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Mit der Taufe Jesu durch Johannes bewegt sich die Erzählung wiederum auf dem schwankenden Boden der Sage oder Mythe. Der Geist Gottes fährt als Taube hernieder, dieser Geist Gottes, der ursprünglich weiblich, eine Art Muttergottes war, wie Kybele die Mutter des Attis, und die Stimme vom Himmel spricht: »Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.« Man kann die Sage mehr oder weniger ergreifend finden. Als geschichtliche Tatsache kann sie aber doch unmöglich aufgefaßt werden.
Und jetzt wird Jesus von dem Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden, einem Wesen, das eingeführt wird, ohne dem Leser vorgestellt worden zu sein. Es scheint aus Indien zu stammen, wo er Buddha versucht hat, tritt aber in der Erzählung unter der Voraussetzung auf, daß der Leser weiß, wer er ist, worin der Evangelist sich irrt. Alles, was ein Leser des Lukas von ihm weiß, ist, was Jesus sagt (10, 18): »Ich sah wohl den Satanas vom Himmel fallen als einen Blitz.« Das schafft aber keine Aufklärung.
Daß es ein außerordentlich dummer Teufel gewesen, ist über jeden Zweifel erhaben. Der ihm gegenüber steht, ist der Voraussetzung nach der geliebte Sohn des Allmächtigen, und den will er mit Märchenverlockungen der kindischsten Art versuchen. Er ist so dumm, daß er nicht einmal seine Abweisung voraussieht.
Bezeichnend ist, daß der Teufel sich erst einstellt, als Jesus vierzig Tage und Nächte gefastet hat, so daß er mächtig hungrig ist.
Die Zahl vierzig und die Wörter Wüste und Fasten gehören im israelitischen Altertum unverbrüchlich zusammen. Auf dem Sinai bleibt Moses 40 Tage und Nächte, ißt solange kein Brot und trinkt kein Wasser (2. Buch Moses 24, 18 und 34, 28). Elias geht 40 Tage und Nächte bis zum Berge Gottes, dem Horeb (1. Könige 19, 8), und fastet die ganze Zeit.
Als Jesus seine 40 Tage und Nächte gefastet hatte, verließ ihn der Teufel, und als der gegangen war, kamen die Engel und dienten Jesus. Das hatte er wohl nach einer so schweren Prüfung verdient. Daß aber in diesen Vorfällen etwas Historisches stecken sollte, erscheint nur wenig glaubhaft.
Man wird überhaupt beachtet haben, daß das Geschichtliche die Evangelisten durchaus nicht interessiert. Die chronologische Reihenfolge ist ihnen gleichgültig, und das wenige Geschichtliche, das angeführt wird, ist in der Regel falsch. So wird erzählt (Lukas 2, 2), daß bei Jesu Geburt, als Kyrenios (Publius Sulpicius Quirinius) Landpfleger von Syrien war, im Römischen Reich eine Volkszählung abgehalten wurde, aber dann müßte Jesus sieben Jahre nach Christi Geburt zur Welt gekommen sein, was nicht gerade wahrscheinlich klingt. Bei Lukas steht ferner (3, 2), daß der Befehl Gottes, als Verkünder aufzutreten, Johannes erreichte, als Lysanias Vierfürst zu Abilene war; aber Lysanias war zu dem Zeitpunkt, da Jesus geboren sein soll, schon 34 Jahre tot.
Der Umstand, daß die Topographie ebenso unbestimmt wie die Chronologie ist, verrät, wie gering die wirkliche Kenntnis der Evangelisten von den Ortsverhältnissen war. Ihre geographischen Vorstellungen beschränken sich auf einige wenige Namen: Galiläa, Peräa, Judäa, »das Meer« in Galiläa. Nachdem der Teufel Jesus verlassen hat, sucht dieser Zuflucht in Galiläa, und als er am »Galiläischen Meere« wandert, erfolgt die Berufung der Jünger, zweier Brüderpaare, die Fischer sind, aber sofort ihre Beschäftigung verlassen und ihm folgen. Die Stelle scheint der nachgeahmt, wo Elias (1. Könige 19, 19) Elisa ruft. Nur daß dieser mit Ochsen pflügt, während jene Fische fangen. Elisa verläßt sofort die Ochsen, läuft Elias nach, opfert von seinen Ochsen, folgt Elias und dient ihm.