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Der Verlauf unserer Geschichte hat uns gezwungen, auf kurze Zeit das Schicksal eines Mannes aus dem Auge zu verlieren, welcher einigen Anspruch hat auf unser Interesse und unsre Theilnahme. Wir meinen nämlich den Jüngling, welcher mit unerschrockenem Muthe, mit festem Willen und eiserner Consequenz den großen Sclavenaufstand in Kentucky in Scene setzte, welcher dabei mit hochherzigem Sinne einem seiner Feinde die Freiheit gab, und welcher endlich mit seiner kühnen Schaar die Armee Burnside's in Tennessee rettete – den ehemaligen Sklaven Breckenridge's, den entwichenen und durch die Geistesgegenwart seiner Schwester vom Tode erretteten Quadroonen Edward Brown.
Wir wissen, daß Mr. Edward Brown in Reynoldsbourg sich die Freundschaft Weitzels und die besondere Protection Burnside's erwarb. Wir wissen, daß der Oberst Weitzel eine besondere Siegerdivision einrichtete aus den Schaaren, welche ihm Edward zugeführt hatte, und daß Edward selbst eine Officierstelle in diesem Truppentheile bekleidete. Sein Muth und sein entschiedenes Befehlshabertalent ließen ihn bald avanciren, in wenigen Monaten bekleidete er die Stelle eines Regimentschefs.
Wir fanden ihn zuletzt auf dem Schlachtfelde hinter den Schanzen in der Wilderneß, als er warnend zu Frederik Seward trat und ihm rieth, sich den perfiden Rebellenanführern nicht ohne hinlängliche Sicherheit für seine Person zu nähern. Eine Kugel traf ihn in dem Augenblicke, als sein Degen den Arm Mr. Cley's zurückschlug, welcher den Revolver auf Seward anlegte. Edward sank leblos zu Boden. Die Kugel hatte seinen Hals gestreift.
Wir wissen, daß bald nach dieser verrätherischen That der Rebellen das Feuer von Neuem eröffnet wurde, und daß die Rebellen mit großem Verluste zurückgetrieben wurden. Sie hatten indessen aus dem Wagstück, das sie unternommen, so viel Vortheil zu ziehen gesucht, als irgend möglich.
Eine große Anzahl Gefangener, theils Gesunde, theils Verwundete, führten sie auf Wagen fort, und unter denen, die haufenweise in die Wagen geworfen wurden, befand sich auch der Oberst Brown.
Erst in Spottsylvania machten die Wagen Halt, und es wurde eine Sonderung vorgenommen, um die Todten von den Lebenden zu trennen, diejenigen nämlich, die unterwegs gestorben waren, von denen, welche die Tortur des Transports überstanden hatten. Da man die Gefangenen, gebunden an Händen und Füßen, Gesunde und Kranke, über und unter einander, in Wagen mit hohen Kasten geworfen hatte, so war die Hälfte bereits den Erstickungstod gestorben.
Noch eine andere Sonderung ward vorgenommen, nämlich der Officiere von den Gemeinen. Die letzteren brachte man in das berüchtigte und von uns früher schon beschriebene Gefängniß zu Millen. Die Officiere und einige von den Uebrigen, die eine Charge bekleideten oder sonst auf irgend welche Berücksichtigung Anspruch hatten, wurden nach dem Libby-Gefängniß in Virginien transportirt.
Wir haben den Commandanten des Libby-Gefängnisses, Mr. Alston, bereits kennen gelernt in den Sitzungen der Ritter vom goldenen Zirkel. Auch er war eins der Werkzeuge, deren sie sich bedienten zu ihrer mörderischen und unmenschlichen Handlungsweise gegen die gefangenen Feinde.
Das Libby-Gefängniß befand sich außerhalb der Stadt, war ein Complex von Gebäuden, ähnlich dem von uns ebenfalls geschilderten Gefängnisse der Union zu Elmira. Aber wie ganz anders hielt man hier die Gefangenen! Welch grauenhaftes Schicksal hatten die Gefangenen zu Libby im Vergleich zu dem Loose, das die Unionisten ihren Gefangenen gewährten!
