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3. Teil
Bei nordsiamesischen Bergstämmen


Im Dorf der Meau

Wir kehrten in unser Meaudorf am Nam Fa mit dem Gefühl zurück, nun wieder daheim zu sein. Längst schon betrachteten uns die tapferen Bergbewohner als ihre Freunde, und die gemeinsam verlebten Wochen im Urwald hatten uns zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt. Freud und Leid ihrer Herzen trugen sie zu uns ins Lager, voll Vertrauen und Liebe, die uns der Lohn für mühevolle Arbeit waren.

Da dröhnte eines Morgens der tiefe Glockenschlag eines Gongs in den klaren Morgen hinein, der über der taufrischen Erde lag. Friedvoll und drohend zugleich hallten die Schläge von den Bergwänden wieder, ohne Unterlaß, stundenlang. Sie sollten die bösen Geister vom Dorfe fernhalten. Meine Frau und ich erhoben uns fröstelnd von unseren Lagern, schlangen die Kondensmilch und die Polenta aus weißem Bergmais hinunter und eilten zum Hause des Häuptlings. Wir hatten die Gongschläge erwartet und wußten, was sie bedeuteten.

Häuptling Tsin Tsai war tags zuvor zu uns gekommen und hatte geklagt, daß Lü, sein drittältester Sohn, krank sei. »Er hat seine Seele verloren«, sagte Tsin Tsai, »und fühlt sich nun schwach und traurig. Schon zweimal hat der Schamane sich bemüht sie zurückzurufen, doch kam sie nicht wieder. Ich bitte dich, deine Geister zu befragen, ob sie ihm nicht helfen können.« Ich untersuchte Lü und stellte eine Malaria tropica fest; ich versprach, meine Medizingeister anzurufen, riet aber, auch die Hilfe des Schamanen noch einmal in Anspruch zu nehmen. Dann würde Lü sicher wieder gesund werden.

Die Meau glauben, daß die Seele den Menschen im Schlafe verläßt und umherwandert. Kehrt die Seele nicht in den Körper des erwachenden Menschen zurück, so siecht dieser dahin. Denn die Seele ist der Schutzgeist des Menschen, sie wehrt die bösen Geister ab, schützt den Menschen vor Krankheit, und sein Haus und seine Felder vor Mißgeschick. Den toten Menschen verläßt sie erst in dem Augenblick, wenn die Leiche ins Grab gesenkt wird.

Die Seele ist unsterblich; drei Tage und drei Nächte hält sie sich noch in der Nähe des Grabes auf, dann kehrt sie zurück in das Haus des Verstorbenen und weilt dort bis zur Geburt des nächsten Kindes, in dessen Körper sie eingeht, bis sie auch diesen nach dem Tode wieder verläßt. Diese Seele des Häuptlingssohnes Lü mußte nun der Schamane beschwören und zur Rückkehr bewegen.

Der Schamane unseres Meaudorfes am Nam Fa war ein stiller Alter, in dessen durchfurchtem Antlitz sich ein hartes, sorgenvolles Leben widerspiegelte. Als wir in das Haus des Häuptlings traten, stand er schon vor dem Altar und bereitete die Zeremonie vor. Er stellte vier kleine Näpfe mit Tee, vier Schälchen mit Reis und vier Räucherkerzen auf das mit Geisterpapier umrahmte Brett. Es waren die ersten Opfer an den großen Lehrgeist, die diesen auf die Bitten der Menschen aufmerksam machen sollten. Ein mächtiges Meauschwert steckte vor dem Altar in der Erde, eine kleine Fettlampe, eine eiserne Ringrassel, eine Schale mit gerösteten Maiskörnern und Geisterpapier in verschieden ausgestanzten Formen hatte der Hausvater neben den Altar gelegt.

