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Gleich einem ausgestreckten Fühler des asiatischen Kontinents ragt die Malaiische Halbinsel ins Meer, den Inseln des Stillen Ozeans entgegen, und gleichsam eine Brücke bildend zwischen asiatischen und indonesischen Kulturen. Von Norden nach Süden ziehende Bergketten, die Ausläufer der vom yüannanesischen Gebirgsknoten ausgehenden Zentralkordilleren sind, bilden ihr Rückgrat. Einfach, wie ihre morphologische Gliederung, ist auch die Völkerverteilung dieser feuchttropischen, immergrünen Halbinsel. Während die offene Landschaft ihrer Küstenstriche und die gelichteten Wälder der Ebenen im Süden von Malaien und im Norden von Siamesen bewohnt sind, fristen in den schwer zugänglichen Urwäldern der Gebirge uralte Primitivvölker ihr kärgliches Nomadenleben.
Der Wissenschaft ist es gelungen nachzuweisen, daß die primitiven Negritos einst weite Gebiete Südostasiens bewohnten, Gebiete, in welchen man unter der heutigen Bevölkerung noch ihre Spuren feststellen kann.
Nur in wenigen schwer zugänglichen Gebieten hat sich die Urbevölkerung erhalten können oder ist unter dem Ansturm jüngerer Völker und Kulturen in Rückzugsgebiete abgedrängt worden. Hierbei hat sie sich jedoch vielfach mit den eindringenden höheren Kulturvölkern vermischt und ist in ihnen aufgegangen.
Die heute noch lebenden Reste dieser Altvölker aber sind zum Aussterben verurteilt. So auch die Semang, die Urwaldzwerge von Malaya. Von allen Seiten dringt langsam aber sicher der listige Malaie, der geschäftstüchtige Chinese, der überall besitzergreifende Europäer in ihr angestammtes, immer kleiner werdendes Gebiet. Zu dieser Einengung des für die Nomaden unbedingt nötigen Lebensraumes kommt noch der verderbliche Kontakt mit der ansässigen Bevölkerung hinzu, deren Lebensgewohnheiten zur Nachahmung locken, dem Urwaldmenschen aber unbedingt schädlich sind. Bedürfnisse werden gesteigert, durch deren Erfüllung seit alters her überlieferte Sitten und Kenntnisse verloren gehen, die allein die für das Sammlerleben im Urwald spezialisierten Zwerge lebensfähig erhalten. Diesen ist infolge dieser Spezialisierung jene Anpassungsfähigkeit aber nicht gegeben, die nötig wäre, um die seit Jahrtausenden gleichgebliebene Lebensweise mit einem Male unbeschadet aufzugeben, sich anzusiedeln oder auf irgendeine andere Weise den Lebensunterhalt zu finden.
Obwohl die verschiedenen Sakai- und Semangstämme in den Malaienstaaten von P. Schebesta bereits eingehend bearbeitet wurden, wollten wir die Urwaldzwerge dennoch aus eigener Anschauung kennenlernen und Vergleiche mit den Moken und anderen Primitivvölkern, die wir noch zu besuchen beabsichtigten, anstellen. (Abb. 19 und 20.) Dies um so mehr, als gerade das Völkchen zwischen Trang und Patalung, dem unser Besuch galt, durch weite Landstriche von der bereits bearbeiteten Hauptgruppe der Semang seit langem getrennt ist.
