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Das war ein grimmiger Winter, der von 1812 auf 1813! Und welch prächtige Sommerschwüle, welch reiche Herbsternte folgten ihm! Hochauf schossen da die Lorbeerbäume im blutgetränkten Deutschland, – unsere Alten wissen davon zu erzählen!
Ja, der Winter war Anno 1813 kalt. Auch der Marquis von Neuville verspürte es. Anfangs Februar bekam er die ersten Husten- und Fieber-Anfälle, die weder der sorgfältigen Pflege seiner Tochter noch der Kunst des Arztes wichen. Eine Woche verging; das Leben und die Kräfte des Greises schienen zu fliehen wie Sand im Sieb. Charlotte versuchte lange Zeit, sich selbst zu täuschen; aber wenn sie des Nachts am Krankenbette ihres Vaters wachte, wenn sie seine blassen, abgezehrten Züge, seine farblosen Lippen, sein mühsames Athemholen beobachtete, so däuchten ihr die Schrecknisse des Scheidens nahe bevorstehend. Ihre Seele war auf das Schlimmste gefaßt und ergab sich in alles; aber welch bittere Pein zerriß ihr das Herz! welch blutige Selbstopferung lag in dem, ängstlich von ihr so oft wiederholten Worte: »Herr, Dein – nicht mein Wille geschehe!«
Als der Marquis aus einem kurzen Schlummer aufwachte, sah er die Augen seiner Tochter auf sich gerichtet, und er verstand in denselben zu lesen. »Mein Kind,« sagte er, ihr die Hand reichend, »es muß so sein! Gott sei gebenedeit, wie im Leben so im Tode!«
Charlotte vermochte nicht zu antworten; sie kniete neben dem Bette nieder und weinte bitterlich.
Der Marquis legte seine zitternde Hand auf ihr gebeugtes Haupt mit den Worten: »Muth, mein Kind! Gott wird meine heißen Segenswünsche für dich erfüllen. Nie hat ein Vater so geliebt, und nie ist einer so geliebt worden! …Ich danke dir, meine Tochter, für all deine Liebe, für deine vielen und großen Opfer: das Leben hast du mir verschönt, du versüßest mir den Tod. Sei jetzt starkmüthig! Gehe zu meinem Freunde Lecomtois …Es wird Zeit für mich+...«
»O Vater!« sagte Charlotte und stockte. Nachdem sie seine Hand geküßt, fuhr sie fort: »O Vater, wenn ich dir meine Verehrung und Liebe habe beweisen können, wenn du mit mir zufrieden bist, o, so vergib auch meiner armen Mutter! segne auch sie!«
Der Marquis stutzte; einen Sturm von Erinnerungen weckte dieser Name in seiner ruhigen Seele auf. Er betrachtete abwechselnd seine Tochter und das Crucifix; tausend Mal hatte er Delphinen als Christ innerlich am Fuße des Tabernakels verziehen, endlich gewann er es über sich, die Vergebung auch laut auszusprechen. »Ich verzeihe ihr von Grund meines Herzens,« sagte er; »ich bete zu Gott für sie, und ich wünsche, daß es ihr hier und jenseits gut gehe …Aber, Charlotte, um Eins bitte ich dich: kehre niemals in jenes Haus, unter das Dach jenes Mannes niemals zurück!«
»Ich schwöre es, Vater! Es wird sich ein anderes Asyl für mich finden.«
Er verstand und gab ein Zeichen der Billigung.
Eine halbe Stunde später saß sein alter Freund, der Pfarrer Lecomtois, an dem Krankenbette. Herr von Neuville beichtete, empfing mit großer Sammlung und Andacht die Oelung und erneuerte, bevor er die h. Communion empfing, bei vollen Kräften sein Glaubensbekenntniß. Mit gefaltenen Händen und gen Himmel gerichteten Augen fügte er hinzu: »Ich vergebe Allen, welche mich beleidigt haben, insonderheit der Frau von Neuville und dem General, dem Neffen meines verblichenen Freundes. Gott der Herr sei ihnen gnädig und barmherzig!«
Darauf empfing er die Wegzehrung der Sterbenden. Er schien so ruhig und glücklich, daß Charlotte selbst ihre Thränen zurückdrängte. Es vergingen einige Stunden, bis der Todeskampf begann; derselbe war leicht und fast heiter, wie die letzten Lebensjahre des Sterbenden. Er erkannte seine Tochter bis zum letzten Augenblick, küßte sein Crucifix und starb in Frieden. Seine letzten Worte waren jene Stelle aus dem Alten Testament, die er immer geliebt hatte: »Ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und daß ich Ihn schauen werde.«
In ihrem unbeschreiblichen Schmerze kostete Charlotte die unbeschreiblichen Tröstungen des Christenthums; sie sah ihren Vater unter der Schaar der Seligen, »die da knieen vor dem Throne des Lammes;« es schien ihr, als ob er, ledig des Erdenelends, des hinfälligen Körpers, der einander widerstreitenden Gedanken, jetzt verklärt sei zu einem sieghaften Helden, der, wie St. Michael, seine Fittige schirmend über sie breite. Sie betete für ihn und rief ihn zugleich um seine Fürbitte an; sie weinte und freute sich im Herrn. Wunderbare Mischung der Gefühle, deren Geheimniß allein das Christenthum kennt!
Hart war der Augenblick der Beerdigung, am härtesten aber war für sie der Augenblick, wo sie allein in die verödete Klause zurückkehrte. Der Pfarrer, welcher ihr gefolgt war, zeigte ihr das Kreuz des heiligen Ludwig und sagte: »Fräulein Charlotte, Ihr Vater wacht über Sie, und der Bräutigam erwartet Sie.«
Zu derselben Zeit, wo dieses Lebenslicht in der einsamen Waldhütte erlosch, begann der Docht des Ruhmes und der Macht eines Mannes zu verglimmen, der hoch auf den Leuchter gestellt war. Die Nemesis blies ihn aus …Unsere Alten wissen davon zu erzählen.