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Im Lande, wo der Schoppen regiert, versammeln sich die Frauen zum Kaffee, und Wein und Kaffee geben sich darin nichts nach; beide wissen sich in alle Jahreszeiten zu finden. Im Frühling und Sommer trinkt sich's gut auf einer bequem zu ersteigenden Anhöhe, in schattiger Laube mit schönem Ausblick in die Landschaft; im Herbst und Winter in den guten Stuben mit den zum Ueberfluß vorhandenen Sophakissen von gestickten Papageien und in Wolle aufgebauschten Hunden.
Die Kaffeegesellschaft hat das Bessere, daß sie reihum geht. Man kommt zum Schoppen, zu einer Tasse Kaffee zusammen, aber so wenig der Schoppen buchstäblich wahr ist, sondern sich füglich vermehrt, ebenso ist der Kaffee nur ein bescheidener Ausdruck für nachfolgende Maiweinbowlen und mit Früchten gespickten Kuchen. Wer sich aber noch besonders hervorthun will, läßt auf der Eisenbahn aus der Festungs-Stadt behutsam gehaltenes Eis kommen.
Die Frau Landrichter begann den Reigen der Frühlingskaffees. Der kleine Garten am Hause war sehr angenehm und der Flieder blühte dort in seinem ganzen Uebermuthe; aber man konnte aus den umliegenden Nachbarhäusern hineinschauen, und so war es besser, die Festlichkeit im Prunkzimmer oben bei geöffnetem Balcon abzuhalten.
Die mit rauschendem Zindel überzogenen Sophakissen waren enthülst, die Einladungen ergangen, auch an die Gräfin Wolfsgarten. Sie hatte zusagende Antwort geben lassen, aber es war stehendes Herkommen, daß eine Stunde vor dem Kaffee ein fein duftendes, zierlich geschriebenes Briefchen eintraf, worin Frau Bella bedauerte, daß ihre leidige Migräne ihr die längst erwartete Freude versage, die verehrte Frau Landrichter und die ehrenwerthe Gesellschaft zu begrüßen.
Heute war gegen alle Erwartung die Frau Gräfin selbst gekommen, und was doch gar nicht vornehmen Stiles ist, als die Erste von der Gesellschaft.
Die Frau Landrichter schickte schnell Lina in das Prunkzimmer, einen Stuhl mehr hinzustellen, denn man hatte sicher darauf gerechnet, daß die Gräfin Wolfsgarten nicht komme.
»Ich erwarte heute meinen Bruder, der nach dem Niederrhein gereist ist,« erzählte Bella bald.
Sie wollte allerdings ihren Bruder im Städtchen abholen, um alsbald Näheres über Manna und das räthselvolle Telegramm zu erfahren. Sie hatte aber noch eine zweite Absicht, und die Gelegenheit, dieselbe auszuführen, ergab sich von selbst.
Die Frau Landrichter beklagte sich, daß der Hauptmann und Doctor Dournay . . .
»Ach, wie soll man ihn nur nennen?«
»Nennen Sie ihn nur Doctor.« . . .
». . . also Doctor Dournay Besuche gemacht habe beim Pfarrer, beim Major und beim Doctor . . . Ja, die Wirthschafterin des Majors habe dem Amtsdiener viel von ihm erzählt . . . aber auffallender Weise habe er den eigentlichen Mittelpunkt des Städtchens, das Landgericht, vernachlässigt. Er habe sich freilich an dem Abend, als er beim Doctor übernachtete, sehr bescheiden entschuldigt und die Frau Doctor sage, er werde bald wiederkehren, um bei Sonnenkamp einzutreten. Herr von Prancken habe eine edle That vollzogen, dem Manne diese Stelle zu verschaffen, der sich hoffentlich dieser Empfehlung würdig erweise.
Bella lobte die Frau Landrichter, die das Gute, das man thue, freundlich erkenne, sie werde aber auch die Gefahr sehen; unzuverlässige Menschen verderbe man durch nichts mehr, als durch Wohlthaten, man erziehe sich damit nur Feinde, die auf den Augenblick lauerten, sich als solche zu demaskiren.
