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Sei mir gegrüßt Kairo! Sei mir gegrüßt, du herrliche, palmenumstandene, wüstenbegrenzte Stadt! Sei mir gegrüßt mit all deinen Moscheen und schlanken Türmen, mit deiner Feste, deinen krummen, engen und kühlen Straßen, deinen Häusern im sarazenischen Erkerschmuck, deiner blumenduftigen Esbekie, mit deinen alten ehrwürdigen Pyramiden, deiner Wüste und der Stadt der Toten, deinen Gebirgen, die dir zu Häupten lagern, mit deinen Vorstädten am schiffbewegten, göttlichen Strome! Sei mir gegrüßt jeder deiner Plätze, jede deiner Straßen, du und dein Volk!
Keinen zweiten Ort gibt es in Ägypten, der heute noch alle Wunder dieses Wunderlandes, alle Reize der südlichen Zone, alle Verschiedenheiten der Völker des Morgenlandes in gleichem Maße in sich vereinigt wie das vielnamige Kairo. Kaum eine andere Stadt des Morgenlandes hat ihr altes märchenhaftes Gepräge besser bewahrt als Khahira, die Siegende, Maheruset, die von Allah Beschützte; keine weiß so den Fremden mit ihrem Anblick zu berauschen wie Masr, die volkreiche, menschenbelebte, altsarazenische Hauptstadt, die Stieftochter des alten hochberühmten Memphis.
Kairo liegt zwischen dem Nil und der Wüste, von seinen drei Vorstädten Alt-Kairo, Bulahk und Giseh gleichweit entfernt. Es liegt der Stätte gegenüber, auf der das alte Memphis lag, im Angesicht eines der Wunder der Welt, zwischen der Fülle eines in ewiger Fruchtbarkeit schwelgenden Landes und der Armut der Wüste, am Fuße des lang sich dahinziehenden Mokadamgebirges, dessen letzten Ausläufer die stolze, es beherrschende Feste trägt. Vom Nil ist es eine Achtelmeile entlegen. Aber der Weg bis zum Strome gleicht dem durch einen Garten, denn zu beiden Seiten der wohlbepflanzten, staubfreien und schattigen Straße breitet sich das in aller Fülle und Pracht schwelgende Gartenland aus, dem die Fluten des Stromes zu jeder Zeit seine Frische bewahren. Diesem fruchtbaren Landstrich gegenüber, der grüßend kleine Ausläufer von Gärten in die Straße hineinsendet, dehnt sich die gelbe Wüste aus, prachtvoll in der Schönheit ihrer Farben, märchenhaft in der Form ihrer Gebirge, zauberisch umstrickend den, der sie kennengelernt und liebgewonnen hat. Denn in der Wüste liegen die schönsten Zeichen der phantastischen Kunstfertigkeit, die die vergangenen Bewohner Kairos zum ewigen Gedenken zurückließen: die Denkmäler über den Ruhestätten von tausend und abertausend Vornehmen und Großen des Reiches, ganz für sich allein eine eigene, gewaltige Stadt bildend.
Kairo hat durch seine Lage wie durch seine Bauart, durch Natur und Kunst zugleich, durch sein Klima wie seine Luft, durch den tausendfältigen Wechsel seines inneren Lebens, durch sein Volk und seine Sprache einen unendlichen Reiz, mit dem sich das Imponierende seiner Umgebung verbindet: die Gräber der Kalifen, die die Stadt der Lebenden und der Toten beherrschende Feste, der Nil und die an seinen Ufern sich begegnenden Gegensätze des Grüns der Gärten und des Sandes der Wüste.
Jede Stunde in den Mauern dieser Stadt bringt etwas Neues, kein Tag ist wie der andere. Dem Fremdling bleibt Kairo ewig fremd und den in ihm Geborenen und Großgewordenen selbst bleibt es eine Stadt der Wunder. Das macht, weil hier die Dichtung ohne Ende lebt und schafft; weil hier alles zusammenwirkt, um alles dichterisch zu gestalten; weil hier der gewöhnliche Gruß dichtungsreich an das Ohr schlägt; weil hier das ärmlichste Haus ein Künstlerherz zum Entzücken hinreißt; weil hier Himmel und Erde, Mensch und Tier, Baum und Pflanze sich vereinigt haben, um ein wunderbares Ganzes hervorzurufen.
Die Poesie legte den Grund zu der Stadt, die Dichtung führte ihre Straßen und Häuser auf, der künstlerische Gedanke verkörperte sich tausendfach. Der Barmherzigkeit eines Kriegers verdankt Kairo seine Entstehung. Amru, der Feldherr des Kalifen Omar, der abgesandt worden war von seinem Gebieter, um den Bewohnern des Nillandes den Islam zu verkünden, der das Land als ein schwertumgürteter Sendbote des Glaubens durchzog, wurde ohne Wissen und Willen der Gründer der größten Stadt nicht nur Ägyptens, sondern ganz Afrikas.
In der Nähe des heutigen Alt-Kairo hatte Amru mit seinem Heere ein Lager bezogen, sein reiches Zelt inmitten seiner Krieger aufgeschlagen. Der bis dahin unbesiegte Held sollte hier zum erstenmal bezwungen werden, aber von einem Feinde, gegen den der Araber nichts ausrichten konnte mit Feuer und Schwert, von einem Feinde, der selbst den rauhen Krieger an seiner verwundbarsten Stelle zu treffen wußte – im Herzen. Eine Turteltaube war es, die den Feldherrn schlug. Sie hatte im oberen Zeltdache Amrus ihr Nest gebaut, inmitten des rauschenden Lagerlebens sich angesiedelt, hatte ihr Ei gelegt und bebrütet. Noch nackte und blinde Junge lagen im Nest, als der Feldherr weiterziehen wollte; dieses zu zerstören, jene umzubringen, das brachte der, der Tausende von Menschen opfern konnte, nicht über das Herz. Der Taube wegen ließ er sein Zelt stehen. Die Nachzügler, die Schwachen seines Heeres, siedelten sich rings um das Zelt an, die leichten Leinwandhäuser mit festen Hütten vertauschend. Eine Hütte reihte sich an die andere; aus dem Lager wurde ein Dorf, aus dem Dorfe ein Flecken, aus dem Flecken eine Stadt, aus diesem geringen Umfange die heutige Hauptstadt des Reiches. Zwar wurde das neue Kairo erst dreihundert Jahre später gegründet, aber ganz nahe bei Alt-Kairo, nur eine Viertelmeile von dem alten Lagerplatze, weiter nach der Wüste zu, wahrscheinlich um das Fruchtland nicht zu schmälern. Rasch vergrößerte sich der neue Ort, bald hatte er den alten überflügelt; seine Einwohnerzahl stieg auf Hunderttausende, und hingerissen von der lieblichen Lage, von dem Leben innerhalb seiner Mauern, wählten ihn die späteren Herrscher zu ihrem Wohnsitz, und nunmehr erhielt er alle die schmückenden Namen, die heute jeder seiner Söhne im Munde führt.
