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Ägypten und Nubien, durch den ihnen gemeinsamen Strom verbunden, sind wesentlich voneinander verschieden. Ägypten durchflutet der göttliche Nil in ruhigem Gange, Nubien durchrauscht er in hastiger Eile; über Ägypten verbreitet er auf weithin seinen Segen, in Nubien wird er gefesselt durch hohe, felsige Ufer; in Ägypten erreicht er die Wüste, in Nubien die Wüste ihn selber. Ägypten ist ein Garten, den er in Jahrtausende währender Arbeit geschaffen, Nubien eine Wüste, die er nicht zu besiegen vermochte. Wohl hat auch diese Wüste Oasen wie jede andere, aber ihrer sind wenige, und alle kommen kaum in Betracht gegenüber dem in unwandelbarer Öde und Unfruchtbarkeit verharrenden Lande zu beiden Seiten des Stromes.
Fast überall in dem langen, gewundenen Tale, das wir Nubien nennen, erheben sich dunkle, glänzende Felsenmassen aus dem Strombette selbst oder doch nur in geringer Entfernung vom Ufer, verwehren auf weite Strecken hin beinahe alle Pflanzen, sich zu entwickeln, und empfangen nur durch die Wüste im Osten wie im Westen einigen Schmuck in Gestalt goldgelber Sandwogen, die über sie hinab zum Strome rollen. Glühend blitzt die Sonne hernieder vom tiefblauen, kaum bewölkten Himmel, und viele Jahre nacheinander erfrischt kein einziger Regenguß das ausgedörrte Land. In dem tiefeingeschnittenen Felsentale kämpfen die lebenspendenden Wogen des befruchtenden Stromes vergeblich mit dem unempfänglichen Gestein, an dem sie sich brausend und donnernd brechen, als könnten sie zürnen, daß ihrer Freigebigkeit Undank geboten wird. Die Walstatt, auf der dieser Kampf stattfindet, ist das Gebiet der Stromschnellen des Nil.
Die wenigsten Reisenden, die das untere Niltal durchziehen, lernen die Stromschnellen kennen. Wadihalfa bildet das gewöhnliche Ziel der Nilreisenden; weiter nach Süden hin treiben nur Forschungsdrang, Jagdeifer oder Hoffnung auf Handelsgewinn. Von Wadihalfa aus beginnen die Schwierigkeiten einer Reise in das Innere Afrikas; kein Wunder daher, daß die große Menge in jenem Palmendorfe den Bug des Bootes wieder heimwärts kehrt. Wer aber jung und kräftig, willensstark und unverzärtelt ist, wird niemals bereuen, wenn er weiter nach Süden vordringt. In dem an landschaftlichen Reizen armen Niltale bildet das Gebiet der Stromschnellen eine Welt für sich. Großartige und anmutige, ernste und heitere, unendlich öde und frisch lebendige Bilder wechseln miteinander ab; aber es sind Bilder der Wüste, die diese Landschaft dem Auge bietet, und Vergessen des Gewohnten wird zur Vorbedingung, um sie zu würdigen. Wer nicht imstande ist, die Wüste zu begreifen, ihre Glut zu ertragen, an ihrem Farbenreichtum sich zu entzücken, der tut wohl, auch die Nilwüste zu meiden. Wer offenen Auges das Gebiet der Stromschnellen durchwandert, womöglich sogar im gebrechlichen Boote den Kampf aufnimmt mit den schäumenden Wogen, der wird sein ganzes Leben lang an köstlichen Erinnerungen zehren: denn nie und nimmer wird der Seele die Weise verklingen, die der Strom einst dem Ohre gesungen. So wenigstens ergeht es mir, der ich zu Lande und zu Wasser das Felsental Nubien durchwandert, im Boote stromauf oder stromab mit den Wellen gekämpft habe.
Wenn man, den Fluten des heiligen Stromes entgegenreisend, die nordöstliche Einengung der Ufer zwischen den »Bergen der Kette« hinter sich gelassen hat, ändert sich plötzlich die Landschaft. Ägypten, das breite, nach dem Meere hin zu einer unabsehbaren Ebene sich erweiternde Stromtal liegt hinter dem Reisenden, und die felsige Schwelle Nubiens baut sich vor seinem Auge auf. Der Gegensatz ist überraschend. An Stelle des eintönigen Geländes tritt wechselvolles. Wohl bietet auch die Landschaft Ägyptens manches herzerfrischende Bild; wohl schmückt auch sie sich mit dem wunderbaren Glanze südlicher Beleuchtung, im großen und ganzen aber erscheint sie eintönig, weil man überall dasselbe erschaut, gleichviel, ob man den Blick an den Sandstein und Kalkfelsen der Talgrenze haften oder über Strom und Felder schweifen läßt. Ein und dasselbe Bild kehrt hundertfach wieder, Gebirge und Fruchtebenen, Uferwände und Inseln des Stromes, Mimosenhaine, Palmengruppen und Sykomorenbestände, Städte und Dörfer tragen im wesentlichen dasselbe Gepräge. Angesichts der Felsenmassen des ersten Katarakts, des letzten Riegels, den der zum Meere drängende Strom sprengte, endet dieses Ägypten und beginnt Nubien. Nicht mehr auf dem in majestätischer Ruhe dahinflutenden Strome treibt das Boot dahin, sondern zwischen Felsenmassen und aus den Wogen aufsteigenden Felsenkegeln erkämpft es sich seine Bahn.
