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Beneidete Frauen gab es mehr als eine in der neuen Pariser »Gesellschaft«; in der vordersten Reihe Derjenigen aber, welche Aller Blicke auf sich zogen, stand Delphine. Nach dem Urtheile der Welt war sie vollkommen glücklich, überreich überhäuft mit allem, was hienieden als begehrens- und erstrebenswerth erscheint. Die Frauen, welche in Rücksicht auf dasjenige, was das Glück des Weibes ausmacht, sachverständig sind, hielten Delphinens Glück für voll und abgeschlossen: die Coquetten legten dabei hauptsächlich Gewicht auf die lange Jugendblüthe der Beneideten, auf ihre nicht welkende Schönheit, welche durch Kunst und Toilette noch erhöht wurde; die Ehrgeizigen fanden sie, dank den Verdiensten ihres Gatten, sehr hoch gestellt; die Geizigen sahen scheel auf ihre Reichthümer; die Sentimentalen beneideten sie wegen der beständigen stichhaltigen Liebe, so sie eingeflößt hatte. Ihr Glück wuchs von Jahr zu Jahr. Der General war bisher allen Wechselfällen der Schlachtfelder glücklich entgangen; er kehrte von denselben stets reicher an Ehren und Würden an den Familienherd heim. Die beiden Kinder wuchsen kräftig heran und zeichneten sich vor ihren Altersgenossen aus, der Sohn durch seinen hellen Kopf, die Tochter durch ihre Schönheit, das Erbstück der Mutter. Auch der letzte, heiße Wunsch Delphinens blieb nicht unerfüllt: Marcel wurde zum Reichsgrafen ernannt, und so fand Delphine, nach all den Wechselfällen, am Hofe der Kaiserin Marie Louise sich wieder in den Rang eingesetzt, welchen sie früher vermöge ihrer Geburt besessen hatte.
Sie war glücklich, indem sie alles genoß: den Reichthum, den Luxus, den Ruhm ihres Gatten, die Liebe, welche sie gab und nahm, die Freuden der Welt und die Freuden des häuslichen Herdes; sie war so tief in den Strudel des Glückes hineingerissen, daß sie den Marquis und Charlotte, die ihr so ungestüm entrissene, als die erste Erschütterung des Augenblicks vorüber war, bald vergaß. Auch suchte sie geflissentlich diese bitter peinliche Erinnerung zu verwischen, die Erinnerung an den Augenblick, wo sie vor Charlotte erröthet war, wo sie sich zu den Füßen des schwer gekränkten Greises gedemüthigt, wo sie gesehen hatte, wie ihre Tochter, dies engelschöne Mädchen, vom Glorienschein einer Heiligen umflossen, mit Begeisterung dasjenige wählte, was ihrer eigenen schwachen Seele vormals so entsetzlich vorgekommen war, – die Entbehrung, die Begleiterin der Ehre. Geflissentlich, wie gesagt, entfernte sie diese Gedanken, diese Bilder; und wenn dieselben bisweilen ungerufen, inmitten ausgelassenster Lebenslust, vor ihre Seele traten, so schien es, als ob ein ätzender Gallentrank über ihre Lippen flösse, als ob ein vergifteter Dorn in ihr Herz dränge. Dann und wann weinte sie im Geheimen und streckte sehnsüchtig die Arme nach ihrem abwesenden Kinde aus; aber sofort stellte auch die Welt wieder ihre Anforderungen: die Gräfin mußte sich ankleiden für ein Diner, für eine Fête; die Gräfin mußte zum Cirkel der Kaiserin; die Gräfin mußte Hektor und Flavia zu einem Kinderballe begleiten, – und unter dem Flügelrauschen des Vergnügens verstummten die ernsten Gedanken, die traurigen Erinnerungen, die heilsamen Mahnstimmen des strafenden Gewissens.
In gleichem Maße, wie die Jahre vergingen, erloschen die Namen Gottes, Adrian's von Neuville und Charlottens im Gedächtnisse und Herzen der Reichsgräfin.