Vom Nil aus sieht man nicht viel von der gewaltigen Stadt, die mehr als eine Geviertmeile bedeckt und Hunderte von Moscheen mit mehr als einem halben Tausend Minaretts in ihrem Schoße birgt. Nur die höchstgelegenen Moscheen zeigen dem Beobachter die Minaretts aus Alabaster mit den von ihnen umkränzten Kuppeln, deren äußere Hülle ein von arabischer Künstlerhand gepflückter und gebundener Blumenstrauß in Stein und deren Inneres ein Himmelsgewölbe ist mit goldener Schrift und erhabenen Zeichen, dem Gläubigen zur Lehre und Richtschnur, zur Anleitung, wie er es anzufangen habe, sich einen freudenreichen Himmel zu erschließen. Diese im Lichte des Südens gleichsam aufjauchzenden Bauwerke sind für den Ankommenden Anzeichen der Pracht, die ihm werden soll, wenn er das Innere betreten hat.
Anders, wenn man sich von der Landseite der Stadt nähert, wenn man vom Roten Meer aus durch die Wüste nach Kairo zieht. Links vom Wege erhebt sich das Gebirge, das bis zum Roten Meer reicht. An seinem Fuße liegt der Djebel Achmar, der besuchteste Berg, von dessen Spitze man eine Aussicht ohnegleichen genießt. Zunächst schaut das lichtgeblendete Auge auf die Kuppeln der Kalifengräber und die köstliche Alabastermoschee, die auf den Ausläufer des Mokadam gebaut ist; auf derselben Seite dehnt sich die Wüste aus in unermeßlicher Ebene, ruhig wie der Meeresspiegel und dann wieder in wellenförmigen Sanddünen wie Meereswogen. Von mehreren Poststationen an der Straße, vom Nil bis zum Roten Meer, schimmern die weißen Telegraphentürme durch die klare Luft. Im Vordergrund der Wüste und am Wege nach Suez erhebt sich der von Abbas Pascha neuangelegte Stadtteil. Neben der Wüste läuft scharf abgeschnitten das Grün der Nilniederung. Jenseits des aufblitzenden Stromes steigen die Pyramiden empor, und endlich schimmern in einem Meer von Licht und Glanz die märchenhaften Türme Khahiras mit ihren hundert Moscheen, und alle Kuppeln blitzen in den zurückgeworfenen Strahlen der Sonne; die weißen und schlank aufschießenden Minaretts sind wie Wassersäulen aus Springbrunnen anzusehen, durch die den schwellenden Gewölben Luft gemacht wird, damit die baukünstlerische Zauberei nicht wie ein buntes Seifenblasenspiel zerplatzt. So groß ist die Berauschung der Sinne durch diese Wirklichkeit in Stein, daß sie auf Augenblicke wie Traum und Täuschung erscheint.
Dieser Anblick wird nur denen, die länger in Kairo gelebt haben und dort gewissermaßen heimisch geworden sind. Der Ankömmling zieht durch das Tor von Bulakh, oder wenn ihn das Dampfroß durch das blühende Nildelta hierher trägt, durch das »eiserne Tor« in Kairo ein, und da fesselt ihn zuerst ein anderes Bild. Kairo reicht ihm aus der Ferne einen Blumenstrauß, aus Stein gebunden im arabischen Stil, als Willkommengruß, und es gleicht selber einem Blütennetz, gelegt über Kuppeln und Türme; in der Nähe bietet es zum zweitenmal ihm Gruß aus eigenem Blumenmunde. Denn der erste Platz, zu dem der Eintretende gelangt, ist ein prächtiger Garten voll Duft und Pracht: Esbekie. Es ist ein wunderherrlicher Lustgang der Söhne und Töchter der Begnadeten, lieblich bei Tage, lieblicher bei Nacht. Der Ankömmling durcheilt den Garten gewöhnlich mit stürmischer Hast; er kann kaum erwarten, sich in die tausend vor ihm liegenden Märchen und Geheimnisse zu stürzen. Ich aber muß, wenn auch noch so kurze Zeit, in ihm verweilen, denn ich gedenke eines jener Vollmondabende, deren Lichtschimmer mir nicht erblichen ist.
Man wandelt in Freundesgeleit durch die köstlichen Gänge, die zur Tageszeit Schatten gewähren, im Mondlicht aber ein heimliches Dunkel verbreiten. Von fernher tönen sanfte Klänge. Ein Sänger Kairos widmet der Nacht seine Lieder. Der Mond treibt keckes Zauberspiel mit Blumen und Bäumen und den alten, erkerreichen Häusern; er buhlt mit den Gittern, hinter denen sich dunkle Augen in seinem Schimmer baden; er wirft blendende Reflexe auf die Häuser, er will mit seinem Silber nachmalen, was die Sonne des Tages vergoldete. Und dann ist er gerade noch hell genug, die Auf- und Niederwandelnden zu beleuchten. Kühle suchende Europäer gehen vorüber, auch Morgenländer mit ihren dichtverhüllten Frauen. Wie blitzen die Augen über dem Schleier, der nur sie unbedeckt läßt; wie ruhen diese dunkeln Sterne manchmal so sonderbar fragend auf dem Fremdling! Türken in reicher Tracht und ehrwürdige Araber wandeln auf und ab. Laute der verschiedensten Sprachen mischen sich zwischen die sanften Töne des fernen Gesanges. In allen Blumen sind Geister rege geworden; auch in des Menschen Brust werden sie wach. Der sinnumstrickende Zauber hat wieder einmal volle Gewalt über den Fremden.
