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Als Mr. Seyers mit seiner Menagerie dort ankam und an dem Platze, den er gewöhnlich zu seinen Produktionen auswählte, Halt gemacht hatte, fing er an, die Wagen zu ordnen; dann den Thieren alle möglichen Bequemlichkeiten zu bereiten und endlich für das Personal seiner Menagerie die nöthige Sorge zu tragen.
Da er indessen erst am Nachmittage in Charleston angekommen war, so überraschte ihn die Nacht bei dieser Arbeit und namentlich warf noch nicht gesorgt für irgend ein Unterkommen des Personals. Nun freilich hätte Mr. Seyers seine Wärter und Diener der Menagerie in den ersten besten Gasthof schicken können, damit sie dort übernachteten; indessen waren erstens, wie bereits erwähnt, die finanziellen Verhältnisse des Mr. Seyers nichts weniger als glänzend, und zweitens huldigte Mrs. Seyers zu sehr dem Princip äußerster Oekonomie, um in eine solche Liberalität ihres Mannes zu willigen.
Was aber war zu thun? Der Platz, auf welchem die Menagerie stand, war noch nicht einmal überdacht worden, und unter freiem Himmel zu schlafen, dazu waren die Nächte des Monats Mai noch keineswegs warm genug.
Tomahuhu, der gefällig gegen Jedermann, und jeder Zeit bereit war, ein Opfer zu bringen, erbot sich, eine Nacht im Käfig eines der Löwen zuzubringen, damit ein Theil des Personals sich seiner Wohnung zum Schlafgemach bediene.
Wie gesagt, war Noddy sein Liebling; ja, Noddy war der Liebling der ganzen Menagerie, mit Ausnahme des Mr. Warren, der überhaupt nicht fähig war, gegen irgend einen Menschen eine Zuneigung zu hegen.
Selbst Mrs. Seyers ließ sich herab, als Noddy einmal über Unwohlsein klagte, ihm eine Quantität Ricinusöl, was sie stets gegen etwaige Erkrankungen der Thiere ihrer Menagerie vorräthig hielt, anzubieten und ihm eine Flasche des in der ganzen Menagerie berüchtigten Theerwassers zur Verfügung zu stellen.
Mit diesem Theerwasser pflegte sie ihren Mann zu traktiren, wenn er sich einmal herausnahm, krank zu sein, eine Freiheit, die mit seiner Stellung nicht verträglich, und die sie damit zu bestrafen pflegte, daß sie ihn zwang, ungeheure Quantitäten dieses Höllengetränkes, von dem sie irgend einmal gehört, daß es ein Heilmittel sei, zu verschlucken.
Sie hatte Noddy diese Vergünstigung indeß nicht aus denselben humanen Gründen gewährt, aus welchen sie sie ihrem Manne zuwandte, sondern aus wirklicher Zuneigung.
Tomahuhu, oder, um ihn bei seinem wahren Namen zu nennen, Mr. Smiths Erklärung, eine Nacht im Kerker eines der Löwen zubringen zu wollen, erregte großes Aufsehen in der Menagerie; noch mehr Aufsehen aber, ja geradezu Bewunderung erregte es, als sein Freund Noddy ruhig erklärte, er werde ihm Gesellschaft leisten.
Noddy war zu dieser Aeußerung veranlaßt, weil er, ebenfalls gefällig und aufopfernd, zur Bequemlichkeit des übrigen Personals beitragen wollte. Indessen gereute ihn diese unvorsichtige Concession in dem Momente, als er sie gethan; aber er wagte nicht, dieselbe zurückzunehmen.
»Das ist brav, mein Junge,« sagte Tomahuhu zu ihm, »ich wußte, daß Du ein braver Kerl seiest und hatte beinahe darauf gerechnet, daß Du mir dieses Anerbieten machen würdest. Nun fürchte Dich nicht, es ist durchaus keine Gefahr dabei. Ich kenne die alte Dido gut genug, um zu wissen, daß keine Gefahr dabei ist. Wenn ich Gefahr fürchtete, würde ich Dich nicht mit hineinnehmen.«
Laternen erleuchteten mit mattem Lichte den Raum der Menagerie. Tomahuhu ergriff seine Peitsche und forderte Noddy auf, jetzt mitzukommen.
