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Der Lebensroman der Eidervögel

. So verlockend es für den Forscher ist, jeden einzelnen gefiederten Gast der Vogelberge des hohen Nordens ausführlich zu schildern, so zwingend gebietet die Reichhaltigkeit der Bevölkerung und die Eigenart der versammelten Vögel Beschränkung. Einer von denen, die allenzlich zu den gleichen Brutinseln zurückkehren und sie in wunderbarer Weise schmücken helfen, verdient aber doch eine besondere Würdigung. Das ist die Eiderente oder der Eidervogel.

Drei Arten dieser prachtvollen Enten bewohnen Europas Gestade, eine von ihnen, der Eidervogel selbst, allsommerlich selbst die nordwestlichen Inseln Deutschlands, besonders Sylt. Ihr Gefieder ist ein treues Spiegelbild des nordischen Meeres. Schwarz und Rot, Aschgrau, Eisgrün, Weiß, Braun und Gelb sind die Farben, die sich auf ihnen vereinigen. Der Eidervogel ist der am wenigsten schöne, immerhin aber ein prächtiger Vogel. Nacken und Rücken, eine Binde über den Flügeln und ein Fleck an den Seiten des Unterkörpers sind weiß wie der Schaum der Wellen, Hals und Kopf auf weißem Grunde rosig überhaucht, als sei die Mitternachtsonne darauf haften geblieben, ein Streif auf den Wangen zartgrün wie das Gletschereis, Unterbrust und Bauch, Flügel und Schwanz, Unterrücken und Bürzel aber schwarz wie die Tiefe des Meeres selbst. Ein solches Prachtkleid kommt aber nur dem Männchen zu, das Weibchen kleidet sich wie alle Enten in ein bescheideneres, aber nicht minder hübsches Gewand, das ich ein »Hauskleid« nennen möchte. Den vorherrschend rostfarbenen, bald mehr, bald minder ins Braune spielenden Grund zeichnen Längs- und Querflecke, Linien und Schnörkel von solcher Zartheit und Mannigfaltigkeit, daß das Wort gebricht, um die Zeichnung entsprechend zu beschreiben.

Keine andere Entenart ist so durchaus ein Meeresbewohner wie die Eiderente. Keine watschelt schwerfälliger am Lande dahin, keine fliegt weniger gewandt, keine schwimmt rascher und taucht geschickter und tiefer als sie. Bis fünfzig Meter sinkt sie der Nahrung wegen unter die Oberfläche hinab, und fünf Minuten, eine außerordentlich lange Zeit, soll sie unter Wasser verweilen können. Vor Beginn der Brutzeit verläßt sie die hohe See entweder gar nicht oder nur in Ausnahmefällen, mehr einer Laune als der Notwendigkeit folgend.

Schon gegen Ausgang des Winters haben sich die Schwärme, die auch diese Art bildet, in Paare getrennt, und nur die Männchen, denen es nicht gelang, ein Weibchen zu erwerben, schwimmen noch in kleinen Trupps umher. Unter den Gatten des Paares herrscht glücklichste Eintracht. Nur ein Wille, und zwar der der Ente, ist maßgebend für beider Tun. Erhebt sich die Ente vom Wasserspiegel, um fliegend einige hundert Meter zu durchmessen, so folgt ihr auch der Enterich; taucht sie hinab in die Tiefe, so verschwindet unmittelbar hinterher auch er. Wohin sie sich auch wenden mag, er folgt ihr getreulich; was sie beginnt, entspricht seinen Wünschen. Noch lebt das Paar draußen auf hoher See, wenn auch nur da, wo ihre Tiefe nicht über fünfzig Meter beträgt, und immer nur an solchen Stellen, wo Muscheln, besonders Miesmuscheln, in reicher Menge die Felsen bedecken. Diese Weichtiere bilden oft die ausschließliche Nahrung der Eiderenten; ihrethalben tauchen sie in die bedeutende Tiefe hinab. Diese Muscheln aber bewahren sie auch vor dem Mangel, der so viele ihrer Verwandten zuweilen bedrückt.

Im April, spätestens Anfang Mai nähern sich die Paare dem Schärengürtel und damit der Küste. Im Herzen der Ente regen sich Muttersorgen, und ihnen ordnet sich alles übrige unter. Draußen aus hohem Meere war das Paar so scheu, daß es niemals die Annäherung eines Fahrzeugs abwartete und den Menschen, wie er auch auftreten mochte, mehr fürchtete als jedes andere Geschöpf; jetzt, in der Nähe der Inseln, ändert es vollständig sein Benehmen. Nur dem mütterlichen Drange gehorchend, schwimmt die Ente an eine der Brutinseln heran, und ohne des Menschen ferner zu achten, watschelt sie auf das Land hinauf. Auch jetzt noch besorgt, folgt ihr der Enterich, nicht ohne sein warnendes »Ahua ahua« ertönen zu lassen, nicht ohne mehr und mehr zu zögern, zeitweilig zurückzubleiben, lange sich zu besinnen und dann erst wieder vorwärts zu schwimmen.

