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Weder die Alabama noch die Sea-bright hätten den gefährlichen Feind sich so nahe kommen lassen, hätte nicht die Einschiffung der Gefangenen sie genöthigt, ihre Flucht zu verzögern. Noch immer gingen die Wellen so hoch, daß die Böte, welche zwischen dem Kaperschiff und dem Schooner hin und her fuhren, sich nur mühsam durch sie Bahn brechen konnten. Näher und näher kam inzwischen die Fregatte, auf welche Semmes unablässig sein Fernrohr gerichtet hielt, irgend ein Signal erwartend.
Sollte er sich getäuscht haben? – das Schiff machte eine Wendung, und, von der bisherigen Richtung abweichend, hatte es durchaus nicht den Anschein, dem Kaper folgen zu wollen; vielmehr schien es ruhig vorbeisegeln zu wollen. Auch der erste Lieutenant hatte diese Bemerkung gemacht. Er näherte sich dem Capitain:
»Halten Sie das für Ernst, Sir?«
»Oh, ich kenne den Vanderbild zu gut,« antwortete Semmes, »um glauben zu können, daß es ihm mit jener Wendung Ernst sei. – Aber ich sollte meinen, er kennt auch mich gut genug, um zu wissen, daß ich mich nicht überlisten lasse. – Wären nur erst die Böte zurück!«
»Eben stoßen sie von der Sea-bright ab, Sir.«
»Haben wir Dampf?«
»Nach einer Viertelstunde, meinte der Maschinist.«
»So müssen wir es vorläufig mit den Segeln versuchen.«
Der Lootse, Mr. Evans, näherte sich; sein Gesicht drückte große Besorgniß aus.
»Mr. Semmes,« sagte er, »bemerken Sie, daß der Nebel, welcher sich schon vor einer Stunde auszubreiten anfing, dichter und dichter wird?«
»Ich sehe es, und hoffe, daß er uns sehr bald den Blicken der Fregatte entziehen wird,« war des Capitains Antwort.
»Wir werden aber zugleich den Schooner und die Böte aus dem Gesicht verlieren. Ich kenne das,« fuhr der Lootse fort. »Wir haben in dieser Jahreszeit und unter dieser Breite oft Nebel, welche sich plötzlich wie dichte Wolken auf die See niederlegen – da, Sie sehen es, die Fregatte ist kaum noch zu erkennen.«
Die Besorgniß des Lootsen war nicht grundlos, die Sonne, welche längst sich hinter den trüben Wolken verborgen, durchdrang kaum noch den Nebelschleier, welcher sich dichter und dichter herabsenkte. Wie ein weit entrückter Schatten zeichneten sich die Umrisse des Schooners am Horizont ab, und von den Boten, welche die Gefangenen hinüberbrachten, war nichts zu sehen. Die Scene hatte sich im Laufe einer einzigen Stunde dermaßen verändert, daß Semmes seine ganze Sicherheit und Festigkeit brauchte, um dieser kritischen Lage gewachsen zu bleiben. Die ganze Mannschaft der Alabama hatte eine Ahnung irgend eines gefährlichen Ausganges beschlichen.
Fast lautlos stand Alles in die dichten weißen Nebelmassen hinausschauend oder erwartungsvoll den Blick auf die Schanze gerichtet, wo Semmes mit den Offizieren sich befand.
Nichts unterbrach diese allgemeine Ruhe, als ein leises Flüstern und das Spülen der Wellen, welche sich am Bug des Schiffes brachen.
Plötzlich schallte ein Kanonendonner aus der Nebelschicht hervor, furchtbar durch die Luft zitternd.
»Das war Sinclair!« rief Armstrong. »Er ist sicher von der Fregatte bedrängt.«
»Nein,« antwortete Semmes bestimmt, das war zwar kein blinder Schuß. – Das Geschütz war geladen und wurde nur in der Eile abgefeuert, um uns ein Signal zu geben. Können die Marsposten da oben nichts erkennen?«
Der Lieutenant Keil rief den Mann im Mastkorbe an und fragte ihn, ob irgend etwas zu erkennen sei.
»Ich kann durch den Nebel nur undeutlich sehen,« war die Antwort. »Das große Schiff im Westen segelt vorbei.«
»So will Mr. Sinclair wahrscheinlich nur die Richtung erfahren, in welcher wir segeln,« meinte Anderson.