Hoch auf einem steil abfallenden Vorsprung des linken Ufers zeigt sich ein erbärmliches und dennoch wirkungsvoll zur Geltung kommendes arabisches Bauwerk, das Grabmal Scheich Musas, sodann die palmenreiche Insel Elephantine und gleich darauf Assuan. Felsenmassen, aus deren Rinde die jahrtausendelange Arbeit der anstürmenden Wogen zur Pharaonenzeit eingegrabene Schriftzeichen nicht zu vertilgen vermochte, zwingen das Boot zu vielfachen Windungen, bis es endlich in einer stillen Bucht einen gesicherten Landungsplatz findet.
Es ist altehrwürdiger Boden, auf dem wir stehen. Durch die erwähnten Zeichen der heiligen Schrift des altägyptischen Volkes reden vergangene Jahrtausende mit uns in verständlicher Sprache. Elephantine, Elfenbeinstätte, hieß die Stadt auf der gleichnamigen Insel, die geblieben ist, während selbst die Trümmer der Stadt fast vollständig verschwanden, »Sun« oder »Syene«, die Ortschaft am rechten Stromufer, an deren Stelle das heutige Assuan liegt. Elephantine, der südlichste Hafen des alten Ägypten, in dem die aus dem Innern Afrikas kommenden Waren, besonders das schon damals hochgeschätzte Elfenbein, aufgestapelt wurden, war die Hauptstadt des südlichen Nilkreises, Sun, wohl nur ein Arbeiterdorf, als solches jedoch von keiner geringeren Bedeutung als Elephantine. Denn hier wurde von den ältesten Zeiten des ägyptischen Reiches an der »äthiopische Stein« des Herodot, den man in der Nähe brach, an das Nilufer gebracht und auf die Schiffe verladen, die ihn seinem Bestimmungsort zuführten; nach diesem Orte erhielt der kostbare Stein den Namen »Syenit«, den er heute führt. Über nahezu zwei Geviertmeilen Wüste erstrecken sich die Steinbrüche, in denen man jene mächtigen Werkstücke löste, die uns als Rund- und Spitzsäulen, Gesimse und Tempelträger mit staunender Bewunderung erfüllen, die Steine, mit denen man die Grabkammern der Pyramiden bedeckte, weil sie die über ihnen aufgetürmten ungeheuren Lasten am sichersten trugen.
Von jedem höheren Uferberge aus kann man einen Teil des Katarakts überblicken. Zwei Wüsten treten an den Nil heran und reichen sich gleichsam in ihm durch Hunderte von kleinen Felseninseln die Hand. Jedes dieser Eilande zwingt den Strom, seine Fluten aufzustauen; um so heftiger aber rauscht er zwischen ihnen hindurch. Unablässig anstürmend gegen die Trümmer des von ihm vor Jahrhunderttausenden gebrochenen Felsendammes, scheint er jene wegräumen und vernichten zu wollen, scheint er erzürnt zu sein über den Widerstand, so grollend klingt das Tosen seiner Gewässer. Ruhelos wie die Wellen schweift das Auge des Reisenden durch das Felsenwirrsal. Hundert Einzelbilder erschaut er mit einem Blick, und dennoch gestaltet sich aus ihnen endlich ein einheitliches Gesamtbild. Besonders reizvoll ist der obere Teil der Stromschnellen. Eine Kette von schwarzen Felsen, die natürliche Grenzmauer zwischen Ägypten und Nubien, zieht sich quer durch den Nil und schweift auf dessen rechtem wie auf dem linken Ufer in weitem Bogen aus, einen rings von Felsenmauern umschlossenen Talkessel bildend. Hier und da treten einzelne Teile der wundersamen Umwallung vor und wieder zurück oder erheben sich inselgleich aus dem alten Seebecken, das sie umgaben, bevor der gewaltige Strom freien Durchgang erzwang.
Inmitten dieser vormenschlichen Trümmerstätte liegt die grüne, palmenumstandene Insel Philä mit ihrem herrlichen Tempel. Ich kenne kein erhabeneres Landschaftsbild als dieses. Rings umgeben von starrem Gefelse, umtost von den gegen seine Grundfesten ankämpfenden Wellen, freundlich begrünt von Palmen und Mimosen, erscheint der Tempel gleichsam als Sinnbild des Friedens im tobenden Streit. Er ist eine Stätte zur Verehrung der hehren Gottheit, der er geweiht war, wie es keine würdigere geben kann.
Unter der göttlichen Dreiheit Isis, Osiris und Horus, der der Tempel von Philä geweiht war, stand Isis obenan. »Isis, die große Göttin, die Herrin des Himmels, die Herrin der Götter und Göttinnen, die mit ihrem Sohne Horus und ihrem Bruder Osiris in jeder Stadt verehrt wird, die erhabene, göttliche Mutter, die Gemahlin des Osiris, sie ist die Herrin von Philä«, lehren die Inschriften im Tempel selbst. Inschriften in allen Schreibarten erzählen aber auch von den Wandlungen, die der Tempel im Laufe der Zeiten erlitten hat, bis endlich eingewanderte Araber die christlichen Priester, die den Dienern der Isis gefolgt waren, aus dem Heiligtume vertrieben.