»Aha!« lachte Mr. Warren, der sich im Stillen geärgert hatte, daß der verhaßte Tomahuhu sich neue Lorbeeren durch diese That erwerbe, während seine eigenen Thaten, selbst seine glänzendsten Kunstproduktionen im Schlachthause, sich niemals des allergeringsten Erfolges erfreuten, – »aha, Du nimmst die Peitsche mit dem Quecksilber gefüllten Knopfe mit! Da ist es ein rechtes Kunststück, in den Löwenkäfig zu gehen!«
»Ich nehme die Peitsche mit, Du feiger Schlächter,« antwortete Mr. Smith, »weil ich mich verantwortlich fühle für das Leben dieses jungen Mannes. Würde ich allein in den Löwenkäfig gehen, so würde ich die Peitsche hier lassen.«
Noddy erröthete vor Scham und Aerger über die hämische Bemerkung des Schlächters.
»O, lieber Smith,« sagte er, »triff meinetwegen durchaus keine Maßregeln, die« – er deutete mit ziemlich verächtlicher Geberde auf seinen Vorgesetzten – »etwa anstößig sein könnten. Laß ruhig die Peitsche hier, Smith, ich fürchte mich nicht in Deiner Gegenwart.«
Mr. Smith schüttelte Noddy mit wahrer Begeisterung die Hand und rief:
»Das nenne ich brav gesprochen! – Du feiger Schlächter,« – wandte er sich an diesen – »würdest nicht mit mir in den Käfig gehen, und wenn ich mit einem Dutzend Peitschen bewaffnet wäre!«
Mit diesen Worten warf er die Peitsche weg, und sich wieder an Noddy wendend, setzte er hinzu:
»Nun ziehe Deinen Ueberrock an, mein Junge, ich selbst werde keiner Decke bedürfen, denn die alte Dame wird mich warm genug halten.«
Noddy that, wie ihm gerathen, und folgte mit klopfendem Herzen dem Löwenbändiger, der ihm voranging. Dieser öffnete die Thür des Käfigs und trat schnell in denselben ein.
Der Käfig selbst war fast finster und von dem Licht der Laternen, die den inneren Raum der Menagerie erleuchteten, nur wenig erhellt, da die Seitenwände mit hölzernen Läden verschlossen waren, und das Licht nur durch die oberen Gitter Einlaß erhielt.
Die Löwin erhob bei dem Eintritt Mr. Smiths ein lautes Gebrüll, das Noddy fast mit Schauder erfüllte; trotz dessen aber betrat er, mit möglichster Sicherheit in Haltung und Miene nach jenem den Käfig.
»Laß Dich durch das Gebrüll nicht abschrecken,« beruhigte ihn Mr. Smith. So lange die Löwen brüllen, sind sie vollständig ungefährlich; nur wenn sie Einen schnell und schneller umkreisen und dabei mit den Zähnen fletschen, dann ist es Zeit, sich aus dem Staube zu machen. Ihr Gebrüll aber hat unter Umständen die allerharmloseste Bedeutung. So zum Beispiel drückt das Brüllen bei Dido hier nichts Anderes aus, als eine Erkundigung nach ihrer werthen Familie.«
Diese Löwin nämlich hatte die Menagerie vor Kurzem mit einigen Jungen beschenkt.
»Nun beruhige dich, alte Dido,« sagte der Löwenbändiger, dem Thier auf den Kopf klopfend, »deine Kinder befinden sich recht wohl auf ihrem Lager von weicher Wolle, unmittelbar neben dem Behälter der Schlangen, der mit einem eisernen Ofen geheizt wird, bis die Sonnenwärme hinreichend ist, um sie vor Erkältung zu schützen.«
Die Löwin beruhigte sich in der That sehr bald und stand neben Tomahuhu.
»Leg Dich dort in die Ecke, mein Junge,« sagte dieser zu Noddy. »Ich werde mich mit Dido in die entgegengesetzte Ecke legen. Sprechen kannst Du, so viel Du willst; nur hüte Dich, zu niesen oder irgend ein ungewöhnliches Geräusch zu machen, dann hat es gar keine Gefahr.«
Noddy that, wenn auch schaudernd und leise bebend, wie ihn der Thierbändiger geheißen.
Er legte sich an den Boden· Tomahuhu forderte die Löwin auf, sich niederzulegen und warf sich dann so auf sie, daß sie ihm nicht nur als Kopfkissen, sondern als vollständiges Lager diente.
Noddy konnte nicht schlafen. Entsetzliche Bilder und schreckliche Scenen tauchten vor seiner Phantasie auf. Er sah bald Tomahuhu zerrissen, zerfleischt daliegen, und sich als seinen Retter, bald umgekehrt sich von der Löwin zerfleischt, und Tomahuhu mit ihr ringend; bald kam es ihm vor, als wäre für sie Beide die Nacht die letzte, und er überlegte nur noch, ob wohl die Löwin, wenn sie ihn zu fressen beginne, die wollene Decke, auf welcher er lag, zuerst und dann ihn, oder umgekehrt, erst ihn und dann die wollene Decke fressen würde, oder ob sie – wie es der Elephant mit den Nüssen zu machen pflegte, welcher sich keine große Mühe gab, den Kern und die Schale von einander zu sondern – ihn und die Decke zusammen verschlingen würde.