Kairo bedarf aber nicht der Verführungskünste der Nacht; es zieht seinen Zauberkreis auch bei Tage um Herz und Sinn. Man muß sich nur hineinstürzen in das Gewühl seiner Straßen und Basare; man muß die tausend Gestalten an sich vorübergehen lassen, lauschend, sinnend, stehenbleibend alles zu erfassen suchen, was sich aufdrängt in ewig neuer Folge. Das Licht der Sonne, die Wärme der Luft, Mensch und Tier, Minarett und Kuppel, Moschee und Haus, Palmen, dazwischen hereinnickend, wunderbare Bogentore, in kühlem Schatten stehende Brunnen mit malerischen Gruppen von Durstigen, schön ausgeschnitzte Gitter. All das vereinigt sich zu dem Zauberbilde, das sich dem Nordländer entrollt; und alles ist anders als anderswo, alles ist neu.
Das lebendigste Straßengewühl der gewaltigsten Städte Europas, der Marktlärm Londons, das Wogen in den Straßen von Paris, das Treiben auf dem Markusplatz in Venedig oder in den Hauptstraßen Neapels, das Leben in Sevilla oder Granada, alles ist leer gegen das Leben in Kairo. Drei Erdteile reichen sich hier die Hand, alle Erzeugnisse geben sich hier ein Stelldichein. Völkerschaften des Nordens und Südens, Ostens und Westens begegnen sich hier. Der bärtige Türke und der zierliche Inder, der sonnengebräunte Beduine und der dunkle Neger aus dem tiefsten Innern des Landes, der verbrannte Bewohner des Atlas, der Tscherkesse, der glattgelockte Europäer in seiner häßlichen Kleidung und der ehrwürdig erscheinende Morgenländer, sie alle drängen sich durcheinander.
Ein ewig neuer, alles verschlingender Knäuel von bunten Gestalten füllt alle Straßen. Die freien Plätze sind von düsteren Warenhallen und Moscheen umzäunt, deren Kuppeln wie die Kronen der Wunderstadt erscheinen. Manche Straßen sind überdeckt mit Matten, Tüchern und Brettern, durch die nur hier und da ein blendender Lichtstrahl herabfallen kann; doch selten erreicht er den Boden. Auch hier herrscht ein heimliches Halbdunkel. In den engen Straßen springen die Häuser mit jedem Stockwerk weiter vor und treten schon in der Mitte ihrer Höhe so nahe zusammen, daß man von dem Erker des einen nach dem des andern reichen kann. Unten sind solche Straßen nicht breiter, als daß sie einem beladenen Kamel den Durchgang gestatten.
Da hindurch wogt und treibt das Leben Kairos, das rege, warme, frische Leben dieser wunderbaren Stadt. Fußgänger, Reiter hoch zu Roß oder Esel, Araber, die auf den Rücken des beladenen Kamels angeklebt zu sein scheinen, halbnackte Fellahs und in die malerische Tracht des Morgenlandes gehüllte Kaufleute, verschleierte, in seidenen Taft versteckte Damen, alle Völkerschaften, die ich nannte und noch unzählige andere, Christen, Juden, Mohammedaner und Heiden. Leichte Kutschen brechen sich Bahn durch das Gedränge; ein hochzeitlicher Zug mit großartigem Gepränge, ein stolz auf feurigem Roß sitzender, mit Gold und Edelsteinen überreich verzierter Knabe, der unter die Zahl der Gläubigen aufgenommen werden soll, zieht langsam seinen Festweg dahin; reich gekleidete Reiter nehmen die Hälfte der Straße ein; es drängen und stoßen sich Lastträger, Zuckerbäcker, Blinde, Bettler, spitzbübisch aussehende Heuchler des Morgenlandes, ehrwürdige Geistliche und Koranverständige, Wasserträger, die ein mit langem blechernen Ausguß versehenes Gefäß auf den Schultern tragen, Hausierer, fliegende Kaffeeköche, Zuckerrohrverkäufer und hundert andere mehr. Alles wogt und lebt, fährt an den Augen vorüber wie Schattengestalten; das ewig Reue verdrängt das vor wenigen Minuten Gewesene.
Ein Wirrsal von Tönen und Geräuschen erfüllt das Ohr. Zwanzig verschiedene Sprachen werden laut. »Wahre dich, Herr! wahre deinen Fuß, dein Haupt, deine Linke, deine Rechte! Wahre deinen Esel, dein Pferd! Wahre dich, Fremder, den ich treffen werde! Hüte dich, Bruder, daß du mir ausweichst!« so rufen die Lastträger, die Eseltreiber ohne Unterlaß, um den Fußgänger, den Reiter zu warnen vor den in tollem Jagen dahinstürmenden Tieren. Grüße und Verwünschungen, Gesang und Geschrei, Trommelschlag, nervenzerreißende Töne aus Blaswerkzeugen, schreiende Esel, wiehernde Pferde, knarrende und kreischende Karrenräder: all das vereint bewirkt einen ungeheuren, die Ohren marternden, die eigene Stimme verschlingenden Lärm. Tausend Ohren und Augen brauchte man, um alles zu beachten.
»Herbei, herbei! Gelobt sei Gott und sein Prophet! Der Tag sei gesegnet. Kommt herbei und trinkt von dem köstlichsten Wasser der Erde!« So ruft ein Wasserträger, dem ein Mildherziger seinen ganzen Vorrat abgekauft hat, um allen Durstigen zu trinken zu geben.