Heute liegt ein großer Teil von Philä in Trümmern. An Stelle feierlicher Gesänge der Priester vernimmt man nur noch das einfache Lied der Wüstenlerche. Aber die Wogen des Stromes rauschen noch wie vor Jahrtausenden. Die Insel ist verödet, der Frieden des Tempels ist geblieben. Und trotz aller Wandlungen sind Insel wie Tempel noch immer ein Kleinod.
Von hier an aufwärts ist der Nil auf weithin felsenfrei, jedoch nicht mehr imstande, seinen Segen über die Ufer zu tragen. Mühsam versucht der Mensch die ihm anderswo freiwillig gegebene Spende dem Strome abzuringen. Ein Schöpfrad neben dem andern hebt kreischend das belebende Naß auf die schmalen Feldsäume am Ufer. An den meisten Stellen aber drängt sich die Wüste mit ihren Felsenwänden so dicht an das Ufer heran, daß kein Raum für Feld oder Palmenwald bleibt. Auf weite Strecken hin sieht man einzig und allein verkrüppelte Unkrautpflanzen, zwischen denen der gelbe Flugsand fort und fort zur Tiefe rollt, als wolle er der Wüste schon hier zum Siege über den göttlichen Spender des Fruchtlandes verhelfen.
Im Süden von Wadihalfa, dem südlichsten Grenzdorfe des eben erwähnten Landstrichs, tost wiederum das zwischen Felseninseln eingezwängte Wasser des Stromes. Zahllose Steinmassen, Felsenkegel und Blöcke zwingen diesen, sich auszubreiten; ein Wirrsal von Fels und Wasser beirrt selbst das Auge. Bei hohem Wasserstande übertönt das Gebrüll der zwischen den Felsen hinabeilenden Wogen den Klang der menschlichen Stimme, es dröhnt und donnert, rauscht und braust, daß die Felsen selbst zu erzittern scheinen. Weiter aufwärts wird das Strombett nochmals durch zahllose Felseninseln zerteilt, denn nunmehr beginnt das »Felsental der Schiffer«, in dem noch zehn namhafte Stromschnellen liegen. Es ist der ödeste Landstrich Nubiens und des ganzen Niltals.
Gewöhnlich sieht man nur Himmel und Wasser, Felsen und Sand. Steil, mitunter fast senkrecht, steigen die felsigen Uferwände aus dem Strombette auf, und zwischen ihnen und den zahllosen Inseln wird der Nil so eingeengt, daß er zur Zeit seines Schwellens um zwölf bis achtzehn Meter höher steht als während seines tiefsten Standes. Die Uferwände sind so glatt, als ob sie geschliffen wären. Der segenspendende Strom rauscht fast spurlos an ihnen vorüber, denn nur an äußerst wenigen Stellen kann er sein göttliches Vorrecht zur Geltung bringen. Dort, in einspringenden Buchten oder hinter Vorgebirgen, die die heftige Strömung ablenken, senkt er seinen fruchtbaren Schlamm hernieder und führt ihm selbst den Samen zu. Dann keimt und wächst, grünt und blüht es auch in dieser Wüstenei. Auf allen Inseln, in deren Felsenspalten abgelagerter Schlamm haften blieb, in allen von der Strömung nicht getroffenen Buchten erheben sich Weiden und Mimosen, Bürgen des Lebens im Reiche des Todes. Wurzel auf Wurzel, Schößling auf Schößling sandte die erste Weide aus, die hier festen Fuß faßte, und bald überkleidete sie den kahlen Grund mit belebendem Grün. Während des niederen Wasserstandes treibt der nach und nach entstandene Buschwald neue Zweige; während der Nilschwelle überfluten die Wogen Insel und Wald. Höher und höher schwillt der Strom, heftiger und stärker drängen sich die Wogen, die Weiden beugen sich ihnen, klammern sich aber um so fester zwischen den Felsen an. Monatelang begräbt sie der Schwall bis auf einzelne Zweige, die über die sprudelnde Fläche des Spiegels ragen; ihre Wurzeln aber haften fest, und mit neuem Lebensmut sprossen die Gesträuche, so bald sich die Hochflut verlaufen hat.
An solchen Stellen der grausigen Wildnis bemerkt man auch tierisches Leben. Im Weidicht hat sich ein und das andere Paar der schreilustigen Nilgans angesiedelt, auf dem Felsen daneben eine Bachstelze Wohnung genommen: von den Uferwänden klingt der Gesang des Trauersteinschmätzers, um die blühenden Mimosen macht sich ein prächtiger Honigsauger zu schaffen. Dann und wann stößt man auch wohl auf ein Volk kleiner, zierlicher Felshühnchen. Alle die genannten und noch einige andere bilden die spärliche tierische Bevölkerung des Felsentals, und nur während der Zugzeit gesellen sich ihr oft zahlreiche Vogelscharen, die dem Strome, ihrer Heerstraße nach dem Innern Afrikas, folgen und dabei hier oder dort im Tale ausruhen von der Reise. Sie aber eilen so schnell wie möglich von dannen, weil das Felsental nicht imstande sein würde, sie auch nur für Tage zu ernähren, begreift man doch oft kaum, wie die ansässigen ihre tägliche Nahrung finden.
