veränderlich, gleich wie die erdumgürtende Flut, ist auch das Meer des Sandes. Auch in ihm toben Stürme, die seine Schiffe brechen und verderbenbringende Wellen dahinrollen. Zur Zeit, da der monatelang wehende Nordwind mit südlichen Luftströmungen im Kampfe liegt oder diesen die Herrschaft gänzlich abgetreten hat, sieht der Reisende plötzlich den Sand lebendig werden, zu mächtigen Säulen sich auftürmen und diese über die Ebene wirbeln. Die Sonnenstrahlen verleihen ihnen zeitweilig den blutigen Schimmer von Feuerflammen; der sie bewegende Sturmwind schwächt und verstärkt sie, trennt sie und vereinigt zwei oder mehrere zu einer einzigen bis in die Wolken ragenden Sandhose. Wohl möchte der Abendländer Bewunderung des großartigen Schauspiels laut werden lassen, die ängstlichen Blicke seiner Begleiter aber lähmen ihm die Zunge. Wehe der Karawane, die von solchem rasenden Wirbelsturme erreicht wird! Sie darf froh sein, wenn das Leben der Menschen und Tiere erhalten bleibt. Und wenn sie, die unabwendbaren Sendboten des Geschickes, ohne Schaden zu bringen am Reisezuge vorüberrasen, ungefährdet ist letzterer doch nicht; jenen Sandhosen folgt in der Regel der Samum nach, der Giftsturm der Wüste.

Keineswegs steigert sich dieser gefürchtete Wind, der als Chamsin durch Ägypten, als Sirokko bis nach Italien, als Föhn durch die Alpen, als Tauwind durch Nordeuropa braust, immer zum Sturme; nicht selten weht er kaum merklich und läßt doch manches Mannesherz erzittern. Wohl hat man fast schrankenlos über ihn gefabelt, so viel aber entspricht der Wahrheit, daß dieser Wind unter Umständen einer Karawane in hohem Grade gefährlich werden kann, daß seiner Wirkung die gebleichten Gerippe der Kamele und die vom Sande halbverschütteten Menschenmumien, die man an jeder Wüstenstraße findet, zugeschrieben werden müssen. Nicht seine Stärke, sondern seine Beschaffenheit bringt Leiden und Verderben über die das Sandmeer durchwandernden Menschen und Tiere.

Mindestens einen, oft mehrere Tage vorher weissagt der Eingeborene den Sandsturm. Untrügliche Zeichen gehen ihm voraus. Die Luft wird schwül, schwer und lästig; leichter, graulich und rötlich erscheinender Dunst trübt den Himmel; kein Lufthauch regt sich. Alle lebenden Wesen leiden ersichtlich unter der wachsenden Schwüle. Die Menschen klagen und stöhnen, das Wild zeigt sich scheuer als je, die Kamele werden unruhig und störrisch, drängen sich aneinander oder legen sich auch auf den Boden. Farblos geht die Sonne zur Rüste. Kein Abendrot säumt den Himmel. Die Nacht bringt weder Kühlung noch Erquickung, eher Steigerung der Schwüle, Kraftlosigkeit und Unbehaglichkeit. Trotz aller Mattigkeit flieht Schlaf das Auge. Sind Menschen und Tiere noch imstande sich zu rühren, so rastet man nicht, zieht vielmehr mit ängstlicher Eile weiter, so lange der Führer noch eines der Himmelslichter wahrnimmt. Allein der Dunst wird zum trockenen Nebel und verhüllt ein Gestirn nach dem anderen, auch Mond und Sonne.

Zuweilen beginnt der Wind um Mitternacht seine Schwingen zu regen, gewöhnlicher um die Mittagszeit. Ohne Uhr kann niemand die Zeit bestimmen, denn der Nebel ist inzwischen so dicht geworden, daß er die Sonne verschleiert und trübe Dämmerung über die Wüste breitet, die alle Gegenstände ringsum verschwimmen läßt. Leise, kaum fühlbar regt sich endlich die Luft. Es ist nur ein Hauch, was man wahrnimmt. Aber dieser Lufthauch ist glühend heiß, dringt durch Mark und Bein, verursacht dumpfen Kopfschmerz, erschlafft und beängstigt. Dem ersten Hauche folgt wahrnehmbares Wehen, gleich glühend, gleich ertötend wie früher. Einzelne kurze Stöße brausen heulend dahin.