Er konnte es nicht mehr ertragen, so schweigend dazuliegen. Mit unterdrückter Stimme richtete er, um doch nur den Laut einer menschlichen Stimme zu vernehmen, an Tomahuhu die Frage:
»Hat Mr. Seyers schon zu Morgen die Placate bestellt?«
Tomahuhu lachte laut auf, und die Löwin erhob ein unwilliges Grunzen, welches Beides Veranlassung war, daß Noddy eine Weile auf die Antwort zu warten genöthigt war.
Als er die Löwin wieder zur Ruhe gebracht, antwortete Tomahuhu:
»Mein Junge, ich sehe, Du hast Angst, trotz meiner Versicherung, daß es hier völlig ungefährlich ist. Denn in Wahrheit kümmern Dich die Plakate des Mr. Seyers in diesem Augenblick nicht einen Pfifferling.«
»Ja, ja,« antwortete Noddy, »ich leugne nicht, es ist so, wie Du sagst, ich habe Furcht. Ich kann nicht schlafen bei dem Gedanken, eine Bestie in meiner unmittelbaren Nähe zu haben, selbst wenn Du bei mir bist, und wenn Du auf dieser Bestie liegst.«
»Ich kann mir schon denken,« antwortete Tomahuhu, »es ist ein sonderbares Gefühl, sich zum ersten Male in einem Löwenkäfige zu befinden und noch dazu des Nachts. Aber ich rathe Dir, sprich; laß uns ein Wenig plaudern, so wird Dir die Furcht vergehen und der Schlaf wird von selber kommen. Du kennst die Natur der Thiere noch nicht so genau, wie ich, sonst würdest Du wissen, daß Dido so wenig blutdürstige Gedanken hegt, wie Du und ich, und daß sie uns nicht wie Feinde, sondern wie ein paar liebe Freunde betrachtet, denen sie für ihre Gesellschaft sehr dankbar ist.«
»Nun, ihr Empfang sah eben nicht freundschaftlich aus,« erwiderte Noddy.
»Du meinst das Brüllen? Du kannst überzeugt sein, daß das Brüllen eines Löwen nichts Feindliches hat. Der Löwe giebt seine Absicht, Jemanden zu tödten, stets auf eine ehrliche Weise zu erkennen. Die Tigerin aber ist desto gefährlicher, je schmeichlerischer sie sich stellt.«
»Wie kommt es, daß Du so oft Spuren von Blut an Dir trägst, wenn Du aus dem Käfige kommst?« fuhr Noddy fort.
»Nun, das kommt daher, daß die Thiere manchmal mit den Tatzen nach mir schlagen oder nach mir schnappen und mich dabei ein wenig ritzen. Das ist gar nicht zu vermeiden.«
»Aber reizt nicht der Anblick dieses Blutes die Thiere? Ich habe immer gehört, daß der Anblick des Blutes die ganze Wildheit der Thiere wachruft, so, daß keine Macht im Stande ist, ihnen ihre Beute zu entreißen, falls sie sie so nahe haben, wie sie Dich in ihrem Käfig haben.«
»Das ist bei den Löwen nicht der Fall,« antwortete Mr. Smith, »denn diese haben noch kein Menschenblut gekostet. Sie wissen nicht, wie gut es schmeckt; auf sie übt es keinen Reiz aus. Dagegen würde der Anblick des Blutes die Tigerin zur äußersten Wildheit bringen, denn diese weiß von dem Schwarzen her, welcher Genuß es ist, einen Menschen zu zerfleischen.«
»Da mußt Du Dich doch sehr in Acht nehmen, daß die Löwen nicht etwa von dem Blute lecken, wenn sie Dich bei der Dressur geritzt haben.«
»Sie thun dies von selber nicht,« antwortete Tomahuhu.
»Höchst gefährlich aber bei der Produktion ist es, wenn man unter den Thieren liegt, da kommt es wohl vor, falls die Thiere zu langsam springen, oder wenn man ihre Tatzen zu lange auf der Schulter liegen läßt, das man von der Last erdrückt wird. Die Bestien sind so schlau, das sofort zu bemerken, und in dem Augenblicke, wo sie die Schwäche ihres Gegners erspähen, erwacht ihre Wildheit. Das Blut ist weit weniger gefährlich, als den Thieren zu verrathen, daß man auch nur einen Augenblick schwächer sei, wie sie.«
»Uebt denn der Geruch des Blutes auf Löwen überhaupt keinen Einfluß aus?« fuhr Noddy fort.