Und dennoch sind sie nicht die einzigen Siedler in dieser Wasserwüste. Es gibt auch Menschen, die diese Heimat nennen. In meilenweiten Abständen stößt man auf eine dürftige Strohhütte, in der ein Nubier mit seiner Familie sein armseliges Leben verbringt. Eine kleine, mit fruchtbarem Schlamme ausgefüllte Bucht zwischen den Felsenwänden des Ufers, vielleicht sogar nur ein letzteren angeklebtes Schlammbeet bildet das kärgliche Besitztum, das er bewirtschaftet. Im ersteren Falle ist er ein Reicher, verglichen mit dem Armen, der nur über ein derartiges Beet verfügt. Mit Lebensgefahr schwimmt dieser zu den vom Gebirge unerreichbaren Uferstellen, an denen der fallende Strom Schlamm absetzte, und besamt die eben wasserfrei gewordene Schicht mit Bohnen; einige Tage später, nachdem der Strom inzwischen gesunken ist, wiederholt er seinen Besuch und die Aussaat, und so fährt er fort, solange die Flut fällt. Daher sieht man auf solchem, mit der Stromsenke sich verbreiternden Felde Bohnen in allen Zuständen ihres Wachstums, und der genügsame Landwirt ist gleichzeitig mit Aussaat und Ernte beschäftigt. Unter den allerungünstigsten Umständen gestattet eine mit Nilschlamm ausgefüllte Bucht die Anlage eines Schöpfrades zur Bewässerung eines kleinen Feldes, und dessen glücklicher Besitzer kann dann eine Kuh halten. Solche Stellen aber sind seltene Oasen in dieser grausigen Wüste.
Der stromaufwärts segelnde Schiffer begrüßt jeden Strauch mit ersichtlicher Freude, ein Bohnenfeld mit Jubel, ein Schöpfrad mit Dank gegen den Allbarmherzigen. Denn nicht nur die Furcht kann sein mutiges Herz kennen lernen in diesem Felsentale, sondern auch bitterer Mangel ihm Heimsuchung bringen, ja sogar die Gefahr zu verhungern ihm drohen, sofern er sich nicht für Monate mit Nahrung versorgte. Stromabwärts fliegt das glücklich gesteuerte Boot durch dieses Land der Öde und Armut, stromaufwärts segelnd liegt es oft tagelang fest, und der auf günstigen Wind harrende Schiffer kann Meilen durchwandern, ohne auf Menschen und Felder zu stoßen.
An seiner südlichen Grenze geht das Felsental fast unvermittelt in den fruchtbarsten Landstrich Mittelnubiens über. Ein von zwei Wüsten eingeschlossenes schmales Seebecken mit mehreren großen Inseln inmitten des Stromes nimmt den Wanderer auf. Zwar zeigt es noch immer nicht allen Reichtum der Tropen, bekundet aber doch deren Frische in einzelnen Pflanzen und Tieren. Palmenwälder, in denen die köstlichsten Datteln der Erde reifen, begrenzen die liebliche Oase, in der die Arbeit des Ackerbauers durch reiche Ernten belohnt wird. Christusdornen und Mimosen lassen erkennen, daß man den Wendekreis überschritten hat. Dem Honigsauger gesellen sich andere Vögel des inneren Afrika. Im ersten Durrafelde, das man schärfer ins Auge faßt, erfreut man sich an dem farbenschönen Feuerweber, der von Zeit zu Zeit, einem leuchtenden Flämmchen vergleichbar, auf der Spitze eines Fruchtkolbens erscheint, um von solchem Hochsitze aus sein schwirrendes, spinnendes Liedchen zu singen. In Spalten und Ritzen der Lehmhütten haben sich Blutfinken angesiedelt, in den Gärten um die Häuser Kaptauben seßhaft gemacht, auf den Sandbänken im Strome Scherenschnäbel ihre Nistmulden gegraben, Nachtseeschwalben absonderlicher Art, die erst mit Beginn der Dämmerung zur Jagd ausziehen, das heißt dicht über dem Wasserspiegel mit tiefgesenktem Schnabel die Wellen durchpflügen, um kleine, in den obersten Schichten schwimmende Beutetiere aufzunehmen.
Allein auch dieses anmutige Stück Erde ist eng umgrenzt. Schon unterhalb der Trümmer des Tempels von Barkal tritt das noch immer unfruchtbare Gebirge abermals an den Strom heran und verdrängt ebenso das Fruchtland wie die Wüste. Die letzte Stromschnellengruppe liegt vor dem Reisenden.
So unsäglich arm wie das Felsental ist das Gebiet der dritten Stromschnelle nicht; gut bebaute, wenn auch schmale Feldstreifen zu beiden Seiten und kleine fruchtbare Inseln inmitten des Stromes verscheuchen den Eindruck trostlosen Mangels. Die Felsmassen der Ufer sind zerklüfteter als jene des Felsentals und reich an sogenannten Steinmeeren, jenen wirr übereinander getürmten Wellen aus Blöcken und Rollsteinen, wie sie gewaltige Ströme zurücklassen, wenn sie ihr Bett tiefer eingraben in das von ihnen ausgewaschene Tal. Zu beiden Seiten des Stromes sieht man Blöcke von mehr als hundert Kubikmeter Inhalt, die so lose auf unverhältnismäßig kleiner Unterlage ruhen, daß sie bei heftigem Winde schwanken und mit Hebeln durch die Kraft weniger Menschen abgewälzt werden können. An vielen Stellen sind diese Steinmeere so wundersam zusammengesetzt, als habe die müßige Laune riesiger Kobolde gewaltet, um alle die Kegel und Pyramiden, Wälle und Mauern zu türmen, die die Uferberge krönen.
