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Obgleich Noddy niemals seinen Hauptzweck aus den Augen verloren hatte, nämlich die Tochter seines Herrn und Wohlthäters aufzusuchen und dieselbe ihrer Mutter zurückzugeben, oder sie unter seinem eigenen Schutze zu behalten, bis es Mr. Cleary gelingen werde, der Gefangenschaft zu entkommen – obgleich er, wie gesagt, täglich daran dachte, obgleich der Gedanke an Fanny jeden Abend sein letzter war, und jeden Morgen sin erster, so hatte er doch dermaßen Geschmack an seiner jetzigen Beschäftigung, wie überhaupt an dem Aufenthalte in der Menagerie gefunden, daß nach und nach der Wunsch in ihm rege ward, sich gänzlich dem Berufe eines Thierbändigers zu widmen.
Nur zwei Dinge gab es, die ihm in diesem Vorsatze hinderlich sein konnten. Erstlich: er war nicht frei. – Indessen, würde Mr. Cleary, falls er jemals aus der Gefangenschaft der Union entkäme, sich weigern, ihm die Freiheit zu geben? – Gewiß nicht. Es kam also lediglich darauf an, sich so lange verborgen zu halten und sich den vermeintlichen Nachforschungen der Aushebungs-Commission zu entziehen, bis sein Herr wieder zurückgekehrt sein würde.
Zweitens: – durfte er sich einem bestimmten Berufe hingeben, bevor Fanny's Lebensverhältnisse geordnet waren, und bevor er sie einer Obhut übergeben wußte, wie sie ihr dienlich und ersprießlich sei?
Auch die zweite Frage mußte er sich mit »Ja« beantworten, denn er war ja auf dem besten Weg, sich, nachdem er von allen Mitteln entblößt war, eine Stellung zu erwerben, in welcher es ihm möglich wurde, für Fanny zu sorgen, falls sie wirklich nicht Lust haben sollte, bei ihrer Mutter zu leben, und falls sie es vorziehen sollte, bis zur Rückkehr ihres Vaters sich lediglich seinem Schutze anzuvertrauen. – –
Nach jener Nacht, welche er mit Tomahuhu im Löwenkäfige zugebracht hatte, gingen die Ereignisse in der Menagerie ihren gewohnten Gang, nur daß täglich Vorbereitungen getroffen wurden zum Empfange der außerordentlichen Gäste.
Seine Excellenz, der Präsident, und der ganze Hof war bereits in Charleston angelangt, und von nah und weit versammelten sich die Ritter des Südens um die Notabilitäten Richmonds.
Jeden Tag konnte Mr. Seyers erwarten, daß der Hof ihm seinen Besuch machen würde. Es sollte an diesem Tage etwas Außerordentliches geleistet werden, Der Umstand, daß Jefferson Davis selbst, seine höchsten Generäle, seine Minister, seine Günstlinge und die Aristokratie des Südens ihn mit ihren Besuchen zu beehren gedachten, war in Mr. Seyers Augen ein welterschütterndes Ereigniß.
Welchen Ruf mußte dieser Besuch seinem Institute geben! Mit welchem Stolze konnte er von jetzt ab nicht allein fühlen, sondern auch sagen, daß jene Notiz, die bereits auf seinen Placaten prangte, auf Wahrheit beruhe!
Mr. Seyers sah dies Ereigniß als den Anfang einer glanzvollen Periode seines Lebens an. Und mit ihm fühlte jeder Einzelne in der Menagerie die hohe Wichtigkeit dieses Tages; und mit ihm schien jeder Einzelne der Menagerie zu wetteifern, um die Vorstellung des Tages, dem Besuche entsprechend, zu einer glänzenden zu machen.
Mr. Seyers sah sich schon im Besitz irgend eines hohen Titels oder irgend einer glänzenden Belohnung; die einzelnen Wärter hegten die stille Hoffnung, es werde vielleicht irgend einem Thiere gelingen, während der Vorstellung aus dem Käfige zu entspringen, und er werde das Verdienst haben, das theure Leben Seiner Excellenz zu retten und sich dadurch den Dank des Landes, den Ruhm eines Helden und die Belohnung des Präsidenten selber zu erwerben.
