Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
In der Südsee war ich vor einigen Jahren dem Problem der Melanesier nachgegangen, deren Wurzeln nach Hinterindien weisen. Dies war der Grund, weshalb ich mich entschloß, in den Jahren 1936/37 gemeinsam mit meiner Frau die Rückzugsgebiete Südostasiens zu durchforschen. Hinterindien, das politisch gesehen Burma, Siam und Indochina umfaßt, stellt den Schmelzpunkt zweier gewaltiger Hochkulturströme, des indischen und des chinesischen, dar. Vom frühesten Neolithikum an ist über diesen Boden eine Völkerwelle nach der anderen hinweggerollt, und die Wanderungen sind auch heute noch nicht zum Stillstand gekommen. Wir finden hier daher eine Buntheit des Rassen- und Kulturbildes, wie wohl sonst nirgends auf der Erde.
Wir hatten uns drei Aufgaben gestellt:
1. Der Frage der Urbevölkerung dieses Gebietes näherzutreten und zu diesem Zwecke die heute noch lebenden Altvölker, primitive Jäger und Sammler, in ihren Schlupfwinkeln aufzusuchen und zu bearbeiten.
2. Einen Teil der die Gebirge des nördlichen Hinterindien – vor allem des nördlichen Siam – bewohnenden, Hackbau treibenden Bergvölker zu untersuchen, die zum überwiegenden Teil den jüngsten Wanderwellen angehören.
3. Die sogenannten »indonesischen Moivölker« Indochinas aufzusuchen, um deren Beziehung zu den Melanesiern festzustellen.
Die Ergebnisse unserer Arbeit liegen nun in Form von vollständigen Monographien der Moken, Phi Tong Luang, Meau, Akha, Lahu und Biet und von Teiluntersuchungen bei den Semang, Karen, Lisu, Katschin, Siamesen und Lao und schließlich bei den Radé, Dscharay, Pnong und Bahnar vor. Sie werden uns im Verein mit unseren Sprachaufnahmen, Museumssammlungen, anthropologischen und psychologischen Untersuchungen und den 6000 Photographien, welche die Völker in ihrer durchwegs rasch verschwindenden materiellen Kultur festhalten, die Möglichkeit geben, innerhalb der nächsten Jahre einen wichtigen Teil der schwebenden Fragen zu beantworten.
Im Rahmen des vorliegenden Buches, das einen Überblick über die gesamte Reise geben soll und sich an weite Leserkreise wendet, war es begreiflicherweise nicht möglich, eine gleichmäßig eingebende Schilderung niederzulegen. Wir haben uns daher hier vorherrschend mit unseren Erlebnissen bei drei Primitivvölkern, also mit Punkt 1, befaßt, die Arbeit bei den Bergvölkern nur angedeutet, das Problem der Moivölker nur flüchtig gestreift. Wem es daran gelegen sein sollte, auch die hier vernachlässigten Ergebnisse in sachlicher Form zu erfahren, den möchte ich auf das bereits in Arbeit befindliche Buch »Akha und Meau« und auf die zu erwartenden Spezialarbeiten verweisen.
Daß es uns gelungen ist, unsere Aufgabe zu erfüllen, haben wir nicht nur dem Schicksal zu danken, das uns vor folgenschweren Krankheiten und Unfällen verschonte, sondern auch der liebenswürdigen Unterstützung der französischen Kolonialbehörden und vor allem der siamesischen Regierung, die uns in gastfreundlichster Weise überall aufnahm und uns jede Hilfe angedeihen ließ. Ganz besonders hervorheben möchte ich die Hilfe der Herren der Deutschen Gesandtschaft in Bangkok, an ihrer Spitze den deutschen Geschäftsträger Stoller und seinen Nachfolger den Deutschen Gesandten Herrn Dr. Wilhelm Thomas, ferner den Präsidenten des Deutschen Klub in Bangkok Herrn Wilhelm Fuhrhop, sowie den Präsidenten der Siam Society Bangkok, Mr. Francis G. Giles (Phya Indra Montri). Vor allem aber den deutschen Arzt Dr. Schwend, der unsere körperlichen und seelischen Kräfte wieder herstellte. Doch auch den übrigen Einzelpersonen, die uns durch Rat und Tat geholfen haben, sei hier unser aufrichtiger Dank ausgesprochen. Der europäische Kaufmann an der Küste, der einsame Missionar in Nord und Süd, der fachlich interessierte Mann der Städte – sie alle haben Anteil an unserem Erfolg. Manche von ihnen brachten uns jene warme Herzlichkeit entgegen, die dem Wanderer in der Ferne besonders wohltut.
Für diejenigen Leser, die sich für die technische Ausrüstung der Expedition interessieren, möchte ich erwähnen, daß die photographischen Aufnahmen mit der Contax und Zeissobjektiven auf Agfa Negativmaterial hergestellt wurden. Die Tropenzeltausrüstung lieferte wie immer Klepper in Rosenheim, den Dauerproviant Maggi in Wien.
Das Nebeneinander der verschiedenartigsten Kulturen und Rassen, die sich in einem immensen, alle Klimazonen der Erde umfassenden Raum seit Jahrtausenden entwickelt haben, ist das Erlebnis Asiens. Voll geheimer Kräfte, still und schwer durchdringbar wie die Wüsten, Steppen und Urwälder sind auch die Menschen. Hart und mühevoll wie der Weg zu ihren Behausungen ist auch der Weg zu ihren Herzen. Wir haben das Nomadendasein der Vertreter der ältesten Menschheit geteilt, wir fühlten den Pulsschlag des harten Lebens der Hackbauer in den Wäldern und auf den Höhen der Berge, wir lernten das geruhsame Dasein der Hochkulturvölker der Ebenen kennen. Wir haben im Verlaufe von nicht ganz anderthalb Jahren wissend einen Zeitraum von vielen Jahrtausenden in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit miterlebt – und wünschen, daß es uns gelingen möge, unseren Lesern einen Einblick in dieses Erlebnis zu geben.
Wien, Mai 1938
Emmy und Hugo Bernatzik