Die Ente achtet dessen nicht. Unbekümmert um ihre Umgebung, wandert sie über die Insel hinweg, um einen passenden Brutplatz zu suchen. Eigenwillig, wie sie ist, begnügt sie sich nicht mit dem erstbesten Tanghaufen, den die Hochflut ans Land warf, mit dem niederen Wacholderstrauch, dessen rankendes Bodengezweig ein sicheres Versteck für sie bietet, mit der halbzerbrochenen Kiste, die der Besitzer der Insel als Schutzdach aufstellte, oder mit dem Genist- und Reisighaufen, den er, sie einladend, zusammentrug. Furchtlos, als ob sie ein Haustier wäre, nähert sie sich der Wohnung des Besitzers, tritt in das Innere seiner Hütte, durchmißt den Flur, besucht die Hausfrau in der Küche, ersieht vielleicht das Innere des Backofens zu ihrer Niststelle und zwingt dadurch die Hausfrau, monatelang ihr Brot auf einer anderen Insel zu backen.

Mit erkennbarem Entsetzen folgt ihr der treue Enterich so weit wie möglich. Wenn sie aber nach seiner Meinung alle Sicherung aus den Augen setzt und sich vermißt, unter des Menschen Dach zu wohnen, versucht er nicht länger gegen ihre Laune anzukämpfen, sondern läßt sie gewähren und fliegt zunächst auf das Meer hinaus, mit Sehnsucht ihrer Besuche harrend.

Unsere Ente läßt sich auch hierdurch nicht beirren. Sie schleppt etwas Reisig und Genist zusammen, gestattet gern, daß der Nordländer sie unterstützt, schichtet die Niststoffe zu einem Haufen, gräbt eine Mulde aus, rundet sie mit ihrer glatten Brust und beginnt nun die Ausfütterung zu beschaffen. Nur ihrer Brut gedenkend, rupft sie die Dunen von ihrer Brust und bildet aus ihnen einen Filz, der nicht nur die ganze Mulde bedeckt, sondern auch an ihrem oberen Rande noch als dichter Federkranz liegt, der beim Verlassen ihres Nestes als schützende Decke verwandt werden kann. Noch ehe die Auskleidung fertig ist, beginnt sie ihre Eier zu legen, die meistens graugrün von Farbe sind. Sechs bis acht pflegt die Ente zu legen.

Auf diesen Zeitpunkt hat der Nordländer gewartet. Eigennutz ließ ihn zum Gastfreund des Vogels werden, jetzt wandelt der Gastfreund sich um zum Räuber. Rücksichtslos nimmt er die Eier fort, bedenkenlos auch die innere, aus den kostbarsten Dunen bestehende Ausfütterung. Vierundzwanzig bis dreißig Nester liefern ein Kilogramm Dunen im Werte von mindestens dreißig Mark. Das erklärt besser als jede andere Auseinandersetzung die Handlungsweise des Inselbewohners.

Betrübten Herzens sieht die Ente für dieses Jahr ihre Hoffnung vernichtet; bestürzt fliegt sie auf das Meer hinaus zu dem sehnsüchtig ihrer harrenden Gatten. Ob er seine Warnungen wiederholt, vermag ich nicht zu sagen, wohl aber kann ich versichern, daß er sie sehr bald zu trösten weiß. Noch regt sich Frühlingslust in beider Herzen. Nur wenige Tage, und unsere Ente watschelt, als wäre ihr niemals etwas geschehen, von neuem auf das Land hinauf, um dort ein zweites Nest zu errichten. Wahrscheinlich meidet sie diesmal die frühere Stelle und begnügt sich mit dem ersten besten Tanghaufen. Wiederum schaufelt sie eine Mulde, und wieder nestelt sie im Gefieder, um die ihr so notwendig scheinende Dunenauskleidung zur Stelle zu schaffen.