In scheuer Angst vor den Menschen, die zu meiden sie bittere Erfahrungen gelehrt haben, halten sich die Semang, die sich selbst Moni nennen, in den nur ihnen vertrauten Urwaldbergen (Abb. 18) verborgen und tauchen nur selten in den Dörfern der Siamesen auf, um Waldesprodukte gegen Reis und Tabak einzutauschen. Niemand vermochte uns Näheres darüber zu sagen, wo wir die furchtsamen Kinder des Urwaldes finden könnten. Wir sandten daher einige siamesische Bauern aus, ein Lager der Semang zu suchen, und versprachen dem Finder eine Prämie. Tatsächlich machten sie eines ausfindig. Unter ihrer Führung brachen wir siegesfroh auf, trafen aber nur das bereits verlassene Lager an. Wir erfuhren, daß die flüchtige Horde in der Richtung nach Trang abgewandert sei. Wir verlegten nun unser Lager ebenfalls in diese Gegend und sandten abermals Siamesen aus, von denen einer Semangmischling war und die Sprache der Zwerge beherrschte. Wir beauftragten sie, falls sie Semang antreffen sollten, diesen mitzuteilen, daß ein Weißer angekommen sei, der Vögel, Affen und verschiedene Kleintiere gegen Reis, Tabak und dergleichen Kostbarkeiten mehr zu erwerben trachte. Schon nach zwei Tagen kamen die Männer zurück. Zu unserer großen Freude berichteten sie, daß sie in einem Waldlager eine größere Horde angetroffen und die Semang ihnen versprochen hatten, Tiere für die Weißen zu erjagen.
Nach allem, was wir von den scheuen Waldbewohnern wußten, waren wir unseres Erfolges noch lange nicht sicher. Von Zweifel und Hoffnung erfüllt, warteten wir.
Wir verbrachten die Tage damit, den herrlichen, von klaren Gebirgsbächen durchflossenen Urwald zu durchstreifen, Giftschlangen zu fangen, die schöne Haut einer riesigen Python zu präparieren und einem Leoparden aufzulauern, der uns gleich in der ersten Nacht besucht und eines unserer Hühner gestohlen hatte.
Allabendlich hörten wir einen alten Tiger mit lautem Gebrüll seinen nächtlichen Raubzug antreten. Eines Morgens fanden wir seine gewaltigen Fährten in der Nähe unseres Lagers und etwa 200 Schritte davon entfernt einen von ihm gerissenen Büffel. Nach bewährtem Muster wird eine Plattform errichtet, die meine Frau und ich noch vor Sonnenuntergang beziehen. Bis auf ein kleines Schußloch ist die Laubwand, die uns umgibt, vollkommen dicht, der Wind ist günstig und trägt fast ohne Unterlaß den Aasgeruch zu uns herüber. Beklemmende Schwüle treibt uns den Schweiß aus allen Poren, Heere von Mücken und Fliegen umschwirren uns unaufhörlich. Mit der hereinbrechenden Nacht wird unsere Lage erträglicher. Wir lauschen aufmerksam in die von tausendfältigen Stimmen erfüllte Finsternis. Da endlich ertönt in der Ferne der langgezogene Ruf des Königs der Dschungel. »U–o, u–o, u–o«, brüllt er in die Nacht hinaus, während er beutegierig seine Jagdgründe durchzieht. Bald jedoch verstummt er. Zwei Stunden später hören wir ihn wieder, diesmal ganz in der Nähe, erst rechts, dann links, er scheint das Luder zu umschleichen. Wir wagen kaum zu atmen, rühren uns nicht und lauschen gespannt. Da entfernt sich der schaurige Ruf und wird schwächer und schwächer – um uns herrscht Stille. Sollten wir wieder die Besiegten sein, hat der Schlaue trotz unserer Vorsicht die Gefahr gewittert, die ihm von Menschen drohte?
Die Nacht liegt über uns, dunkle Wolken ziehen still über die Baumwipfel und wir nicken ein wenig ein. Plötzlich ertönt unten ein lautes Krachen, ein Ziehen und Reißen an Fleischstücken des Luders. »Der Tiger ist da.« Ich zische es hastig und leise meiner Frau in die Ohren. Trotz größter Erregung bleiben wir still und bewegen uns nur ganz langsam. Ich nehme das Gewehr in Anschlag, meine Frau entzündet die Lampe – doch der gestreifte Körper, die geblendeten Augen, die wir zu sehen erwarteten, sind nicht da. Nur hinter dem aufgetriebenen Bauch des Büffels bewegt sich ein dunkler Streifen. Ein Schuß kracht durch die Nacht – wir lauschen. Es raschelt etwas, wird wieder still. Dann hustet es unter uns, ein Stöhnen und Röcheln, und dann wieder die lautlose Stille wie zuvor.