Der Schamane entzündete die Räucherkerzen und warf dann die beiden Hälften eines gespaltenen Hornes mehrere Male auf den Boden. Je nach der Lage der Hornhälften, ob sie mit der Außenseite nach oben oder unten oder übereinander zu liegen kamen, ließ sich feststellen, ob der große Lehrgeist gewillt war, zu kommen und zu helfen. Das Orakel kündete: Er wird erscheinen! Alle Familienmitglieder hatten sich inzwischen im Hause versammelt, der Häuptling trat mit Lü, dem kranken, und Tscha, dem ältesten Sohne an der Seite, vor den Altar, sie knieten nieder, neigten das Haupt bis zur Erde und baten mit gefalteten Händen den Geist um Hilfe. Der Schamane setzte sich auf eine Holzbank vor den Altar und verhüllte sein Antlitz mit einem schwarzen Tuch, damit er den Geist besser sehen könne. Langsam begann er nun Hände und Füße nach dem Rhythmus der Gongschläge zu bewegen. Dabei schlug er mit dem rechten Handrücken auf sein rechtes Knie, mit der Linken, in der er die eiserne Rassel hielt, auf sein linkes. In gleichförmigen Bewegungen wankte der Oberkörper hin und her. Rasselnde Laute, wie »Drrr«, kamen von seinen Lippen, und schon merkte man ihm an, daß er sich in tiefem Trancezustand befand. Die Bewegungen wurden rascher, er stieß halb gesungene, langgezogene Töne hervor. Dann wieder fuhren Zuckungen durch seinen Körper. Ein Aufschrei, ein Ruck – nun war ihm der Geist mitsamt seinen sechs Helfergeistern erschienen. Der Gongschlag verstummte, gespannt lauschten die Umstehenden auf die Kunde des Geistes. Stöhnend vor Anstrengung vollführte der Schamane unaufhörlich seine ruckhaften Bewegungen, begleitet vom Lärm der eisernen Rassel. Keuchend stieß er von Zeit zu Zeit die Botschaft des Geistes aus: »Die Seele des Lü ist über die Wolken entflohen. Ich werde sie rufen.« Dann gab er die Zahl und Art der zu bringenden Opfer an. Eiligst führten die Familienangehörigen die Befehle aus. Der älteste Sohn grub nach dem Geheiß des Geistes ein Loch in den Erdboden des Hauses, legte es mit vier Geisterpapieren aus und stellte einen Stein daneben. Währenddessen holte der Häuptling das zu opfernde Schwein. Seine Töchter halfen ihm, es auf einer Bank festzuhalten, er schnitt die Kehle durch, seine Frau fing in einer Schüssel das herunterrinnende Blut auf. Tsin Tsai tauchte Geisterpapier in das Blut, zündete es neben dem toten Schwein an und sprach dazu: »Nehme teil, du großer Geist, an unserem Opfermahl.« Dann streute er Asche auf alle Blutflecken, die am Boden entstanden waren, und machte mit seinem Schwert hinter dem verbrannten Papier einen Strich auf dem Boden; nur die guten Geister sollten verweilen, die bösen es aber nicht wagen, den Trennungsstrich zu überschreiten.

Lü, der Sohn ohne Seele, stellte sich hinter der Bank des Schamanen auf zwei rechteckige Papiere, die der Häuptling sorgfältig auf den Boden gelegt hatte. In dem Augenblick, da der Geist durch den Mund des Schamanen die Rückkehr der Seele kündete, wurde in dem vorbereiteten Loch das Papier verbrannt, das Loch zugeschüttet und mit dem Stein beschwert, während Tsin Tsai die Worte sprach: »So wie der Stein die Erde festhält, so soll auch die Seele nicht mehr entrinnen.« Sie kehrte durch das Papier, auf dem Lü stand, in dessen Körper zurück. Der Vater verbrannte rings um den Sohn Opferpapier und sprach zu dem Geist: »Veranlasse die Seele des Lü bei ihm zu bleiben, er ist ein guter Sohn, sie wird einen guten Aufenthalt in ihm haben.« Mit dem Schwert über das Haupt seines Sohnes fahrend, und ihn auf diese Weise segnend, sprach er die bedeutungsvollen Worte: »Du stehst nun hier, mein Sohn, und deine Seele ist zurückgekehrt zu dir. Möge sie bei dir bleiben für alle Zeiten deines Lebens.«

Noch war die Zeremonie aber nicht beendet. Immer noch schüttelte sich der Schamane in gleicher Weise; zwei Stunden waren schon vergangen. Einige Hausbewohner, vor allem die Kinder, hatten schon längst das Haus verlassen, nur wir, die Eltern und die drei ältesten Söhne, hockten still neben den glimmenden Stämmen der Feuerstelle. Durch das stille Dunkel des fensterlosen Raumes klang nur das Geräusch der in eindringlicher Regelmäßigkeit geschlagenen Rassel, das Stöhnen des Schamanen, das Zucken seines Körpers. Still brannte die kleine Öllampe, und langsam zog der duftende Rauch der Räucherkerzen in die Höhe. Zwischen den Spalten der Plankenwände zwängten sich Streifen hellen, goldenen Lichtes in das geisterhafte Dunkel des Raumes hinein und fielen auf das schwarze Tuch, das das Antlitz des entrückten Schamanen verhüllte.

Da schrie er plötzlich auf. Vater und Sohn traten hinter seine Bank und hielten sie fest. Der Schamane sprang mit beiden Beinen hinauf, einmal – zweimal, und wurde dabei wie von einer unsichtbaren Gewalt geschüttelt. Es war das Zeichen, daß böse Geister sich unter die guten gemengt hatten. Auch ihnen mußte geopfert werden: Der Häuptling verstreute Maiskörner nach allen Seiten auf den Boden, seine Frau spuckte Wasser aus einer Schale in alle Richtungen. Um die Bösen aber endgültig zu vertreiben, mußte ein Hund geopfert werden. Der Schamane und seine Helfer schritten mit brennenden Holzfackeln in den Händen außen um das Haus herum und warfen von Zeit zu Zeit Schießpulver in die Flammen, die dann hoch aufzischten und die Bösen erschrecken sollten. Zum Schluß schnitt man einem kleinen Hund, der bei dieser Prozession mitgeschleppt wurde, die Kehle durch. Denn die Seele des geopferten Hundes ist der Wächtergeist, der das Haus vor den bösen Geistern behütet.

Plötzlich hielt der Schamane in seinen Bewegungen inne. Ganz zusammengebrochen hockte er still auf der Bank, erholte sich langsam und nahm dann das Tuch vom Gesicht. Wieder warf er die Hörner und fragte das Ordal, ob der Lehrgeist mit den Opfern der Menschen zufrieden sei. Dann fuhr er mit der eisernen Rassel um das Haupt jedes einzelnen Familienmitgliedes. Vater und Söhne aber knieten sich tief zur Erde nieder und dankten dem großen Geist und dem Schamanen.