»Auch das nicht,« entgegnete Semmes. »Dazu dient der Kompas. Lassen Sie alle Vorbereitungen treffen, um die Fregatte, falls wir wirklich zum Kampf gezwungen werden, zu empfangen. – Ha!« rief er plötzlich – »Sehen Sie dort, weshalb Sinclair so laut durch den Nebel gesprochen. Die Fregatte hat eine Wendung gemacht, kein Zweifel, daß sie den ersten günstigen Augenblick benutzen wird, um uns eine Lage ihrer Breitseite zuzuschicken!«
Das Maneuvre der Fregatte hatte den Zweck gehabt, sich dem Kaperschiff schnell so zu nahen, daß ein Ausweichen desselben so gut wie unmöglich war, und sie hatte diesen Zweck erreicht.
Das Geschrei: »Das fremde Schiff ist ganz nahe!« war bis in den untersten Raum des Schiffes gedrungen, und bereits beim ersten Trommelschlag war auch schon das ganze Schiff in Bewegung. Die Kanonen wurden in die Lucken geschoben, die Schoten sanken nieder, die Geräthschaften verschwanden vom Deck, und die ganze Schanze zeigte eine ununterbrochene Reihe furchtbaren Geschützes.
»Wir müssen es mit dem Winde versuchen, bis wir Dampf haben!« rief Semmes. Die Lee-Segel und Bram-Segel beigesetzt. Lassen Sie Sinclair ein Zeichen geben, die Böte wieder aufzunehmen; wir können nicht länger drauf warten!«
Alle Befehle wurden schnell und mit gewohnter Pünktlichkeit ausgeführt. Ein Kanonenschuß gab der Sea-bright das Signal, die Mannschaft der Böte aufzunehmen.«
Der Lauf der Alabama war in eine vom Feinde schräg abführende Linie gerichtet worden, obgleich Semmes sich bemühte, den Schein einer Flucht zu vermeiden. Alle Blicke hefteten sich jetzt auf die große Masse der schwellenden Segel, welche sich über dem dunklen Rumpf und zwischen den beiden mächtigen Schornsteinen der Fregatte emporthürmten. Da schien die graue Nebelschicht sich zu spalten. Die schlanken Spieren, die vom Bugsprit hervorsprangen, gingen aus dem Dunkel hervor und ihnen folgte das ganze ungeheure Gebäude, der ganze schwarze Rumpf trat auf einmal deutlich hervor und deutlich sah man vom Besanmast die Flagge der Union wehen.
»Eins, zwei, drei Reihen Zähne,« zählte Anderson bedächtig die Kanonenschichten, die vom feindlichen Schiffe sich ihnen entgegenstreckten. »Ein Dreidecker. – Beim Henker, es ist kein großes Glück einem solchen Burschen zu begegnen.«
»Tüchtig zugesteuert, Quartiermeister!« schrie der Capitain, »hier ist keine Zeit zu verlieren! Ein solcher Feind, und kaum eine Viertelmeile von uns! Rufen Sie alle Matrosen auf, Lieutenant Kell, und lassen Sie das Schiff vom Flaggenknopfe bis zu den untersten Leesegelspieren in Segel hüllen. – Wo die Böte nur sind! Hätten wir nur erst von der Sea-bright das Signal, daß sie von ihr aufgenommen sind.«
Die Matrosen, welche längst bereit und der Befehle des Capitains gewärtig dastanden, warteten nicht erst das Signal des Oberbootsmanns ab. Von allen Kanonen, auf welche sie sich placirt hatten, sprangen sie herab und eilten tumultarisch zu den Segeln hin.
Ein Augenblick völliger Verwirrung, aus welchem ein Uneingeweihter die Auflösung aller Ordnung prophezeiht haben würde, trat jetzt ein. – Jede Hand, jede Zunge rührte sich, und wie durch Zauberei war die Menge der kleinen Segel entfaltet, welche um die Masten entlang über die gewöhnlichen größeren herabfielen; worauf die vorige Ruhe und Ordnung und das Schweigen der Erwartung wieder eintrat.