Das Libby-Gefängniß war eigentlich nur für Offiziere eingerichtet und enthielt Räumlichkeiten zur Aufnahme von zwei bis dreitausend Personen; d. h. es enthielt lange Zelte aus Holz und Lehm gebaut, in welchen sich eine Streu befand, die rings an den Wänden umher ausgebreitet war, und auf welcher man den Bewohnern zu schlafen gestattete. Im Uebrigen aber mußten sie sich in dem freien Raum zwischen den Zelten aufhalten und auch dort ihre Nahrung zu sich nehmen. Höchstens konnten sie bei schlimmem Wetter in den Zelten Schutz suchen.
Wäre es bei einem solchen Verfahren geblieben, so hätte man die Behandlung der Gefangenen im Libby-Gefängnisse im Vergleich zu der Behandlung der Gefangenen in Millen noch eine erträgliche nennen können. Indessen man hatte, statt nur zwei bis dreitausend Personen aufzunehmen, das Libby-Gefängniß mit nicht weniger als fünfzehntausend Mann bevölkert.
Kopf an Kopf drängten sich die Unglücklichen in Lumpen auf dem Hofe. Man befolgte auch hier, wie in Millen, die Maxime, ihnen nicht nur keine Kleidung zu geben, sondern ihnen auch noch diejenigen Kleidungsstücke, welche sie mitbrachten, sofern sie noch brauchbar waren, zu nehmen.
Es war hier in der That kaum Platz für die Unglücklichen, sich niederzulegen, falls drückende Luft und pestartige Dünste sie schwach und unfähig machten, sich aufrecht zu erhalten. Es kam zuweilen vor, daß Hunderte, ja Tausende von Kranken und Todten zu gleicher Zeit auf dem Hofe umherlagen In diesem Falle war für die übrigen Gefangenen nicht Platz, dort zu stehen. Sie waren genöthigt, entweder die Leichname selbst unter ihre Füße zu treten oder bei Seite zu räumen.
Dies geschah in der Regel, indem man sie alle auf einen Haufen trug in einen Raum, der zur vorläufigen Aufnahme von Leichen bestimmt war. Natürlich konnte man den Unglücklichen nicht zumuthen, daß sie immer Ohnmächtige von wirklich Todten richtig unterschieden, und es ist deshalb hundertfach vorgekommen, daß mitten in dem Leichenhaufen Menschen wieder zum Leben erwachten und dort dann entweder durch das Miasma des Leichengeruchs erstickt oder mit den übrigen Todten lebendig begraben wurden.
Das war das Gefängniß, in welches auch der Oberst Brown geschafft wurde.
*
Wie wir bereits aus dem Munde von Mrs. Cleary wissen, war deren Gemahl von den Rittern des goldenen Zirkels beauftragt, nach Canada zu gehen, um von dort aus die Einfälle zu dirigiren, welche man in das Gebiet der Union zu machen beabsichtigte, und welche ebenfalls zu dem Programme gehörten, das man für den sogenannten kleinen Krieg der Ritter entworfen hatte.
Mr. Cleary hatte, behufs Anwerbung Freiwilliger zuerst eine Reise durch Virginien gemacht und dann namentlich seine Schaar durch Aufnahme der Deserteure zu verstärken gesucht. Er besuchte deshalb die sämmtlichen Gefängnisse; denn man befolgte die Maxime, daß man die Ueberläufer zuerst einige Wochen in einem Gefängnisse behielt, ehe man sie der Armee einverleibte.
So hatte Mr. Cleary denn bereits einige hundert Mann aus dem Millen-Gefängnisse mit sich genommen und etwa tausend Mann aus den übrigen Gefängnissen und berührte nun auf seiner Tour auch das Libby-Gefängniß. Der Commandant desselben bewohnte ein außerhalb des Gefängnisses belegenes Haus.
Als Mr. Cleary bei ihm vorsprach, um mit ihm über die auszuliefernden Deserteure zu verhandeln, war Mr. Alston nicht gegenwärtig, sondern, wie ihm gesagt wurde, zur Beaufsichtigung der Arbeiten im Gefängnisse. Mr. Cleary, um keine Zeit zu verlieren, schlug ebenfalls den Weg nach dem Gefängnisse ein und fand hier eine Menge Arbeiter beim Bau beschäftigt; aber nicht wie er erwartet hatte, etwa beim Ausbau des Gefängnisses, zur Erweiterung und Verbesserung der Räume, sondern bei einem Bau ganz eigenthümlicher Art. Es wurden nämlich mächtige Minen unter dem Gefängniß angelegt.