Geblendet traten wir ins Tageslicht hinaus. Die ruhige, würdevolle und gläubige Art, mit der diese Menschen höhere, übernatürliche Wesen verehrten, die Strenge, mit der sie jahrtausendealtem Kult dienten, hielt uns noch lange gefangen. Lü aber hatte seine Seele wieder, und die Atebrintabletten, die ich ihm gab, sorgten dafür, daß sie ihn nicht mehr verließ und er schon in wenigen Tagen schwerbeladen, doch vergnügt, den Pfad zu den steilen Reisfeldern hinaufklettern konnte.

 

Das Haus von Tua Sen Kun lag am äußersten Dorfrand, ganz in der Nähe unseres Zeltlagers. Tua Sen Kun (Abb. 70) ging nicht auf sein Opiumfeld, ohne uns vorher einen kurzen Besuch abzustatten und das Neueste aus dem Dorfe zu erzählen. Meist hatte er seine Frau bei sich. Sie trug ein Kind am Rücken festgebunden, ein zweites vorne an der Brust und ein drittes unter dem Herzen. So kam sie langsam den steilen Pfad zu uns herauf und brachte immer etwas Eßbares für uns mit.

Eines Tages kam Tua Sen Kun allein. Seine Frau hatte einen Knaben zur Welt gebracht. Es war das achte Kind, doch der Vater verkündete so stolz und voller Freude das Ereignis, als ob sein erster Sohn geboren worden wäre. Der Besuch dauerte diesmal besonders lange, und ich wunderte mich darüber, daß der gute Ehemann nicht nach Hause eilte, um seiner Frau behilflich zu sein. Endlich erhob er sich aus seiner Hockestellung, um aufzubrechen; da rückte er mit dem eigentlichen Grund seines Besuches heraus: Er bat mich, Pate seines neugeborenen Sohnes zu sein. Da uns die Wichtigkeit der Patenschaft im Leben der Meau bereits bekannt war, freuten wir uns über das Vertrauen, das sie uns auf diese Weise bekundeten, und sagten freudig zu.

Drei Tage nach der Geburt fand die Zeremonie der Namensgebung statt. Die Mutter saß, mit dem Neugeborenen am Arm, auf der etwas erhöhten Lagerstätte ihres Hauses. Das nackte Kleine, ein wohlgenährtes, kräftiges Mongolenkind, schrie, schlief und trank ganz wie es sich gehörte. Es hatte eine weiße Haut und war das erste reine Meaukind, das wir sahen.

Wir wendeten uns von dem Elternpaar dem Schamanen zu, der vor der Eingangstür des Hauses stand und mit gefalteten Händen betete. Auf einer Bank vor ihm lagen zwei gekochte Hühner, Hahn und Henne, neben brennenden Räucherkerzen. Wieder warf er die Ordalhörner zu Boden und rief, ins Freie hinausgewendet, die Seelen der Ahnen herbei. Nur wenn diese erscheinen, um das Kind unter ihren Schutz zu nehmen, kann es in die Familie aufgenommen und nach einem verstorbenen Familienmitglied benannt werden.

Dann schnitt er den Hühnern die Köpfe ab und betrachtete sie sorgfältig. Es gilt als ungünstiges Vorzeichen, wenn die Kopfhaut eines der beiden Tiere schwarz ist oder Flecken aufweist. Er riß ihnen die Zungen heraus und verglich die Zungenbeine miteinander. Diese müssen gerade auseinanderlaufen, nicht krumm oder nach rückwärts gebogen sein. Schließlich wurden die Krallen der beiden Opfertiere genau geprüft, denn es ist von übler Vorbedeutung, wenn die erste oder dritte Zehe wegsteht. Fallen zwei dieser drei Ordale ungünstig aus, so ist dies ein Zeichen dafür, daß nur ein Teil der Ahnen auf die Beschwörungen hin erscheinen wird, und dann muß die Zeremonie bis zum Mondwechsel verschoben werden.

Die Zeichen waren günstig. In feierlichen Beschwörungen wurde das neugeborene Kind der großen Zahl der Ahnen vorgestellt und ihrem Schutz empfohlen, und galt somit als in die Familiengemeinschaft aufgenommen.

Während Mädchen Namen mit den verschiedensten Bedeutungen erhalten, wird den Knaben meist der Name eines Ahnen, und nicht der des Paten gegeben. Diesmal aber war außer den Ahnen vor allem ich als Schutzpatron des Knaben ausersehen worden. Langsam erhob sich die Mutter und hielt mir auf einem neugewebten blauen Baumwolltuch das nackte Kindlein entgegen. Während ich die Schnüre, die einen Schutz vor bösen Geistern bedeuten, um die dicken faltigen Ärmchen befestigte, sprach ich langsam mit feierlicher Betonung: »Groß und stark sollst du werden, ein langes Leben möge dir beschieden sein und reiche Ernte deinen Feldern. Der Geist des Himmels und der Erde möge dich beschützen und die bösen Geister von dir abhalten, daß sie dir weder Krankheit, noch Armut noch Unglück bringen. Dein Haus soll dich schützen gegen Sturm und Kälte, und deine Frauen mögen dir Söhne gebären, so zahlreich wie die Steine auf euren Bergen!« Mit diesen Worten schenkte ich dem Knaben einen großen silbernen indochinesischen Piaster. Unser Dolmetsch übersetzte die Rede, und ein zufriedenes Kopfnicken der Eltern zeigte uns an, daß sie mit den Wünschen und der Gabe einverstanden waren.