Im ersten Dämmerschein sehen wir einen alten toten Panther unter unserem Baume liegen. Er ist weniger gewitzigt gewesen als der Tiger und hat sein grausiges Mahl mit dem Tode gebüßt.
Wir brachten die Beute ins Lager und häuteten sie ab. Auf den toten Büffel aber stürzten sich Hunderte von Aasgeiern, und wenige Stunden später starrte nur mehr das blanke Gerippe der Sonne entgegen …
Und unsere Zwerge? Eines Morgens stand einer vor uns, das Blasrohr geschultert, den Bambusköcher mit den vielen kleinen vergifteten Pfeilen an der Seite, und reichte uns mit scheuem Blick eine tote Bambusratte. Aus dem Gebüsch hinter ihm lugten drei seiner Gefährten hervor, kleine sehnige Gestalten mit wolligem Kraushaar, breiten, tiefgesattelten Nasen, vorgeschobenen dicken Lippen, und betrachteten uns aufmerksam. Wir hätten sie umarmen mögen vor Freude, daß sie gekommen waren! Wir gaben ihnen für die Ratte vier Bananenblätter voll Reis – ein fürstliches Entgelt! Mit Hilfe des Mischlings unterhielten wir uns dann über diese und jene Tiere des Waldes, die wir gerne noch erwerben wollten.
Es lag uns im Grunde wenig an dem Besitz dieser Tiere, wir hatten aber richtig geraten, wenn wir hofften, auf diese Weise am raschesten die Freundschaft der Krausköpfe zu gewinnen. Sie kamen von nun an jeden Tag und brachten Eulen, Affen, Mäuse und auch viele bunte Sänger und freuten sich sichtlich über meine Kenntnisse der Lebensgewohnheiten der ihnen vertrauten Tiere. Auch schmeichelte ihnen unsere deutlich zur Schau getragene Bewunderung für ihre jagdliche Geschicklichkeit. Wie schon oft im Verkehr mit Primitiven, machte ich auch diesmal die Erfahrung, daß durch das Hervorheben gemeinsamer Interessen viel rascher das Vertrauen gewonnen wird, als etwa durch Geschenke, die nicht selten das Mißtrauen nur verstärken. Was will der Mann von mir? So denkt der Primitive, der zwar die Gabe freudig entgegennimmt, solange aber dennoch zurückhaltend bleibt, solange er sich nicht darüber klar ist, was der andere dafür fordert. Daß diese »Gegenleistung« aber nur im »Kennenlernendürfen« besteht, das mag er, wenn er es überhaupt begreift, lange nicht glauben.
So sprachen wir einstweilen nur von den Tieren des Waldes, und ich hütete mich wohl, den Wunsch zu äußern, das Lager der Semang aufzusuchen oder sie zu photographieren, obwohl wir voll Ungeduld danach brannten.
Einige Tage später kam Lom zu uns ins Lager, ein kräftiger Zwerg mit intelligenten Gesichtszügen (Abb. 23), der, wie sich später herausstellte, in der Horde die Rolle eines Führers innehatte. Ich gab ihm eine Salbe für seine ringwurmbehafteten Beine. Freudig berichtete er am folgenden Morgen, daß das brennende Jucken aufgehört hätte, und bat mich, auch sein Kind zu heilen, das schwer erkrankt sei. »Bring dein Kind zu mir, ich werde es gesund machen«, sagte ich zu ihm und öffnete vor seinen Augen meine Medizinkiste, die entschieden einen vielversprechenden Eindruck machte. Er dachte eine Weile nach und sagte dann: »Ela kann nicht gehen, sie ist zu schwach. Du mußt zu ihr kommen, wenn du sie gesund machen willst. Komme aber allein, weil wir nicht gerne Fremde in unserem Lager sehen.«
Nachdem ich auch für meine Frau und den Dolmetsch die Erlaubnis, das Lager besuchen zu dürfen, erwirkt hatte, sagte ich zu. Mehr konnten wir uns gar nicht wünschen: nicht als Eindringlinge, sondern als gebetene Gäste betrachtet zu werden!
