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III.
Die Flucht.

Am folgenden Sonntage bestieg der Abbé Lecomtois die Kanzel und hielt die Leichenrede auf seinen Vorgänger. Er versprach, in dessen Fußstapfen einzutreten, und versicherte seinen Zuhörern, daß sie in ihm einen Freund und Vater finden sollten, der sich um all' ihre Freuden und Leiden theilnehmend bekümmern werde. Als die Bauern den neuen Pfarrer sich einmal gründlich angesehen und ihn gehört hatten, vertrösteten sie sich allmälig über den Verlust ihres frühern Caplans mit der schönen Stimme. Der Eifer und die Leutseligkeit Lecomtois' gewannen ihm, wie es schien, binnen wenigen Tagen Aller Herzen.

Indessen gab es doch drei oder vier Unzufriedene zu Baignon, welche den Pfarrer lieber heute als morgen hätten abreisen sehen, weil seine Gegenwart ihren Plänen schwer übersteigliche Hindernisse in den Weg legte. Unter diesen stand der Schulmeister Sylvain obenan. Derselbe war mit Leib und Seele Jacobiner. Er hatte einige Schriften von Voltaire und dessen Anhängern oberflächlich oder halb gelesen und daraus seine »Bildung« geschöpft, die er auch seinen Schulkindern einzutrichtern bemüht war. Der Abbé Lecomtois hielt es für seine Pflicht, den Magister wegen seiner destruktiven und entsittlichenden Lehren ernstlich zur Rede zu stellen und ihn zugleich in der Schule zu überwachen. Sylvain bildete nun ein Complott gegen den neuen Pfarrer; man beschloß, denselben beim Sicherheitsausschuß zu verklagen. Der Beschluß wurde ohne Verzug ausgeführt und verfehlte seine Wirkung nicht. Zwei Tage später erschienen ein Brigadier und vier berittene Gendarmen vor dem Pfarrhause von Baignon mit der Ordre, Herrn Lecomtois zu verhaften.

»Der Grund?« erkundigte sich der Pfarrer.

»Sie haben den Eid auf die Civil-Constitution des Klerus nicht geleistet,« lautete die Antwort.

»Allerdings nicht, und ich werde denselben auch niemals leisten.«

»So folgen Sie uns!«

Sein Brevier und einige Erbauungsbücher unter dem Arm, verließ der Pfarrer inmitten der Gendarmen Baignon; von dem Marquis Abschied zu nehmen, wurde ihm nicht gestattet.

Es war ein klarer, sonniger Tag, an welchem der Pfarrer Lecomtois von seiner Gemeinde schied. Das Schloß Neuville hob sich mit seiner hellgrauen Façade und mit seinen vielen kleinen Fenstern, die das glühende Licht in ihren röthlichen Scheiben sanft brachen und es dann grell zurückwarfen, freundlich auf dem Waldhintergrund ab, in dessen geheimnißvolles Dunkel Milliarden von Sonnenkobolden gaukelnd sich einstahlen und ihre Pfade auf den Baumblättern, Zweigen und Aesten, um sich nicht zu verirren, mit Goldsand bestreuten. Auch der Frühherbst hat seinen Blumenschmuck: Spätrosen, Maßlieb, Heliotropen, Balsaminen, Scabiosen, und wie sie alle heißen, blüheten in buntem Wechsel auf den Beeten des Schloßgartens, der nach verschiedenen Richtungen von, à la mode kurz und alle nach derselben Manier geschorenen Hagebuchhecken durchschnitten war. Durch die dicht verwachsenen Stämmchen der ersten Hecke schimmerten eine Faltenrobe von Rosa-Seide und der weiße Ueberwurf eines kleinen Mädchens hindurch; jugendliche Stimmen tönten hell von dort herüber, und von Zeit zu Zeit fuhr das schallende Lachen eines Kindes wie eine Rakete aus den freundlich nickenden Blumen empor.

Der Marquis stand am Fenster seines Cabinets und betrachtete von dort aus den hübschen Garten, welchen er zur Annehmlichkeit für seine Gattin so sauber angelegt hatte. Mit liebenden Blicken verfolgte er das weiße Kinderkleidchen und die Rosa-Robe; wie jauchzte sein Herz auf beim Klange dieser muntern, süßen Stimmen, die sich in die Luft verloren, – die anrufende Stimme der jungen Mutter und die antwortende des Kindes! Ja, diese lachenden Gestalten hinter den grünen Hagebuchhecken, die Rosenbeete und der kleine murmelnde Wasserfall, sie waren sein Alles!

