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Fünfundfunfzigstes Kapitel.
Die Lenker des Staatsschiffes

Unter den Ereignissen, welche auf ewig Zeit mit Flammenzügen im Buch der Geschichte verzeichnet sein werden, nimmt der titanenhafte Kampf, welcher jenseits des Oceans für Freiheit und Recht ausgekämpft wurde, den ersten Platz ein. Der nordamerikanischen Union war es vorbehalten, die aristokratische Selbstsucht mit der Gewalt des eisernen Willens und der unermüdlichsten Opferwilligkeit niederzutreten, das verletzte Recht herzustellen und der Sklaverei den Todesstoß zu versetzen, daß sie nimmer wieder ihr Haupt zu erheben vermag.

Es war ein furchtbarer Kampf, denn das Junkerthum des Südens kämpfte mit verzweifeltem Muthe um sein Leben. Kein Krieg ist seit Jahrhunderten so blutig, so reich an erschütternden Episoden gewesen als dieser allerletzte Freiheitskrieg, und keiner auch so reich an Helden und wahren Großthaten.

Mit ehrfurchtsvollem Staunen blickt die Welt auf die Männer, welche das gewaltige Staatenschiff der größten Republik der Erde durch den wüthenden Orkan des Bürgerkriegs mit fester und sichrer Hand dem Hafen der Freiheit entgegensteuerten, welche nicht zitterten und in bange Muthlosigkeit verfielen, als das Ungewitter der Rebellion hereinbrach, sondern unerschüttert blieben, ihrer weisen Erfahrung, ihrem guten Recht und dem freudigen Muthe des freien Volkes vertrauend. – –

Solche Empfindungen und Gedanken mochten auch dem jungen Mann erfüllen, welcher an dem Morgen eines schönen Tages im Anfange des Septembermonats durch die Straßen von Washington schritt. Er befand sich erst seit gestern hier in dieser Stadt, welche jedem Bürger der Republik das ist, was dem Opferpriester das Allerheiligste seines Tempels ist.

Mit dem Gefühl hochachtender Scheu hatte er die Residenz der Vereinigten Staaten betreten, die Stadt, von welcher aus die Glorie der Freiheit unter dem Gesetz sich über das mächtige Land ergoß, und von welcher aus man den Cours des gigantischen Staatenschiffes regelte.

Es war nicht schwer zu erkennen, daß jener junge Mann kein geborener Amerikaner sei, denn sowohl seine elegante, moderne europäische Kleidertracht, als auch sein etwas gezierter Gang und sein unstätes, von einem Gegenstand zum andern fliegendes Ange, und die stolz ausgeworfene Lippe konnten nur einem Europäer« angehören, und zog man noch die außergewöhnliche Form des Bartes, die kleinen tänzelnden Füße in lakirten Stiefeln und die zierliche Hand in hellgelben Glacés in Betracht, so konnte man darauf schwören, daß man hier, was in Amerika ein Phänomen ist, einen deutschen Geburtsaristokraten von reinsten Geblüt vor sich habe; ja der dicht zugeknöpfte Rock, welcher etwas auffallend die schlanke Taille einschnürte und der Schnitt der Beinkleider würden einen Bewohner einer deutschen Residenz nicht in Zweifel gelassen haben, daß der Fremde ein Gardelieutenant in Civil sei.

Der junge Mann nahm seinen Weg am Congreßhause vorbei grade auf das Wohnhaus des Staatssecretairs W. Seward zu.

Je näher er diesem Ziele kam, desto zögernder wurde sein Schritt. – War es die Erwartung, den großen Staatsmann kennen zu lernen, der unter allen Staatsmännern aller Länder wie ein Stern erster Größe am Himmel der Politik strahlte? War es Ungewißheit und Furcht, ob er hier Erfüllung eines Wunsches finden würde, der ihn von Heimath und Freunden fort über den Ocean getrieben hatte? –

Sein Herz pochte laut, als er den mit einigen wenig cultivirten Ulmen bepflanzten Platz durchschritt, der vor dem Wohnhause des Staatssecretairs liegt, und zagenden Schritts stieg er die Stufen hinan, welche in das Innere dieses Hauses führten.

Er wußte bereits, daß er, um eine Audienz beim Premier-Minister zu erlangen, erst dessen geheimen Secretair, Mr. Webster, seine Aufwartung machen müsse.

Wenn sich der Fremde den geheimen Secretair des allmächtigen Mannes nach europäischen Begriffen gedacht hatte, so mußte er sich getäuscht finden.