»Herbei! mein Schlauch ist gefüllt. Groß ist die Glut der Sonne, auf Erden größer aber die Barmherzigkeit des Erhabenen, der den Strom fließen läßt ohne Ende, die durstige und verschmachtende Seele zu tränken. Aus seiner Hand strömt die Fülle, aus seiner Hand quillt der Segen. Euch, ihr Gläubigen, gibt er seine Gnade; euch öffnet er das Herz eines Barmherzigen. So kommt herbei und preist den Gebenden, der euch seine Gabe durch einen edlen Geber gibt. Der Spendende spendet durch mich euch köstliche Spende. Herbei, herbei, ihr Moslems, preist Allah und seinen Gesandten! Es ist nur ein Gott, und Mohammed ist sein Prophet …«
»Zu mir, zu mir!« so ruft ein anderer, »zu mir, ihr Söhne der Maheruset, ihr Söhne der Begnadeten, zu mir und lauscht meinen Worten! Wisset, ihr Gläubigen, daß in den ältesten Zeiten, die da lange schon vergangen sind, wie wir alle vergehen nach dem Ratschluß des Allweisen, wisset, daß da lebte im fernen Indien ein Mann unter den Gläubigen seines Volkes, der reich und glücklich war durch die Gnade Gottes …« Ein Märchenerzähler ist es, der so spricht. Eben beginnt er eines seiner farbenprächtigen Bilder aufzurollen, und der schlichte Mann webt köstliche Blüten hinein mit der Rede seines Mundes; die graubärtigen Lippen gewinnen anmutige Schönheit, so groß ist die Zaubermacht seiner Rede.
Verstummt ist der Lärm um ihn her. Eine ruhige Stille ist entstanden. Die Dichtung hat sich einen ihrer Tempel aufgebaut inmitten des Lärmens und Treibens. Namentlich Kaffeehäuser versammeln regelmäßig die lauschende Menge um den märchenkundigen Mann. Und wahrlich, aufmerksamere, begeistertere und andächtigere Zuhörer kann man in der Welt nirgends wiederfinden. Dazwischen kreist dann der duftende Kaffee, und der würzige Geruch des köstlichen Tabaks kräuselt in blauen Wolken zum Himmel auf.
Doch weiter! In das Gewühl der Basare und Kaufhallen muß man sich wagen, um einen ganz eigenen Abschnitt des Straßenlebens von Kairo kennen zu lernen. Der Basar Kairos ist nächst dem in Konstantinopel der größte im ganzen türkischen Reiche. Alle besonderen Handelswaren haben auch hier besondere Straßen. Der Reiz des Fremdartigen trägt wesentlich dazu bei, Geist und Sinn zu fesseln; aber auch wirklich wird das Auge hier befriedigt, wie kaum wo anders. In der einen Straße verkauft man nur Waffen, in der andern nur Kleidungsstücke; die Schuhmacher, die Seidenweber, die Pfeifenmacher und Tabaksverkäufer, sie alle legen ihre Erzeugnisse in besonderen Straßen aus. Hier findet man nur wohlriechende Öle, Arzneimittel, Kräuter, dort hört man das Geräusch der verschiedenen Werkzeuge. In jener Straße hausen die Drechsler und drehen und arbeiten mit Hand und Fuß, fertigen gleich auf der Stelle das Verlangte, und der Kaufgast sitzt ruhig daneben, raucht seine Pfeife und trinkt den ihm von dem Handwerker gebotenen Kaffee. In jenem Gäßchen haben sich die Kupferschmiede angesiedelt; hier erschallt das Geräusch des Mörsers, in dem irgend ein Kraut oder Mineral zu Pulver gestoßen wird; dort klappern die Webstühle der Seidenhändler. Die ehrsame Zunft der Schneider, die auch hier etwas Absonderliches hat, arbeitet wieder in einer anderen Straße; die Schuhmacher, aus denen auch hierzulande die besten Volksdichter hervorgehen, in einer abermals abgetrennten Abteilung des Marktes.
Ohne Ende eilt die Menge der Käufer durch das Straßennetz der Basare, zu Esel oder zu Pferde, vom Pascha bis zum niedrigsten Fellah. Frauen mit ihrem sarazenischen Gefolge, in dunkle Seide eingehüllt, drängen sich fast unbescheiden durch die Menge. Dazu kommen die Trödler und Wasserverkäufer, die spitzbübischen Pfaffen, die mit heuchlerischer Miene umherbetteln, die wirklich Bedürftigen, die Greise, die Krüppel, jung und alt, vornehm und gering, reich und arm, hoch und niedrig, Mann und Weib, sie alle bilden einen unentwirrbaren Knäuel, der sich fortwährend um die Schätze drängt: Kleider, Schuhe, Teppiche, rote Fezmützen und Quasten, Kaffeegeschirr, Uhren, Ringe, feine Leinwand, Weihrauch und Myrrhen, Rosenöl und andere wohlriechende Erzeugnisse des Pflanzenreichs, Pferde, Kamele, Maultiere und Esel, Gemüse und Tabak, Gefäße und Mattengeflechte aus Palmenblättern und hundert andere Dinge, mit oder ohne Namen – in unserer Sprache wenigstens.
Bisweilen unterbrechen eigentümliche Aufzüge das Getriebe. Es ist schwer, aus dem unendlichen Durcheinander in Kairos Straßen bestimmte Bilder abzugrenzen, doch bietet keine andere Stadt so reiche Gelegenheit, das Volksleben des Orients auf der Straße zu schauen. Jeder Tag hat sein Fest, jede Tagesstunde ihren feierlichen Aufzug, denn in einer Stadt von viermal hunderttausend Menschen wird täglich gefreit, anderswo begraben, und dabei findet jedesmal ein öffentlicher Aufzug statt, der unzähligen anderen Gelegenheiten nicht zu gedenken. Denn es ist ein schöner Zug des Arabers, daß, obwohl abgeschlossen lebend im Innern seines Hauses, er doch seinen Nachbarn und seinen Stamm als Glieder einer Familie ansieht, mit denen er Freud und Leid glaubt teilen zu müssen.
Biegt man von ungefähr mit seinem Mietsesel um eine Straßenecke, so schallen gellende Töne aus klarinettenartigen Instrumenten und der dumpfe Schall von Trommeln und Pauken ans Ohr. Ein unabsehbarer Menschenzug mit sonderbar beladenen und geputzten Kamelen kommt heran; alles sucht auszuweichen und vermehrt dadurch nur noch den Gestaltenwirrwarr des Schauspiels. Endlich ordnet sich die Masse, die Pfeifen gellen lauter, die Trommeln rasseln näher, man sieht einen Brautzug. Der Menge voran schreiten sechs bis zehn Männer, die mit langen, zolldicken Stöcken bewaffnet sind und Scheingefechte ausführen. Wird dabei zuweilen auch ein derber Schlag nicht abgewehrt und fällt schwer auf den Turban, so darf doch eine Kopfbeule die Lust nicht stören. Den Kämpfern folgen die Tonkünstler mit ihren Marterwerkzeugen und ihnen vier Männer, die den Baldachin tragen, unter dem die Braut wandelt.