»Charlottchen, paß auf! du wirfst mir die Gießkanne noch um!«

Bei diesem, etwas lebhaften Rufe seiner Gemahlin seufzte der Marquis auf, als ob er aus einem Traume erwachte. Er verließ das Fenster und nahm von seinem mit Papieren bedeckten Schreibtische einen Brief, den er schon wiederholt durchgesehen hatte und jetzt, mit dem wachsenden Gefühle des Abscheues und der Verachtung, noch ein Mal las. Der Brief kam aus Paris und erzählte, in sehr gemäßigten Ausdrücken – wie die Klugheit, der überall lauernden Revolutions-Spionage gegenüber, sie Jedem gebot – die jüngsten Heldenthaten der Männer mit der rothen, spitzen Freiheits-Mütze. Er erinnerte den Marquis auf's neue daran, daß jenseits der lachenden Oase, in der sein Weib und Kind jetzt spielend und sorglos alles Leid und alle Laster der Erde vergaßen, eine andere Welt liege, eine Wüste, von wüthenden Bestien belebt. Der ehemalige Krieger konnte sich der Furcht nicht entschlagen, daß diese Hagebuchstauden und die alten Schanzen des Schlosses eine schwache Wehr sein möchten wider die Gesellen von der »Marseillaise« und wider das Henkerbeil.

Thürklopfen störte den Marquis aus seinen düstern Betrachtungen auf. Ehe dieser noch die Erlaubniß gegeben, erschien Vincenz im Cabinet, blaß und verstört. »Hab' ich's Ihnen nicht gesagt, Herr Marquis?« begann er. »Der Herr Pfarrer ist verhaftet und vor einer Stunde als Gefangener abgeführt worden, weil er sich geweigert hat, den Eid zu leisten. O bester Herr, auch Sie sind hier nicht mehr sicher. Die bösen Nachrichten aus Paris haben den unruhigen Köpfen unter den Bauern der Umgegend allbereits den Sinn verdreht, und unsern Bauern …ja, den unsern ist auch nicht zu trauen. Niemand hat sich um den Abbé Lecomtois gekümmert; sie haben ihn mit den Gendarmen abziehen lassen, ohne ihm ein Lebewohl oder Gott behüt! zuzurufen.«

Herr von Neuville erbleichte; wenn der sonst so ruhige Verwalter in solcher Aufregung von drohender Gefahr sprach, so mußte man schon auf das Aeußerste gefaßt sein. Doch bezwang er seine Unruhe und horchte gespannt auf die weitern Mittheilungen, die Vincenz ihm zu machen im Begriff war. In etwas ruhigerm Tone fuhr dieser fort: »Die in Paris verübten Greuelthaten bestärken die Bösewichter aller Orten in ihrer Frechheit, um so mehr, da es an einer kräftigen Faust fehlt, sie in Schranken zu halten oder sie niederzuschmettern. Die beschönigenden Erklärungen des Ministers Roland haben das Unheil noch vergrößert+...«

»Es ist ein schwacher, unthätiger Mensch, wenn auch sonst vielleicht nicht der Schlimmste von Allen,« fiel der Marquis tonlos ein. »Während draußen das Morden wüthete, war bei ihm, wie man mir aus Paris schreibt, großes Gastmahl, wo man kaltblütig über das ›große Tagesereigniß‹ – die Priester- und Gefangenen-Metzelei – sprach und sich darum stritt, aus welcher Kasse die ›Arbeiter‹ bezahlt werden sollten!«

»Ich sprach so eben im Dorfe zwei Reisende aus Amiens und Dourier,« nahm Vincenz seinen Bericht wieder auf. »Alle Provinzen sind in Aufruhr, Herr Marquis! Jener abtrünnige Priester Lebon bearbeitet das Land im Norden; im Artois thut der Ex-Procurator André Dumont sein Bestes; von der Normandie bis nach Amiens wird auf die ihrer Pflicht treu bleibenden Priester und auf die unglücklichen Edelherren von den rothen Bluthunden Jagd gemacht. Die Commissare der Executiv-Gewalt durchstreifen hoch zu Roß das Land und lassen sich die ›Verdächtigen‹ bezeichnen, um sie dann in's Cachot zu werfen; wann und ob sie jemals aus diesen finstern Löchern wieder heraus kommen, weiß Gott! Für die Gemeinde-Behörden werden überall Neuwahlen vorgenommen, und da ist nun – denken Sie sich, Herr Marquis! – der große Christoph zum Maire von Dourier gewählt worden!«

»Was weiter?« fragte der Marquis.