Er wurde in ein sehr einfaches Zimmer geführt. Dort saß an einem Tische ein Mann in Hemdärmeln, einen gewaltigen Strohhut auf dem Kopfe, eine kurze Pfeife rauchend und die Füße hoch auf seinem Schreibpulte.

Der Fremde schüttelte über Alles, was er hier sah, den Kopf. Unwillkürlich dachte er an einen Besuch, den er früher einmal im Staatsministerium zu Berlin gemacht hatte. Welcher Aufwand von Luxus und gemessener Förmlichkeit dort, und welche Einfachheit und Vernachlässigung der Formen hier! –

Er zweifelte beinahe, ob er sich wirklich im Staatsministerium der Union befinde und war völlig überzeugt, daß dies hier nicht das Zimmer des Geheimen Sekretairs sei, bis der Diener, welcher ihn hineingeführt hatte, ihn eines anderen belehrte.

»Mr. Webster«, sagte dieser, auf den Mann in Hemdärmeln deutend.

Der Geheime Secretair war eben sehr beschäftigt. Neben ihm standen einige Gesandtschaftssecretaire, welche in ihren eleganten Toiletten einen auffallenden Contrast bildetest zu Herrn Webster's Negligé, und einige hungrige Lieferanten, die Schakalen gleich, auf Beute lauerten.

Der geheime Sekretair wandte sich freundlich nach dem Ankömmling und ersuchte ihn Platz zu nehmen.

»Was ist Ihr Anliegen, Sir?« fragte er.

»Ich wollte mir erlauben, eine Bitte an Sie zu richten, Mr. Webster«, antwortete der Fremde mit devoter Verbeugung, »indessen ich sehe, ich kam zu ungelegener Zeit ...·«

»Oh, wenn sich Ihre Sache kurz abmachen läßt,« sagte Mr. Webster, »so haben diese Herrn sicherlich nichts dawider, wenn ich sie einen Augenblick um Entschuldigung bitte«.

»Nun in der That«, dachte der Fremde, »ich muß gestehen, daß ich eine solche freundliche Aufmerksamkeit an einem solchen Orte, von einem so hochgestellten Manne, noch nicht erfahren habe.«

Laut erwiderte er: »Meine Bitte besteht darin, daß Sie die Güte haben mögen, dies Schreiben des Mr. Buchanan und diese meine Karte dem Herrn Staatsminister überreichen zu wollen.«

»Oh, wenns weiter nichts ist, das kann sogleich geschehen,« sagte der Sekretair.

Langsam erhob er sich und verschwand durch eine Seitenthür, kam jedoch bald wieder zurück und ersuchte den Fremden, ihm zum Staatsminister Seward zu folgen.«

Der Fremde war sichtlich· erfreut, seinen Wunsch, den großen Mann kennen zu lernen, so leicht erfüllt zu sehen, und zauderte daher keinen Augenblick, der Aufforderung Folge zu leisten.

Er wurde in einen einfach eingerichteten ovalen Salon geführt, der sein Licht von oben durch eine Kuppel erhielt. Die hauptsächlichste Möblirung desselben war des mächtigen Mannes Schreibtisch, welcher mit den nöthigen Schreibrequisiten und einem bequemen schwarz ledernen Sessel in der Mitte des Zimmers stand.

An den Wänden hingen ein Paar mittelmäßige Kupferstiche, verziert mit der bei keinem Patrioten fehlenden Landesflagge.

Der Fremde war noch beschäftigt, alle die Einzelheiten dieses Zimmers mit dem Interesse, das sich an die Person des Bewohners knüpft, zu betrachten, als er den schleppenden Tritt eines Mannes vernahm. Er wollte kaum seinen Augen trauen, als er zugleich in der Thür des Mannes ansichtig wurde, von welchem die ganze Welt mit Bewunderung spricht. Er kam in Pantoffeln, einem leinenen Hausrock und ohne Halsbinde. Der Minister hielt seine Karte und den offenen Brief Buchanans in der Hand und mit einem Blick auf die erstere sagte er:

»Ich heiße Sie willkommen, Mr. – Mr. Schleiden.«

Es mochte den Fremden nicht eben angenehm berühren, daß er bei Nennung seines Namens seinen Titel und das bedeutsame »von« welche ebenfalls auf der Karte standen, ausließ, allein er konnte dem Minister deswegen nicht zürnen, denn die große Freundlichkeit, mit welcher er ihm die Hand reichte, und ihn zum Sitzen aufforderte, mußte ihn sofort wieder aussöhnen.