Jetzt ist es höchste Zeit zu lagern. Das zeigen auch die Kamele an. Keine Peitsche bringt sie vorwärts. Angsterfüllt legen sie sich nieder, strecken den Hals lang vor sich, drücken ihn auf den Sand und schließen die Augen. Ihre Treiber entlasten sie eiligst, erbauen rasch aus Gepäckstücken einen Wall, häufen alle Schläuche übereinander, um die dem Winde preisgegebene Oberfläche zu verringern, decken auch noch etwa vorhandene Matten über sie, hüllen sich, wie alle Mitreisenden, so dicht wie möglich in ihre Tücher und suchen Zuflucht hinter dem Gepäck. Alles mit größter Hast und Eile, denn der Sandsturm läßt nicht mehr lange warten.

Den einzelnen Stößen folgen anhaltendere; diese verschmelzen miteinander, und wenige Minuten später rast der Sturm einher. Es braust und dröhnt, pfeift und heult in den Lüften, rauscht und tobt im Sande des Bodens, knistert, knallt und kracht im Lager, wo die Bretter der Kisten zerplatzen. Die herrschende Schwüle nimmt fortwährend zu und steigert sich bis zur Unerträglichkeit, entzieht dem in Schweiß gebadeten Leibe die Feuchtigkeit, verursacht auf allen Schleimhäuten Risse, die zu bluten beginnen, legt die nach Wasser lechzende Zunge wie ein Stück Blei in den Mund, beschleunigt den Puls und krampft das Herz zusammen, zerreißt endlich auch die Haut, in deren Ritzen der rasende Sturm sofort feinen Sand wirft, und gebiert dadurch neue Qualen. Die Söhne der Wüste beten und ächzen, der Abendländer stöhnt und klagt.

In der Regel währt das ärgste Toben des Sandsturms nicht lange, eine, zwei, drei Stunden nur, so wie bei uns zu Lande ein Gewitter, dem er entspricht. Mit seinem Ermatten legt sich der Staub und klärt sich die Luft, tritt auch wohl eine Gegenströmung aus Norden auf; die Karawane ordnet sich und zieht weiter. Währt der Samum aber einen halben oder ganzen Tag, dann kann es dem Reisenden ergehen wie einem meiner Bekannten, dem Franzosen Thibaut, der auf seinem Marsche durch die nördliche Bajudawüste den letzten Brunnen versiegt fand und mit beinahe geleerten Schläuchen aufbrechen mußte, um den vier Tagereisen entfernten Nil zu erreichen. Über ihn und seine angstgehetzte Karawane brach der Giftsturm los. Die unglückliche Reisegesellschaft lagerte, hoffte auf das Ende des Sturmes, harrte vergeblich, klagte, verzweifelte. Einer von Thibauts Dienern sprang rasend auf, überheulte den Sturm, tobte, stürzte endlich gebrochen auf seinen Herrn nieder, röchelte und starb. Ein zweiter lag, vom Hitzschlage getötet, als Leiche auf seiner Ruhestätte, als der Sturm endlich schwieg; ein dritter blieb, nachdem man wieder aufgebrochen war und um Tod und Leben spielend dahineilte, hinter den übrigen zurück und verschmachtete. Von den Kamelen stürzte die Hälfte. Thibaut erreichte mit dem Rest der Leute und Tiere den Nil, aber sein kohlschwarzes Haar war in zwei Tagen weiß geworden.

Von solchen Stürmen rühren die mumienhaften Leichen her, die man an Karawanenstraßen findet. Der Sturm, der sie getötet, begräbt sie auch; der Sand, mit dem er sie überschüttet, entzieht dem Leichnam rasch alle Feuchtigkeit, so daß er, statt zu verwesen, verdorrt und zur Mumie wird, über sie wirft der eine Wind neuen Sand, von ihr entfernt ein anderer die bergende Decke. Dann streckt der Leichnam eine Hand, einen Fuß, sein Gesicht dem Reisenden entgegen, und einer der Kameltreiber folgt der Mahnung des Toten, tritt zu ihm, wirft wiederum Sand über ihn und zieht dann weiter mit den Worten: »Schlafe, Knecht Gottes, schlafe in Frieden!«