Der Wind, der den Dreidecker herbeigeführt hatte, blies nun auch kräftig in die Segel der Alabama. Sie trieb frisch vor dem Winde hin, und hätte nicht das Panzerschiff den Vortheil des Dampfes gehabt, so würde das Kaperschiff mit seinem flüchtigen Kiel schnell seiner gefährlichen Nähe entschlüpft sein.
»Das Nebelgewölk beginnt zu steigen« rief der Lootse, Mr. Evans. »Bekommen wir jetzt Dampf und hält der Wind eine Stunde so aus, so werden wir bald glücklich aus der Schußweite sein.«
»Aber die See-bright,« wandte Anderson ein. »Was wird aus dem Schooner?«
»Hoffentlich findet der Schooner, während der vergeblichen Bemühung des Vanderbild, auf uns Jagd zu machen, Zeit, sich aus dem Staube zu machen,« meinte Armstrong.
»Was ist das dort?« rief plötzlich Semmes, auf einen grauen Punkt im Nebel deutend. Unmöglich ist das der Schooner? – Nein, beim Teufel, es sind die Böte, sie sind nicht umgekehrt, haben ohne Zweifel bei dem Nebel und dem Wellengang die Richtung verfehlt! –«
»Wir müssen beidrehen und sie aufnehmen,« schlug Armstrong vor.
»Um Alles in der Welt nicht,« widersprach Kell. »Jede Minute Aufschub gereicht uns zum Verderben. Sie sehen, der Achtziger hält es tüchtig mit dem Winde, er erwartet schon, daß wir das Weite suchen, und wir können uns glücklich schätzen, wenn wir einer vollen Lage entgehen.«
»Laviren, Mr. Kell!« unterbrach ihn Semmes, »wir müssen seitwärts biegen, denn erhalten wir die volle Ladung, so sind wir verloren.«
Beide Fahrzeuge schossen jetzt einige Minuten dahin und bewachten gleich zwei gewandten Wettkämpfern ihre gegenseitigen Bewegungen. Die Unionsfregatte gewann bald einen Vorsprung und eine plötzliche Wendung zeigte dem Kapitain des Kaperschiffes deutlich, von welcher Seite her er den Feind zu erwarten hatte.
»Wo sind die Böte?« rief Evans, »Bei der Richtung, welche der Dreidecker jetzt hat, muß er sie in den Grund segeln. Vielleicht ist das schon geschehen, ich sehe sie nicht mehr.«
Die Böte waren in der That verschwunden. Waren sie wirklich übersegelt und untergegangen, wie Evans fürchtete, oder waren sie von der Fregatte geentert worden? – So wichtig auch jetzt diese Frage gewesen wäre, so ließ sie der Kapitain für den Augenblick doch ganz unbeachtet, sein wachsames Auge folgte vielmehr mit ungetheilter Aufmerksamkeit den Bewegungen des Feindes; indem er zugleich Kell, welcher neben ihm stand, durch eine ausdrucksvolle Bewegung seines Armes den Cours andeutete, welchen das Schiff jetzt einzuschlagen habe, um der drohenden Gefahr zu entgehen.
»Die Maschinen sind geheizt,« meldete jetzt Anderson.
»So lassen Sie vollen Dampf geben« befahl Semmes.
»Die See-bright in Sicht!« meldete der Marsposten, durch das Sprachrohr aus dem Mastkorbe herabrufend.
»Welchen Cours?" fragte Semmes hinauf.
»Sie hält auf unser Kielwasser!«
»Lassen Sie ein Signal geben, daß sie wendet und das Weite sucht, Lieutenant Kell;« wandte sich der Kapitain an diesen.
»Ein Boot lavirt leewärts!« meldete der Posten von Neuem.
»Eins, nicht beide?« fragte der Kapitain.
»Nein, nur eins!« wiederholte der Matrose. – »Die Sea-bright steuert drauf zu!«
»Warten Sie mit dem Signal, bis das Boot aufgenommen ist,« sagte Semmes zum ersten Lieutenant, der schon den Befehl zu dem Signal zu ertheilen im Begriffe stand. – –
Um die sehr auffällige Erscheinung, daß erstlich die Böte während des Nobels den Cours verfehlt hatten, und zweitens, daß der Posten nur eins derselben erblickte, von dem Verbleib des andern aber Niemand etwas wußte, zu erklären, ist es nöthig daß wir in unsrer Erzählung zu dem Punkte zurückkehren, da die drei Gefangnen, Brocklyn, Powel und Jonas gebunden von der Sea-bright in eins der Bote geschafft wurden, welche die Bestimmung hatten, die übrigen Gefangnen von der Alabama abzuholen.