Die Frau Landrichter war entzückt über die Art, wie die bekannte hochgeistige Frau ihren schlichten Hausmannsverstand schmückte. Sie behauptete, sobald man in persönlichen Verkehr mit der Frau Gräfin trete, denke man über Alles schärfer und verstehe Alles besser. Es gab beiderseitiges glückliches Lächeln, man fand sich beiderseits passend und geschmackvoll gekleidet, natürlich unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß das Bedeutendere immer der Gräfin Wolfsgarten zukomme; denn in irgend einer Sache mit ihr zu wetteifern, wäre Thorheit.
Bella sah in der That heute sehr belebt aus. Sie erzählte leichthin von dem kleinen Unfalle, den der Graf auf Villa Eden gehabt, und bemerkte, daß Herr Dournay, der den Grafen sehr aufgeregt hatte, sich dabei recht wacker benommen.
Die Frau Landrichter erging sich nun im Lobe des Grafen und pries die zärtliche Sorgfalt, mit der die Gräfin über ihm wache.
Bella lenkte das Gespräch wieder zurück und wußte mit umsichtiger Behutsamkeit anzudeuten, daß Erich den Besuch im Landgericht darum unterlassen, weil er wol eine gewisse Scheu vor treuen Dienern des regierenden Herrn habe.
Die Frau Landrichter drängte, daß Näheres erzählt werde, und unter Gelöbniß strengster Verschwiegenheit – nur der Herr Landrichter müsse natürlich Alles wissen – wurde erzählt, daß man von politischen Aeußerungen wisse, ja sogar von gedruckten Kundgebungen in einem ausländischen, das heißt in einem jenseits der grüngelben Grenzpfähle herausgegebenen Blatte, die den ehemaligen Lieutenant Dournay veranlaßt hätten, seinen Abschied zu nehmen, bevor man ihm solchen gab.
»Warum hat man ihm dann aber in so jungen Jahren den Hauptmannsrang gegeben?« fragte die Frau Landrichter.
»Sie fragen so klug wie der Herr Landrichter selbst,« erwiderte Bella.
Sie schien auf diese Frage nicht gefaßt; sie sagte indeß, sehr wahrscheinlich habe man das – und dabei wurde die Hand der Frau Landrichter zwischen beiden Händen gehalten, als sinnbildliche Aufforderung, daß man ihr ein tiefes Geheimniß in Verschluß gebe – wol um der Mutter willen gethan, die eine Lieblings-Hofdame der Fürstin-Mutter gewesen sei; man wollte natürlich jedes Aufsehen vermeiden.
Das Antlitz Bella's wollte freundlich lächeln und kämpfte doch mit dem Ausdrucke spottenden Hohns, als die Frau Landrichter sagte:
»Da hat doch mein Mann wieder das Richtige getroffen. Als wir von Ihrer Gesellschaft – ach, es war so heiter und schön – wegfuhren, sagte er zu mir und meiner Tochter: Kinder, dieser Herr Dournay ist ein gefährlicher Mensch. Ach, die Männer sind immer viel klüger, sie kennen einander viel besser, als wir Frauen sie je erforschen.«
Die Frau Landrichter schien sich in allgemeine Menschenbetrachtungen zu verlieren, sie that das gern und behauptete immer, wer über einem Erdgeschoß voll Gerichtsacten wohne, bekomme eine sehr düstere Anschauung von den Menschen.
Bella schien aber heute nicht damit gedient; sie fragte leichthin:
»Hat Ihr Herr Gemal seine scharfsinnige Beobachtung, daß der Doctor Dournay ein gefährlicher Mensch sei, auch Herrn Sonnenkamp mitgetheilt?«
»Das ist wahr,« fuhr die Frau Landrichter auf, »da wär' es am Platze. Wollen Sie nicht, gnädige Frau, meinem Mann sagen, daß er dort seine Ansicht kundgeben mag? Mir willfahrt er leider nicht, Ihnen aber in Allem so gern.«
»Ich bitte,« wendete Bella ab, »Sie begreifen, daß ich mich nicht in diese Angelegenheit mischen kann. Mein Bruder hat ein gewisses kameradschaftliches Verhältniß, obgleich sie nicht in demselben Regiment standen, und dazu hat mein Mann eine krankhafte . . . ich wollte sagen, schwärmerische Neigung zu dem jungen Mann gefaßt. Sie haben ganz recht, Ihr Herr Gemal wäre verpflichtet . . .«
Bella arbeitete so sicher, daß sie Gewißheit erhielt, der Landrichter ist noch vor Abend bei Sonnenkamp und Herr Dournay kann sein sicheres Benehmen anderswo verwerthen; denn Bella wollte aus vielfachen Gründen, daß Erich sich nicht in der Nähe ansiedle, er war ihr störend, fast beleidigend. Während sie ihren zusammengelegten Fächer in der einen Hand haltend, in raschem Tacte in die andere Hand auf und nieder schlug, sprach sich ihr das Wort des Landrichters in der Seele: Dieser Dournay ist ein gefährlicher Mensch.