Solche Stürme sind es auch, die in den Überlebenden Traumbilder der Fata Morgana wecken. Solange der Mensch mit ungeschwächter Kraft seines Weges zieht, stellt sich ihm die Luftspiegelung wohl als ein sehr beachtenswertes Naturschauspiel, nicht aber als Fata Morgana dar. Während der heißen Jahreszeit entsteht in der Wüste um die Mittagszeit tagtäglich das »Meer des Teufels«. Eine graue, seeartige, richtiger noch einer überschwemmten Gegend ähnelnde Fläche gestaltet sich auf der pflanzenlosen Ebene vor dem Reisenden, wogt und flimmert, läßt alle tatsächlich vorhandenen Gegenstände sichtbar bleiben, erhebt sie aber scheinbar bis zur Höhe ihrer oberen Schicht und spiegelt sie nach unten wider. In der Ferne dahinziehende Kamele oder Pferde erscheinen wie gemalte Engel, auf Wolken schwebend, und wenn man ihre Bewegungen unterscheiden kann, sieht es aus, als ob sie ihre Beine auf Dunstpolster setzten. Das Wunder beruht auf dem bekannten Gesetze, daß jeder durch ein ungleiches Mittel fallende Lichtstrahl gebrochen wird; es muß daher eintreten, wenn die untersten Luftschichten durch Rückstrahlung des erhitzten Sandes ungleich ausgedehnt werden. Kein Araber verhüllt beim Anblick einer Luftspiegelung sein Gesicht, und keiner legt der Bezeichnung »Meer des Teufels« einen tieferen Sinn unter. Wenn aber als Folgen eines Sandsturms Angst, Entbehrung und Not eintreten und darnach sich die Spiegelung zeigt, dann kann sie zur Fata Morgana werden, indem die krankhaft gereizte Phantasie sich Bilder gestaltet, die mit dem heißesten Wunsch des Augenblicks, der Sehnsucht nach Wasser, im Einklange stehen. Auch mir, der ich die Luftspiegelung hundertmal beobachtet habe, wurde sie einmal zur Fata Morgana. Das war, als ich nach vierundzwanzigstündigem qualvollen Durste das »Meer des Teufels« aufflimmern sah. Da glaubte auch ich den heiligen Nilstrom, Boote mit geblähten Segeln, Palmenwälder und Haine, Gärten und Landhäuser vor mir zu sehen. Wo aber vor meinen kranken Sinnen ein Palmenwald grünte, sah mein gleich mir verschmachtender Gefährte Segelboote, und wo ich Gärten zu schauen vermeinte, sah er im Geiste traumhafte Wälder. Alle die Trugbilder aber verschwanden, sobald wir uns mit zufällig uns beschertem Wasser erquickt hatten, und nur der graue Nebelsee blieb noch sichtbar.

Das »Meer des Teufels« breitet sich vor jedem Reisenden aus, der eine Wüstenstrecke der Nilländer durchzieht; nicht jeder aber erschaut das lebendigste Bild, das die Wüste gestaltet. Am äußersten Rande des Gesichtskreises, vielleicht gehoben und duftig verschleiert durch die Luftspiegelung, tauchen Reiter auf, die windesschnelle Rosse zügeln, nähern sich rasch und brausen endlich, ihre bis dahin geschonten Reittiere zu vollem Laufe antreibend, gegen die Karawane heran. Einer der sonnverbrannten Männer sprengt aus der Reiterschar hervor und wendet sich an den Führer des Zuges.