Mehr aber noch als diese Strombauten verleihen alte Bauwerke von Menschenhand der dritten Stromschnellengruppe ihr Gepräge. Auf allen geeigneten Felsvorsprüngen der Ufer, besonders aber auf größeren Felseninseln, erheben sich Gebäude mit Umfassungsmauern, Türmen und zackigen Zinnen, wie sie im Niltal sonst nicht bemerkt werden. Es sind Festungswerke früherer Tage, Burgen gewesener Häuptlinge der Anwohner des Stromes, errichtet zu Schutz und Trutz, um Leben und Habe vor feindlichen Nachbarstämmen zu sichern. Roh übereinander geschichtete, mit Nilschlamm vermörtelte Steine bilden die Grundmauern und Wälle, dicke, jetzt größtenteils verfallene Wände aus Schlammziegeln den Oberbau der Burgen, die weniger durch ihre Bauart, als durch die Kühnheit der Anlage fesseln. Aus der Mitte des rauschenden Stromes zum Beispiel steigt ein nackter, tiefschwarzer Felsen auf, dessen Gipfel solche Feste trägt. Wild umbrausen die Wogen seinen Fuß, aber unerschütterlich widersteht er dem Schwalle, und sicher trägt er das ihm anvertraute Schutzhaus des Menschen. An seiner stromabwärts liegenden Seite hat er die Wellen beruhigt und dadurch neuen Schmuck gewonnen. In dem stillen Wasser lagerten sich fruchtbare Schlammschichten ab, und eine Insel entstieg allmählich den Fluten. Der Mensch bemächtigte sich des fruchtbaren Eilandes, pflanzte die Palme, legte Felder an und schuf so auf und hinter dem Felsen ein freundliches Bild der Wohnlichkeit, das gerade durch seinen Gegensatz zu der umgebenden Wasser- und Felsenwüste ergreifend wirkt.
An der südlichen Grenze der dritten Stromschnellengruppe beginnen die Steppen und Waldungen der Wendekreisländer Afrikas, in denen nur hier und da Felsen an den Strom und seine größeren Zuflüsse herantreten, über hundert Meilen weit durchfließen Abjad und Asrak, der Weiße und Blaue Nil, fruchtbares, fast ebenes Land; dann erst finden sich wiederum einige Stromschnellen. Sie aber gehören nicht mehr zu dem Bilde, das ich im Umriß zu zeichnen versuchte. Nubien allein ist das Land der Nilkatarakte.
Es mag dahingestellt bleiben, inwieweit der Nubier durch seine Heimat zu dem gemacht wurde, was er ist, so viel aber ist sicher, daß er sich von dem heutigen Ägypter, seinem Nachbarn, ebenso bestimmt unterscheidet, wie seine Heimat von der des Ägypters verschieden ist. Beide haben nichts miteinander gemein, weder Gestalt noch Hautfarbe, weder Abstammung noch Sprache, weder Sitte noch Brauch, kaum den Glauben, obwohl der eine wie der andere heute das Bekenntnis ablegt: Es gibt nur einen Gott, und Mohammed ist sein Prophet.
Die Ägypter von heute sind Mischlinge der alten Ägypter und eingewanderter arabischer Horden aus Yemen und Hedjas, die sich mit den früheren Einwohnern des unteren Niltales verquickten, die Nubier Abkömmlinge der »wilden Blemyer«, mit denen die Pharaonen des alten, mittleren und neuen Reiches sowie die ägyptischen Herrscher der Ptolemäer keineswegs immer siegreich kämpften. Jene reden die Sprache, in der Mohammeds »Offenbarungen« geschrieben wurden, diese eine Mundart des Altäthiopischen: jene pflegen uraltes Schrifttum, diese haben wohl nie eins gehabt, das in ihrer eigenen Sprache wurzelte. Jene bekunden noch heute den Ernst der alten Ägypter wie der Söhne der Wüste, von denen sie entstammen, sorgen sich mit der allen Morgenländern innewohnenden Angst um das Jenseits und regeln darnach ihre Sitten und Gebräuche, diese haben sich die heitere Lebensfreudigkeit der Äthiopier bewahrt und leben wie Kinder in den Tag hinein. Auf beiden lastet gleich schwer das Joch des Fremdherrschers, der Ägypter aber trägt es stöhnend und grollend, der Nubier gleichmütig, ohne zu murren. Jener ist ein verbissener Sklave, dieser ein williger Diener. Jeder Ägypter dünkt sich hoch erhaben über den Nubier, hält sich für edler als dieser, prahlt mit seiner Bildung, obgleich eine solche nur wenigen seines Volkes eigen ist, und sucht den dunkelfarbigen Mann ebenso zu unterdrücken, wie er sich selber widerstandslos der Knechtschaft fügt. Der Nubier erkennt die leibliche Überlegenheit des Ägypters und die geistige Bildung hervorragender Männer des Nachbarvolkes willig an, stellt sich aber selbst mit dem erkauften Neger auf brüderlichen Fuß und ergibt sich scheinbar geduldig in das ihn bedrückende Verhängnis, nachdem er vergeblich versuchte, im Ringen mit der Übermacht Sieger zu sein. Er ist Naturmensch mit jeder Faser, während der Ägypter als trauriges Abbild eines verkommenen Volkes erscheint. Jener hat sich auf dem unergiebigsten Boden der Erde noch immer eine gewisse Freiheit bewahrt, dieser ist auf der reichsten Scholle zum Sklaven geworden, der schwerlich jemals wagen wird, seine Ketten abzuschütteln, obwohl er immer noch ruhmredig von seiner großen Vergangenheit spricht.