In dem Boote befanden sich außer den drei Gebundenen drei Matrosen und ein Bootsmann, welcher das Commando hatte.
Da der Wind günstig war, obwohl die See sehr hoch ging, so hatte man alle Segel beigesetzt, denn es war die größte Eile befohlen worden. Die Boote aber waren noch nicht weit in die See hinaus als der Nebel sich dicht und undurchdringlich auf die Oberfläche zu senken begann. Der Schooner erschien ihnen nur noch in undeutlicher schattenhafter Gestalt und von der Alabama war nichts zu sehen; nur der Compaß, welchen der Bootsmann bei sich führte, konnte die Richtung angeben, in welcher das Schiff zu suchen sei.
Da erdröhnte der Signalschuß der Sea-bright, welcher die Nähe der feindlichen Fregatte verkünden sollte· Wir wissen, daß in Folge dessen die Alabama ihren Cours änderte und dem Schooner ein Signal gab, die Mannschaft der Böte wieder aufzunehmen. Wo aber den Schooner suchen? – In dem Nebel war von demselben nichts zu sehen, und die Alabama flog mit vollen Segeln vor dem Winde hin. Man mußte eine andere Richtung einschlagen, dabei hatten nun die kleinen Fahrzeuge außer mit den Wellen auch noch mit dem widrigen Winde zu kämpfen, denn da sie bei ihrer jetzigen Richtung beinahe dem Wind stricte entgegenfahren mußten, so waren sie gezwungen zu laviren.
Der Bootsmann, welcher das Kommando führte, hatte angeordnet, daß das zweite Boot sich immer in der Nähe des ersten halten und sich mit seinen Mannövern nach diesem richten sollte.
Beide also kreuzten jetzt umher, von dem grauen Nebelschleier eingehüllt. Wohl eine halbe Stunde verharrten sie dabei, allein sie konnten den Schooner nicht wieder zu Gesicht bekommen.
»Zieht die Segel ein, nehmt die Ruder!« befahl der Bootsmann.
Das geschah; aber was vermochten drei Ruder bei so schweren Böten und bei so hoch gehender See?
Die drei Gefangenen saßen auf einer Ruderbank in der Mitte des Bootes. Sie schöpften neue Hoffnung. War es nicht möglich, daß eine der furchtbaren Wellen, welche das Boot abwechselnd hoch emporhoben und tief hinabschlenderten, dasselbe umkippten, und sie vor dem Geschick bewahrten, das ihnen bevorstand? – War es nicht möglich, daß sie in dem Nebel von einem der Schiffe, die in der Nähe waren, übersegelt wurden? – Das waren wenigstens die Gedanken Brocklyns und Powels, der alte Jonas aber schien noch einen Nebengedanken zu haben.
Obwohl die Matrosen an den schweren Rudern mit allem Kraftaufwande arbeiteten, daß ihre Kräfte vor der Zeit zu erschöpfen drohten, machte sich der alte Oberbootsmann doch ein Vergnügen daraus, sie unablässig zu verspotten.
