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Ein naheliegendes Verfahren, um das Historische herauszufinden, wäre, daß man nacheinander alles, was unmöglich historisch sein kann, abzieht, und dann sieht, was übrig bleibt. Es dürfte einem dann gehen wie Peer Gynt, wenn er die Zwiebel schält und Lage auf Lage abwickelt. Er findet eine »unbändige Menge Lagen«, hofft, daß der Kern doch schließlich zutage kommen soll und entdeckt dann zu seinem Unbehagen, daß bis ins Innerste nichts als Lagen sind.

In seiner berühmten Novelle Der Prokurator von Judäa meinte Anatole France sich seinerzeit als weitestgehender Zweifler zu erweisen, wenn er (in den neunziger Jahren) Pontius Pilatus den Tod Jesu vollständig vergessen ließ. France war der Gedanke noch fremd, der später von seinem jungen Arzte und Freunde Paul Louis Couchoud aufgegriffen werden sollte, daß nämlich die Geschichte von Jesus selbst eine Sage, und kein einziger Zug zu finden sei, der die Gestalt als historisch bezeichne.

Das Matthäusevangelium, das das Neue Testament eröffnet, wird mit einem völlig unmöglichen Stammbaum Josephs, des Verlobten Marias, eingeleitet. Es ist darauf abgesehen, seine Herkunft von König David herzuleiten. Die Sage ist an sich sinnlos, da gleich darauf – von anderer Hand natürlich – behauptet wird, daß Joseph nicht der Vater Jesu war, wodurch seine Abstammung ganz gleichgültig wird. Aber der Stammbaum selbst ist barock. An einer Stelle liegt, soweit man sehen kann, ein Zeitraum von ungefähr 300 Jahren zwischen Vater und Sohn. Hier umfaßt das Geschlechtsregister 26, bei Lukas 41 Glieder. Der 16. Vers lautet verschieden in den ältesten Handschriften und in dem gedruckten Neuen Testament, wo zu dem Worte Jesus hinzugefügt ist »der Christus genannt wird«.

Da es Jesus und nicht Joseph war, der von David abstammen sollte, und da Jesus gar nicht von Joseph abstammt, ist die ganze Stammtafel gleichgültig.

Im nächsten Kapitel folgt dann das schöne Märchen von den weisen Magikern, die später in die heiligen drei Könige verwandelt werden. Diese Magiker kamen »zur Zeit des Königs Herodes« als Jesus in Bethlehem in Judäa geboren war (obwohl Herodes vier Jahre vor unserer Zeitrechnung gestorben war), von Anatolien, das mit Morgenland übersetzt ist, nach Jerusalem und sagten: »Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.« Dann folgt, wie bekannt, das Ausforschen der Magiker durch Herodes, seine lügnerische Behauptung, daß er selbst das Kind anbeten wolle, die Erzählung von dem Stern, der über Josephs Haus stehen bleibt, und wie die Weisen dem Kinde Gold, Räucherwerk und Myrrhen opfern.

Das Märchen ist sehr schön, aber eine Widerlegung seiner historischen Zuverlässigkeit dürfte sich wohl erübrigen.


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