»Wie?!« rief Vincenz aus, »ist das noch nicht schlimm genug? Dieser Lump von Christoph ist Ihr erklärter Feind; er entblödet sich nicht, dies frei und offen zu sagen, im ›Club der wahren Patrioten‹ z. B. und in der Kneipe der ›Fédération‹.«

»Aber was um des Himmels willen habe ich ihm denn Böses gethan?«

»Als Sie unlängst verreist waren, Herr Marquis, habe ich ja, um Ihre Rechte zu wahren, einen Proceß angestrengt gegen ihn wegen der Grenzen seines Weidengebüsches; das Urtheil dieses Processes liegt ihm noch im Magen.«

»Aber – ich habe den Proceß freilich gewonnen, jedoch freiwillig alle Kosten desselben bestritten; und erinnere ich mich recht, so hat Christoph sammt seiner Familie allein von unserer Unterstützung gelebt während des rauhen Winters im Jahre 1784.«

»Auch das ärgert ihn, bester Herr! Dies Natterngezücht zerfleischt ja so gern den Busen, der es erwärmte …Weiterhin hat der Müller Bridelances einen Span mit Ihnen, Herr Marquis, weil wir ihm so viele Protokolle wegen seiner unerlaubten Fischerei haben aufsetzen lassen. Endlich kann der Schulmeister Sylvain es Ihnen nicht vergessen, daß Sie ihm den neuen Herrn Pfarrer auf den Hals geschickt haben, – und gerade diesen Punkt beuten sie alle gegen Sie aus, obwohl ihnen die Kirche nicht bloß gleichgültig sondern auch verhaßt ist. Sylvain declamirt den Bauern, im Club und auf der Gasse, und wo er sie findet, von Jean Jacques Rousseau, von ›Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit‹ vor; namentlich bildet die ›Gleichheit‹ sein Thema.«

»Seine Eltern waren so ehrenwerthe Leute!«

»Er gleicht ihnen wenig, fürwahr! …Diese drei erbosten Hornissen brummen wider Sie, mein guter Herr! Die rothe Jacobinermütze auf dem Ohr und die Pike in der Hand, marschiren sie im Dorf herum. Die Gutgesinnten haben nicht die Courage, aufzusprechen, – Jedermann fürchtet und versteckt sich. So machen sie's! …Im Namen der gnädigen Frau und im Namen des Kindes, welches sie unter dem Herzen trägt, bitte ich Sie inständigst, Herr Marquis: entfernen Sie sich schleunig von hier. Glauben Sie mir, es ist die höchste Zeit. Jetzt müssen Sie auswandern; keinen Augenblick haben Sie mehr zu verlieren …O hören Sie auf Ihren alten Diener, den Sie mit dem Namen Ihres Freundes beehren!«

»Und mein Weib und Kind?«

»Herr Marquis, die gnädige Frau kann Sie unmöglich begleiten. Vertrauen Sie mir dieselbe an, ich hafte mit meinem Leben für sie und für Charlotte, und für das zweite Kind, das Gott Ihnen schenken will.«

»Das ist leicht gesagt, Vincenz; aber du weißt selbst, was derartige Bürgschaften in diesen Zeitläuften werth sind. Welchen Plan hast du?«

»Sie brauchen bloß in stiller Zurückgezogenheit zu leben, so wird man sie, hoffe ich, nicht belästigen. Sollte es aber gleichwohl zu Beunruhigungen und Plackereien kommen, so habe ich zuverlässige Freunde. Mein Neffe ist Capitain in der Sambre- und Meuse-Armee. Außerdem – warum soll ich's verschweigen? – rechne ich auf Robespierre; wir haben zusammen im Collège Saint-Vast studirt+...«

»Solche Erinnerungen sind ein schwacher Hort.«

»O Herr Marquis, wenn auch: fürchten Sie nichts! Wir werden sie vertheidigen, werden sie retten. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort als Christ und Biedermann: sobald die Niederkunft erfolgt und die Frau Marquise wieder hergestellt ist, werde ich selber Ihnen sie zuführen, werde mit ihr auswandern.«