Schüchtern folgte endlich der Fremde der wiederholten Aufforderung, Platz zu nehmen, worauf Mr. Seward sofort ein lebhaftes Gespräch mit ihm begann. Mit theilnehmendstem Interesse erkundigte er sich nach den deutschen Verhältnissen, dem Zustande der Emigration und dem Vertrauen des deutschen Volkes in dem amerikanischen Krieg.

Der Fremde, der sich schließlich daran gewöhnte und sich darüber hinwegsetzte, daß bei seinem Namen sowohl der Grafentitel als das »von« ausgelassen wurde, beantwortete die Fragen des Staatsecretairs mit Offenheit und aus genauer Sachkenntnis hervorgegangener Gründlichkeit. Seine Ehrlichkeit verschmähte es, dem Staatsmann zu verhehlen, daß es in Deutschland leider immer noch eine Parthei gäbe, welche scheel sähe auf die Freiheitsbestrebungen der Union und wenn auch nicht offen, so doch versteckt mit dem Süden sympathisirte, es sei dies die Parthei der Feudalen, welche in der Niederlage des Südens ihre eigene Geltung bedroht sähen. Ja selbst in Preußen gäbe es noch Leute, welche sich nicht entblödeten, in Schrift und Wort darzuthun, daß die Sklaverei eine nicht nur berechtigte, sondern auch wohlthätige und nützliche Institution sei.

Mr. Seward lächelte.

»Ich entsinne mich,« sagte er, »in einer hiesigen Zeitung eine Rede eines gewissen Herrn von Reichenbach abgedruckt gesehen zu haben, welche derselbe in diesem Sinne in Berlin gehalten.« –

»Ganz recht,« antwortete der Graf; »allein solche Erscheinungen sind nur Ausnahmen und dürfen nicht als maßgebend gelten; sie werden auch jetzt um so schneller verschwinden, da die größeren Zeitungen Deutschlands sich durch eigene Correspondenten, welche sie hierhersenden, zuverlässigere Berichte zu verschaffen suchen.«

Diese Nachricht schien dem Minister sehr angenehm.

»Es freut mich außerordentlich,« sagte er, »daß die deutschen Journale sich endlich zu diesem Schritt entschlossen haben, sie werden sich durch eigene Correspondenten von unsren Zuständen eine andere Anschauung sammeln, als diejenige, die sie den englischen Journalen entnehmen, welche, wie die ganze Welt weiß, unsre gehässigsten Feinde sind.«

Nachdem er über ähnliche Themata das Gespräch eine Weile fortgesetzt hatte, erinnerte ihn der Brief, den er in der Hand hielt, an das Anliegen des Grafen.

»Mein Freund Buchanan schreibt mir,« sagte er, »daß Sie eine Offiziersstelle in unsrer Armee zu haben wünschen.« –.

»Wenn ich es wagen darf, Excellenz ...«

»Nicht Excellenz,« unterbrach ihn Seward lächelnd; »es ist ein Irrthum, den man Ihrem europäisch-monarchischen Standpunkt zu Gute halten muß. – Die Minister werden hier nicht Excellenz angeredet, das ist ein Titel, der nur dem Präsidenten gebührt, und auch der wird es Ihnen nicht übel nehmen, wenn Sie ihn weglassen. – Fahren Sie fort wenn ich bitten darf. – Sie waren Officier in Ihrer Heimath?«

»Premier-Lieutenant, Euer ... Mr. Seward.«

»Buchanan schreibt mir, daß der Drang nach Thaten Ihnen dort die Paradeplatzübungen verhaßt gemacht habe.«

»Das einestheils, anderntheils die politische Stellung des Adels, welche meinen Ansichten von staatsbürgerlicher Freiheit nicht entspricht.«

»Beides macht Ihnen alle Ehre; Sie waren, wie ich lese, ein anstelliger Officier ...«

»Sehr gütig, Sir ...«

»Nun, ich werde Ihnen ein Schreiben an den Kriegsminister geben, der Ihnen sicherlich mit Rath und That an die Hand gehen wird. Ich habe selber einen Sohn bei der Armee, er ist Major – ich werde Stanton schreiben. daß er Ihnen in seinem Bataillon, dem es an tüchtigen Officieren fehlt, eine Stelle giebt.«

Seward nahm die Feder und schrieb, während welcher Zeit Herr von Schleiden hinlänglich Gelegenheit hatte, ihn zu betrachten.