Dann trat Tua Sen Kun an seinen kleinen zappelnden Sohn heran und sprach: »Hugo, mein Sohn (er sagte eigentlich Ugo, wobei er das U in die Länge zog und die Stimme hob), mögest du groß und stark werden wie dein Pate. Ihm sollst du gehorchen, und, wenn du erwachsen bist, Gastfreundschaft und Hilfe gewähren, so oft er dich darum ersucht. Umgekehrt ist es die Pflicht deines Paten, dich in seinem Hause aufzunehmen, wann immer du zu ihm kommst. Er wird dir Ratgeber, Freund und Vater sein, solange du lebst.«

In stiller Freude lächelten uns alle zu und forderten uns auf, mit ihnen das Festmahl einzunehmen. Ein ganzer Berg von Festkuchen wurde uns aufgetischt. Es waren harte Laibchen aus zerstampftem Reismehl und Wasser, zäh und fürchterlich. Wir konnten sie kaum mit Hilfe des starken Reisschnapses hinunterspülen, der uns im Überfluß kredenzt wurde. Was tut man aber nicht alles, um den Menschen eine Freude zu machen. – Immer wieder aber war es Tsin Tsais Persönlichkeit, die uns in hohem Maße fesselte. Schon oft hatten wir uns auf unseren Fahrten unter den Schutz von Häuptlingen gestellt, schon oft waren wir gebieterischen Männern begegnet, denen bedingungslos gehorcht wurde, oder solchen, die in blinder Machtgier ihr eigenes Volk unterdrückten, von diesem gehaßt und gefürchtet. Oder Männern, die sich voll Würde in ihrer hohen Stellung sonnten, doch in Wahrheit der Spielball ihrer Ratgeber waren. Manche hatten ihrer besonderen Fähigkeiten wegen das Vertrauen aller erworben, andere wieder verdankten ihre Stellung ihrer ungefährlichen Durchschnittlichkeit. Nichts von alledem bei Tsin Tsai.

Welche Fülle von Aufgaben und Pflichten ruhte auf den Schultern dieses Mannes! Ihm oblag die Rechtsprechung, die Ordnung und der Schutz mehrerer Dörfer, und die Sorge um das Wohl seiner Untertanen lag ihm am Herzen.

Frühmorgens schon saß er in seiner Schmiede und hämmerte Lanzen und Messer, Ackergeräte und Schmuck und die schönen Steinschloßgewehre der Meau. Oder er war damit beschäftigt, einen Hahn zu kastrieren; wie ein gelernter Chirurg schnitt er dem Tier den Bauch auf, drückte mit den Fingern die Keimdrüsen ab und nähte behend den Leib wieder zu. Auch als Medizinmann genoß Tsin Tsai großen Ruf, und die kleinen Hörnchen, die um seinen Hals hingen, enthielten eine Menge ebenso geheimer als sicherer Heilmittel. Pünktlich brachte er die Opfer dar, die er als Hausvater und Häuptling den Ahnen schuldig war. Er flocht Körbe, drehte Stricke aus Bambusfasern und Gurten aus Büffelhaut, stellte Schießpulver her und Papier, oder brannte Reisschnaps – immer war er beschäftigt, und nur abends dazu zu bewegen, müßig bei uns zu sitzen und zu erzählen. Wenn er dann, die lange Silberpfeife im Munde, Volksversammlungen aus früheren Zeiten schilderte, als die Meau ihre nördliche Heimat noch nicht verlassen hatten, wenn er Rechtsfälle erklärte und die Texte alter Beschwörungsformeln sprach, wenn er uns die Regeln der Kinderspiele, die wir tagsüber beobachtet hatten, auseinandersetzte oder eine kultische Zeremonie erläuterte – wußte er über alles Bescheid, und anmutige Handbewegungen begleiteten seine Schilderungen, die unvergeßliche Bilder vor unseren Augen erstehen ließen. Gerne erzählte er von seiner Kindheit, seinem Vater, den Wanderungen der Meau, von seiner Jugend und seinen Liebesabenteuern. Ja, ja, er hatte viele Mädchen betört als er jung war, »›Tiger der Mädchen‹ nannte man mich«, sagte er lächelnd und kicherte in sich hinein, daß sein ganzer Körper geschüttelt wurde.

Voll Ruhe und Sicherheit erfüllte er auch seine Pflichten als Familienvater, gab Befehle und Ratschläge, half den Frauen, wenn es nötig war, scherzte mit seinen Kindern und pflegte sie, wenn sie erkrankten. Als ich einmal seinen wohlgeordneten Hausstand bewunderte, sagte er: »Meine Frau und ich hatten ein schweres Leben, als unsere Kinder noch klein waren. Alles mußten wir selber tun, und unsere Arbeitskraft reichte nicht aus, mehr als zwei Felder zu bebauen. Jetzt aber arbeiten meine Söhne für mich, und ich habe ein gutes Leben.« Er besaß nun drei Frauen und an die zwanzig gesunde, kräftige Kinder, darunter sechs verheiratete Töchter, und viele Enkelkinder; wie viele es genau waren, wußte er selber nicht.