Und dennoch hätten die Nubier ebensoviel, wenn nicht mehr Recht, von den Großtaten der Väter zu berichten, wie die heutigen Ägypter. Denn ihre Vorfahren haben nicht nur mit Pharaonen und Römern, sondern auch mit Türken und Arabern, den Herrschern und Beherrschten des neuzeitlichen Ägyptens, wacker gekämpft und sind nur deshalb unterlegen, weil ihnen die Feuerwaffe fehlte. Noch lebten zur Zeit meiner ersten Reise in den Nillanden Augenzeugen jener Kämpfe, aus deren Munde mir diese Kunde wurde, so wie ich sie jetzt erzählen will, um einem mannhaften, vielfach verkannten Volke gerecht zu werden. Die Begebenheiten, um die es sich handelt, fallen in die ersten Jahre des dritten Jahrzehnts des neunzehnten Jahrhunderts.
Nachdem Mohammed Ali, der ebenso tatkräftige wie rücksichtslos grausame Begründer der ägyptischen Herrscherfamilie im Jahre 1811 die von ihm eingeladenen Häupter der Mamelucken treulos niedergemetzelt hatte, schien seine Herrschaft über das untere Nilland gesichert zu sein. Aber noch war der stolze Kriegerstand, dessen Häuptlinge er durch Verrat und Treulosigkeit vernichtet hatte, nicht vollständig unterjocht. Rachebrütend erwählten die Mamelucken neue Führer aus ihrer Mitte und zogen sich nach Nubien zurück, um sich dort wiederum zu sammeln und den tückischen Feind aufs neue zu bekämpfen, mindestens zu bedrohen. Mohammed Ali erkannte die Gefahr und säumte nicht, ihr zu begegnen. Sein Heer folgte den noch zerstreuten Scharen der Mamelucken auf dem Fuße nach. Diese, zu schwach, um offene Feldschlachten zu wagen, mußten sich in Festungen werfen und fielen in ihnen, mit Todesverachtung verzweiflungsvoll kämpfend, bis auf den letzten Mann. Gleichzeitig mit ihnen wurden die Nubier besiegt, und weil sie sich den Siegern fügten, zur Knechtschaft verurteilt.
Einzig und allein der tapfere Stamm der kampfgeübten Scheikier trat im Jahre 1820 den türkisch-ägyptischen Kriegern beim Dorfe Korti gegenüber, ein heldenmütiges Volk mit Lanze, Schwert und Schild den sieggewöhnten, mit Feuerwaffen ausgerüsteten Soldaten. Wie von altersher waren auch die Frauen mit ihren Kindern bei der Schlacht zugegen, um durch gellende Schlachtrufe zum Kampfe anzufeuern, den kämpfenden Vätern ihre emporgehobenen Kinder zu zeigen und sie so zu entflammen. Wohl stritten die Nubier ihrer Väter würdig; wohl drangen sie bis zu den Tod und Verderben in ihre Reihen schleudernden Geschützen vor; wohl hieben sie mit ihren langen Schwertern auf die vermeintlichen Ungeheuer, aber die Ägypter siegten.
Nicht ruhmvolle Tapferkeit, sondern Übermacht der Waffen entschied. Unter schrillem Wehgeschrei der Weiber ergriffen die braunen Männer die Flucht. Die Frauen aber faßte wilde Verzweiflung; rühmlichen Tod schmachvoller Knechtschaft vorziehend, drückten sie ihre Kinder ans Herz und stürzten sich mit ihnen zu Hunderten in den vom Blut ihrer Gatten geröteten Strom. Den Fliehenden wehrten die Wüsten zu beiden Seiten des Stromes, Zufluchtsstätten zu erreichen, so daß ihnen endlich nichts übrig blieb, als ihren stolzen und aufrechten Nacken unter das Joch der Überwinder zu beugen.