Nur Mr. Mops nahm an allen diesen Vorbereitungen nicht Theil, sondern er erfüllte mit niedergeschlagenem Gemüthe seine Pflichten; denn ihm war es nicht verstattet, an dem hochwichtigen Tage durch seinen naturwissenschaftlichen Vortrag den Geist seiner Excellenz zu erleuchten. Dies Geschäft hatte man vielmehr für diesen Tag an Noddy übertragen; weil nämlich Noddy, theils durch seinen eigenen Verstand, theils durch Tohmahuhu's gewissenhafte Unterweisung, über die Natur der Thiere, über ihren Charakter, und über ihre Lebensweise mehr und besser zu sprechen wußte, als Mr. Mops, von dessen eigenthümlicher Art sich erwarten ließ, daß er an diesem Tage über die Thiere der Menagerie eine höchst parteiisch schmeichelhafte Abhandlung vortragen werde.
Die Spitze der Vorbereitungen bildete natürlich die Dressur Tomahuhu's, des Unüberwindlichen. Natürlich mußte auch er an diesem Tage Außerordentliches leisten.
Mr. Seyers hatte ihm für jedes neue Kunststück, das er zu diesem Tage den Thieren beibringen werde, 50 Dollars geboten, und Tomahuhu hatte es sich auch ohne diesen Sporn zur Pflicht gemacht, sowohl seines eigenen, als des Rufes der Menagerie wegen, das Aeußerste zu thun, um Sr. Excellenz und dessen Hof zufrieden zu stellen.
Täglich veranstaltete er Proben mit den Thieren, und da er das größte Gewicht legte auf eine Produktion im Käfig des Löwen und der Tigerin, so verwandte er namentlich Mühe, sich mit diesen beiden wildesten aller Thiere der Menagerie zu beschäftigen.
Endlich nach wochenlangem, vergeblichem Harren ward der Tag angesagt.
»Morgen Nachmittag um 5 Uhr wird Se. Excellenz und der ganze Hof der Vorstellung beiwohnen«, meldete ein Diener Jefferson Davis' an einem schönen Morgen dem Besitzer der Menagerie; und wie die Aristokratie des Südens hochmüthig und exklusiv ist, so hatte auch zugleich Jefferson Davis die Anordnung getroffen, daß Mr. Seyers an diesem Tage das Entré zu 10 Dollars ansetzte, wobei er indessen gleichzeitig ankündigte, daß 50 bis 60 Plätze allein für den Hof zu reserviren seien.
Eine solche Einnahme und ein solcher Besuch übertraf die kühnsten Erwartungen des Menageriebesitzers und ließ ihn kein Opfer scheuen, um dieser Einnahme entsprechend auch die Vorstellung sein zu lassen.
Um Tomahuhu zu der größtmöglichsten Kühnheit anzuspornen, versprach er ihm für künftig ein jährliches Gehalt von 3000 Dollars und die 50 Dollars für jedes neue Kunststück, was er den Thieren beibringen werde, erhöhte er auf 100 Dollars.
Die stille Hoffnung manches Menagerie-Wärters, daß nämlich eins der Thiere während der Vorstellung sich aus seinem Käfige befreien werde, um die Excellenz des Präsidenten anzufallen, schien scheitern zu wollen, denn es wurde jede Planke, jeder Eisenstab genau revidirt, um ein solches Vorkommniß zu verhüten.
Tomahuhu hatte am Tage vor der Vorstellung eine Probe über die andere abgehalten. Die Vorstellung im Käfig der sieben Löwen versprach eine vorzügliche zu werden.
Die Bestien leisteten das Außerordentlichste. Sie sprangen durch lächerlich kleine Reifen, ohne auch nur im Allermindesten Unlust zu bezeigen, sich dem Commando zu widersetzen, oder ohne auch nur einen Augenblick die Zweifel des Publikums zu theilen, ob es überhaupt einem solchen Thiere, wie ein Löwe ist, möglich sein würde, seinen Körper durch einen so winzigen Reifen zu bringen.
Sie setzten sich auf fabelhaft kleine Consolen, welchen Tomahuhu an der Wand befestigte, und folgten überhaupt jeden Wink ihres Bändigers mit einer Präcision, daß es überflüssig erschien, mit ihnen weitere Proben zu veranstalten.
Ganz anders aber verhielt es sich mit der Tigerin. Dieselbe machte nur wenig Kunststücke und auch diese nur mit Widerstreben.
Indessen hatte es sich Tomahuhu einmal in den Kopf gesetzt, mit ihr diesmal etwas Außergewöhnliches zu leisten. Schon dreimal hatte er am Tage vor der Vorstellung mit ihr eine Probe abgehalten, ohne daß sie das letzte Mal sich willfähriger gezeigt hätte, als das erste Mal, und als bereits die Abendfütterung vor sich gehen sollte, erklärte Tomahuhu, daß er noch einmal eine Probe mit ihr abhalten müsse.