Er ist ein Mann von sechzig Jahren, von mittlerer Größe und sehr hager. Seine Gesichtszüge tragen den Stempel großer Entschlossenheit und sein ernstes, durchdringendes Auge ist lebhaft und leuchtend. Während der ganzen Unterredung hatte der Graf Gelegenheit gehabt, die außerordentliche Macht seiner Beredtsamkeit zu bewundern, mit welcher er verstand, ein Thema bis in die kleinsten Details zu erschöpfen, und er mußte sich gestehen, daß, wenn er die äußere Erscheinung des Mannes abrechnete, die hohe Meinung, welche er von ihm gehabt, durch die jetzige noch übertroffen war.

»So,« sagte Seward, als der Brief beendigt war, »hier ist der Brief an den Kriegsminister Stanton, wenn Sie diesem Ihren Besuch gemacht haben, werden Sie auch wohl dem Präsidenten gern Ihre Aufwartung machen wollen; ich habe Sie dort bereits ansagen lassen, so daß Sie nur Ihre Karte einzusenden brauchen.«

Mit großem Dank und aufrichtigster Bewunderung empfahl sich der Graf, um sich nach der Wohnung des Kriegsministers zu begeben, welche nur durch einen großen verwüsteten Garten von der Seward's getrennt war.

Das Palais des Kriegsministers ist ein kleines Gebäude und sieht durchaus nicht aus, als ob der Sitz der höchsten Militairbehörde des Staats sich dort befände. Hier hörte der Graf nicht, wie er es in seiner Vaterstadt gewohnt war, Säbelgeklirre, Sporngerassel – keine dienstthuenden Adjutanten flogen Trepp auf und ab; behäbigen Zivilgesichtern begegnete er hier und vergebens sah er sich nach einem Officier um, der ihn zurecht wiese.

Als der Graf keinen Officier erblickte, wandte er sich an Einen von den Civilisten, der ihn sofort in ein Bureau brachte, wo ein Dutzend Schreiber fleißig arbeiteten.

Ein Herr in einem einfachen grauen Soldatenrock präsentirte sich ihm als der General-Inspektor Hardee.

Nachdem dieser sein Anliegen gehört, ersuchte er ihn, in seinem geheimen Kabinette Platz zu nehmen, und sandte einen seiner Schreiber mit der Karte des Grafen zum Kriegsminister.

Nach Verlauf einer kurzen Frist kehrte dieser zurück und bat ihn, ihm zu folgen.«

Sie passirten einen langen Gang, an dessen Ende sein Begleiter eine Thür öffnete.

Er stand vor dem Kriegsminister.

Stanton ist eine imponirende, stattliche Erscheinung, ein Mann von wenig über vierzig Jahre, stark und etwas über mittlere Größe. Seine Stirn, hoch und breit, drückt Ausdauer und Energie aus, sein Auge ist fest und scharf fixirend, was noch durch seine Augengläser verstärkt wird. Sein Gesicht ist von einem sehr schönen, gutgepflegten Bart eingerahmt, der nicht wenig zu der Männlichkeit und Würde seines Aussehens beiträgt.

In seiner Toilette herrscht jedoch eine gewisse Nachlässigkeit, und nicht die geringste militairische Auszeichnung deutet darauf hin, daß er das Haupt der gesammten Armee ist.

Ernst und gemessen war die Verbeugung, womit er den Grafen von Schleiden empfing, und auch nachdem er das Schreiben, welches ihm jener überreichte, gelesen, änderte er dies Benehmen nicht. Nachdem er seinen Gast mit einer Handbewegung zum Sitzen eingeladen, begann er mit ihm ein Gespräch, welches hauptsächlich den Zweck hatte, ihn über seine militairische Befähigung zu prüfen. Dann nahm er die Papiere, welche ihm der Graf überreichte, meistens Dienstzeugnisse enthaltend, und durchlas sie, während welcher Zeit jener seine Umgebung musterte.

Das Arbeitscabinet des Oberhaupts der Armee war höchst einfach, und nahm den größten Theil desselben ein hoher und großer Schreibtisch ein, angefüllt mit Papieren, Journalen und Karten. Einige ziemlich unvollkommene Arbeiten aus dem mexikanischen Kriege hingen an den Wänden. Die Einfachheit und Schmucklosigkeit des Zimmers überraschte ihn jetzt nicht mehr, denn er hatte bereits eingesehen, daß er auch in dieser Beziehung deutsche Verhältnisse mit denen der Republik nicht vergleichen dürfe. Das Ueberraschendste, was sich seinem Blicke darbot, war das Telegraphenbüreau, welches unmittelbar an das Arbeitskabinet grenzte, und durch dessen geöffnete Thür er hineinsehen konnte. Zehn Operateure saßen dort und sandten Befehle und Anordnungen mit Gedankenschnelle an die in diesem weiten Reiche zerstreuten Truppen, und es herrschte dort ein unaufhörliches Gerassel und Geklapper.