Nur einmal noch loderte der alte Heldenmut wieder auf. Einer der Häuptlinge, der gegenwärtig schon von der Sage verherrlichte Melik el Nimmr, zu deutsch der »Pardelkönig«, versammelte sein Volk zu Scheedi in Südnubien, weil ihm die Geißel des grausamen Siegers unerträglich geworden war. Mißtrauisch zog ihm Ismael Pascha, der Sohn des ägyptischen Herrschers und Heerführer seiner Krieger, entgegen, und ehe noch Melik Nimmr seine Rüstungen beendet, erschien er, alle vorhandenen Boote benutzend, vor Scheedi, unerfüllbare Forderungen an Melik Nimmr stellend, um diesen zur willenlosen Unterwürfigkeit zu zwingen. Melik Nimmr erkannte das Verderben und raffte sich zum Handeln auf. Während er Unterwürfigkeit heuchelte, eilten seine Sendboten von Hütte zu Hütte, um den glimmenden Funken der Empörung zur Flamme zu schüren. Durch Vorspiegelungen lockte er Ismael Pascha vom Bodte in seine rings von dichtem Dornenhag umschlossene stroherne Kriegsbehausung, um die riesige Strohhaufen aufgeschichtet worden waren, nach der Versicherung des Pardelkönigs nur deshalb, um das vom Pascha verlangte Kamelfutter zu liefern.
Ein herrliches Fest, wie Ismael nie geschaut, will Melik Nimmr seinem Herrn und Gebieter geben. Deshalb bittet er um die Erlaubnis, auch alle Offiziere des ägyptischen Heeres laden zu dürfen. Heerführer, Stab und Offiziere vereinigt das Gastmahl. Von der dornigen Umzäunung tönt die Tarabuka, die zum Reigen wie zum Kampfe anfeuernde Trommel des Landes. Das junge, festlich gesalbte Volk übt sich im fröhlichen Tanze. Lanzen schwirren durch die Luft und werden bewunderungswürdig sicher von dem gegenüber sich bewegenden Mittänzer aufgefangen; lange Schwerter zweier im Kriegstanz sich drehender Kämpen bedrohen des Gegners Haupt und werden nicht minder geschickt mit Schild und Klinge abgewehrt. Ismael ergötzt sich weidlich an den schönen braunen Jünglingen, den anmutigen Bewegungen ihrer Glieder, der Kühnheit der Angriffe, der Sicherheit der Abwehr. Mehr und mehr verdichtet sich das Gewimmel vor der Festhalle, mehr und mehr Schwerttänzer treten auf, heftiger und ungestümer werden ihre Bewegungen, und gleichmäßig beschleunigt ertönen die Trommeln.
Da plötzlich nimmt die Tarabuka eine andere Weise an; hundertfach, in allen Teile Scheedis klingt sie wider, in den Nachbardörfern hüben und drüben am Nil nicht minder. Gellendes, in den höchsten Tönen der Frauenstimme sich bewegendes Geschrei durchzittert die Luft. Bis auf die Lenden nackte Weiber, Staub und Asche in den fettgetränkten Haaren, Feuerbrände in den Händen, stürzen herbei und schleudern die Brände in die Wandungen der Königshalle wie in die rings sie umlagernden Strohhaufen. Eine ungeheure Flammengarbe lodert zum Himmel, und in die Flammen, aus denen Schreck- und Weheruf, Fluch und Klage erschallen, fliegen zu Tausend die todbringenden Lanzen der Kriegstänzer. Weder Ismael Pascha noch irgend einer seiner Festgenossen entgeht dem qualvollen Tode.
Es ist, als entwüchsen die Streiter des geknechteten Volkes dem Boden. Wer Waffen tragen kann, wendet sich gegen die grausamen Feinde. Weiber treten in die Reihen der Kämpfer, Greise und Knaben ringen mit der Kraft der Männer nach dem einen Ziel. Scheedi und Metamme werden in einer Nacht von allen Feinden befreit; nur wenige von den in fernen Dörfern liegenden Ägyptern entrinnen dem Blutbad und bringen dem zweiten, in Kordofân weilenden Heerführer die grausige Mär.
Dieser, Mohammed-Bei el Defterdar, von den Nubiern »el Djelad«, der Henker, zubenannt, eilt mit der ganzen Macht seines Heeres nach Scheedi, schlägt die Nubier zum zweitenmal und opfert sodann seiner unersättlichen Rache mehr als die Hälfte der damaligen Bewohner des unglücklichen Landes. Dem Pardelkönige gelingt es, nach Abessinien zu entfliehen; seine Untertanen aber müssen sich dem Fremdherrscher beugen, und ihre Kinder »wachsen im Blute ihrer Väter auf«. Seit jenen Unglückstagen sind die Nubier hörige Knechte geblieben.
Gleichwohl wird sie niemand als willenlose, wankelmütige, unverläßliche oder treulose, kurz schlechte Menschen bezeichnen können. Im unteren Nubien, wo der Eingeborene alljährlich mit Hunderten reicher Fremden verkehrt, wird er freilich oft zum unverschämten Bettler, und die Fremde, die er aufsuchen muß, weil sein armes Land ihn nicht nähren kann, trägt auch nicht dazu bei, ihn zu veredeln; im allgemeinen aber darf man ihn mit Recht einen braven Gesellen nennen. Wohl vermißt man an ihm oft die Willenskraft der Väter, keineswegs aber auch deren Mut und Tapferkeit; wohl erscheint er bei weitem sanfter und gutmütiger als der Ägypter, erweist sich jedoch nicht minder verläßlich und ausdauernd als dieser, wenn es sich um schwierige oder gefahrdrohende Unternehmungen handelt. Sein armes Land, an dem er mit ganzer Seele hängt, für das er arbeitet, darbt und spart, da sein einziges Streben dahin geht, die Mannes- und Greisenjahre in ihm zu verleben, legt ihm unablässigen Kampf um das Dasein auf und stählt seine leiblichen und geistigen Kräfte: der tosende Strom, mit dem er nicht minder beharrlich kämpft wie mit dem felsenstarrenden Lande, weckt und erhält in ihm Mut und Selbstvertrauen. Dank diesen Eigenschaften wird der Nubier zum verläßlichen Reisebegleiter, wanderlustigen Kaufmann und vor allem zum unternehmenden Schiffer.