»Du wirst es doch nicht wagen, noch einmal zu dem Thiere in den Käfig zu gehen«, sagte Noddy, »da die Abendfütterung so nahe ist? Bedenke, das Fleisch liegt in den Mulden und steht in der Menagerie. Die Thiere haben den Geruch vom Fleisch, und die Tigerin hat das ihrige sogar schon gesehen. Sieh, wie sie an den Stäben umherschnuppert, und wie sie mit dem Schweife schlägt, und wie gierig ihre Augen funkeln. Geh nicht hinein, halt' lieber morgen noch eine Probe ab.«
»Es muß sein, mein Junge«, erwiderte der Löwenbändiger. »Ich kenne sie, sie ist heute widerspenstig gewesen. Gebe ich ihr heute nach, so wird sie morgen nur um so widerspenstiger sein; und gerade, um ihr zu zeigen, daß ich mich nicht vor ihrem Schweifwedeln fürchte, muß ich zu ihr in den Käfig. Uebrigens ist ihre Wuth noch nicht so groß, wie Du meinst. Sie müßte schneller den Schweif schlagen und müßte grimmiger ihren Rachen aufsperren, wenn ich mich fürchten sollte; so indessen sind ihre Bewegungen nur Aeußerungen ihrer Ungeduld, und meine Dressur wird sie bald das Fleisch, was sie gesehen hat, vergessen machen. Stelle nur die Mulden in einen entfernten Winkel der Menagerie und laß mich hineingehen.«
Noddy folgte dieser Anordnung und machte sich dann an seine übrigen Obliegenheiten, die namentlich darin bestanden, die Klappen nachzusehen, durch welche die Käfige, wenn sie rings mit Läden geschlossen waren, frische Lust erhielten.
Diese Klappen waren an der Hinterseite der Wagen angebracht und durch sie kannte man in den Käfig hineinsehen, selbst wenn diese mit Läden geschlossen waren. Und durch eine solche Klappe sah denn auch Noddy, was drinnen im gemeinschaftlichen Käfig des Löwen und der Tigerin vorging, von oben herab, wie einst König Darius den Daniel in der Löwengrube.
Tomahuhu ließ zuerst den Löwen wacker umherspringen, und dieser folgte, wenn auch nicht gern, so doch gehorsam den Befehlen seines Bändigers, nur hin und wieder durch ein lautes Brüllen gegen das Uebermaaß der Anstrengungen protestirend.
Die Tigerin dagegen betrachtete mit blutgierigen Blicken den Bändiger, bald sich in eine Ecke des Käfigs kauernd, bald am Gitter auf- und abgleitend, ihre Schnauze gewaltsam zwischen die Stäbe pressend und umherschnuppernd, bald ihren Bändiger umkreisend, als überlegte sie, ob der Bissen, der sich ihr in so unmittelbarer Nähe darbot, nicht eben so schmackhaft sei, als das Fleisch, das man soeben ihrem Anblicke entzogen hatte; dann wieder ein gräßliches Knarren ausstoßend, das irgend einem von dem Personal galt, welcher sich dem Käfige näherte: Alles Anzeichen, daß sie sich in höchster Wuth befinde.
»Komm hinaus,« mahnte Noddy durch die Klappe, »Du siehst, sie ist zu wild; thue es mir zu Gefallen, Tomahuhu; ich sehe vielleicht von hier die Gefahr besser, als Du drinnen im Käfige. Komm heraus, sage ich Dir, es geht nimmer gut.«
»Nein, Noddy, laß mich,« antwortete Tomahuhu. »Ich will der Bestie beweisen, daß ich Herr bin. Sie soll durch den doppelten Reifen springen, so wahr ich lebe!«
Er hielt der Tigerin das angedeutete Instrument vor und ließ mehr als einmal laut sein Commandowort ertönen.
Die Tigerin aber schien gar nicht darauf zu achten. In engern, immer engeren Kreisen schlich sie um ihn herum, mit dem Schweife gewaltig peitschend und die Zähne fletschend.