Lom und seine beiden jüngeren Brüder Kiet und Ketai holten uns am nächsten Morgen ab. Fürsorglich geleitete er uns durch reißende Bäche hindurch, an einsamen kleinen Reisbauernhütten vorbei bis zum Fuße eines steilen, dichtbewaldeten Berges. Steil führte ein schmaler, kaum kenntlicher Pfad über Wurzeln, tiefe Wasserrinnen, Schluchten und dorniges Gestrüpp immer tiefer in das feuchte Dunkel hinein. Kiet, dessen Augen immer lebhaft nach allen Seiten und in die Baumwipfel spähten, legte plötzlich sein langes Blasrohr an den Mund (Abb. 24), ein Zischen – und schon lag ein Eichhörnchen tot am Boden. Er lachte und stieß ein lautes »O – äh!« in die lautlose Stille hinein. Ein ferner Ruf antwortete von oben. Man erwartete uns schon im Lager. Keuchend folgten wir unseren behenden Führern bergan und befanden uns plötzlich im Lager der Zwerge, das auf halber Höhe des Berges lag.
Viel Raum hatte sich die Horde nicht abgeholzt. Auf einer engen Lichtung standen flüchtig errichtete Windschirme in zwei Reihen gegenüber. (Abb. 25.) Unter den mit Palmenblättern und Laub gedeckten Dächern befanden sich einige auf niederen Gabelstöcken ruhende Gestelle als Ruhestätten. In dem losen Gerüst des einseitigen Daches steckten die Habseligkeiten der Bewohner: Kleine Schalen, schmutzige Stoffetzen, Gefäße aus Bambus, Köcher mit Pfeilen und Blasrohre. Neben jeder Liegestatt befand sich eine Feuerstelle. So haust der Semang seit Jahrtausenden in seinem Wald, nicht viel anders als das Tier in seinem Lager, ebenso preisgegeben der Härte der Natur, ebenso vertrauend auf ihren mütterlichen Schutz.
Als wir ins Lager traten, sprangen mit leisem Aufschrei zwei Frauen auf und rannten in den Wald hinein. Schützend hielt die eine ihren Arm vor den Säugling, der an ihrer Brust ruhte. Wir aber wendeten uns vor allem Loms kleiner Tochter zu, die, zum Skelett abgemagert, schwer atmend und hustend, in einen braunen Fetzen eingehüllt neben einer rauchenden Feuerstelle lag. Eine alte Frau hielt ein anderes nacktes, wimmerndes Menschlein im Arm, Loms zweites Kind, dessen Rücken mit großen eitrigen Wunden bedeckt war. Die Mutter der beiden Kinder war an den Bissen eines tollen Hundes eines schrecklichen Todes gestorben. Der Vater pflegte nun die Kleinen mit rührender Liebe und Sorgfalt. Mit großen traurigen Augen liebkoste er das fiebernde Mädchen, deckte es zu, nahm den Knaben in seine Arme, lächelte ihm aufmunternd zu, machte ihm Grimassen vor, um ihn zu erheitern, und gab ihm schnaubende Küsse ins Gesichtchen. Gewissenhaft wurden unsere Anordnungen befolgt. Immer wieder drückten die dunklen, runzeligen Urwaldhände des Vaters den Verband sorgfältig an den zarten Rücken des Knaben, den er nicht aus seinen Armen ließ.
Von nun an verbrachten wir jeden Tag bei den Zwergen. Verspäteten wir uns etwa eines Morgens, so waren unsere Freunde schon da, um uns abzuholen und in ihr Lager zu geleiten. Längst war der scheue Blick aus ihren Augen verschwunden und auch Ikon, die junge Frau mit den so nahe beisammenstehenden runden Augen, lachte uns nun freundlich entgegen, wenn wir ins Lager kamen.
