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Im allgemeinen kann man sagen, daß die griechisch-römische Moral sehr hoch über der stand, die die Evangelien Jesus in den Mund legen. Der Grundgedanke der heidnischen Moral, daß die gute Tat ihr eigener Lohn ist, schwebt keinem Evangelisten auch nur einen Augenblick vor. Die Moral in den Evangelien ist eine Belohnungsmoral. Sie lassen den Jesus, den sie darstellen, seinen Getreuen ans Herz legen, sie sollten gute Taten nicht so tun, daß sie sich ihren Lohn im Himmel verscherzten, denn der sei weit wertvoller als der irdische Lohn (Matthäus 6, 1-6, Lukas 14, 12-14). Die Vorstellung von einer Belohnung selbst ist den Evangelisten etwas vollkommen Selbstverständliches, zu einer Moralvorschrift gehören stets Lohn und Strafe, Als sie Petrus die rohe Frage an Jesus richten lassen, was die Apostel dafür erhielten, daß sie alles verlassen haben und ihm gefolgt sind, findet Jesus nichts Sonderbares oder Tadelnswertes an der Frage, sondern antwortet, wenn der Menschensohn auf dem Throne seiner Herrlichkeit sitzen werde, würden auch sie auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten – eine für die Begriffe unserer Zeit nicht gerade verlockende Belohnung.

Steht nun die evangelische Moral nicht auf der Höhe des entwickelteren Rechtsbewußtseins späterer Zeiten, so ist die Intelligenz – wie sie hier in den so nachlässig wiedergegebenen Redebruchstücken zutage tritt – auch nicht von höchstem Range.

Der Ausgangspunkt scheint hier Jesaia zu sein, zuerst 6, 9: »Hören sollt ihr, aber nicht einsehen«, dann 28, 12: »Sie wollten nicht hören.« Diese Worte scheinen die Evangelisten veranlaßt zu haben, Jesus in Gleichnissen reden zu lassen. So ist die Quelle des Gleichnisses vom Sämann eine viel ältere Allegorie, mit welcher die gnostische Sekte der Naassener das Säen der aus Logos, dem Schöpfer der Welt, entspringenden Saat durch Gott erläutern wollte.

So ist die Parabel vom Kaufmann, der all sein Gut gegen eine einzige Perle eintauscht, im Talmud zu finden und läßt sich auf die Sprüche 8, 10 zurückführen: »Weisheit ist besser denn Rubine.« Ein Teil der Parabeln ist tatsächlich der zweihundert Jahre vor unserer Zeitrechnung abgeschlossenen Mischna entliehen und in der Wiedergabe nicht selten stark entstellt.

So lag z. B. die Geschichte eines Königs vor, der seine Diener zu einem Gastmahl einlud, aber nicht die Zeit angab. Einige gingen heim, zogen ihre besten Kleider an und stellten sich an die Tür des Palastes. Andere sagten: Es eilt nicht, der König wird uns schon die Zeit wissen lassen. Aber der König schickte plötzlich nach ihnen, und die Klugen, die in ihren besten Kleidern kamen, wurden wohl empfangen, die Törichten in ihren Alltagskleidern hingegen fortgewiesen. Moral: Halte dich heute bereit, es kann geschehen, daß es morgen schon zu spät ist.

Dies Gleichnis ist gewiß nicht mehr als mittelmäßig, wenn auch viel besser als das entsprechende des Neuen Testaments von den klugen und den törichten Jungfrauen. Was der Evangelist aber Jesus daraus machen läßt, ist kümmerlich und vernunftwidrig: Der König lädt seine Gäste zu einem festlichen Mahle ein (Matthäus 22). Sie erklären unter verschiedenen Vorwänden, nicht kommen zu können, ja – was vollkommen unsinnig ist – verhöhnen die Boten des Königs und erschlagen sie. Da wird der König zornig, schickt – was noch unsinniger ist – seine Heere aus, säbelt die Mörder nieder und legt Feuer an ihre Stadt. Hierauf gebietet der König seinen Dienern, auf die Straßen zu gehen und einzuladen, wen sie wollen, Schlechte und Gute. Das Schloß füllt sich schnell, und der König nimmt nun seine Gäste in Augenschein. Er findet unter ihnen einen, »der hatte kein hochzeitlich Kleid an«, was ihn ja nach den Voraussetzungen unmöglich wundern, geschweige denn erbosen konnte. Nichtsdestoweniger sagt er zu seinen Dienern: »Bindet ihm Hände und Füße und werfet ihn in die Finsternis hinaus! Da wird sein Heulen und Zähneklappern.«

Dieser König ist abnorm, da er erwartet, daß Menschen, die ohne Anzeige von der Straße in den Palast geschleppt werden, bei Strafe des äußersten Verderbens in Festtracht sein sollen. Er sollte sich denken können, daß namentlich die Armen, denen seine Einladung doch vorzugsweise gilt, gar keine Festtracht besitzen.


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