Sie ist überreich geschmückt, denn alle Frauen ihrer Straße haben sich für einen Tag ihres Goldes und ihrer Edelsteine entkleidet, um sie in deren Glanz erstrahlen zu lassen. Er ist der einzig wahrnehmbare, denn die Braut selbst ist dermaßen mit brennendroten Gewändern verhüllt, daß man nicht einmal die Umrisse ihrer Gestalt erraten kann. Auch sie sieht nichts von ihrer Umgebung; zwei ehrbare Frauen geleiten sie, damit sie nur gehen kann. Zu beiden Seiten des Baldachins gehen andere Frauen, die unablässig Salz auf die Braut streuen, das »giftige Auge« zu entkräften, dessen Blick schlimmeres Feuer anzünden soll als der eines glühenden Frauenauges im Herzen des Mannes. Ebenso oft, wie jene Salz auswerfen, lassen sie ein Freudengeschrei vernehmen, wie nur arabische Zungen es fertigbringen, ein so gellendes, durchdringendes Mißbrauchen der menschlichen Stimme, daß es dem Fremden eiskalt über den Rücken läuft.
Der Braut folgen geputzte Kamele, die ihre ewig mißmutigen Gesichter in Feiertagsfalten gelegt zu haben scheinen, weil sie so köstlich beladen sind. Ihr Packsattel ist mit Sänften behängt, aus denen unter einer natürlichen Laube dunkle Augen blitzen; die Gespielinnen der Braut sind die Glücklichen, die in dieser Weise befördert werden. Nun erst kommen die Hochzeitsgäste, denen sich wiederum Hunderte von Menschen anschließen.
Der ganze Zug ist freudig erregt. Ernsthafte Männer tanzen und springen oder reißen Possen; nur die Kamele gehen still und gelassen ihren Stelzenschritt weiter. Der neugierige Fremde schließt sich der Menge an und gelangt mit ihr in die Straße des Festes.
Nicht umsonst spricht der Araber von einer »Straße« im Gegensatz zu einem festlichen Hause, weil in der Tat die ganze Straße an dem Familienereignis eines ihrer Bewohner teilnimmt. Man hat in ihr entweder Zelte aufgeschlagen oder sie ganz mit Zelttüchern überspannt. Bunte Papierlaternen schmücken und erhellen den zum Festsaal umgeschaffenen Raum. Bänke aus Palmenholz oder diwanartige Polstersitze stehen in zwei Reihen längs der Häuser und laden zur Ruhe ein, die eigens angestellte Leute durch Pfeife und Kaffee, Gesang und Tanz, Zither- und Harfenspiel, Erzählungen und Gedichtvorträge zu würzen bestrebt sind. Der Kaffee wird auf kleinen, inmitten der Straße aufgemauerten Herden bereitet und jeder Vorübergehende eingeladen, teilzunehmen.
Nicht minder fesselnd ist ein anderer Zug, dem man in Kairo oft begegnet: der eines Leichenbegängnisses. Man wird wieder aufmerksam auf ein von fern schon wahrnehmbares Drängen, aber die Haltung der Menge deutet sofort auf den Ernst der Feier. Man will den Nahenden nur Platz machen. Langsam und würdevoll ziehen diese dahin. Blinde, von Knaben geführt, eröffnen den Zug und deuten sinnbildlich an, daß jeder Mensch diesen Weg einmal »blind« gehen müsse. In ernster Weise singen sie das Glaubensbekenntnis: La il la ha il Allah, Mohammed rassuhl Allah (es ist nur ein Gott, und Mohammed ist sein Prophet). Die hinterdrein wogende Menge stimmt ihnen bei. Vier Männer tragen die Bahre, auf welcher die in das »Lailach« gehüllte Leiche liegt.
Auch der Leichnam des Ärmsten wird nicht ohne Grabtuch der Erde übergeben, denn das Gebot der Barmherzigkeit öffnet die Hand der Wohlhabenden, um einem Toten seinen letzten Schmuck zu verschaffen. Ich selbst, der Christ, bin oft von armen Hinterlassenen eines Entschlafenen angeredet worden: »Öffne Allah, der Erhabene, dein Herz zur Milde für einen Toten, o Herr, es fehlt ihm das Lailach!« Die Bahre, die bis zum Grabe als Sarg dienen muß, ist überdeckt mit einem rot- oder grünseidenen Tuch, in das Koransprüche gewoben sind, verziert mit einem männlichen oder weiblichen Kopfputz, um das Geschlecht des Toten zu bezeichnen; ihr zur Seiten gehen Fahnenträger. Dann folgen die Grableute, zuerst die Männer, dann die Frauen, welch letztere die Totenklage erschallen lassen. Man bringt die Leiche in die Moschee, wo nach der altägyptischen Sitte ein Totengericht gehalten wird; dann zieht man zum Friedhof hinaus.
Durch viele Straßen und Gassen, immer ödere und verfallenere, geht der Zug. Endlich erreicht man das letzte Tor und tritt in die Wüste. Hier, im Süden Kairos, breitet sich der Friedhof aus, die Stadt der Toten. In langen Reihen bedecken die Grabkuppeln der Wohlhabenden einen Raum von mehr als einer Viertelmeile im Geviert. Kuppel reiht sich an Kuppel, Gewölbe an Gewölbe. Prunkende Inschriften bedecken von oben bis unten große Marmorplatten: an den Grabmälern selbst sieht man keine Schrift, kein Zeichen, und wiederum andere Bauten sind längst verfallen.