Aber
»Glück und Glas,
Wie leicht bricht das!«
Das Jahr 1813 wurde auch für Delphine verhängnißvoll. Bei Lützen endete die Ruhmes- und Glücksbahn des Generals. Er wurde in der dort gelieferten Schlacht, am 2. Mai, erschossen. Delphinens Schmerz kannte keine Grenzen, wie ihre Freude im Sonnenschein des Glückes nicht Maß noch Ziel hatte. Sie liebte ihren Gatten aufrichtig; er war in ihren Augen das Ideal des Guten, Schönen und Liebenswürdigen, und Marcel hatte ihre Liebe nicht minder aufrichtig erwidert. Ein Leben, welches so viel versprach, eine lange Zukunft voller Hoffnungen war nun mit Einem Schlage vernichtet. In ihrem namenlosen Schmerze gedachte Delphine des Marquis und sagte zu sich selber: »Er liebte mich, wie ich Marcel liebte, Marcel, den ich in seiner letzten Stunde nicht wiedergesehen habe, den ich niemals wiedersehen werde!«
Den Leidenskelch, welchen damals so viele Frauen und Mütter zu leeren hatten, trank sie in langen Zügen. Der Tod eines geliebten Wesens, das auf fernem Schlachtfelde verblutet, gibt ja der Phantasie und dem Herzen einen so weiten, schauerigen Spielraum! …Wie war er gestorben? Hatte Rosseshuf den Besiegten zertreten? hatte eine Kanonenkugel ihn zermalmt? war er allein gefallen, getrennt von den Freunden? war er unter der Leichenlast seiner um und über ihn stürzenden Soldaten erdrückt worden? hatte er vielleicht, tödlich verwundet, lange Stunden hülflos dagelegen und war vor Durst gestorben, oder wie Beaumanoir, nachdem er den Durst im eigenen Blute gestillt, von Fieberhitze verzehrt, umsonst verlangend nach der Heimath, nach der Mutter, der Gattin, – ob wohl auch nach Gott? …
Die Gräfin verweinte manchen Tag in diesen traurigen Gedanken; sie litt schwer: eine Wittwe, eine in ihrem Herzen Vereinsamte war sie in Wahrheit und Wirklichkeit.
Und doch, nach und nach, Schritt für Schritt, tritt die Welt wieder in ihre »Rechte« ein. Das innere Glück war verschwunden, aber der äußere Glanz blieb; Delphine nahm allmälig, aus Rücksicht für ihre Kinder, ihre alten Beziehungen und Gewohnheiten wieder auf. Erst verflossen noch einige Jahre; dann ging sie nicht mehr allein zu den Festlichkeiten, sondern ihre Tochter begleitete sie und war der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit und Huldigung. Die Gräfin, selbst noch liebenswürdig und reich, an der Seite ihrer glänzenden, von dem Mütterschwarm beneideten Tochter, die man zu den besten Partieen von Paris zählte, genoß nun ein Glück der »Nach-Saison«, welches die meisten Wittwen »von Stande« befriedigt haben würde. Aber die »Welt« in den Salons war abermals eine andere geworden. Nach dem Sturze des Revolutionskaisers waren mit den Sprossen der alten Königsfamilie auch die alten Namen wieder zur Geltung gekommen, und die Gräfin empfand mehr als ein Mal ein peinliches Gefühl, wenn sie mit Freunden und Bekannten ihrer eigenen oder der Neuville'schen Familie in den vornehmen Cirkeln zusammentraf. Sie war sehr schweigsam geworden; obwohl sie hoffte, die ersten Seiten ihres Lebensbuches seien im Gedächtnisse der Mitwelt ausgetilgt oder verwischt, wie so viele Blutdocumente, welche die Hand der Revolution geschrieben, so boten die Vergnügungen der großen Welt ihr doch, je älter sie wurde, desto weniger Reiz. Die Theilnahmlosigkeit des reifern Alters verband sich bei ihr mit dem geheimen, unaustilgbaren Kummer über ihr Wittthum. Auch die alte Standeseitelkeit brodelte wieder in ihr auf, und sie bekam nach und nach einen heftigen Widerwillen gegen die Tage des Kaiserreichs, obwohl diese für sie Tage des Glückes gewesen waren. In ihrem mächtiger als je erwachten Ahnenstolze wurde sie angewidert von dem bunten Durcheinander von »Emporkömmlingen« der Klinge und des Talents, welche, ohne große Umstände zu machen, sich über die Antecedentien und die Abstammung kurz hinwegsetzten.
Unter dem Eindrucke dieses Gefühls übeler Laune und langer Weile griff sie mit beiden Händen, wie man zu sagen pflegt, nach einem Heirathsantrage für ihre Tochter. Flavia machte eine glückliche und glänzende Partie; ihr Gemahl, ein junger Gesandtschafts-Secretair, siedelte mit ihr nach Stockholm über. Um dieselbe Zeit wünschte Hektor, welcher von den Pariser Vergnügungen übersättigt war, eine Reise in den Orient zu machen; seine Mutter erlaubte es ihm. Beruhigt in Betreff des Schicksals ihrer Kinder, entschloß Delphine sich sodann, ebenfalls Paris zu verlassen, da ihr der Aufenthalt daselbst nach und nach unerträglich wurde. Sie besaß ein hübsches Landgut in der Touraine, an den Ufern des Indreflusses. Dort gedachte die melancholische Frau, welche sich, da sie alles genossen hatte, über nichts mehr Täuschungen machte, endlich zur Ruhe zu kommen.