Wie sehr sie sich aber auch müht und den Hals reckt und streckt, ihr Vorrat ist erschöpft. Wann aber wäre eine Mutter, und hätte sie auch nur Entengestalt, ratlos, wenn sich's um ihre Kinder handelt? Auch unsere Ente ist es nicht. Sie selbst hat keine Dunen mehr, ihr Gatte aber trägt solche noch unversehrt auf Brust und Rücken. Jetzt muß er zur Stelle! Wie sehr er sich vielleicht auch sträubt: er ist der Gatte und sie die Gattin – das heißt er gehorcht. Rücksichtslos nestelt die Mutter ihm im Gefieder, und schon im Zeitraum weniger Stunden hat sie ihn ebenso kahl gerupft, wie sie selbst ist. Daß nach solcher Behandlung der Enterich, sobald er kann, aufs Meer hinausfliegt, fortan für einige Monate nur mit seinesgleichen verkehrt und sich um die Gattin und Brut nicht bekümmert, ist nur zu begreiflich. Wenn man wirklich, wie es auf allen Inseln der Fall ist, noch Erpel neben der Ente findet, so meine ich, sind es immer solche, die noch nicht kahlgerupft worden sind.

Unsere Ente brütet nunmehr eifrig. Und jetzt erweist sich ihr Hauskleid als das einzig mögliche Gewand, das sie tragen kann. In dem das Nest umgebenden Tange verschwindet sie völlig, selbst für das Falken- und Seeadlerauge. Nicht bloß die allgemeine Färbung, jedes Pünktchen, jedes Strichelchen paßt so zu dem vertrockneten Tang, daß der Vogel, sobald er den Hals niederdrückt und seine Flügel ein wenig breitet, geradezu in der Umgebung verschwindet. Viele, viele Male ist es mir begegnet, daß ich, mit dem Jägerauge suchend, über die Eiderholme schritt und doch auf die vor meinen Füßen brütende Ente erst dadurch wirklich aufmerksam wurde, daß sie meine Stiefel beknabberte. Wer die Hingabe kennt, mit der Enten brüten, wird sich darüber nicht sehr verwundern, wohl aber erregt es billig auch das Erstaunen erfahrener Forscher, daß die Eiderente, ohne aufzufliegen, die Untersuchung der Eier unter ihrer Brust gestattet, ja sich nicht einmal stören läßt, wenn man sie von dem Neste hebt und etwas entfernt auf den Boden seht, um sich das reizende Schauspiel zu gönnen, sie wieder zu Neste watscheln zu sehen.

Die mütterliche Hingabe der Eiderente erweist sich jedoch noch anderweitig. Jede weibliche Eiderente, vielleicht jede Ente überhaupt, erstrebt nicht nur den Besitz von Kindern, sie will ihr Mutterauge auch über möglichst viele gleiten lassen. Das hat zur Folge, daß sie ohne Bedenken andere neben sich brütende benachteiligt, sofern sie es kann. So hingebend die Eiderente brütet, einmal am Tage muß sie das Nest verlassen, um sich mit Nahrung zu versorgen und ihr Gefieder in Ordnung zu bringen. Einen mißtrauischen Blick auf die Nachbarinnen zur Rechten und zur Linken werfend, erhebt sie sich in den Vormittagsstunden, vielleicht schon lange vom Hunger gequält und breitet sorgsam den Federkranz als schützende Decke über die Eier. Dann fliegt sie eilends aufs Meer hinaus, taucht wiederholt in die Tiefe hinab, füllt sich den Kropf und die Speiseröhre bis obenan mit leckeren Muscheln, badet, putzt und fettet sich, kehrt dann schleunigst zum Lande zurück und läuft ihrem Neste wieder zu.

Beide Nachbarinnen sitzen anscheinend ebenso harmlos wie früher auf ihren Eiern, und dennoch haben sie, wenigstens die eine, inzwischen ein Diebesstück ausgeführt. Sobald jene abgeflogen war, hat sich die Nachbarin erhoben, die Decke des fremden Nestes gelüftet und mit den beiden Ruderfüßen rasch eins, zwei, drei oder noch mehr Eier ins eigene Nest herübergerollt, den Rest dann sorglich wieder bedeckt und sich beglückt auf den Raub gesetzt. Wohl mag die heimkehrende Ente den Streich erkennen, der ihr gespielt wurde, merken läßt sie sich aber nichts. Sie setzt sich ruhig zum Brüten nieder und tut nur, als ob sie sagen wollte: »Warte nur, Frau Nachbarin, auch du wirst einmal dein Nest verlassen, und was du mir tatest, tu ich dann dir.« Tatsächlich wandern die Eier nebeneinander brütender Eidervögel beständig aus einem ins andere Nest. Ob dann die eigenen oder fremde Kinder unter der glücklichen Mutterbrust reifen, das scheint der Ente ganz gleich zu sein. Es sind ja doch Kinder!

Sechsundzwanzig Tage etwa brütet die Ente, bevor die Eier gezeitigt sind. Der Nordländer läßt sie diesmal gewähren und läßt sie nicht nur unbehelligt, er sucht sie sogar zu unterstützen, indem er alle Störenfriede nach Möglichkeit von dem Eiland fernhält. Er kennt seine Enten und weiß ganz genau, wann diese und jene mit ihren Küchlein den Weg nach dem Meere antreten wird.