»Die Kerle verstehen kein Ruder zu führen, Bootsmann«, sagte er, zu dem am Steuer Sitzenden sich umwendend. »Wie sollen auch Matrosen eines Kaperschiffes das Ruder führen lernen, da sie die Küste so gut wie gar nicht zu sehen kriegen. Das Ruder führen, so was lernt nur Einer, der auf einem Kauffahrer grau geworden ist. Meiner Zeit, als ich noch Matrose war, habe ich ein solches Boot allein mit dem Ruder regieren können, und könnte es auch heute noch, wenn ich es jemals nöthig hätte.«
Der Bootsmann sowohl wie die Matrosen verhöhnten anfangs diese Renommisterei, da aber der Alte mit seinem Spott nicht innehielt, so rief endlich einer der Matrosen unwillig:
»Herr Bootsmann, lassen Sie doch diesen Prahlhans mitarbeiten. Wenn er auch, wie er sagt, Oberbootsmann war und zu den Officieren gehört, so ist er doch jetzt ein Gefangener und sein Rang geht uns nichts an. Lassen Sie ihn ein Ruder nehmen.«
»Das ist auch meine Ansicht«, fügte ein Anderer hinzu. »Wir können seine breiten Schultern nützlich verwerthen, und daß er uns nicht über Bord springt, dafür werde ich schon sorgen, er kann hier neben mir sitzen. Wenn er auch nicht mehr leistet als Unsereiner, so ist es doch immer ein Ruder mehr, und das können wir in unserer Lage sehr wohl gebrauchen.«
Dem Bootsmann leuchtete dieser Vorschlag ein, und obwohl er sich sagen mußte, daß er seiner Instruktion zuwieder handeln würde, wenn er ihn befolgte, so gebot ihm doch die gefahrvolle Lage, in welcher er sich mit den ihm anvertrauten Böten befand, jedes Hülfsmittel in Anwendung zu bringen.
Nach einigem Besinnen sagte er daher:
»Gut, nehmet ihm den Strick ab. – Aber Ihr Ehrenwort Herr Oberbootsmann, daß Sie keinen Versuch machen, über Bord zu springen.«
»Wenn nicht diese Nußschale umkippt, denke ich keinen Grund dazu zu haben,« erwiederte Jonas. »Ich habe an dem einen Bad genug, das ich diesen Morgen hatte, und von dem ich kaum trocken geworden bin. Aber sonderbar finde ich es, daß Ihr mir noch Bedingungen machen wollt, wo Ihr mich braucht. Glaubt Ihr, Ihr thut mir einen Gefallen damit, daß Ihr mich zum Matrosendienst heranzieht?«
Obwohl diese Worte dem Anschein nach mit Entrüstung und Unwillen gesprochen waren, wurden sie doch von dem Sprecher durch einen Wink mit dem Ellenbogen, den er seinen beiden Gefährten gab, und einem schlauen Zwinkern mit den Augen begleitet, welches diesen andeutete, daß der Alte irgend einen Plan auszuführen im Begriff stehe.
»Er will sich aus der Affaire ziehen!« rief Einer der Matrosen. »Herr Bootsmann, lassen Sie den alten Renommisten getrost losbinden, daß er nicht über Bord springt, dafür werde ich Sorge tragen.«
Jonas stellte sich, als wollte er dagegen protestiren, ließ es aber doch mit innerm Gaudium geschehen, daß man ihm die Fesseln abnahm. Er nahm auf der Bank unmittelbar hinter seinen Freunden Platz und begann das Ruder zu führen, so kräftig und so geschickt, daß die Matrosen allen Respekt bekamen und den Ton des Spotts mit der kameradschaftlichen Vertraulichkeit vertauschten.
»Meiner Seel', ich hätte nicht gedacht, daß Sie als Oberbootsmann noch so daß Ruder zu handhaben verstehen,« sagte der Matrose welcher hinter ihm saß. »Es ist zwar aufgeschnitten, daß Sie ein Boot wie dies, allein zu regieren im Stande sind, aber was wahr ist muß wahr bleiben. Sie führen das Ruder wie der stämmigste und gewandteste Matrose.«
»Wird uns aber doch wohl nichts helfen,« brummte der Alte. ... »hollah,« – unterbrach er sich, als das Boot von dem Gipfel eine Welle fast senkrecht in die hohle See schoß – »diese Welle sah gerade so aus, als sollte sie unser Deckbett werden – ich sage, die Nußschale kippt doch. – Kannst Du schwimmen, Freund?«
