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Seinen klassischen Ausdruck fand dieser Stil erst spät in dem sogenannten Buch des Propheten Daniel, einem Werk, das um das Jahr 165 verfaßt und nicht nur das unmittelbare Vorbild der Apokalypse, sondern das Werk ist, in dem man die werdende Messiasgestalt aus dem alten jüdischen Vorstellungskreis hervorwachsen sieht.
Man fühlt bei Daniel, daß die Zeit fern ist, da die Propheten ihre Visionen unter freiem Himmel vortrugen. Sein Werk ist auf Lesen berechnet und auf Leser, die sich Zeit zum Grübeln lassen. Der Stil ist ein Rebusstil. Hier findet man in der am Schluß des Buches entfalteten Philosophie der ersten Geschichte schon die erstaunlichen Ingredienzen, die in der Offenbarung des Johannes Einlaß finden. Hier ist es das Horn, das spricht, das Horn, das Augen hat. Hier ist der prinzipielle Gegensatz zu dem hellenischen Sinn für die Form des menschlichen Körpers, ein Mangel an Plastik, der den verletzt, dessen Freude an der Darstellung auf dieser Formkunst der Darstellung beruht. An ihre Stelle ist hier die Mystik getreten, und alle Naturformen vermischen sich in dem mystischen Wirrwarr, dem wir wieder in der Apokalypse begegnen.
Daniel sah vier große Tiere aus dem Meere steigen, das erste war wie ein Löwe, der Flügel wie ein Adler hatte. Er sah, wie ihm die Flügel abgerissen wurden, es wurde aufgerichtet, auf die Füße gestellt wie ein Mensch und erhielt ein Menschenherz. Hierauf ein zweites Tier, wie ein Bär, das drei Rippen zwischen den Zähnen hatte, und zu dem gesagt wurde: Friß viel Fleisch! Dann ein drittes Tier, ein Pardel, der vier Flügel auf dem Rücken und vier Köpfe hatte. Endlich ein viertes Tier, entsetzlich, mit großen Eisenzähnen, das fraß und das Übriggebliebene mit den Füßen zertrat, es hatte zehn Hörner. Und ein anderes kleines Horn schoß zwischen vieren empor, und drei Hörner wurden hochgerückt, um diesem Platz zu machen, und es waren Menschenaugen auf diesem Horn und ein Mund, der große Dinge sprach.
So geht es immer weiter in diesem Stil, der die Begeisterung jener Zeit erweckte und so durchschlug, daß 235 Jahre später die Apokalypse dort fortfährt, wo Daniel die Feder niederlegte.
Es ist nicht schwer gewesen, die Entstehungszeit vom Buche Daniel festzustellen, da man sich durch die Allegorien genau vergewissern kann, was der Verfasser erlebt hat und was er nicht weiß. Er schreibt unter der griechischen Herrschaft und weiß Bescheid über die letzten anderthalb Jahrhunderte seit Antiochus dem Großen. Im übrigen nimmt er bekanntlich nicht die geringste Rücksicht auf Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit; sein Nebukadnezar frißt sieben Jahre lang Gras auf dem Felde und wird dann als König wieder eingesetzt in seinem Staat, der so lange auf ihn gewartet hat.
Das Merkwürdige und Entscheidende ist, daß bei Daniel die Auflösung des strengen israelitischen Monotheismus beginnt, die im Christentum fortgesetzt wird. Es wird hier nicht gerade der Messias bei Namen genannt, statt dessen wird jedoch der seltsame Ausdruck Menschensohn gebraucht zur Bezeichnung für den Stifter des »heiligen Königtums«, das in Jerusalem errichtet werden soll, wenn Judas Makkabäus und seine Mannen das Reich der Seleukiden zertrümmert haben. Dann tritt nämlich der endliche Zustand der Welt ein, der, in welchem die Gerechtigkeit herrscht. Wir warten noch darauf.
Schon bei Ezechiel (9, 2) wird ein Mann erwähnt, der in Linnen gekleidet ist. Hier erscheint wieder als Hauptgestalt (Daniel 10, 5 ff.) ein Mann, in Linnen gekleidet, die Lenden mit Gold umgürtet. Und sein Leib ist wie Chrysolith, sein Aussehen wie der Blitz, und seine Augen wie Feuerfackeln, und seine Arme und seine Füße wie der Schein geglätteten Erzes, und der Schall seiner Worte wie der Schall eines Getümmels – alles dies, das Wort für Wort in die Offenbarung des Johannes 1, 13, 14 übertragen ist.
Die Entstehungszeit der Apokalypse läßt sich mit nicht geringerer Sicherheit bestimmen als die des Buches Daniel. Das Buch ist zweifellos entstanden zwischen dem Todestage Neros, dem 9. Juni 68, und dem 10. August 70, dem Tage, an dem die Römer den Tempel in Jerusalem, das der Verfasser noch verschont zu sehen hofft, zerstören. Aber es ist möglich, der Entstehungszeit noch näher zu kommen, denn das Buch muß geschrieben sein, ehe die Nachricht von der Ermordung Galbas, die am 15. Januar 69 stattfand, Patmos erreichte, da der 6. Kaiser, von dem es (17, 10) heißt, daß er ist, kein anderer als eben Galba sein kann.