Als der Kriegsminister die Durchlesung der Papiere beendet hatte, drückte er an eine Glocke, worauf ein Adjudant erschien, welchen er beauftragte, den Namen des Petenten in die Liste einzutragen und ihm das Patent auszufertigen, um es dem Präsidenten zur Genehmigung vorzulegen, dann knüpfte er von Neuem ein Gespräch an, welches sich auf die neuesten Erfindungen im Bereiche der Feuerwaffen bezog, und der Minister zeigte besonderes Interesse für die östreichischen congreveschen Raketen und die preußischen gezogenen Geschütze.

Während sie sich lebhaft unterhielten, öffnete sich die Thür, und ein alter Mann in schädigen schwarzen Kleidern, einen thurmhohen weißen Hut auf dem Kopf, trat herein und ließ sich ohne alle Ceremonie auf einen Stuhl nieder.

Der Graf war sehr geneigt, den Alten für einen verkommenen Lehrer zu halten, der sich das Recht herausnahm, seines einstigen Schülers, des Kriegsministers Kabinet, für ein Ruheplätzchen zu gebrauchen, zu seiner großen Verwunderung aber erhob sich Mr. Stanton und sagte zu ihm:

»Erlauben Sie mir, Mr. Schleiden« – auch er ließ den Titel weg – »Sie dem Marineminister Wells vorzustellen.«

Erstaunt sprang der Graf von seinem Sitze auf und suchte durch die allergrößte Höflichkeit die Gleichgültigkeit, mit welcher er ihn bei seinem Eintritt angesehen, wieder auszugleichen; der Alle aber nickte ihm lächelnd, Platz zu behalten, und ersuchte den Kriegsminister, sich nicht stören zu lassen. Da aber der Graf wohl einsah, daß ein Gegenstand von Wichtigkeit den Marineminister hergeführt habe, so ergriff er die erste Gelegenheit sich zu beurlauben.

Zwischen dem Ministerium des Kriegs und der Flotte liegt das » Weiße Haus«, die Wohnung des Präsidenten der Vereinigten Staaten.

Es ist ein ganz einfaches Gebäude und hat das Aussehen der Wohnung eines reichen Privatmannes, nicht zu groß und nicht zu klein. Am Thore standen einige Individuen, welche jeden Eintretenden mit Argusaugen betrachteten, aber seinem Eintreten doch kein Hinderniß in den Weg legten. Die Leichtigkeit, mit welcher der Graf bei den Ministern Audienz erlangt hatte, ließ ihn hoffen, daß er auch beim Präsidenten nicht abgewiesen werden würde, zumal da er dessen Leutseligkeit so vielfach hatte preisen hören.

Er täuschte sich darin nicht. Ein Bedienter ohne alle Livree, dem er sein Begehren mittheilte, sagte ihm, daß er, um eine Audienz zu erlangen, weiter nichts zu thun habe, als dieselbe bei Mr. Nicolai, dem Privatsecretair des Präsidenten nachzusuchen. Er übergab dem Bedienten seine Karte und wurde denn auch sofort vorgelassen.

Mr. Nicolai ist ein Deutscher, ein Umstand, der dem Grafen in so fern zu Gute kam, als er von demselben mit größter Freundlichkeit empfangen, und seiner Bitte aufs schleunigste gewillfahrt wurde.

Mr. Nicolai öffnete eine Thür, und präsentirte den Grafen Sr. Excellenz dem Präsidenten der Vereinigten Staaten.

Abraham Lincoln war ein langer, hagerer, starkknochiger Mann von dreiundfünfzig Jahren. Seine Züge waren hart, Nase und Mund groß, sein intelligentes und durchdringendes Auge leuchtete, wenn er sprach, das ganze Gesicht drückte Entschlossenheit und Charakterfestigkeit aus; nichts desto weniger war der Ton seiner Stimme sanft und freundlich und sein ganzes Aeußere Vertrauen einflößend.

