Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band II
Berthold Auerbach

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Siebentes Capitel.

Im Garten saßen die Männer beim Kaffee allein, die Frauen hatten sich zurückgezogen.

Der Fürst, der sich freundlich gegen Sonnenkamp erweisen wollte, sprach den Vorsatz aus, Amerika zu bereisen, und Clodwig bestärkte ihn darin. Er bedauerte, daß er seinerseits dies in der Jugend unterlassen, und setzte hinzu:

»Ich glaube, wer nicht in Amerika war, kennt den Menschen nicht, wie er ist, wenn er sich gehen läßt; das Leben dort erweckt ganz neue Energien in der Seele. Mitten im Kampfe um den Besitz der Welt wird Jeder zu einer Art Robinson, der neue Quellen in sich entdecken muß. Amerika hat etwas, wodurch es in Vergleich mit Griechenland tritt. Griechenland sah den körperlich nackten Menschen, Amerika sieht den seelisch nackten, das ist vielfach kein schöner Anblick, aber eine Erneuerung des Menschenthums kann daraus hervorgehen.«

Der Musiker, der eben im Begriff stand, eine Kunstreise in Amerika zu machen, versetzte:

»Ich weiß nicht, wie man in einem Lande lebt, in dessen Luft keine Lerche singt.«

»Erlauben Sie mir eine Frage, Herr Graf,« nahm jetzt Erich das Wort. »Es ist auffällig, daß man in Amerika keine neuen Namen erfinden konnte; man hat nur die von den Ureinwohnern überkommenen für Flüsse, Berge, Städte und Menschen, und dazu nur die aus der alten Welt herübergekommenen Namen. Ich möchte nun fragen: Hat die neue Welt bisher vermocht, zu den bisherigen ethischen Gesetzen ein neues hinzuzufügen oder heraus zu bilden?«

»Gewiß,« fiel Sonnenkamp ein, »das beste, das es gibt.«

»Das beste? Welches?«

»Es ist: Hilf Dir selbst.«

Mit Kopfschütteln sagte Clodwig:

»Hilf Dir selbst ist streng genommen kein eigentliches Princip, sondern ein thierischer Trieb. Jedes Thier hilft sich selbst aus allen Kräften. Dieses Dogma war nur gerecht und am Orte gegen eine lügnerisch verfeinerte Lebensmoral, gegen eine Verkommenheit, die Alles vom Staate verlangt. Hilf Dir selbst! ist ein guter Reisespruch für einen Auswandernden; sobald aber der Auswandernde zum Angesessenen wird, tritt Recht auf Andere und Pflicht gegen Andere ein. Hilf Dir selbst kann äußersten Falles bei Einzelnen gelten, im Gesammten nicht; die Leibeigenen konnten sich nicht selbst helfen und die Sklaven werden sich nicht selbst helfen können, die moralische Solidarität heißt: Hilf Deinem Nächsten, wie Dein Nächster Dir helfe, und wenn Du Dir hilfst, hilfst Du auch einem Andern.«

Da stand man wieder in dem bei Tische angeregten und so glücklich abgelenkten Thema; Niemand schien es aufnehmen zu wollen, Clodwig fuhr jedoch fort:

»Es ist, als ob sich jedes Volk im großen Reiche der Geschichte durch eine Idee einbürgern müsse; ich glaube, daß Amerika zu Vollendung einer großen That berufen ist: zur Tilgung der Sklaverei von der Erde. Doch dies ist, wie gesagt, die Bethätigung einer längst vorbereiteten Idee; ja, es fragt sich: Hat Amerika ein neues Moralprincip?«

»Vielleicht ist die Nähmaschine ein neues Moralprincip,« warf Prancken mit kecker Laune ein.

Man lachte.

»Es liegt doch auch ein Moralprincip in Hilf Dir selbst,« schaltete Erich ein. »Bei uns in Europa wird der Mensch zu etwas gemacht durch ein Erbe oder durch die Gunst eines Fürsten; der Amerikaner will nichts werden durch Andere, sondern nur das, wozu er sich selbst ohne Hilfe eines Andern machen kann. Und gegenüber jenem Glauben, der die Menschen wie ein Speditionsstück durch einen Mittler an den himmlischen Bestimmungsort befördern läßt, ist help your self wichtig. Du, Mensch, bist kein Koffer mit Gesetzen wohl verschnürt und von der geistigen Zollbehörde plombirt und versichert, Du bist ein lebendiger Passagier auf dieser Erde und mußt auf Dich selbst Acht haben. help your self! Es spedirt Dich Niemand. Wir Deutschen haben schon ein annähernd ähnliches Sprüchwort, das heißt: Jeder muß seine Haut selbst zu Markte tragen.«

»Darf ich auch etwas fragen?« ließ sich Roland vernehmen.

»Frage nur,« ermunterte Erich.