Wer zwischen den tausend Gräbern und Kuppeln wandelt, dem wird fremdartig zumute. Der Geist des Friedens überkommt ihn, ist doch die Wüste selbst nur ein einziger, großer Friedhof. Alles ist still, nur die kleine Wüstenlerche läßt ihren traurigen Ruf ertönen, einen Grabgesang nach ihrer Weise. Ernster noch wird man, wenn man die Klage hört, man möchte mitklagen um die Toten, die hier so ruhig schlummern. Doch an denen sind längst die beiden Engel des Herrn, Munkhir der Klopfende und Nekhir der Prüfende, vorübergegangen. Der Klopfende hat den Toten geweckt und der Prüfende ihm seine Fragen vorgelegt: »Wer ist dein Herr, o du Gewesener?«
»Gott ist mein Herr, der Erbarmende.«
»Welches ist dein Glaube?«
»Der Islam ist mein Glaube.«
»Welches ist dein Buch?«
»Der Koran ist es.«
»Und dein Weg?«
»Die Kabbala.«
»Und welches ist dein Glaubensbekenntnis?«
»Es gibt nur einen Gott, und Mohammed ist sein Prophet.«
Und dann hat der Prüfende zu ihm gesprochen: »So schlafe in Frieden, du Knecht des Herrn!«
Ja, so schlafet denn: schlafe in Frieden auch du, den sie eben zur letzten Stätte geleitet. Möge nie eine frevelnde Hand euren Frieden stören. Mit solchen Gedanken kehren wir zurück in das blühende Leben und lassen die Toten.
Kairo ist immer märchenhaft und wunderbar, am allerwunderbarsten aber doch zur Nachtzeit im Fastenmonat Ramadan, dem neunten des islamitischen Mondjahrs. Dann zieht die ganze Stadt ein Festkleid an: der Gläubige macht die Nacht zum Tage und den Tag zur Nacht. Die Ruhe, die sonst während der Dunkelheit in den Straßen herrscht, die Stille, die nur unterbrochen wird durch den Ruf der Wächter und das Geheul der Gassenhunde, ist geflohen, denn in der Nacht erst beginnt das Leben.
Mohammed selbst, der Prophet und Gesandte Gottes – Heil über ihn! – ordnete den Monat der Fasten an, und noch heutigen Tags wird dieser Monat ebenso streng gefeiert wie vor Jahrhunderten. Wenn sich des Neumondes Sichel zeigt, donnern die Kanonen der Zitadelle ihren hallenden Gruß, und in allen Gassen und Straßen knattern Gewehre. Feuersprühende Raketen entsteigen den öffentlichen Plätzen, um die Türme legen sich Kränze von blendendem Licht. Auf seines Propheten Befehl enthält sich der Gläubige des Essens, Trinkens und Rauchens; der Fromme tut noch mehr, er übt ein Werk der »Sunna«, das heißt er kasteit seinen Leib, ohne daß es gefordert wird. Man muß bedenken, daß der Monat Ramadan ebensogut in die heißesten Monate des Jahres fallen kann wie in die kältesten, da das mohammedanische Jahr ein Mondjahr ist, kein Sonnenjahr. Im Sommer aber ist es eine wahre Marter, den ganzen langen Tag zu fasten und keinen Tropfen Wasser über die Lippen zu bringen. Kein Wunder deshalb, daß sich bei Tage jeder still in seinem Hause aufhält und es erst verläßt, wenn der Abend naht. Wer im Ramadan nachmittags durch die Straßen reitet, der findet sie tot und menschenleer. Nur hier und da schleppt ein Wasserträger seine Schläuche herbei und Zuckerbäcker und Kaffeesieder ordnen ihre Geräte.
Ehe noch der Muezzin der untergehenden Sonne seinen Scheidegruß zusingt und mit volltönender Stimme die Gläubigen zum Gebet auffordert, ermuntern sich die durstigen Gemüter. Die Kaffeehäuser werden geöffnet. Auf dem Herde des Kaffeebereiters flammt ein Feuer und bringt das in großen Kannen bereitgehaltene Wasser zum Sieden. Mühsam schleppen sich ein paar Gestalten zum Kaffeehause, ermattet sinken sie auf die Palmholzsessel vor dessen Tür. Sie haben Tabak und Tschibuk mitgebracht. Einige bestellen sich Nargilehs, das sind Wasserpfeifen. Gefüllte Wasserkühlgefäße stehen neben den Stühlen. Alle Augen richten sich nach dem schlanken Minarett, und einige sehen nach ihren Taschenuhren. »Lissa!« Noch nicht; es fehlen noch drei Minuten. Da plötzlich ertönt der sehnsüchtig erwartete Ruf vom Turme: »La il la ha il Allah, Mohammed rassuhl Allah!« Ein Kanonenschuß donnert über die Stadt, der Tag ist zu Ende.
Man hört nur: »Allah!« Das einzige Wort sagt alles. Es ist der Preis des Höchsten, der Dank, daß er seine Sonne zur Ruhe gehen ließ, es ist die Freude, daß das schwere Werk des Fastens für heute überstanden; es ist der Anfang des zu hoffenden Genusses für die kommende Nacht. Jetzt herrscht Totenstille vor dem Kaffeehause. Alle genießen den Augenblick. Einige dürsten mehr nach den Pfeifen als nach dem Wasser und blasen dicke Wolken von sich, andere trinken gierig aus dem Wassergefäß. Alle erwarten mit Sehnsucht den Kaffee. Dieser wird in kleinen Schalen herumgereicht. Dann geht alles nach Hause, um zu essen und – zu beten.
Mittlerweile ist die Nacht hereingebrochen. Unzählige Lämpchen flammen auf an den schlanken Minaretts. Der Basar und alle Kaffeehäuser werden erleuchtet; der Kaufmann setzt sich in seine Bude, der Handwerker fängt an zu arbeiten, der Regierungsbeamte öffnet den Diwan. Alle Schreiber der Regierung sind in voller Tätigkeit. Der Geschäftstag ist angebrochen, während der Kalendertag zu Ende ging.
Und nun beginnt das eigentümliche Leben der Nacht. Die Basare vereinigen das verständige Alter und die lärmende Jugend; in den Kaffeehäusern sitzen Märchenerzähler und treiben Gaukler ihr Wesen. Zuckerbäcker, laut ihre Ware preisend, drängen sich mit ihren wandelnden Verkaufstischen durch die Menge. Garköche rühmen die Erzeugnisse ihrer Kunst. Scherbettverkäufer klingeln mit metallenen Schalen. Keine Polizeiwache stört das fröhliche Treiben des Volks, bis tief in die Nacht hinein durchwogt ein endloser Menschenschwarm die Straßen. Erst gegen Morgen wird es stiller. Einer nach dem andern sucht seine Wohnung auf. Zwei Stunden vor Sonnenaufgang hört man wieder einen Kanonenschuß. Er fordert die Gläubigen auf, sich vor anbrechendem Morgen mit Speise und Trank zu erquicken, damit sie das schwere Glaubenswerk ohne Murren beendigen können. Mit dem Grauen des Morgens ertönt vom Minarett die Mahnung zum Frühgebet. Der Gläubige spricht den »Fedjer«, dann geht er zur Ruhe und schläft bis tief in den Tag hinein.
