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Wie wir gesehen haben, beschäftigt sich der vierte Evangelist, der Jesus einfach den Sohn Josephs von Nazareth nennen läßt, nicht im geringsten mit der Markus noch unbekannten, aber von Matthäus und Lukas erzählten jungfräulichen Geburt. Seltsamerweise bringt allerdings der Verfasser des Matthäusevangeliums im Widerspruch zu dem, was er von dem übernatürlichen Ursprung Jesu berichtet, ein langes phantastisches Geschlechtsregister, um die Abstammung Josephs von David zu beweisen.
Aber wie gesagt: Das Johannesevangelium erwähnt das Wunder der jungfräulichen Geburt nicht einmal, leugnet es weder noch bestätigt es. Es existiert nicht für diesen letzten Evangelisten, er braucht es nicht. Für ihn ist der Messias als Mensch der Sohn der Tochter Zions. Wenn er von der Mutter Jesu spricht, denkt er an das Volk Israel, nicht an Maria.
Bei Jesaia (54, 13) steht, um den souveränen Einfluß Jahves auf die Seelen darzutun: »Sie sollen alle von Gott gelehret werden.« Die Stelle wird im Johannesevangelium verwendet. Jesus sagt (Joh. 6,45, 46): »Es steht geschrieben in den Propheten: ›Sie werden alle von Gott gelehret sein. Wer es nun hört vom Vater und lernt es, der kommt zu mir.‹« Hier will der Evangelist eine Scheidelinie zwischen Jesus und Moses ziehen, will zeigen, daß Jesus Moses unendlich überlegen ist. Denn Jesus, das verkörperte Wort, hat Gott gesehen. Was im Alten Testament darüber erzählt wird, daß Moses Gott sah, wird außer Gültigkeit gesetzt. Es heißt hier: »Nicht daß jemand den Vater habe gesehen, außer dem, der vom Vater ist, der hat den Vater gesehen.«
Und doch stand ausdrücklich im 4. Buche Moses 12, 5 ff.: »Da kam der Ewige herab in einer Wolkensäule und stand am Eingang des Zeltes und rief Aaron und Mirjam, und beide traten heraus. Und er sprach: So höret meine Worte! Wenn unter euch ein Prophet des Ewigen ist: in der Erscheinung tu' ich mich ihm kund, im Traumbild red' ich ihm zu! Nicht so mein Diener Moses: in meinem ganzen Haus ist er vertraut. Von Mund zu Mund red' ich mit ihm, in Erscheinung und nicht in Rätseln, Sinnbildlichung des Ewigen schauet er.«
Aber an diesem Punkt reißt der Evangelist die Messiasverehrung von ihrem jüdischen Stamme los. Der irdische Moses wird hier von dem himmlischen Gottessohn verdrängt, der selbst Gott ist: »Ich bin das lebendige Brot, vom Himmel gekommen. Wer von diesem Brot essen wird, der wird leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, welches ich geben werde für das Leben der Welt.«
Wer an Jesus glaubt, sieht also den Vater in ihm oder durch ihn.
Bei Matthäus ist der Sohn der einzige, der den Vater kennt (11, 27), bei Johannes wird ein weiter Schritt darüber hinaus getan: Der Sohn verhandelt mit dem Vater auf gleichem Fuße (Kap. 17): »Vater, die Stunde ist da, daß du deinen Sohn verklärest, auf daß dich dein Sohn auch verkläre, gleichwie du ihm Macht hast gegeben über alles Fleisch, auf daß er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast … Ich habe dich verklärt auf Erden … Und nun verkläre mich du, Vater, bei dir selbst mit der Klarheit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war … Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, daß sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast, denn du hast mich geliebt, ehe denn die Welt gegründet war. Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht, ich aber kenne dich … Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und will ihn kundtun, auf daß die Liebe, damit du mich liebst, sei in ihnen, und ich in ihnen.« Endlich sagt Jesus rein heraus zu Philippus (14, 9): »Wer mich sieht, der sieht den Vater.«