Tomahuhu knallte die Peitsche vielleicht zum zwanzigsten Male vergebens, er stampfte mit dem Fuße, sein Adlerblick schien die Tigerin zu durchbohren; aber näher, immer näher kam ihm der blutlechzende Rachen des Thieres, und dann, als eben Noddy noch eine Warnung herabrufen wollte – es war das Werk von weniger als einer Sekunde – schlug sie ihn mit ihren gewaltigen Tatzen zu Boden und grub ihre Zähne tief in seine Hüfte.
Tomahuhu stieß einen furchtbaren Schrei aus, ehe ihn das Bewußtsein verließ.
Das ganze Personal der Menagerie hatte sich auf diesen Schrei versammelt und sah dem schauerlichen Drama zu, was drinnen im Käfige sich entwickelte.
Es war ein gräßlicher Anblick, den herkulischen Mann am Boden liegen zu sehen und die Tigerin über ihn gebeugt, mit der Zunge das Blut leckend, was seinen Wunden entströmte und gierig knurrend, bald sein Gesicht beschnuppernd, bald wieder sich am Geruch des frischen Blutes labend.
»Die Hölle auf dein Haupt, du gestreifter Satan!« rief Noddy durch die Klappe herunter, mit einer Stimme und einem Ausdruck, welcher die Tigerin dermaßen erschreckte, daß sie von ihrer Beute abließ, sich in einen Winkel des Käfigs verkroch, und von dort, scheu niederlauernd, nach dem Gesicht des Knaben, das durch die Klappe blickte, emporblinzelnd.
»Warte, verfluchte Bestie, du sollst es büßen,« fuhr Noddy fort, »ich komme herab, noch einen Moment warte.«
Die Furcht indessen, welche die Stimme des Knaben der Tigerin eingeflößt hatte, währte nur so lange, als sie diese Stimme hörte, sobald Noddy schwieg, machte sie Anstalt, aufzustehen und sich wieder in Besitz ihres Opfers zu setzen.
Noddy hielt es daher für gut, so lange an der Klappe zu bleiben und so lange fortzufahren, die Tigerin durch seine Stimme zurückzuscheuchen, bis andere Hülfe kam.
Indessen, woher sollte andere Hülfe kommen? Alles sah angstbeklommen der Scene zu. Alles schrie um Hülfe, aber kein Einziger war, der wirklich Hülfe brachte.
Die beiden einzigen Zuschauer, welche der entsetzlichen Scene mit ruhigem Blute beiwohnten, waren der Oberschlächter Mr. Warren und der Löwe.
Der erstere schaute mit dem Ausdruck stillen Behagens und äußerster Befriedigung der entsetzlichen Katastrophe zu. Der Löwe aber streckte sich in dem Käfig nieder und schloß mißmüthig und ärgerlich die Augen, sich keinen Deut um das kümmernd, was Semiramis mit dem Thierbändiger vorhatte. Er schien lediglich darüber verdrießlich, daß durch diesen fatalen Zwischenfall sich seine Abendmahlzeit, verzögerte, im übrigen aber nahm er von dem, was vorging, nicht die mindeste Notiz.
Als Noddy die Gefahr sah, in welcher sein Freund, falls er wirklich noch am Leben war, schwebte, und daß er der Einzige sei, der bereit war, ihm zu helfen, ging er an die Thür des Käfigs, nachdem er noch einmal seinem Freunde die Warnung zugerufen hatte:
»Rühre Dich nicht, Tomahuhu, denn bei Gott, jede Bewegung ist Dein Tod. Ich komme und helfe Dir, rühre Dich nicht.«
Er gebrauchte nur wenig Secunden, um die Klappe zu schließen und schleunigst die Thür des Käfigs zu öffnen. Mit einer Eisenstange bewaffnet, trat er ein; aber die Tigerin war schneller als er. Als die Thür des Käfigs klirrte, da sprang sie mit einem Satze auf ihr Opfer zu. Die Brustknochen des Löwenbändigers trachten unter ihrem gewaltigem Gebiß. Keinen Laut des Schmerzes stieß der Riese aus; er war todt. –
Mit einem fürchterlichen Fluche und Wuth in seinen Augen, sprang Noddy auf die Tigerin zu, versetzte ihr mit seiner Eisenstange aus voller Kraft einen Schlag über den Kopf; dann, sie völlig unbeachtet lassend, hob er den Freund auf, wie ein Bräutigam seine ohnmächtige Braut fortträgt, um ihn aus dem Käfige herauszubringen.