Am letzten Tage des Ramadan sammeln sich die Gewerke um die Zeit des Nachmittaggebets zu einem Festzug durch die Straßen. Soldaten ziehen mit klingendem Spiele voran. Im Westen schimmert der blasse Neumond. Die Sonne neigt sich zum Untergang, es ertönt die Stimme des Muezzin. Eine rote Fahne steigt an dem Minarett empor, und donnernde Geschützsalven beschließen den Monat der Fasten. Das schwere Glaubenswerk ist beendet.
Will man das Leben in Kairo genügend kennenlernen, so muß man mitten in einem arabischen Viertel Wohnung nehmen. Die altarabischen Häuser in jenen Vierteln sind reizvoll für den, der die Schönheit nicht in dem glatten, neuzeitlichen Stil sucht. Von außen freilich verspricht ein altsarazenisches Haus nicht viel. Es steht in einer dunkeln, engen Straße und nähert sich nach oben so sehr seinem Gegenüber, daß die Sonnenstrahlen den Weg nach unten nicht finden können. Von der Straße aus tritt man durch die sich auf Anklopfen öffnende Tür ins Innere, klatscht laut in die Hände und ruft laut: »Tastuhr!« (nehmt euch in acht!), um etwa schleierlos umherschleichende Frauen zu verscheuchen.
Die breiten, hohen Fenster sind durch Holzgitter verschlossen, durch die wohl die Augen der Schönen die Straße beobachten können, von außen aber nicht der Schatten einer Gestalt wahrzunehmen ist. Vom Hausflur aus führt eine Stiege nach oben, zunächst nach dem Diwan oder Empfangszimmer des Hausherrn, einem geräumigen, halbdunklen Zimmer. Durch die vergitterten Fenster fällt ein gebrochenes, für jenen Himmelsstrich höchst angenehmes Licht. Im Gitterwerk entdeckt und liest man Schriftzüge, fromme Segenssprüche oder Bittwünsche an den Höchsten. Kleinere, buntfarbige Glasfenster lassen die Beleuchtung noch eigentümlicher erscheinen. Der Fußboden ist mit poliertem Kalk oder Marmor gepflastert, Strohmatten und persische Teppiche decken ihn. Den der Tür gegenüberstehenden Raum nimmt der Diwan ein, der von einer Zimmerecke zur anderen läuft. Hier, auf den schwellenden Polstern, ruht der Hausherr während des größten Teils des Tages, hier ordnet er seine Geschäfte, empfängt er seine Besuche. Die unzugänglicheren Gemächer des Hauses liegen verborgen; in ihnen walten, weben und herrschen die Frauen.
Das Interesse am Gewühl der Straße zieht uns nach einem der größeren Plätze, um dort so schnell wie möglich ein Reittier zu mieten, ohne dessen Hilfe es beinahe unmöglich ist, durch Kairo zu kommen.
Da stehen sie, die trefflichen Tiere, die allen Spott zuschanden machen, den wir auf die Esel zu häufen gewohnt sind, ebenso reich an Vorzügen wie ihre nordischen Verwandten am Gegenteil. Ausdauernd, fleißig, genügsam, brav, stark und rasch, ist der Esel unstreitig das brauchbarste Tier in Ägypten. Ohne zu ermüden, läuft er bei größter Hitze stundenlang mit einem Menschen auf dem Rücken, gegen den er fast zu verschwinden scheint, und zwar in einem kurzen, angenehmen Galopp, so daß man schwerlich ein bequemeres Reittier findet.
Der Araber liebt aber auch seinen Esel. Er verschneidet ihm das Haar am ganzen Körper, so daß das Tier nicht so struppig erscheint, wie wir es zu sehen gewohnt sind. Diese Treiber selbst gehören unbedingt zu den anziehendsten Menschen der Hauptstadt. Man findet sie auf jedem größeren Platz der Stadt, von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Die Ankunft eines Dampfschiffs in Alexandria ist ein Ereignis für sie. In drei und vier Sprachen, die die Jungen sonderbar verstümmeln, wird der Fremde angeredet, und wehe ihm, wenn er englische Laute hören läßt! Sofort entsteht um ihn, den Geldmann, eine Prügelei, bis er den ersten besten Esel besteigt und davonreitet. Da hallt ihm dann noch eine Flut von Spottworten nach, und jeder der zurückgebliebenen Eseljungen bedauert im Herzen die Dummheit des Reiters, der sich das schlechteste Reittier erwählte.
Hat man länger in Ägypten gelebt und ist man des Arabischen mächtig, so lernt man diese Jungen erst eigentlich kennen. Ihre Redensarten, vor allem aber die ihren Tieren gespendeten Lobeserhebungen sind ergötzlich. »Sieh, Herr, diesen Dampfer von einem Esel; die andern werden unter dir zusammenbrechen, denn du bist ein Starker! Meinem Esel jedoch ist es Spaß, mit dir dahinzujagen wie eine Gazelle, wie der Falke mit seiner Beute. Das ist ein europäischer Esel, ich lasse nur Franken darauf reiten. Kaiheriner, lauf und straf mich nicht Lügen! Kannst du glauben, daß es ein vortrefflicheres Tier geben könnte als meinen Esel? Und ich bin Ali, der Sohn Ibrahims; was sind die andern gegen mich? Söhne, Enkel und Urenkel von Dummen. Allah hat das Herz meines Vaters groß gemacht und meiner Mutter Gnade gegeben; ich bin der Sohn von beiden. Hier ist mein Esel, besteig ihn! Laß uns zusammen reiten.«
Unter dem »Zusammenreiten« versteht der Treiber, daß der Fremde reitet und er zu Fuß hinterdrein trabt. Dabei stachelt er unaufgefordert sein Grautier an, bis es sich in Galopp setzt und keuchend und pustend dahinjagt. Wunderbar ist auch die Ausdauer des Tieres, wunderbar die Ausdauer des Knaben. Ohne Unterlaß treibt er seinen Freund mit unnachahmlichem Zungenschnalzen, mit Schlägen, Stößen und Stockstichen an, folgt er ihm, ohne sich zu erholen; er trägt ihm noch den mit Puffbohnen gefüllten Futtersack nach, den er in jeder Mußestunde ihm anhängt.