»Des Menschenblutes, wie ich Dir schon sagte, nicht. Wohl aber macht sie der Geruch frischen Thierblutes wild. So zum Beispiel wirst Du bemerkt haben, daß sie stets besonders ungeberdig sind, wenn Einer ihnen naht, der eben aus dem Schlachthause kommt, und dabei brauchen noch gar nicht einmal die Kleider mit Blut befleckt zu sein. Hat aber eben Mr. Warren eins seiner Opfer geschlachtet und nähert sich den Thieren, so wirst Du merken, wie ihre Augen zu funkeln beginnen, und wie ihre Blutgier erwacht.«
In diesem Augenblicke wurde von unsichtbarer Hand einer der Laden außen vor dem Gitter hinweggeschoben. Die Löwin begann den Kopf emporzurichten und ein fürchterlich unheimliches Knurren hören zu lassen.
»Gerechter Gott!« rief Tomahuhu, es ist auf unser Leben abgesehen.«
»Was ist's?« fragte Noddy.
Tomahuhu antwortete nicht gleich, und Noddy hörte nur ein Geräusch, wie wenn Jemand mit der äußersten Kraftanstrengung rang.
»Zur Thüre!« rief Tomahuhu, »schieb den Riegel vor der Thür weg.«
Tomahuhu hatte kaum die Worte gesprochen, als ein Stock rasselnd mehrere Male über die Stäbe des Gitters hinwegfuhr.
Die Löwin sprang empor und erhob ein fürchterliches Gebrüll, abwechselnd mit dem Knurren, daß sie stets hören ließ, wenn sie zur äußersten Wuth gereizt war.
»Zur Thüre, sage ich!« wiederholte Tomahuhu.
Noddy hatte bereits den Riegel zurückgeschoben und schlüpfte zur Thür hinaus. Gleichzeitig aber fiel mit einem ungeheure Satze ein Zweiter ihm nach – es war Tomahuhu – und Beide kollerten auf den bethauten Boden.
Die Löwin sprang ihnen nach; indessen in der Finsterniß verfehlte sie die Thür und rannte mit dem Kopfe gegen die Eisenstäbe des Gitters, daß sie krachten.
Sie waren gerettet.
»Aber ich begreife noch nicht, woher kam das Geräusch? Was war der Löwin? Und wer schob den Laden weg?« fragte Noddy.
»Du begreifst das nicht?« antwortete Tomahuhu, »sahst Du nicht das hämische Gesicht des Schlächters vor dem Gitter?«
Noddy hatte in seiner Angst allerdings Nichts gesehen.
»Gebt mir meine Peitsche!« rief der Löwenbändiger.
»Um Gotteswillen!« rief Noddy, »Du wirst doch jetzt nicht wagen, den Käfig der Löwin zu betreten!«
»Es ist durchaus nöthig,« sagte der Löwenbändiger. – »Gebt meine Peitsche!« rief er denen, die in seiner Wohnung schliefen, zu.
Mr. Mops reichte ihm dieselbe hinaus.
Noddy zitterte am ganzen Leibe, als er Tomahuhu festen Schrittes in den Löwenkäfig hineintreten sah.
Die Löwin kauerte sich bei seinem Eintreten in die äußerste Ecke, sperrte den Rachen auf, zeigte die Zähne, und mit einem Satze sprang sie auf Tomahuhu los. Dieser jedoch wich geschickt zur Seite, und in dem Augenblick, als sie neben ihm den Boden erreichte, da ließ er leise, kaum bemerkbar, den Griff seiner Peitsche auf ihren Kopf fallen. Die Löwin lag betäubt am Boden.
Dann setzte er den Fuß in ihren Nacken, und als sie anfing, sich wieder zu regen, geißelte er sie auf eine unbarmherzige Weise mit der Stahlgerte.
Winselnd kroch die Löwin, als er seinen Fuß erhob, zur Seite, und mit dem Stolz des Siegers verließ Tomahuhu den Käfig.
»Es thut mir leid,« sagte er zu Noddy, »daß ich das arme Thier züchtigen mußte; sie hat keine Schuld; sie kann nicht gegen ihre Natur; aber ich mußte es thun, wenn ich jemals wieder wagen wollte, ihren Käfig zu betreten. Doch komm Noddy, wir haben noch eine Schuld abzutragen gegen Jemanden, bei dem wir stark auf der Kreide stehen.«
Mit diesen Worten ging er auf den Schlächter zu, der mit verdrießlichem Gesicht der Procedur in dem Löwenkäfige zugeschaut hatte, und hieb ihm mehrere Male mit der Peitsche über sein widerliches Gesicht, daß es gestreift erschien, wie das Cebra von Ceylon.