Auf den steilen Hängen der Berge reihte sich nun ein Feld an das andere an, und dank der vielen Arbeitskräfte, die nun Tsin Tsai besaß, waren sie frei von Unkraut und Gras, geschützt vor Wildschaden und reich an Ernte.

Viele sonnige Stunden haben wir mit der arbeitsamen Jugend in den kleinen Reisfeldhütten verbracht, in denen man zur Zeit der Ernte wohnt, wenn der Weg vom Dorfe zu den Feldern zu weit und beschwerlich ist. Langsam schritten sie von Ähre zu Ähre und schnitten mit dem kleinen halbmondförmigen Erntemesser einzeln die Halme ab, banden sie sorgfältig zu Büscheln und trugen sie in großen Tragkörben heim. Alles lachte und freute sich, wenn meine Frau ihnen half und sich eifrig bemühte, die Kunst des Reisschneidens zu erlernen. (Abb. 69.)

So oft der Schamane es aber vorschrieb, wurde gefeiert; da mußte alle Arbeit ruhen, und jede Familie hatte durch Opfer für das Wohl ihres Hausgeistes und ihrer Ahnen zu sorgen. Da trugen Mädchen und Burschen ihre schmucken Trachten, spielten Federball oder warfen sich Stoffbälle zu.

Am Neujahrstag, wenn sich die Jugend verschiedener Dörfer gegenseitig besucht, wird dieses Ballspiel mit besonderen Regeln gespielt: Wer den Ball nicht auffängt, muß dem Werfer ein Kleidungsstück abliefern, was bei längerer Spieldauer zu recht heiteren Ergebnissen führt.

Sie spielten auch »Kettenreißen« oder »die Henne und der Tiger«, Ringelreihen und Fangen, und liefen um die Wette. Die Burschen aber tanzten in langsamen Schritten im Kreis umher und spielten wundersame Melodien auf ihren Mundorgeln.

Sie tranken den Mädchen zu, denen, erhitzt wie sie waren, der Reisschnaps köstlich mundete. Die jungen Dinger lachten und waren bald beschwipst, daß sie kaum mehr auf den Beinen stehen konnten. (Abb. 68.)

In dichten Haufen standen die Kinder und sahen zu. An ihnen war von der gelben Hautfarbe der Meau nichts mehr zu sehen, sie waren schwarz oder dunkelbraun, je nachdem, ob sie sich im Ruß der Feuerstelle oder auf der Erde gewälzt hatten. Wirr hingen die ungekämmten Haare über die dicken Mongolengesichter, und die stämmigen kleinen Gestalten steckten in recht spärlicher Kleidung. Vergnügt kauten sie an einem Zuckerrohr oder hielten einen hartgekneteten Reiskuchen frohlockend in den Händen. Das war so nach ihrem Geschmack, aber das Zuckerwerk, das ich ihnen reichte, spuckten sie mit Mienen des Abscheus wieder aus, damit konnte ich diese Kinder nicht beglücken.

Inmitten des freudvollen Lebens aber gab es auch Leid. Bitterlich weinend trafen wir eines Abends die schöne May im Mohnfeld ihres Vaters an. Großer Kummer lag in dem sonst so fröhlichen Gesichtchen. Sie hatte Streit mit ihrem jungen Mann gehabt und war zu ihren Eltern geflüchtet, die sie zur Arbeit dringend brauchten und nun nicht wieder fortlassen wollten. Die Schwiegereltern aber, mit denen May gemeinsam wohnte, waren darüber erbost und wollten das Mädchen zwingen, zu ihrem Mann zurückzukehren. Dem jungen Ehemann aber schien ihre Flucht keinen Eindruck gemacht zu haben, und das kränkte May. Ich sandte Bun Ma zu ihm, um zu erfahren, warum er zu seiner schönen Frau so hartherzig sei. Da sagte der erst 18jährige Ehemann zu Bun Ma: »Das Mädel ist zu stark für mich, wenn wir uns streiten, schlägt sie mich. Du bist groß und stark, du kannst sie prügeln, nimm du sie zur Frau!«

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Abb. 84. Neujahrsfest bei den Lahu (Abb. 84 bis 88). An dem Opferbaum ist der Kopf des Opferschweines aufgehängt. Der Großhäuptling breitet die Gaben für den Geist des neuen Jahres auf kleinen runden Tischchen aus und segnet die Spender

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Abb. 85. Lahufrauen in ihrer silberbenähten Festtracht. Sie sind kaum fünfzehn Jahre alt und schon beide verheiratet

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Abb. 86. Eng aneinander geschmiegt umtanzen die Lahufrauen den Neujahrsbaum. Die Anführerin bläst auf einer Mundorgel

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Abb. 87. Sie erfüllt ihre sakrale Pflicht und gießt das »Wasser des Neuen Jahres« über den Großhäuptling

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Abb. 88. Lahumänner tanzen, während sie auf Mundorgeln spielen. Je mehr man tanzt, um so besser wird es einem im neuen Jahr ergehen

Bei den Meau ist es Sitte, daß die Burschen sehr früh, die Mädchen aber nicht vor dem 22. Lebensjahr heiraten, da man der Meinung ist, daß die Frau nur dann fähig ist, mindestens zehn Geburten gut zu überstehen. So viele Kinder aber wünscht man sich. Ist nun ein junges Mädchen groß, kräftig und klug wie May, so kann es vorkommen, daß ihr junger Ehemann ihr nicht gewachsen ist. Doch schließlich kam es wieder zur Versöhnung, May kehrte sanft wie ein Lämmchen zu ihrem Mann zurück, aber nicht ohne sich die Erlaubnis ausbedungen zu haben, ihren Eltern bei der Arbeit helfen zu dürfen. So waren alle Teile zufrieden.