Ueberrascht fragte Mr. Cleary den Commandanten, was diese Minen zu bedeuten haben.
»Sehr einfach,« antwortete Alston, »sie sollen dazu dienen, das Gefängniß in die Luft zu sprengen.«
»Wie? – Mit den fünfzehntausend Menschen? Das kann unmöglich Ihre Meinung sein!«
Allerdings Mr. Cleary.« Es ist Befehl der Ritter und des Präsidenten selber, daß, falls der Feind bis hierher vordringt, das Gefängniß mit den fünfzehntausend Gefangenen in die Luft gesprengt werde.
»Fünfzehntausend Gefangene und alle die Beamten und Soldaten, die zur Bewachung sich darin befinden?« wiederholte Mr. Cleary.
»Nun, mit denen steht es so schlimm nicht,« erwiderte Alston. »Wir werden Sorge tragen, daß in dem Momente, wo die Torpedos entzündet werden, sich Wenige von unsern Leuten im Innern des Gefängnisses befinden. Ich selbst wohne, wie Sie wissen, weit genug entfernt, um von der Katastrophe nicht betroffen zu werden. In meinem Hause befindet sich auch die electrische Batterie, mittelst welcher der Brennstoff entzündet wird. Ich habe Befehl, daß in dem Momente, wo die Thore den Feinden geöffnet werden, die Mine in Brand gesetzt wird. Wir können es nicht gestatten, daß der Feind gerade dann, wenn er sich dem Herzen unsres Landes nähert, in diesen Gefangenen eine Verstärkung von fünfzehntausend Mann erhält; die Maaßregel ist ein wenig hart; indessen sie ist durch die Nothwendigkeit geboten.«
Mr. Cleary war allerdings ein Sclavenbesitzer und fanatischer Anhänger der Conföderation, allein es war in ihm noch nicht alles Gefühl für Menschlichkeit erstickt, wie in den Herzen der Meisten seiner politischen Freunde, und er konnte sich eines stillen Bedauerns, daß eine Nothwendigkeit seine Freunde zu solchen Grausamkeiten zwinge, nicht enthalten.
Mr. Alston führte ihn nun in das Gefängniß selbst, um sich unter den dort befindlichen Deserteuren diejenigen auszuwählen, deren Gesundheitszustand den Marsch nach Canada erlaubte.
Mr. Cleary war an Gräuelscenen, wie sie sich hier darboten, gewöhnt; er hatte das Elend im Millengefängniß und in den andern Gefängnissen gesehen, und wir können uns nicht wundern, daß er gleichgültig vorüberging und die Scenen des Jammers, welche sich dem Blicke hier darboten, fast unbeachtet ließ. Er hörte nicht das Todesröcheln der am Boden Liegenden; er hörte nicht das Winseln der Verwundeten, welche ohne Hülfe sich hier unter ihren Schmerzen krümmten; er sah nicht die Arme, welche sich flehend um Linderung des Elends dem Commandanten entgegenstreckten; sondern er begab sich mit diesem durch die schmale Gasse, welche einige Soldaten, die mit gefälltem Bajonett voranschritten, durch den Haufen der Unglücklichen öffneten, bis zu dem Raume, der für die Deserteure besonders eingerichtet war.
Der Weg führte durch ein langes Zelt, an dessen beiden Wänden der Länge nach Strohlager aufgeschüttet waren. Dort lagen, Mann an Mann, verwundete Officiere.
»Das sind unsre Trophäen aus dem letzten Kampfe in der Wilderneß,« sagte Mr. Alston. »Zwölftausend Mann Gefangene und darunter zweihundert Officiere. Leider sind die meisten so schwer verwundet, daß sie schon nach kurzem Aufenthalte hier sterben. Da, sehen Sie selbst; zählen Sie: Eins, zwei, drei, vier, fünf – fünf Todte nach der Reihe; dann erst kommt einer, der noch lebt, und unmittelbar darnach wieder zwei Todte. – Da werden wir wenig übrig behalten.«
Mr. Cleary folgte mit seinen Blicken widerwillig dem Fingerzeig seines Führers. Es war so, wie Mr. Alston sagte. Unter der ganzen Reihe Verwundeter, die dort lagen, war an diesem Tage bereits mehr als die Hälfte gestorben. Da wo fünf Todte an der einen und zwei an der andern Seite eines noch Lebenden lagen, da hielt Mr. Cleary plötzlich inne. Wie angedonnert stand er und blickte in das Antlitz des Officiers, der hier mit verbundenem Halse und geschlossenen Augen bleich und todesmatt ausgestreckt lag.