Sechsjährige Knaben laufen schon den ganzen lieben langen Tag ihrem fast immer galoppierenden Esel nach, schreien sich fast die Lunge aus dem Leibe und sind doch immer guten Mutes, froh und frisch dabei. Ohne Ausnahme sind diese Burschen verschmitzt und zu allem zu brauchen. Sie sind Diener und Vertraute von jedermann, wissen sich den Launen der Reisenden zu fügen, verstehen vortrefflich, eine Dame mit der nötigen Sorgfalt und Behendigkeit zu bedienen und Blüten in ihre Reden einzuweben, wie sie sonst nur in dem Munde des Märchenerzählers gedeihen. Dem ernsten Mohammedaner sind sie gesetzte und ruhige, dem Franken kurzweilige, tolle, streichelustige Begleiter, den Damen Sklaven der Frauenschönheit, Diener der weiblichen Anmut. Dabei besitzen sie Ortssinn, Gedächtnis und Geistesgegenwart, wissen sich aus den verwickeltsten Lagen freizumachen, kurz sind eine Freude für jedermann.
Einer dieser Burschen soll uns hinauf zur Zitadelle begleiten, die auf einem Ausläufer des Gebirges die siegreiche Hauptstadt beherrscht. Mitten durch den Strom der Menge, durch das Geräusch und allen Zauber Kairos führt der Weg. Durch heimliche, kühle Straßen und über sonnige Plätze, an Moscheen vorüber, die die ganze Herrlichkeit arabischer Künstlergedanken in tausendfacher Weise verkörpern, und dann endlich empor, nach der Festung hinauf.
Innerhalb ihrer Mauern durchirrt der Fremdling mit klopfendem Herzen Ruinen und Neubauten, Schutthaufen und Prachtpaläste, – hier sieht er Felsenbrunnen, die bis zum Nilspiegel herabreichen, und Minaretts, die mit den Wolken zu spielen scheinen und wie ungeheuere Leuchter um das Heiligtum der Kuppel gestellt sind: hier glaubt er den Klagelaut getöteter Frauen und das Wutröcheln meuchlings gemordeter Mamelucken zu vernehmen: geisterhafte Klänge glaubt er zu hören.
Aber nicht die Mauern sollen unsere Seele gefangennehmen – in die Ferne soll sie schweifen. Treten wir auf einen der Strebepfeiler über die Festungsmauer hinaus und schauen wir auf das Gemälde da unten, bis die Seele trunken ist und uns Gedichte im Herzen keimen, zu denen wir leider den Reim nicht finden.
Unter uns, vor uns und neben uns liegt die Stadt mit ihren vierhundert Moscheen und sechshundert schlanken, mehrfach gegürteten Türmen, eine wirre Häusermasse, tausendfarbig im Lichte der Nachmittagsonne schimmernd, von ihren Vorstädten umlagert wie eine Mutter von lieblichen Kindern. Ein grüner Saum von Palmenkronen schließt sie ein, und hier und da taucht auch ein frischer Palmenhain aus dem Häusermeer auf. Dahinter folgt ein weites, in der Fülle des wasserreichen Südens schwelgendes Land.
»Vom Süden führt die Wasserleitung des Nils Fluten ins Land, und majestätisch treibt der geheimnisvolle Strom seine Wogen dahin. In dem ungeheuren Prachtbilde erscheinen die grünen Massen der Inseln wie ein Smaragd auf dem flüssigen Silber des segenspendenden Stromes. An seinen vorübereilenden, ewig sich bildenden, ewig verschwindenden Wogen stehen als ruhende Pole im Strome der Zeiten die Pyramiden, fest wie die Felsen, auf denen sie fußen.« Dahinter aber dehnt sich ohne Ende die Wüste.
Im Anschauen vergißt man des Orts und der Zeit. Stunde auf Stunde entrollt, die Sonne neigt sich zum Schlafengehen. Goldener werden ihre Strahlen, purpurner färbt sich ihr Licht. Neuer Glanz, neue Farben treten zu den alten, die Stadt kleidet sich in ein wunderbares Festgewand, die Palmen trennen sich schärfer vom goldenen Grunde. Wie Abendrot leuchtet der Strom, ein Abglanz des Paradieses legt sich auf Fruchtfeld und Wüste. Funkelnde Lichter werden wach, tiefdunkle Schatten treten um so schärfer hervor. Allgemach senkt sich der Abend herab. Häuser, Kuppeln und Türme verschleiern sich langsam und leise. Schon berührt der Rand der Sonnenscheibe den Wüstensand. Nur die Zinnen des Gebirges und die Spitzen des Minaretts funkeln und glänzen noch immer im Sonnenlicht. Tiefer senkt sich die Sonne, mehr und mehr verschwimmt von der Ferne.
Jetzt ist sie versunken, und von oben herab ertönt der Gesang des Muezzin. Wie eine Stimme aus der Höhe erklingen die Worte, die zum Gebete mahnen – auch im Herzen des Hörers. Mag er beten, in welcher Sprache und Weise er will, mögen ihm Worte zu Gebeten werden oder mag ihm das Erschaute wie ein goldenes Buch erscheinen, in dem er Gebete liest, ohne es zu wissen: die Stimmung seiner Seele ruft ein Gebet hervor. Wenn der Gesang des Mahners schon lange verklungen, wenn das Licht der Dämmerung, der Glanz dem Nebel wich, wenn der Strom seine Dünste entsendet wie Rauch, wenn die Palmen zu flüstern beginnen und die Menschenkinder da unten in ihre Häuser wandeln, es klingt und wogt noch immer wie Musik. Wie der Meißel in den Porphyr der ägyptischen Tempel Bilder eingrub, unvergänglich für alle Zeiten, so hat sich der Zauber der Märchenstadt eingeprägt in die Seele, und noch nach Jahren erscheint ihr Bild so klar und fest wie die Pyramiden.