»Sie meinen wohl, Herr Oberbootsmann, daß nur die Mannschaft eines Kauffahrers das Schwimmen lernt? Ich habe mehr als einmal ein solches Bad erlebt, wie Sie mit den beiden Andern diesen Morgen.« –
»Dann sind wohl Deine Kameraden auch gute Schwimmer?«
»Ei, das versteht sich ganz von selbst.«
»Meint Ihr im Stande zu sein, Euch so lange über Wasser zu halten, bis Euch das andere Boot da, das etwa dreißig Faden hinter uns rudert, aufnimmt?«
»Das wäre keine große Probe unserer Kunst, aber wozu die Frage?«
»Ich meine,« antwortete der Alte mit verschmitztem Lächeln, »falls das Ding hier umkippt, so brauchtet Ihr doch nicht zu ertrinken, wenn es wahr ist, daß Ihr so gut schwimmt.«
»Oh, deshalb sein Sie unbesorgt, ich würde mit gebundenen Händen mich so lange über Wasser halten, als nöthig ist, das andere Boot zu erreichen.«
Es trat eine Pause ein, während welcher Alle mit verdoppelter Anstrengung arbeiteten. Der Alte aber hatte während seiner Unterhaltung noch etwas anderes gethan als das Ruder geführt und gesprochen. Während er mit der einen Hand kräftig das schwere Ruder handhabte, gebrauchte er die andere, um seinen beiden Kameraden, welche auf der Bank vor ihm saßen, die Stricke zu lösen, welche ihre Hände auf dem Rücken zusammen hielten. Die Knoten derselben waren in der Manier geschürzt, wie stets die Seeleute in Stricken einen Knoten zu schürzen pflegen, und den Kunstgriff, einen solchen Knoten mit Leichtigkeit zu öffnen, verstand der alte Seemann so gut, daß er dies bewerkstelligte, ohne daß von den übrigen Insassen des Bootes auch nur Einer etwas gemerkt hätte.
»Dort ist ein Schiff!« rief einer der Matrosen.
»Die Sea-bright,« fügte ein Anderer hinzu, – »dort ist noch ein Schiff!«
»Die Alabama!« rieth der Dritte.
»Herum das Boot!« rief der Bootsmann am Steuer, »das Schiff dort ist die feindliche Fregatte. – Vorwärts, Leute, arbeitet, daß wir dem da aus dem Gesicht kommen. – Setzt alle Kräfte dran!«
Er warf das Steuer herum. Schrecken hatte die Matrosen ergriffen. Mit übermenschlicher Kraft trieben sie das schwere Boot vorwärts. Kein Laut wurde gehört, die Nähe der Gefahr nahm alle ihre Gedanken in Anspruch. Keiner achtete auf den Andern, jeder that, als ob von ihm allein die Rettung abhinge.
Während das Boot herumschoß, um den neuen Cours einzuschlagen, gerieth es in so heftiges Schwanken, daß jeden Augenblick zu befürchten stand, es werde von den Wellen bedeckt werden.
Das war der Moment, den sich Jonas zur Ausführung seines Planes ausersehen hatte.
Plötzlich, ehe irgend Einer eine Ahnung davon hatte, ergriff er den Matrosen, welcher hinter ihm saß, und mit herkulischer Kraft schleuderte er ihn über Bord, und noch ehe Jemand wußte, ob etwas Anderes als das Schwanken des Bootes die Ursache von dem Sturz in die See sei, folgte ein zweiter Matrose dem ersten.
»Du kannst ja so gut schwimmen«, rief ihm Jonas spottend nach, »daß Du Dich selbst mit gebundenen Händen über Wasser halten könntest. – Dort, kaum dreißig Faden hinter uns, ist das andere Boot.«
Gleichzeitig, während Jonas diesen Coup gegen zwei der Matrosen ausführte, sprangen Brocklyn und Powel, welche, obwohl von den Fesseln befreit, um keinen Verdacht zu erwecken, ihre Stellung doch nicht verändert hatten, auf und stürzten sich, der Eine auf den Bootsmann, der Andere auf den dritten Matrosen.
Wer weiß, ob der Kampf zu ihren Gunsten geendet hätte, wäre nicht Jonas, als er zwei der Gegner beseitigt hatte, hinzugekommen, und hätte, und zwar mit denselben Fesseln, welche die Hände seiner Freunde umgeben hatten, den Bootsmann und den Matrosen unschädlich gemacht.
Sobald sie sich so des Boots bemächtigt hatten, hißten sie die eingerefften Segel wieder auf. Powel ergriff das Steuer und hielt stricte auf die Fregatte zu.