»Das ist brav von dir gesprochen, guter Vincenz, und ich weiß deine Treue und Anhänglichkeit zu schätzen. Aber+...«

»Bitte, Herr Marquis, überlegen Sie nicht länger! Reisen Sie ab, ich beschwöre Sie nochmals darum; jede Minute bringt die Gefahr näher.«

»Ich kann sie nicht verlassen!«

»Sie müssen es, gnädiger Herr, wenn Ihnen Ihr eigenes und der Ihrigen Wohlergehen am Herzen liegt. Sie werden sie wiederfinden und nach dem Sturm, der doch nicht ewig dauern kann, desto glücklicher mit ihnen leben.«

Man vernahm in diesem Augenblicke von der Galerie her, welche vor dem Cabinet lag, eilige Schritte. Die Thüre ward aufgerissen, und die Marquise trat, ihr Töchterchen an der Hand, hastig ein. Sie war leichenblaß; die zitternden Kniee vermochten sie nicht mehr zu tragen.

Bestürzt faßte der Marquis sie in die Arme und stützte sie an seiner Schulter.

»Fliehe, Adrian, fliehe!« stieß Delphine ächzend hervor. »O, es ist entsetzlich, was ich gesehen habe!« Sie brach ab, Thränen und Schluchzen erstickten ihre Stimme. Als sie endlich wieder zu Athem kam, hub sie von neuem an: »Ich weiß es ganz bestimmt, Adrian, sie wollen dich tödten! …Ich hatte eben einen Spaziergang bis kurz vor das Dorf gemacht, um die arme alte Monica zu besuchen, da sie krank ist. Aber ich konnte nicht bis zu ihrem Hüttchen kommen; denn die Straße war von einer Bande Bewaffneter besetzt, welche die Marseillaise brüllten, wild durch einander schrieen und tanzten. Oben auf einer Pike trugen sie ein Ding, von dem ich zuerst nicht unterscheiden konnte, was es war. Aber sobald man mich gewahrte, ergriff Einer – es war der Sohn des Müllers Bridelances – die Pike und hielt mir deren Spitze dicht vor's Gesicht und schrie dabei wie ein Teufel: ›Siehst du dies Ochsenherz? Wie heute mit dem, so halten wir morgen mit dem Ochsenherzen deines Marquis Procession. Nieder mit den Aristokraten! An die Laterne!‹ Ich raffte all meine Kraft zusammen und eilte hieher zurück. Adrian+...«

Den Satz zu vollenden, hinderte sie abermals ein Thränenschwall. »Fliehe, Adrian, fliehe!« gellte es hindurch wie der Ruf ertrinkender Schiffbrüchiger durch wild schäumende Sturmwogen. »Du mußt fort, Adrian; dein Leben muß uns erhalten bleiben!«

Vincenz unterstützte Delphinens Bitten auf das nachdruckvollste.

In dem Antlitze des Herrn von Neuville malte sich eine Herzensangst, daß es dem Alten durch Mark und Bein ging. Sein Auge flog abwechselnd von der aus Besorgniß für ihn zu Tode erschöpften und in Thränen aufgelösten Gattin, die an seiner Schulter lehnte, zu dem Kinde hinüber, welches die großen, klugen Augen traurig und fragend auf ihn gerichtet hielt. …Verlassen sollte er sie, diese Beiden, deren Stütze er war, wie der Eichenstamm den duftigen Rosenstock und die zarte Waldrebe stützt, die sich um ihn in einander verschlingen. Die Leichenblässe des Angesichts, die Thränen, das physische Leiden konnten Delphinens Anmuth wohl verhüllen, vermochten dieselbe aber nicht zu verscheuchen. Ihr unschuldig reines Antlitz, welches, à la Dauphine, von langen blonden Locken eingerahmt wurde, zeigte noch die Feinheit und Durchsichtigkeit der Haut, welche man an sechszehnjährigen Mädchen bewundert. Die Marquise war freilich schon einundzwanzig Jahre alt, aber die Milde und Unbefangenheit ihrer Physiognomie ließ sie bedeutend jünger erscheinen; in ihren klaren blauen Augen wie in ihrer schüchternen Haltung und Bewegung prägten sich ihre Ängstlichkeit und Schutzbedürftigkeit aus. Die kleine Charlotte hatte in ihren Zügen eine unverkennbare Aehnlichkeit mit dem Vater. Das kurze schwarze Haar lag wellenförmig um die große freie Stirn; auch die braunen Augen, deren Glanz durch kräftige Wimpern wohlthuend gedämpft wurde, hatte sie mit dem Vater gemein. Charlotte weinte nicht, aber ihr Blick war unsäglich traurig und schien zu fragen, warum Diejenigen, welche sie liebte, und die so glücklich sein könnten, nicht glücklich seien.