»Heil mit dir, Fremder!«

»Mit dir das Heil Gottes, seine Gnade und Barmherzigkeit, o Scheich!«

»Wohin zieht ihr?«

»Nach Belled-Aali, o Scheich.«

»Zieht ihr im Geleite?«

»Im Geleit Seiner Herrlichkeit des Khedive.«

»In keinem andern?«

»Auch Scheich Soliman, Mohammed Cheir Allah, Ibn Sidi Ibrahim Aulad gab uns Geleit und Frieden.«

»So seid willkommen und gesegnet!«

»Der Segenspendende begnadige dich und deinen Vater, o Häuptling!«

»Habt ihr Bedürfnisse? Meine Mannen werden euch spenden. Im Wadi Ghitere stehen unsere Zelte; ihr seid willkommen, wenn ihr Rast sucht. Gebe euch Allah glücklichen Weg.«

»Er wird es, denn er ist gnädig.«

»Und Führer auf allen guten Wegen.«

»Amen, o Scheich!«

Und dahin fliegt die Schar; Reiter und Rosse verwachsen wieder in eins. Die leichten Hufe der Tiere scheinen den Boden kaum zu berühren; die weißen Burnusse flattern im Winde, und in der Seele lebendig werden die Worte des Dichters:

»Beduin', du selbst auf deinem Rosse
Bist ein phantastisches Gedicht.«

Ich bin ihnen immer gerne begegnet, den hageren, stilvoll gekleideten Männern. Als getreuer Sohn der Wüste ist mir der Beduine erschienen, als ihr und sein Spiegelbild das Roß, das er reitet. Denn auch er ist ernst und furchtbar wie der Tag, freundlich und mild wie die Nacht der Wüste. Treu dem gegebenen Worte, unverbrüchlich gehorsam der Sitte seines Stammes, würdevoll in seinem Auftreten, erhaben in seiner Ausdrucksweise, unübertroffen im Entsagen, empfänglich wie kaum ein anderer Mensch für Mannestaten, Ruhm und Ehre, ist er doch auch wieder listig und verschlagen gegenüber dem Feinde, willenloser Sklave seiner Gewohnheiten, würdelos in seinem Verlangen, gierig im Genießen, maßlos in seiner Grausamkeit, furchtbar in seiner Rache. Heute ist er ein adliger Gastfreund, morgen ein drohend heischender Bettler, jetzt ein stolzer Räuber und ein anderes Mal ein erbärmlicher Dieb. Wechselvoll wie die Wüste selbst tritt er dem Fremden entgegen.

So mannigfach aber die Bilder auch sind, die diese dem Auge des Reisenden bietet, die letzten Stunden der Wüstenreise bringen ihm doch erst die höchsten Wonnen. Wenn das erste Palmdorf des bebauten Landes, wenn das Silberband des heiligen Stromes wiederum vor dem Auge liegt, sind diese Stunden gekommen. Menschen und Tiere eilen, als ob die ersehnte Wirklichkeit ein Traumbild sei und im Nebel zerrinnen könne. Mit letzter Kraft streben die Kamele vorwärts, ihren ungeduldigen Reitern noch viel zu langsam. Da klingen diesen freundliche Grüße entgegen, das Dorf am Nile ist erreicht. Aus allen Hütten drängen sich Männer und Frauen, Greise und Kinder; jeder beeifert sich, hilfreiche Hand, labende Erquickung zu bieten. Um das errichtete Lager bewegen sich neugierige Menschen, frageeifrige Männer und Frauen, tanzlustige Mädchen und Jünglinge. Tambura und Tarabuka, Zither und Trommel des Landes, laden zum Reigen; tanzende Mädchen erfreuen Fremde und Einheimische. Selbst das Kreischen der Schöpfräder am Strome, vormals tausendfach verwünscht, wird heute zur klangvollen Weise.

Der Abend bringt neue Genüsse. Auf federndem kühlen Ruhebette behaglich gelagert, trinkt der Abendländer mit den Eingeborenen um die Wette den Nektar des Landes, Palmwein oder Merisa, und Zither- und Trommelschall, taktmäßiges Stampfen und Händeklatschen der tanzenden Jünglinge und Mädchen begleiten das überaus köstliche Trinkgelage.

Endlich fordert die weiterschreitende Nacht ihre Rechte. Tambura und Tarabuka verstummen, der Reigen endet. Einer der erquickten Reisenden nach dem anderen sucht die Ruhe. Nur ein einziger von ihnen, ein Sohn »Kahiras«, der Mutter der Welt, vermochte noch immer nicht Schlaf zu finden. Vom verglimmenden Lagerfeuer her tönt zitternd die einfache Weise seines Liedes. Aber auch dieser Klang erstirbt, und nur noch die Wellen des Stromes murmeln und flüstern.


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