»Als ich den Herrn Grafen vom Erbe der Bildung sprechen hörte, wollte ich fragen: woher wissen denn wir, daß wir in der Bildung stehen?«

Der Jüngling sprach mit Bangen, Erich ermuthigte ihn und Roland fuhr fort:

»Vielleicht halten die Chinesen oder die Türken uns für Barbaren.«

»Du wünschest also,« half Erich weiter, »ein untrügliches Zeichen, woran ein Volk, eine Zeit, eine Religion, ein Mensch erkennen kann, ob sie in der Strömung der großen weltgeschichtlichen Bildung sich befinden?«

»Ja, das meine ich.«

»Das ist freilich schwer zu bestimmen. Ich glaube aber, man darf sagen: Wir wissen, daß wir im Mittelpunkt oder vielmehr im Fortsetzungspunkt der Bildung stehen, weil wir Erbe der Vergangenheit, weil wir von Persern, Juden, Aegyptern, Griechen und Römern aufnehmen und weiter führen; Türken und Chinesen, die das nicht thun oder nicht thun können, sind ausgeschieden und sterben in sich ab. Es ist kein Stolz, wenn wir Deutschen uns in die erste Reihe der Bildung stellen, denn es gibt kein Volk, das mehr die Arbeit der Menschheit in sich aufnimmt und weiterführt als das deutsche oder sagen wir das germanische, denn auch Dein Geburtsland schließt sich an.«

Das Auge Clodwigs und das Rolands ruhte auf Erich, jetzt sahen sie einander an und Clodwig faßte die Hand Rolands und hielt sie fest.

Eine Zeitlang herrschte Stille.

Die Damen ließen bitten, man möge sich in den Saal begeben. Dort sang ein jovialer österreichischer Officier, der eine Kaufmannstochter aus der nahen Handelsstadt in den Adelsstand erhoben hatte, scherzhafte Lieder; Prancken, der bei einem Taschenspieler viele Kunststücke erlernt hatte, ließ sich erbitten und gab dieselben zum Besten, und endlich spielte auch noch der Musiker auf der alten Geige Clodwigs.

Sonnenkamp erfaßte die günstige Gelegenheit, da er allein mit Clodwig in einer geschützten Ecke des großen Saales saß; er fing zunächst an, von der freundlichen Theilnahme zu reden, die Clodwig für Roland habe. Behutsam ging er weiter, und es lag ein rührend altväterischer Ton in der Art, wie er sagte, daß er für sich selber im Leben nichts mehr zu wünschen habe, es sei nur sein einziger Wunsch, Roland für alle Zeiten in eine sichere Ehrenhaltung zu bringen.

Clodwig zweifelte nicht, daß er im Umgang und im Unterrichte Erichs eine Weltanschauung und Führung gewonnen habe und noch weiter gewinnen werde, die ihm in sich Haltung gebe und ihm einst die Gemeinschaft der Edlen sichere.

An dieses Wort »die Gemeinschaft der Edlen« knüpfte nun Sonnenkamp an. Er hatte nicht umsonst die Naturgeschichte der Bestechung studirt, Clodwig mußte damit bestochen werden, daß man ihn ins Gründungscomité nahm und ihm ideale Dividende gab. Aber Clodwig that beständig, als ob er nicht verstehe, wohin Sonnenkamp ziele, und dieser wurde dadurch so verwirrt, daß er statt Clodwig geradezu um Mitwirkung zu bitten, ihn um Rath fragte. Clodwig rieth ihm entschieden ab, sogar mit den scharfen Worten, daß es nicht wohlgethan sei, in eine absterbende Institution einzutreten, in der man doch nie heimisch werde. Sonnenkamp mußte verbindlich danken. Clodwig ergriff schickliche Gelegenheit, sich unter die andern Gäste zu mischen.

Man fuhr bei hellem Tage heimwärts, die Gastfreunde gaben noch ein Stück Weges das Geleite. Sonnenkamp ließ Roland sich zur Mutter und Fräulein Perini setzen, er wollte den Mißmuth seiner Frau, die oft auf das große Perlencollier Bella's gestarrt hatte, nicht noch einmal über sich ergehen lassen; er nahm Erich zu sich in den Wagen.

»Das also ist die deutsche Gesellschaft! In unserm Herrn Wirth steckt ein alter Professor,« sagte Sonnenkamp.

Nach einer Weile lobte er den Takt Erichs, daß er vor Roland, der noch so jung sei, seine Freundschaft zu Clodwig und dessen schöner Gattin in so zurückhaltender Form erscheinen lasse. Die Hand auf die Schulter Erichs legend, fügte er hinzu:

»Junger Mann, ich könnte Sie beneiden; ich weiß wohl, Sie werden Alles verneinen, aber ich gratulire Ihnen. Der alte Herr hat Recht: Hilf Dir selbst ist kein Moralprincip.«

Erich konnte nichts als entschieden ablehnen; er fühlte sich dabei innerlich schwer bestraft für einen flüchtigen, wenn auch nur im leisesten Gedanken begangenen Fehl.

Sonnenkamp war verdrießlich. Jetzt ist er in das Streben nach einer Sache gerathen, wo Selbsthilfe nicht ausreicht; er mußte sich von Anderen helfen lassen. Er wollte eine auszeichnende Ehrenstellung. Das ist nicht wie Erringen eines Besitzes, Erwerben von Geld und Gut; die Ehre geht nur aus einer Gemeinsamkeit hervor, hier mußten Andere helfen, und der Erste und Vorzüglichste, der mitwirken sollte, war spröde und ablehnend.


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