Weniger leicht war des Schicksals Bürde von den Schultern des alten Schamanen zu nehmen. Sein 25jähriger Sohn war seit vier Jahren vollkommen gelähmt. Seit einem Jahr gab man ihm Opium, damit der Bedauernswürdige sein Leben leichter ertragen könne. Viele Opfer schon hatte der alte Vater den Geistern dargebracht, viele Ordale befragt und alles getan, um die Bösen aus seinem Hause zu verjagen – alles umsonst. Mit verhärmter Miene trug er nun auf seinem alten Rücken seinen Sohn zu uns herauf und bat mich um Hilfe. Es war eine progressive Paralyse, ein hoffnungsloser Fall. So mußte er auch von uns, um die letzte Hoffnung beraubt, wieder fortziehen. Später aber verbrachte der Lahme viele Stunden in unserem Lager, lauschte und sah zu, und lächelte manchmal ein wenig.

Dann war da Tsay, ein armes, tapferes Mutterherz, das drei blühende Söhne binnen wenigen Tagen an Cholera verloren hatte. Immer sprach sie von ihnen und konnte sie nicht vergessen. Ihr Mann war schwerhörig und schon recht alt, sie mußte nun mit ihren beiden erst 7- und 10jährigen Kindern allein alle Arbeit leisten. Nur bei der schweren Feldarbeit halfen ihr Verwandte.

So kam es, daß alle, die Jungen und Alten, die Frohen und Kummervollen, die Meau und wir ernst und traurig wurden, als sich der Tag des Abschieds näherte. Niemals waren wir so ungern fortgezogen.

Nur Nam Soms Gesicht leuchtete plötzlich auf, als er hörte, daß wir in wenigen Tagen die Berge verlassen würden. Unser braver Koch wollte nach Hause, da seine Frau ihr erstes Kind erwartete. Wir erfuhren, daß er in der letzten Zeit oft geweint und geklagt hatte, seine Frau ohne Hilfe lassen zu müssen. Der Reis sei daheim in der Ebene schon reif zur Ernte, und er wäre dort dringend nötig, auch seine Verwandten würden es ihm übelnehmen, wenn er so lange fortbliebe. Trotzdem aber hatte er uns nicht im Stiche lassen wollen, seine Arbeit willig verrichtet und uns gegenüber nichts davon merken lassen, daß Sorgen und Heimweh ihn bedrückten.

Viele Tage war das ganze Meaudorf damit beschäftigt, unsere umfangreichen Sammlungen, die die gesamte materielle Kultur der Meau und Phi Tong Luang enthielten, mit Bananenblättern und festen Tauen zu verpacken. Manche Schätze waren darunter, von denen sich die Meau nur schwer getrennt hatten. Doch mit der blanken Summe an silbernen Piastern, die sie dafür erhalten hatten, würde man nun manches bei dem umherziehenden yünnanesischen Händler, der auch einmal im Jahre am Nam Fa erschien, anschaffen können. Große eiserne Töpfe, rote, blaue und schwarze Turbantücher, Salz und Schwefel, viel Seide und Wolle zum Besticken der Kleider. Und jeder einzelne erträumte still für sich noch dies und jenes …

 

Es war ein kristallklarer Bergmorgen. Zart und milde legte die über den Gipfeln emporsteigende Sonne ihre ersten Strahlen in die Mulde hinein, bis sie schließlich in strahlender Festlichkeit voll und glänzend über dem Dorfe stand. Sonnenaufgang über den Bergen – wie oft daheim erlebt, wie unvergeßlich auch hier!

Alle Meau sind aus den Häusern getreten und stehen in ihren bunten Trachten auf dem großen Platz, um uns Lebewohl zu sagen. Wir sollen ihnen Botschaft senden, wir sollen wiederkommen – und wir versprechen es ihnen und hoffen, daß es uns gegönnt sein möge, diese einsamen Höhen einst wiederzusehen. Still zieht unsere Karawane den ersten Hügel hinauf. Noch einmal blicken wir von oben hinab in das morgenfrische Paradies, das diese Menschen bewohnen dürfen. Sie stehen noch immer unbeweglich an derselben Stelle, blicken zu uns herauf, und winken, winken – bis uns der Wald verschlungen hat.