Mit strahlender Freude zeigte uns Lom seine beiden Kinder, als sie wieder gesund herumliefen. In den kindlichen Zügen des Mannes lag ein reiner, durch nichts getrübter Ausdruck eines großen Dankgefühls, das wir alle kennen, das sich aber bei uns zivilisierten Menschen, von Hemmungen, Selbstbeherrschung und Rücksichten oft getrübt, niemals in solcher Reinheit widerspiegelt.
Eines Tages besuchte uns unser Freund, der Gouverneur von Patalung. Da er zufällig einige Semang, die er noch nie gesehen hatte, bei uns im Lager antraf, zückte er sofort seine kleine Kontax. Doch die Zwerge wehrten heftig ab, versicherten, daß sie sterben würden, wenn er sie mit dem Ding verzaubere, und liefen eiligst davon.
Unser Gast war nun der Meinung, die ganze Horde für immer verscheucht zu haben, und war tief bestürzt. Doch die Semang hatten den kleinen Zwischenfall gar nicht beachtet und waren, als wir sie am nächsten Tage besuchten, fröhlich dabei, einen Affen zu braten und zu verspeisen. Nachdem sie die Einschußstelle des vergifteten Pfeiles herausgeschnitten hatten, legten sie das ganze Tier ins Feuer und kratzten mit einem Holzstäbchen die Haare ab. Dann erst zerteilten sie die Beute und nahmen die Eingeweide heraus, die in geröstetem Zustand ein beliebter Leckerbissen sind. Das in kleine Stücke zerschnittene Fleisch wird mit Wasser in Bambus gekocht und mit den Händen gegessen. Der Schädel und die Gliedmaßen aber werden auf dem Feuer geröstet. Während Lom den Affen zerlegte, hielt er diesen geschickt mit der großen Zehe seines Fußes fest. (Abb. 23.) Die besten Stücke reichte er den Kindern, die gierigen Auges dem köstlichen Mahle entgegensahen.
Er erzählte uns, daß seine Horde früher aus fast dreißig Köpfen bestanden hatte. Erst vor kurzem teilte sie sich, da infolge der Trockenzeit im Umkreis seines Lagers nicht genügend Nahrung aufzutreiben war. Hier befanden sich nun acht Männer, vier Frauen und drei Kinder, während sich Loms Vaterbruder mit seinem Familienanhang in westlicher Richtung entfernt hatte. Wir erkundigten uns genau nach dessen Weg und vereinbarten, daß einer der Semang uns in den nächsten Tagen zu diesem zweiten Lager begleiten sollte.
Während wir uns noch über dies und jenes unterhielten, dachte ich mir, daß es nun eigentlich an der Zeit wäre, mit dem Photographieren zu beginnen, und ich sagte zu den Semang: »Ich möchte meinem Volke zeigen, wie ihr lebt und was ihr macht. Nun weiß ich aber, daß ihr krank werdet oder sterben müßt, wenn ich meinen Zauberkasten verwende. Ich gebe euch daher eine Medizin gegen seine Zauberkraft, und ihr habt gesehen, daß meine Medizinen wirksam sind. Wenn ihr mir dann erlaubt, meine Geräte zu verwenden, wann und wo ich will, dann sollt ihr einen großen Sack voll Reis von mir bekommen, der euch viele Monde ernähren kann.« Sie berieten umständlich miteinander und willigten schließlich ein. Jeder schluckte mit gläubiger Miene vor mir eine Pille Speisesoda hinunter, hielt sich gegen die Zauberkraft gefeit und betrachtete es von nun an als Ehrensache, die Gegenleistung für den Reis auch zu erbringen.
Schon am nächsten Morgen machte ich von allen anthropologische Aufnahmen, und der Älteste der Horde (Abb. 19) meldete sich sogar freiwillig, als ich ihn übersehen hatte.