Nach einer kleinen Pause nahm Vincenz wieder das Wort. »Herr Marquis, zaudern Sie jetzt nicht mehr,« sagte er. »Durch das Unterholz im Walde können Sie sicher entkommen, wenn Sie nur den dicht bewachsenen Fußwegen folgen, auf denen wir in unserer Jugend so oft zusammen gejagt haben. Etaples ist bald erreicht, und dann sind Sie auch am Meeresstrande. Sie finden daselbst Remy, Ihren alten Lehrer im Segeln, mit seiner Barke; er nährt sich jetzt von der Küstenfahrt und wird Sie nach England übersetzen. Dort sind Sie in Sicherheit; binnen zwei Monaten ist auch die Frau Marquise mit den Kindern bei Ihnen.«

»O zögere nicht länger, Adrian!« drängte Delphine, da der Marquis noch unentschlossen dastand. »Ach, hättest du nur die wilden Gesellen gesehen« …Ein neuer Thränenstrom erstickte ihre Stimme.

Der Marquis stand bewegungslos gleich einer Bildsäule; sein Blick haftete stier auf dem Boden, seine Lippen bewegten sich nicht.

»Wir finden uns ja bald wieder, Adrian!« rief Delphine.

»Die Augenblicke sind gezählt, gnädiger Herr!« drang Vincenz in ihn. »Den letzten Pachtzins habe ich dieser Tage erhoben; alles Gold liegt eingepackt und bereit.«

»So sahest du meine Abreise voraus, bester Freund?« fragte Neuville tonlos.

»Ich war darauf gefaßt, gnädiger Herr, und habe deshalb alles im voraus mit dem braven Remy verabredet, der nöthigenfalls sein Blut für Sie vergießen wird, und mit Ihrem alten Wildmeister Nikolaus, welcher Sie begleiten will.«

Einen letzten Blick warf der Marquis um sich, auf das Cabinet, in welchem er bisher so ruhige Stunden verlebt hatte, auf die alterthümlichen Ahnenbilder, die ihm eine traute Gesellschaft gewesen waren, und endlich auf die theuern Wesen, welche er verlassen sollte. …»Lebt wohl!« flüsterte er dann mit unterdrückter Stimme. »Lebe wohl, mein heiß geliebtes Weib, vergiß mich nicht! Und du, Charlotte, denke recht fleißig an den Vater!«

Er machte ihr ein Kreuz auf die Stirne. Das Kind brach in Thränen aus und warf sich an des Vaters Hals.

Delphine hielt zitternd seine zitternde Hand; sie preßte nochmals mit dem Ausdrucke herzzerreißenden Schreckens die Worte hervor: »O, eile, eile! Wehe, wenn sie dich träfen!«

Vincenz hatte mittlerweile einen runden Hut, einen Oberrock von dunkeler Farbe, zwei Pistolen und das Geld herbeigeholt. Die Umkleidung war schnell geschehen. Bevor der Marquis den Rock zuknöpfte, übergab er seiner Gemahlin ein Kreuz mit Reliquien vom heiligen Ludwig. »Nimm es als Andenken an mich!« sagte er. Vincenz reichte ihm das Portefeuille und die Waffen. Ein letztes von Thränen fast ersticktes Lebewohl – und der Marquis verließ als Flüchtling, nur begleitet von seinem Förster, das alte Stammschloß, welches seit länger als siebenhundert Jahren seinem Geschlechte angehörte. Mehr als die über seinem Haupte schwebende Gefahr, mehr als die drohende Verwüstung der Ahnenburg, mehr als alles Andere beschäftigte in diesem Augenblicke seinen Geist der Gedanke: »Wird diese junge Frau, wenn sie Jahre lang von mir getrennt ist, wird sie noch an mich denken, – wird Delphine mir treu bleiben?«

Niemand löste ihm den peinlichen Zweifel; peinigender als das Exil, begleitete er den Flüchtling in's Weite.


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