Die Matrosen des zweiten Bootes, welche durch den Nebel von den Vorgängen in dem ersten Boote nichts gesehen hatten, fanden dies Mannöver so auffällig, daß sie Anfangs zögerten, dem Beispiel zu folgen, allein ihre Instruktion lautete so bestimmt, daß sie in der That ebenfalls die Segel aufhißten und dem Cours ihres Führers folgten. Plötzlich aber sah man sie die Segel einziehen, und ein Tau werfen.
»Sie haben sie aufgefischt«; sagte Jonas. »Es ist mir lieb, daß die guten Kerle. nicht ertrunken sind, es hätte mir leid um sie gethan, denn sie scheinen tüchtige Seeleute zu sein, wenn sie auch auf einem Raubschiff dienen. – Aber jetzt heißt es, Segel vorgespannt, denn wenn die da erfahren, wie es hier zugegangen ist, so werden sie nicht säumen, Jagd auf uns zu machen.«
Diese Befürchtung traf in der That ein. Das zweite Boot setzte schon nach wenigen Minuten alle Segel bei und schoß pfeilschnell, von dem Winde getrieben, ihnen nach.
Jedoch es war zu spät. Die Nothflagge und Signalschüsse des Revolvers, welcher dem gebundenen Bootsmann aus dem Gürtel genommen wurde, hatten die Fregatte bereits aufmerksam gemacht, und die Verfolger hatten kaum noch Zeit, zu wenden und das Weite zu suchen.
Kaum 10 Minuten später befanden sich Brocklyn, Powel, Jonas und die beiden Gefesselten an Bord der Unionsfregatte »Vanderbild«. – –
Wir wissen bereits, daß man auf der Alabama die Annäherung der beiden Boote an die Fregatte bemerkt hatte, daß man sie aber seitdem aus dem Gesicht verlor, bis nach geraumer Zeit der Marsposten berichtete, daß eins der Boote leewärts lavire, und daß die Sea-bright darauf zusteure.
Dies geschah eben, als gemeldet wurde, daß die Maschinen geheizt seien. Die Schrauben wurden sofort in Thätigkeit gesetzt, und pfeilschnell schoß das schlanke, flüchtige Fahrzeug von Wind und Dampf getrieben, dahin, nachdem der Sea-bright durch einen Schuß das Zeichen gegeben war, die Flucht nicht länger zu verschieben.
Die Alabama schlug jetzt eine Richtung ein, welche sie in Stand setzte, dem drohenden Schlage soviel als möglich zu entgehen, und sie wäre ihm sicherlich entgangen, wenn sie ihre Dampfkraft eine Viertelstunde früher hätte in Anwendung bringen können. Jetzt aber als Foote die Flucht bemerkte und leicht sehen konnte, daß er an Geschwindigkeit nicht concurriren könne, da wandte sich der schwarze Rumpf des Dreideckers und zeigte dem gehaßten Feinde trotzig seine dreifache Batterie, und spie einen Strom von Feuer und Rauch aus unter Donnergebrüll, welches das einförmige Klaggetön des Oceans zu verspotten schien.
Die Mannschaft der Alabama war in manchem heißen Kampfe erprobt und an die Schrecken eines Kampfes zur See gewöhnt. Allein die Fibern selbst des unerschrockensten Männerherzens mußten erbeben, als der Kugelhagel sausend daherfuhr, und in starrer Verwunderung schien jedes Auge dem beflügelten Laufe dieser furchtbaren Todesgeschosse nachzuschauen.
Auf Befehl des Kapitains waren die Gefangenen, nachdem die Einschiffung durch die Dazwischenkunft der Fregatte unterbrochen war, angewiesen, sich in ihre Kajüte zurückzubegeben. Unter ihnen befanden sich Mr. Crofton, seine Schwester und seine Tochter. Sie waren vielleicht die Einzigen, für welche dieser Angriff keine Schrecken hatte, denn für sie war ja die Vernichtung der Alabama die Erlösung aus der Gefangenschaft. Der Donnerton, der Alle mit Schrecken erfüllte, erfüllte sie mit Hoffnung.
Ihre Hoffnung aber sollte getäuscht werden.
Eine Todtenstille war nach dem Schreckensmoment eingetreten. Sprachlos, entsetzt, blickte Einer den Andern an. Nur Semmes stand fest und unerschüttert auf dem Quaterdeck, seine Befehle mit ruhiger, sicherer Stimme ertheilend.