Drei Meau sind unsere Führer und Wegbereiter. Sie schreiten voran und schwingen kräftig ihre Haumesser, daß Büsche und Bäume rauschend niederstürzen. Trotzdem haben es die Träger schwer, sich mit den großen Lasten durch das Dickicht durchzuzwängen. Über glitschige Baumstämme, die über Abgründe führen, balancieren sie mit ihren nackten Füßen geschickt hinweg, während meine Frau und ich mit unseren genagelten Schuhen immer abzurutschen drohen. Doch sie kommen nur langsam vorwärts, und immer größer wird der Abstand zwischen ihnen und der Vorhut, an die wir uns angeschlossen haben. Auch ein 10jähriger Meaujunge begleitet uns und gebraucht sein Messer wie ein Großer. Während des ganzen Weges singt er vor sich hin, laut und fröhlich schallt seine junge Stimme durch den Wald. Wie alle Meau, mit denen wir wanderten, kann auch er an keiner Gummiliane vorübergehen, ohne sie mit einigen Hieben zu verletzen und sich an dem Hervorquellen des milchigen Saftes zu erfreuen.

Nachdem es bergauf und bergab über einige Hügel gegangen war, erreichen wir einen nur von lichtem Hochwald und vereinzelten Kiefern bestandenen Gipfel, von dem wir weithin die Berge überblicken können, die wir verlassen haben. Bergrücken schieben sich ineinander, Wald grenzt an Wald, und in den schmalen Falten ziehen die Bäche zu Tale. Wir können eine enge Talfurche verfolgen, immer weiter hinauf, bis sie an die Wände dreier Berge stößt: es ist die Quelle des Nam Fa, und, wenn man genau hinsieht, erkennt man eine kleine Rauchwolke über dem Wald – das ist unser Meaudorf. Deutlich sieht man an den Hängen die Felder der Meau, mit ihren verkohlten Baumstämmen und ihrer zerklüfteten Wildheit, in der die Spuren jenes Kampfes liegen, den es gekostet hat, sie dem Urwald abzuringen.

Von hier ab werden die Berge zu unseren Seiten immer niedriger, die Hügel, die wir überklettern, immer sanfter. Wir halten feuchte Nachtrast inmitten eines vermoderten Bambusdickichtes, dann am Rande eines Baches, und kommen immer näher jenen mit lichten Laubwäldern bewachsenen Bergen, in die die Tropenlandschaft übergeht.

Wir kämpfen uns durch viele Meter hohes Lalanggras. Dann geht es rasch vorwärts, die Träger durcheilen die Landschaft, die sich zusehends verändert, deren Luft immer schwerer und schwüler wird. Und dann liegt es eines Abends vor uns, das heiße, fieberschwangere Tal. Noch weit in der Ferne, dort, wo das Grün der Wälder plötzlich abbricht, wo es grau und dunstig wird, wo das silberne Band des Menam Nan im Gegenlicht der untergehenden Sonne aufblitzt, dort ist das Tal, das wir in wenigen Tagen erreichen werden.

Schon grüßen uns die ersten Reisfelder der Lao. Dicht stehen die hohen, vollen Ähren nebeneinander, kein Unkraut erdrückt sie, und schmale Kanäle führen ihnen das nötige Wasser zu. Wie sehr unterscheiden sich diese blühenden Felder, die auf fruchtbarer Erde des tropischen Klimas gedeihen, von der kargen Herbheit der Felder der Bergbewohner! Wie ein lieblicher Garten dünkt uns jetzt die Landschaft mit ihren zarten Palmen, den plätschernden Flüssen, an deren Ufern sich frohe Menschen tummeln, und den voll schwerer Früchte beladenen Bäumen. Mit Heißhunger stürzen wir uns auf die saftigen Pumelos, Mandarinen und Bananen, lang entbehrte Genüsse!

Auf dem sandigen Ufer des reißend dahinströmenden Nam Wa steht unser Zelt. Wir mußten den breiten Fluß durchwaten und bangten nicht wenig um unsere wertvollen Lasten, die auf den Schultern der Träger bedenklich hin und her schwankten.

Nun liegen die Berge im Dunst der Ferne hinter uns. Über uns aber wölbt sich ein weiter Himmel mit fliehenden weißen Wolken, es umgibt uns sonnendurchwärmte Luft und Vogelgezwitscher, Fruchtbarkeit und Reife, Segen und Zufriedenheit, wohin wir sehen. Munter, wie kleine Kinder, schwimmen wir den breiten Fluß hinunter, während der Vollmond sich in seinen Fluten spiegelt. –

Es hat einen eigenen Reiz, an alte Lagerplätze, auf denen noch Spuren eines früheren Verweilens zu finden sind, zurückzukehren. Wir suchen nun diese alten Lager auf und feiern überall fröhliches Wiedersehen.

Auch in Bowa beschatten wieder die alten Affenbrotbäume unser Zelt. Nam Som ist überglücklich, daß seine Frau das Kind noch nicht geboren hat. Als er am Morgen pünktlich an unserer Küchenstelle erscheint, ist er rasiert und gewaschen und trägt ein neues, dunkelblaues Gewand. Aus allen seinen Bewegungen spricht Behagen und die Freude, wieder daheim zu sein. Während er kocht, hocken seine Freunde um ihn herum und lauschen aufmerksam seinen Erzählungen von Abenteuern und Erlebnissen in den wilden Bergen der Geister der gelben Blätter, die aber ganz gewiß Menschen seien.

Obwohl wir Nam Som den doppelten Lohn anbieten, ist er nicht dazu zu bewegen, mit uns weiterzuziehen. Er will nun daheim bleiben, und wir können ihn verstehen.