Fast gewinnt es den Anschein, als ob die Eltern ihre Söhne von frühester Jugend an auf alle Dienste, die sie später als Erwachsene leisten, regelrecht vorbereiteten. Wie in Ägypten, so werden auch in Nubien die Kinder des armen Mannes kaum erzogen, höchstens zur Arbeit angehalten, richtiger vielleicht: nach Maßgabe ihrer Kräfte ausgenutzt. So klein der Knabe auch sein mag, einen Dienst muß er leisten, ein Ämtchen verwalten; so schwach das Mädchen, es muß der Mutter helfen. Aber während man in Ägypten den Kindern kaum Erholung gönnt, begünstigt man in Nubien fröhliches Spiel. In Ägypten wird der Knabe zum Knechte und das Mädchen zur Sklavin dieses Knechtes, ohne daß es eine freudige Kindheit durchlebte; in Nubien sind mehr als Halberwachsene oft immer noch Kinder. Daher erscheinen uns jene unnatürlich ernst wie ihre Väter, diese heiter wie ihre Mütter.
Ein allgemein beliebtes Kinderspiel wird jeder Reisende kennenlernen und mit Wohlgefallen beobachten, weil sich hier Gewandtheit und Anmut der Bewegung, Ausdauer und Unternehmungsmut vereinigen; ich meine das in der ganzen Welt gebräuchliche »Haschen« oder »Fliehen und Verfolgen«. Nach geschehener Arbeit vereinigen sich Knaben und Mädchen. Jene lassen das Schöpfrad, dessen Zugochsen sie antreiben mußten, lassen das Feld, in dem sie dem Vater behilflich waren, das junge Kamel, das sie traben lehrten, diese die jüngeren Geschwister, die sie eher schleppten als trugen, den Brotteig, dessen Gärung sie überwachen mußten, den Reibstein, an dem sie ihre jungen Kräfte übten. Und alle eilen zum Ufer des Stromes. Die Knaben gehen nackt, die Mädchen sind nur mit der Troddelschürze bekleidet. Lachend und plaudernd zieht die Gesellschaft dahin; wie dunkle Ameisen wimmelt es im goldgelben Sande, zwischen und auf den Felsen. Bunt durcheinander gemischt ordnen sich die Verfolger, die den Flüchtling zu fangen haben. Letzterer, dem einiger Vorsprung gegönnt wird, gibt das Zeichen zum Beginn der Jagd, und alle heften sich an seine Fersen. Wie eine Gazelle läuft er über die sandige Ebene den nächsten Felsen zu, wie Windhunde jagt die lärmende Rotte hinter ihm drein. Einer Gemse vergleichbar klettert er an den Felsen empor, und nicht minder gewandt strebt die gelenkige Gesellschaft der Spielgenossen nach der Höhe. Wie ein erschreckter Biber stürzt er sich in den Strom, um schwimmend zu entrinnen, aber auch in das nasse Element folgen ihm die beherzten Mitspieler, Knaben wie Mädchen, strampelnd wie schwimmende Hunde, rufend und schreiend, schwatzend und kichernd wie schnatternde Enten. Lange schwankt das Zünglein der Wage, und gar nicht selten geschieht es, daß der breite Nil überschwommen wird, bevor der kühne Vorspieler in die Hände seiner Kameraden fällt. Die Eltern der munteren Schar aber stehen zuschauend am Ufer und freuen sich über die Gewandtheit, den Mut und die Ausdauer ihres Nachwuchses, und auch der Europäer muß gestehen, daß er nirgends lebensfrohere Wesen gesehen hat, als diese schlanken duftigbraunen Kinder.
Aus den in solcher Weise spielenden Knaben werden die Männer, die es wagen, zwischen den Stromschnellen Schiffahrt zu treiben, im Boote über die talab eilenden, hier und da förmlich kochenden und brausenden Wogen zu steuern, die Männer, die zu vielen ihrer Schwimmfahrten nicht einmal des Bootes bedürfen, sondern dreist auf kleinen, aus Durrastengeln zusammengefügten Flößen tagelange Reisen unternehmen. So klar und fest schauen diese nubischen Schiffer und Schwimmer der Gefahr ins Auge, daß ihnen die Wellen des Stromes weder Märchen noch Sagen ins Ohr geflüstert haben. Sie kennen weder Nixen noch andere Wassergeister, weder gute noch böse Genien; ihre Schutzheiligen, deren Hilfe sie vor und während gefährlicher Fahrten zu erflehen pflegen, wehren nur der Macht des Geschickes, nicht aber dem bösen Willen tückischer Geister. Die Sage ist stumm geblieben in den Stromschnellen, im »Bauche der Felsen« wie in den Stürzen und Strudeln.