Zu seinen Füssen lag ein Todter. Es war Evans, der Lootse. Eine Kugel hatte ihn an der Seite des Capitains niedergestreckt.
Erschüttert betrachteten die übrigen Offiziere die Leiche des Kameraden, nur Semmes achtete nicht darauf.
»Lassen Sie den Leichnam wegbringen und versenken, Lieutenant Kell,« befahl er, »und schicken Sie den Beischiffsführer zum Rapport.«
Tom Blunt erschien.
»Wie stehts?« fragte Semmes.
»Nun, ein wenig vom Takelwerk hat es freilich zerhauen,« antwortete der Beischiffsführer, »und dieser Splitter hier vom Hauptmast ist schon dick genug, um einen Splitzholm daraus zu machen; auch durch unsere Segel guckt hier und da das liebe Tageslicht hindurch, doch Alles genau genommen, ist der Sturm noch gut genug vorüber gegangen und hat gerade keinen sonderlichen Schaden angerichtet. Und todt ist von der Mannschaft auch weiter Keiner, als der Lootse. Im Ganzen ist es gut, daß es nicht noch schlimmer abgelaufen ist, denn alle Teufel! dacht ich doch es würde kein Bolzen im Gebäu ganz bleiben.«
Mit dieser tröstlichen Bemerkung auf den Lippen wandelte der Meister langsam vorwärts und ertheilte seine Befehle zur Ausbesserung des Schadhaften, seinen Taback so ruhig weiter kauend, als handelte es sich um eine ganz alltägliche Sache.
»Der Feind scheint sich mit diesem Versuche zu begnügen,« sagte Keil zum Capitain; »und da wir schnellere Segler sind, so hat er, wenn er sonst ein guter Seemann ist, auch keinen vernünftigen Grund, den Versuch zu wiederholen.«
Semmes schüttelte ungläubig den Kopf.
»Da er sieht, daß wir uns so schnell davon machen,« meinte er, »so wird er sich bemühen, unser Segelwerk zu vernichten. Wir brauchen mindestens eine halbe Stunde, umso weit aus seinem Bereiche zu kommen, daß uns seine schweren Geschütze ungefährlich sind. Ich bin überzeugt, wir haben noch eine zweite Ladung zu erwarten.«
Semmes hatte noch nicht« ausgesprochen, da dröhnte von Neuem der« Donner der Geschütze rollend über den Ocean. Unwillkürlich schaute wieder Alles nach den Masten und dem Segelwerk, aber keins der vernichtenden Geschosse fuhr durch dasselbe.
»Das galt nicht uns!« sagte Kell dumpf.
»Es galt der See-bright,« fügte Semmes hinzu. »Ist der Schooner von diesen Hundertpfündern durchbohrt, so ist er verloren.«
Armstrong stand bereits bei den Kanonen.
»Lassen Sie Feuer geben!« rief Semmes.
»Feuer!« ertönte Armstrongs Kommando und fünfzehn Feuerschlünde schleuderten ihre Blitze der Panzerfregatte zu.
Wohl gezielt waren die Schüsse, allein an dem Eisenrumpf der Fregatte prallten die schweren Kugeln ab, als wären es Federbälle.
Semmes wußte recht gut, daß es vergeblich, ja verderblich sein würde, den Kampf mit dem Panzerschiffe zu beginnen. Er stand daher von jedem ferneren Versuche, Gegenwehr zu leisten, ab und war nur bemüht, aus dem Bereich des Feindes zu kommen.
Es gelang; und die zweite Ladung welche der Vanderbild nach der Alabama entsandte war von noch unerheblicherer Wirkung als die erste. Die Stunde für die Alabama hatte noch nicht geschlagen. –
Ganz anders aber war die Wirkung der Geschosse auf der Sea-bright. Vier Kugeln hatten den Rumpf durchbohrt, eine fünfte das Steuer zerschmettert. Und noch ehe die Fregatte die Salve wiederholte, strich Sinclair die Flagge.
Die Alabama war am nächsten Tage bereits mehr als hundert Meilen gen Südost gesegelt, den Gewässern des Cap zu; der Schooner Sea-bright, über welchen Powel das Kommando erhielt, wurde von dem Vanderbild als Prise dem Hafen von Newcastle zugeführt.