Da wir nun die Lao-Sammlungen, die wir hier zurückgelassen haben, auch noch mitnehmen müssen, verdoppelt sich die Zahl unserer Träger, und eine Karawane von 40 Mann setzt sich bald in der Richtung nach Nan in Bewegung.

Zwei Tage später rasten wir in den kühlen Gemäuern eines Wat. Ich liebe diese kleinen Tempelklöster mitten im Grün, die ein Asyl für alle »Mühseligen und Beladenen« sind. Sie gleichen alle einander. In der Mitte steht der meist goldene Buddha mit dem stillen sinnenden Blick, das Sinnbild der Versenkung und Entrücktheit. Hinter ihm Votivtafeln und Gaben, die von den Gläubigen dargebracht wurden, darüber ein großer, reich bestickter Baldachin, der von der Decke herabhängt. Links die geschnitzte Kanzel, an der bunte Glasstücke und Spiegelflächen glänzen. Dann die fröhlich bunt bemalten Wände! Da reiten königlich geschmückte Reiter auf prächtig gesattelten Elefanten, Frauen in goldbestickten Panung hocken um kämpfende Männer, in zartem Dschungelgrün und königlichen Palästen halten sich Liebespaare aus der Götterwelt umschlungen oder sie fliegen, auf einer Wolke ruhend, zum Himmel empor. Bunte Volksfeste, Kriegszüge und Gemetzel wechseln mit friedvoll betenden Gruppen ab. Stilvoll sind diese Darstellungen aus Legenden und Heiligengeschichten in jener eigenartigen Perspektive und klaren, einfachen Ausdrucksweise gebracht, die dem siamesischen Kunststil eigen ist.

Der Tempel, in dem wir rasten, ist kein prächtiges Wat. Die schöne alte Kunst ist hier etwas vermodert, die Farben verloschen, die Steinfliesen verbraucht und abgeschliffen. Das grelle Tageslicht bricht nicht störend herein wie durch die großen Fenster der stolzen Baue der Städte. Die alten geschnitzten Fensterflügel sind hier geschlossen, und nur durch einen schmalen Spalt dringt die Tropensonne herein. Drinnen ist es still und friedlich wie in unseren Kirchen am Lande. Es ist die Stätte, hier wie dort, wo die Menschen sich erheben, wo sie ablegen, was sie an Irdischem bedrückt, wo sie besser werden, als sie draußen sind, und Einschau halten in sich selbst. Hier wie dort … was macht es aus, daß Er einen anderen Namen trägt!

Wir schreiten hinaus, den Mauern zu, die das Wat von der übrigen Welt abschließen. Leise tönt das Gemurmel der betenden Priester aus dem Klostergebäude herüber. Wer hockt da im Schatten eines Baumes? Groß ist unser Erstaunen, als wir den Schmuggler erkennen, den Dieb und Mörder, unseren Freund, den angeblichen »Dorfältesten« von Nau Wen?! Mit gefalteten Händen kniet er andächtig vor einer großen Schüssel mit Opfergaben und brennenden Kerzen, neben ihm spricht ein buddhistischer Priester langatmige Gebete. So fleht auch er, der Schuldbeladene, um Vergebung seiner Sünden, um Schutz vor Gefängnis und Strafe. Erleichtert und gereinigt wird er sich erheben und – von neuem seine unseligen Taten verüben. Hier wie dort kann Religion auch falsch verstanden werden.

Auf schmalen Dämmen, die durch wogende Reisfelder führen, nähern wir uns der Stadt Nan. Drei Boote bringen uns aufs andere Ufer des Menam Nan hinüber.

Man ist hier sehr erstaunt, uns wiederzusehen, denn es waren schon die verschiedensten Gerüchte über unser Verschwinden im Urwald aufgetaucht.

Als wir vor vielen Monaten von hier aufbrachen, voller Zweifel und Ungewißheit, ob wir die Phi Tong Luang wohl finden würden, hatten wir uns nur zu einem kleinen Orientierungsmarsch ausgerüstet und nur für zwei Wochen mit Lebensmitteln versorgt. Man hatte unsere Rückkehr daher viel früher erwartet und uns bereits für verschollen gehalten. Nun aber war erreicht, was wir erhofften, und unsere Gedanken schweiften dankbar zurück in jene unwegsamen Berge, in denen wir soviel Mühsal und Entbehrungen, aber auch viel Erfolg und Freude erlebt hatten.

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Abb. 89. Ein Krieger vom Stamme der Weißen Karen spannt seine Armbrust

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Abb. 90. Alte Frau der Weißen Karen mit trichterförmigem Silberschmuck in den durchlöcherten Ohrläppchen

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Abb. 91. Weißer Karen. Ein typischer Vertreter dieser hinterindischen Waldbauern

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Abb. 94. Frau Bernatzik mit dem erlegten Tiger. Im Hintergrund die lanzenbewaffneten Dscharai

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Abb. 92. Mädchen der Weißen Karen trägt wassergefüllte Bambusgefäße. Während die Mädchen und Witwen lange, weiße, hemdartige Gewänder tragen …

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Abb. 93 … besteht die Kleidung der verheirateten Frau aus einer mit bunter Wolle und weißen Samen reich bestickten Jacke und einem buntgewebten Rock


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