Merkwürdig, so lange noch Hoffnung gewesen war, dem Thierbändiger das Leben zu retten, so lange hatte sich Niemand gerührt, ihm zu helfen. Als man aber sah, daß die Tigerin ihn getödtet, da mit einem Male fanden sich Manche, die selber zu helfen Hand anlegten; so zum Beispiel Mr. Mops, welcher fast mit Noddy zugleich in den Käfig stürzte, um den Entseelten der Tigerin zu entreißen.
»O, Du mein Himmel!« schrie er, »der arme Smith! Ich habe es ihm so oft gesagt, daß er nicht so tollkühn sein soll, und nun muß ihn diese Bestie zerreißen; aber sie soll kein Abendbrot haben, dieser Satan!«
»Und ich werde es ihr mit den glühenden Stangen eintränken!« rief ein Anderer.
»Nehmen Sie sich in Acht, Mr. Noddy, nehmen Sie sich in Acht! Sehen Sie, sie fletscht die Zähne,« fuhr Mops fort.
»Lassen Sie sie die Zähne fletschen, Mr. Mops, mich kümmerts nicht; ich muß den Freund retten, und sollte mich dasselbe Schicksal treffen, das ihn ereilte!«
Es gelang ihm, mit der Leiche des Freundes den Käfig zu verlassen. Auf seinen Schultern trug er den Riesen nach dessen ambulanter Wohnung, es dem übrigen Personal der Menagerie überlassend, den Käfig der Tigerin wieder zu schließen.«
Er legte den Leichnam auf das Sopha und stand nachdenkend, das bleiche Antlitz des Freundes betrachtend.
»Bleiben Sie bei ihm, rief Mr. Mops, »ich werde nach einem Arzte gehen. Soll ich?« fragte er, nicht als ob er ein untergeordnetes Mitglied der Menagerie, sondern einen Vorgesetzten anredete.
»Es ist unnöthig«, antwortete Noddy; »denn kein Arzt der Welt könnte ihm auch nur auf die Dauer von einigen Secunden das Leben wiedergeben. Der Zahn der Bestie ist zu tief eingedrungen.«
»Ach, mein Himmel!« rief Mops, »was in aller Welt soll nun aus uns werden? Wer wird morgen bei der Vorstellung die Dressur übernehmen?«
»Das ist Mr. Seyers' Sache«, antwortete Noddy lakonisch.
»Und wenn auch Mr. Seyers«, fuhr Mops fort, »einen Thierbändiger wiederbekommt, einen Mann, wie Tomahuhu, bekommt er nicht wieder. Er war ein Mann, stets bereit, sich selbst in Gefahr zu bringen, sein Leben aufs Spiel zu setzen zum Vortheil Mr. Seyers', oder um irgend Einem von uns dienstlich zu sein.«
»Ja, ja«, bestätigte Noddy, »es ist wahr. Ich habe weder Vater noch Mutter, mir war er Beides. Ich bin überzeugt, daß er für mich gethan hätte, was nur ein Vater oder eine Mutter hätte thun können. Wir haben au ihm viel verloren, und wir müssen ihn betrauern, wie einen Freund und wie einen edlen Mann.«
»Aber ist er nicht selbst Schuld an seinem Schicksal gewesen?« sagte Mops, »hat er nicht zu viel gethan? Hätte er nicht wissen sollen, daß seine Kühnheit ihm einmal das Leben kosten könnte? Hätte er daran gedacht und hätte er sich nicht der völligen Sicherheit hingegeben, so würde er wahrlich nicht solche Exercitien mit den Bestien angestellt haben. Ich habe ihm gesagt, daß es noch einmal so weit kommen würde; denn ich habe gesehen, wie der Schwarze zerfleischt wurde, er hat es aber nicht glauben wollen.«
»Da täuschen Sie sich, Mr. Mops Sehen Sie, hier haben Sie einen Beweis, daß er jedes Mal, wenn er den Käfig betrat, es mit dem Bewußtsein that, daß es sehr leicht sein letzter Besuch dort sein könne.«
Noddy langte das Tagebuch des Löwenbändigers hervor.
»Sehen Sie das Buch an.«
»Ich sehe, was ist das?«
»Wie Sie sehen, stehen da lauter Monatsdaten verzeichnet und Zahlen davor«, fügte Noddy hinzu.