Dieser Weg bringt vielen unbeaufsichtigten jungen Eiderenten ein jähes Verderben. Nicht nur die auf den Inseln brütenden Falken, auch Kolkraben, Raub- und große Seemöwen belauern den ersten Ausgang der Küchlein, überfallen sie auf dem Wege zum Meere und rauben das eine oder das andere. Dem beugt der Schutzherr der Insel vor.

Gegen das Ende der Brutzeit begeht er allmorgendlich das Eiland, um den Müttern behilflich zu sein und neue Dunen einzuheimsen. Auf seinem Rücken hängt ein Tragkorb, an einem Arm ein breiter Handkorb. So wandelt er von einem Neste zum andern, hebt jede Eiderente auf und prüft, ob die Küchlein ausgeschlüpft und hinlänglich trocken geworden sind. Ist dieses der Fall, so packt er die ganze krabbelnde Gesellschaft in seinen Handkorb, entkleidet mit geschicktem Griff das Nest seiner dunigen Ausfütterung, wirft diese in den Tragkorb hinein und schreitet dann weiter. Vertrauensvoll wackelt die Ente ihm nach, hinter den piependen Jungen her. Ein Nest nach dem andern wird so entleert und damit weiter fortgefahren, so lange der Handkorb noch Küchlein faßt; und eine Mutter nach der andern schließt sich dem Kinderräuber an.

Ist er am Meere angekommen, so kehrt der Mann seinen Korb einfach um und schüttet die ganze Küchleinschar kopfüber in das Wasser hinein. Sofort stürzen alle Entenmütter ihren piependen Jungen nach. Lockend und rufend, alle Zärtlichkeit der Mutter entfaltend, schwimmen sie unter die kleine Schar, und jede sucht so viele Küchlein wie möglich um sich zu versammeln. Mit ersichtlichem Stolze schwimmt die eine der Enten dahin, ein langes Gefolge hinter sich: schon aber kreuzt eine zweite den Schwarm und sucht möglichst viele an sich zu ketten, und wiederum kommt eine dritte herbei, in der Absicht, zu eigenen Gunsten einige davon abspenstig zu machen. So schwimmen, schnatternd, rufend und lockend, alle Mütter durcheinander, bis endlich jede einzelne ein Trüppchen Küchlein hinter sich hat. Ob es gerade die eigenen sind, ob fremde, die Ente weiß es nicht; ihrer Mutterlust tut das durchaus keinen Abbruch. Sind es doch Kinder, die hinter ihr schwimmen!

In jedem Falle folgt auch eine in solcher Weise zusammengeraffte Schar schon in den ersten Lebensstunden der Mutter und Pflegemutter nach. Diese führt die Küchlein zunächst an Stellen, wo Miesmuscheln an den Felsen sitzen, pflückt sie, zerbricht die Gehäuse der kleinsten und legt den Inhalt den Jungen vor. Diese sind vom ersten Tage an zum Schwimmen und Tauchen befähigt, übertreffen sogar ihre Eltern in einer Beziehung, indem sie ungleich gewandter auf dem Lande sind. Ermüden sie in der Nähe einer Insel, so führt sie die Alte auf diese hinauf, und nunmehr rennen sie hurtig dahin, wissen sich auch wie junge Rebhühner auf den Warnungsruf der Mutter durch Niederdrücken so trefflich zu bergen, daß man sie schwer zu finden vermag. Ermüden sie fernab von den Schären, so breitet die Alte die Flügel ein wenig und bietet diese und ihren Rücken den Jungen zum Ruhesitze dar. Da sie niemals Mangel leiden, wachsen sie außerordentlich rasch und haben schon nach dem zweiten Monat beinahe die Größe der Mutter erlangt, zum mindesten deren Fertigkeiten. Nun stellt sich auch wieder der Vater ein, um mit den Seinen und andern Familien den Winter über vereint zu bleiben.

Der hohe Preis der Eiderdunen macht diese Enten überaus wertvoll. Tausend Eidervogelpaare gelten schon für einen reichen Besitz. Auf den meisten Eiderholmen brüten jedoch drei- bis viertausend Paare, und der Besitzer der größten Brutstellen hat durch die Vögel jährliche Einnahmen, um die ihn mancher Gutsbesitzer bei uns zulande beneiden könnte. Neben den Eiderenten brüten auf den Holmen Austernfischer und Teiste, deren Eier ebenfalls ausgehoben und auf weithin versandt werden. Hier und da salzt man auch die Jungen für den Bedarf des Winters ein, so daß die Holme Äcker bilden, die eine gesegnete Ernte bringen. Sie stehen auch unter strenger Aufsicht und sind durch Gesetze besonders geschützt.


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