»Wer ist das?« fragte er hastig.
»Ein Obrist, Mr. Cleary, und zwar ein Obrist aus der Nigger-Division.«
»Er heißt?«
»Ich kann es nicht sagen, Mr. Cleary. Ich habe allerdings die Kerle bei ihrer Aufnahme nach ihrem Namen gefragt, indessen es war nicht möglich, aus diesem und einigen Andern eine Antwort herauszubringen, denn sie wurden bereits halb todt vom Wagen gehoben und konnten kaum die Lippen öffnen, um etwas Wasser herunterzuschlucken, geschweige denn, ein Verhör zu bestehen. Woher aber kennen Sie ihn?«
»Mr. Alston«, sagte Cleary, ohne auf dessen Frage zu antworten, »können Sie nicht diesem Manne ein besseres Loos zu Theil werden lassen? Giebt es keine bessere Räumlichkeit hier?«
»Ich muß bedauern, Mr. Cleary, wir haben zur Aufnahme der Verwundeten keinen besseren Platz, als dies Zelt.«
»Keinen besseren? Also überall in diesem Gefängnisse sieht es noch schlimmer aus, als hier?«
Alston zuckte die Achseln.
»Aber Aerzte haben Sie doch hier?«
»O ja, wir haben einige Nigger, welche mit dem Verbinden Bescheid wissen.«
»Einige Nigger, keinen wirklichen Arzt?«
»Auch einen wirklichen Arzt, Mr. Cleary. Indessen Sie können sich wohl denken, daß der Arzt sich nicht mit den Hunderten von Kranken, die wir täglich hier haben, beschäftigen kann. Er kann nur hin und wieder einmal inspiciren, das Uebrige indessen besorgen seine Assistenten, die übrigens in dem Geschäfte der Krankenpflege bereits große Erfahrung haben. Da ist zum Beispiel dieser hier«, – Mr. Alston deutete auf einen Neger, der eben in einem großen Blecheimer die Suppe trug, die zum Mittagsmahl für die verwundeten Gefangenen bestimmt war, – »der hat bereits in Leesburg die Stelle eines Heilgehülfen bekleidet.
»Kennst Du den Mann hier, Scipio?« fragte er den Neger.
»Nein, Massah, ich kenne ihn nicht; hat aber Aehnlichkeit mit einem Frauenzimmer, das ich kenne.«
»Mit welchem Frauenzimmer?«
»Mit einer Quadroone, welche eine Freigelassene ist, und welche sich in Leesburg aufhielt zu der Zeit, als ich dort bei Mr. Blackburn im Gelbenfieberhospital beschäftigt war.«
»Ihr Name?« fragte Mr. Cleary.
»Weiß nicht ihren und auch nicht seinen Namen«, antwortete Scipio mit einem verschmitztem Lächeln.
»Ich täusche mich nicht«, murmelte Cleary. »Es ist Edward Brown.«
In seiner Brust erhob sich ein Kampf. – Sollte er, ein Mitglied des Ordens, das Vertrauen seiner Freunde mißbrauchen? Sollte er einem Gefangenen und noch dazu einem so gefährlichen Manne, wie der Obrist Brown, zur Freiheit helfen? – Sollte er andrerseits den Mann im Elend umkommen lassen, welchem er seine und seines Kindes Rettung verdankte? Sollte er kalt vorübergehen an den Leiden des Mannes, welcher ihm großmüthig die Freiheit gab, als er selbst ein Gefangner in seiner Hand war?
»Scipio«, flüsterte er dem Neger zu, in einem Augenblicke, als Mr. Alston's Aufmerksamkeit abgelenkt war durch das Gestöhn der Sterbenden an der anderen Seite des Zeltes, »Scipio, ich habe Dir ein Wort im Vertrauen zu sagen. – Ich erwarte Dich heute Abend in meinem Hotel.«