Wir durften nun zusehen, wie sie ihre kunstvollen Blasrohre herstellten, Gift für die zierlichen Pfeile bereiteten, Wurzeln sammelten, mit erstaunlicher Treffsicherheit und Gewandtheit Tiere des Waldes jagten, wie sie ihre Lager verlegten, weiter wanderten und neue Windschirme erbauten. Wir hörten von der Traumseele und den Vorbedeutungen des Traumes, vom bösen Dämon, der in Tiergestalt die Menschen bedroht, von hilfreichen Geistern, wie den Hornraben und anderen Tieren, von lichten blumigen Elfenwesen, und von all den einfachen Gesetzen, die das stille zufriedene Dasein dieser Waldzwerge regeln. Wir hörten von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, die nach dem Tode des Menschen im Dschungel umherschweift, sich in Bäumen, Felsen und Berggipfeln aufhält und sich an den Feinden des Verstorbenen rächen, aber auch Anverwandte zu sich holen kann. Wir erfuhren von den Begräbnissitten und der tief im Menschen wurzelnden Furcht vor dem Toten, den sie sofort nach dem Eingraben verlassen und nie wieder aufsuchen, von den täglichen Opfern, die von jedem Semang morgens nach Sonnenaufgang in Form von Nahrungsmitteln, die man in Blätter gehüllt auf die Erde legt, dargebracht werden.
Die Semang waren viel weniger scheu als die Moken. Obwohl auch sie seit jeher verfolgt und ausgebeutet wurden, so ist doch ihr Wesen offener, ihr Auftreten selbstbewußter und nicht so unendlich mißtrauisch und furchtsam wie das der Moken. Das kindliche Zutrauen, das uns Lom und seine Familie entgegenbrachte, jene warmen glänzenden Blicke waren es, die wir bei den Moken vermißt hatten.
Am eindrucksvollsten offenbarte sich die eigene Welt der Urwaldzwerge in ihrem Tanz. Unsere Semang pflegten allmonatlich zur Zeit des Vollmondes zu tanzen. Nur die Männer beteiligten sich am Tanz, während die Frauen durch Händeklatschen und Schlagen einer kleinen malaiischen Felltrommel den einfachen Rhythmus angaben.
Die Männer hatten sich mit Ruß breite schwarze Streifen auf das Gesicht, die Brust und den Rücken gemalt, Blätter umkränzten ihre Stirnen. (Abb. 22.) Die Blätterkleidung jedoch, die sie in früheren Zeiten beim Tanze getragen hatten, wurde nur dadurch angedeutet, daß sie sich einige Blätter in den Hüftschurz steckten. Die Bewegungen des Tanzes waren ganz eigenartig. Mit gespreizten Beinen schritten sie nach vorne und rückwärts und bewegten den Oberkörper hin und her. Dann wieder stürmten zwei Männer vor, sprangen aufeinander los (Abb. 26), umfaßten sich, liefen wieder auseinander. Sie hüpften von einem Bein auf das andere und schlugen sich laut klatschend auf die Schenkel. (Abb. 27.) Aufschreie und schrille Jauchzer entrangen sich ihren Kehlen. Das Bild war nicht einheitlich, Gutgelaunte vollführten groteske Figuren eines Spaßmachers, andere wieder trugen ihr athletisches Können zur Schau. Doch eines stand für uns fest: Die große Ähnlichkeit dieser Tänze mit jenen afrikanischer Negerstämme. So haben sich hier inmitten asiatischer und indischer Hochkulturen, deren stilsichere Tanzgestaltung sich auf weite Völkerschichten übertragen hat, die Grundelemente des primitiven Tanzes erhalten, wie wir sie bei den von volksfremden Einflüssen unberührten Negerstämmen Afrikas beobachten konnten.
Wie wahre Teufel des Urwaldes sprangen die Semang umher. Was ist über diese primitive Menschheit alles dahingegangen, bis sich die Hochkulturen entwickeln konnten! Und wie kommt es, daß uns, die wir am Höhepunkt einer Entwicklung angelangt sind, mit den Vertretern ihrer Uranfänge mehr Sympathie und Verständnis verbindet, als mit vielen Völkern höherer Kulturschichten? Es gibt wohl wildwachsende Pflanzen, die wir lieben, es gibt in weiser Kunst veredelte Blüten, die wir bewundern, es gibt dazwischen aber manche schlecht veredelte Gewächse, die uns nichts bedeuten.