»Sehen Sie hier 4211, 4212, 4213, 4214?«
»Ganz recht. Was bedeutet das?«
»Bemerken Sie, daß beim letzten Datum noch keine Ziffer steht?«
»Allerdings ich sehe es.«
»Die Ziffern bedeuten die Anzahl der Besuche, welche Tomahuhu bei den wilden Thieren machte, und die Anzahl der Male, die er sein Leben aufs Spiel setzte. Wäre er heute glücklich aus dem Löwenkäfige herausgekommen, so hätte er hierher, wo der offene Raum ist, die Nummer 4215 hergeschrieben – das ist ein Geschäft, was nunmehr mir obliegt«, fügte er hinzu.
Er nahm eine Feder und schrieb die Zahl 4215 vor das Datum und hinter dasselbe die Bemerkung:
»An diesem Tage verunglückte Mr. Henry Smith im Käfig der Tigerin«, worauf er selber das Buch in die Tasche steckte.
Während dieses Ereignisses klopfte es leise an die Wand, welche das Gemach Tomahuhus von dem Nebengemach trennte. Eine Thür in der Wand öffnete sich und die häßliche kleine Gestalt der Atztekin schlüpfte hinein. Sie kniete vor der Leiche des Löwenbändigers nieder, zog ein Muschelarmband von ihrem dünnen, mißgestalteten Arm, legte es auf die Brust des Verstorbenen und drückte seine kalte Hand an ihr Herz, worauf sie wieder durch die Thür, die der Atzteke offen hielt, verschwand, und jenseits derselben mit ihrem Leidensgenossen ein herzzerreißendes Geheul anstimmte.
»Da sehen Sie«, sagte Mr. Mops, »selbst diese Wesen haben Hochachtung und Verehrung für ihn; sie haben ihn geliebt, weil er "der Einzige in der Menagerie war, der sie nicht wie Thiere behandelte, sondern sie wie Menschen, wie Seinesgleichen gehalten hat. Er ist stets gut und freundlich zu ihnen gewesen. Mein Gott, es thut mir jetzt fast leid, daß ich in meinem Vortrage nicht anders von ihnen sprach, als ich von der Giraffe oder dem Schakal gesprochen habe.«
»Gott verzeihe mir«, sagte Noddy, »auch ich habe mich über sie belustigt, über sie, die besser sind, als ich. Sie sind dankbar und wissen die geringen Wohlthaten, die ihnen erwiesen, in so rührender Weise zu lohnen, daß ich fast meine, es müßte der droben im Himmel das armselige Muschelband der Atztekin ebenso gnädig ansehen, wie er einst das Scherflein der Wittwe ansah.«
Mr. Mops wischte sich eine Thräne von den Wangen, und Noddy machte ein sehr ernstes Gesicht, als er hinzufügte:
»Er ist todt und wird von guten Leuten beweint; ein immerhin beneidenswerthes Geschick. Wenigstens würde der, welcher sein Nachfolger sein wird, es für ein beneidenswerthes Geschick halten, und es würde ihm ein solcher Beweis der Theilnahme, wie ihn eben diese Wilde gab, so lieb sein, wie einem Lord-Major ein Grab in der West-Minster-Abtei.«
»Sein Nachfolger?« wiederholte Mr. Mops. »Aber wer wird sein Nachfolger sein und wer wird es wagen, nach diesen Vorgängen sein Nachfolger zu werden?«
»Das ist Mr. Seyers' Sache,« antwortete Noddy noch einmal. »Das Einzige, um was ich Sie bitte, Mr. Mops, und was ich auch den andern Mitgliedern des Personals einzuprägen bitte, ist, daß Sie von dem, was heute hier vorgegangen, keinem Menschen ein Wort sagen. Lassen Sie die Leute, welche die Leiche abholen, nicht wissen, wessen der Leichnam ist. Ich glaube, so im Sinne des Verstorbenen zu handeln. Wenn er gelebt hätte, würde er dasselbe sagen und diese Anordnung durchaus billigen, denn ich kenne seine Aufopferung Es ist im Interesse Anderer, aber ich weiß, daß Mr. Smith im Interesse Anderer dasselbe Verlangen gestellt haben würde.«
»Ja, ja,« sagte Mr. Mops, »ich begreife, man muß es verschweigen, damit Mr. Seyers der morgende Tag nicht verdorben werde. Mein Himmel, wie wird es aber morgen nur werden! Alle Vorbereitungen sind vergebens, und der Ruf unsrer Menagerie ist dahin, und der Hof wird sich schrecklich in seinen Erwartungen getäuscht finden.«
»Das ist Mr. Seyers' Sache,« sagte Noddy noch einmal und verließ den Wagen.