Auch er sprach mit dem Grafen angelegentlichst über deutsche Zustände, namentlich über die Pflege der Wissenschaft in Deutschland. Ueberraschend war in dieser Unterhaltung dem Fremden die außerordentliche Verehrung, welche Lincoln für die Dichter und Schriftsteller des Alterthums hegte; er citirte dieselben sehr oft in seinen mit dem besten Humor und den treffendsten Einfällen gewürzten Reden.

Als der Präsident dem Deutschen so einfach und doch so würdevoll entgegentrat, mußte dieser unwillkürlich an seine Vergangenheit denken, und als er über den Krieg sowie über Deutschland und England sprach, lag in seinen Worten eine so eiserne Festigkeit und Bestimmtheit, daß Schleiden vor dem Manne, der seine Kenntnisse nicht einer sorgfältigen Erziehung verdankte – denn Lincoln war gelernter Zimmermann und nichts mehr – und der seine jetzige Stellung nicht seiner Geburt und seinem Reichthum verdankte, sondern seiner eigenen Mühe, seiner Ausdauer, seiner Energie, seinen Fähigkeiten, einen Respect bekam, wie er ihn nie gegen einen deutschen Fürsten empfunden hatte. Um sich so von der niedrigsten Stufe bis zur höchsten empor zu schwingen, welches bewunderungswürdigen Geistes bedarf es da! –

Nichts in der Umgebung dieses außerordentlichen Mannes deutete auf die Macht hin, welche er in Händen hatte, und doch regierte er ein Volk von vierzig Millionen, und achtmalhunderttausend Soldaten erwarteten seine Befehle. Eine ungeheure Flotte, vom einfachsten Kutter an bis zum fürchterlichsten eisengepanzerten Schiffe erhielt von ihm ihre Signale, und mit einem einzigen Federzuge unterzeichnete er das Verdammungsurtheil von elf Millionen Menschen. Sein Wille, unbeugsam und fest, machte fünf Millionen Sklaven, seit Jahrhunderten geknechtet, zu freien Bürgern und gab damit dem Namen Republik die ganze volle Deutung.

Sowohl der offene Charakter des jungen Mannes, als seine echt chevalereske Denkungsart schienen dem Präsidenten wohl zu gefallen, mit unverhohlener Herzlichkeit reichte er ihm die Hand, indem er sagte:

»Ihr Wunsch soll berücksichtigt werden, Mr. Schleiden. Da Sie den Dienst unserer Armee noch nicht kennen, so geht es freilich nicht an, daß wir Ihnen gleich eine Stelle als Oberlieutenant geben, indessen verspreche ich Ihnen ein Avancement schon nach wenigen Wochen. Wenn Sie als Unterlieutenant eintreten, entgehe ich dadurch zugleich dem Vorwurf, Jemanden bevorzugt zu haben, denn Sie müssen wissen, es sind in unserer Armee viele brave Soldaten, welche sich Anspruch auf ein Avancement zu Officieren erworben haben.«

So sehr auch der Graf von Schleiden von engherziger Anschauung frei war, und so sehr ihm die Güte des Präsidenten schmeichelte, so konnte er sich doch immer noch nicht ganz von den europäisch-aristokratischen Vorurtheilen frei machen, und es verletzte ihn gewissermaßen, daß man, seinen Stand ganz unberücksichtigt lassend, ihn mit den übrigen Soldaten in eine Kathegorie brachte. Er hielt es daher für nicht überflüssig, den Präsidenten an die in Europa geltenden Vorrechte der Geburt zu erinnern, indem er sagte:

»Euer Excellenz Güte erfüllt mich mit großer Dankbarkeit und Ihre Unpartheilichkeit ist weit entfernt, dieselbe zu verringern. Zwar gehöre ich einem der ältesten Adelsgeschlechter Deutschlands an ...«

»Oh!« unterbrach ihn Lincoln treuherzig, »darüber machen Sie sich keine Sorge, das wird Ihnen in Ihrem Fortkommen hier durchaus nicht hinderlich sein.«

Der Graf erröthete beschämt.

»Ich Thor!« murmelte er; »ich vergesse, daß ich mich in einem Lande befinde, in welchem man Staudesvorrechte nicht kennt.«

Diese für den Grafen so interessante Audienz wurde dadurch beendet, daß Mr. Nicolai eintrat und dem Präsidenten meldete, daß ein Offizier, Namens George Borton, ihn dringend zu sprechen wünsche ...

»George Borton?« wiederholte Lincoln, »ist das nicht der Officier, welcher jüngst um seinen Abschied einkam?«

»Derselbe, Sir!«

»Führen Sie ihn herein.«


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