Die Frau Landrichter war eigentlich eine freisinnige Frau; war sie ja die Tochter des Gerichtspräsidenten, der zur Zeit, als Metternich Deutschland regierte, unbeugsamen Widerstand geleistet hatte. Sie war von Hause aus wohlhabend, und das hilft viel zur Bewahrung freier Gesinnung. Sie setzte einen gewissen Bürgerstolz darein, sich dem Adel gegenüber nichts zu vergeben; aber sie sah in Frau Bella die liebenswürdige, geistig hochstehende Dame, der sie sich unterordnete, ohne sich zu bekennen, daß sie diese Unterordnung, einer Gräfin gegenüber, bis zur Unterwürfigkeit steigerte. Bella war klug genug, das Alles zu sehen und zu wissen. Sie benahm sich gegen die Frau Landrichter mit jener Zutraulichkeit, wie man sie nur unter Gleichen walten läßt; aber sie hütete sich, besonders liebenswürdig zu sein, denn die Frau Landrichter könnte dann den geheimen Zweck ihres Besuches entdecken.
Lina trat in die Stube; sie sah anmuthig wirthlich aus in dem blauen Kleide mit der hohen weißen Latzschürze. Die Mutter schickte sie alsbald wieder fort, das Kind sollte nicht dabei sein, wenn Gräfin Bella vielleicht noch etwas Besonderes zu sprechen hatte.
»Ihr liebes Kind hat sich vortrefflich entwickelt und spricht sehr gut französisch.«
»Ich danke Ihnen,« sagte die Frau Landrichter. »Ich weiß nicht, wie die heutige Jugend ist, aber Lina ist noch so schwerfällig, es fehlt ihr alles Pikante, und dabei ist sie von einer erschrecklichen Naivetät.«
Sie klagte, daß ihr nicht gelingen wolle, aus Lina ein aufgewecktes Mädchen zu machen.
Bella hätte ihr wol sagen können: Du willst das einfache Kind ohne besonderes Talent, ohne besondere Schönheit, aber tüchtig und offen, ändern, Du zerrst immer an ihm herum: sei doch lebhaft, sei doch neckisch, sei doch lustig, sing und spring! Du willst aus Deinem blonden Kinde mit den hellen blauen Augen ein dunkelhaariges Mädchen mit brennenden braunen Augen machen! Bella hätte ihr das Alles sagen können, aber es war ihr erspart, etwas zu äußern, denn allmälig kamen die geladenen Frauen. Sie waren überaus glücklich, die Gräfin Wolfsgarten zu treffen, und doch ärgerte sich Jede, daß sie heute nach Putz und Ansehen vor ihr zurückstehen mußte.
Ja, solch ein Damenkaffee!
Es gibt Dinge, Institute und Stände, die nun einmal einen schlimmen Namen haben und nicht mehr los werden; dasselbe Schicksal hat auch das schöne Institut des Damenkaffees. Und doch sind die Damenkaffees eine schöne Sache, ausgenommen, wenn Karten gespielt wird. Hier aber in unserm freundlichen Städtchen sind die Spielkarten noch nicht das Buch der Erlösung von allem Uebel der Langeweile; man unterhält sich noch selbstthätig, so gut man eben kann. Und warum soll man nicht von Personen sprechen und bisweilen auch etwas scharf? Was thun denn die Männer in höheren Regionen und beim Schoppen?
Man spricht hier wie dort von Stadtneuigkeiten, und diese Frauen hier, die sich das und jenes erzählen von sogenannten Honoratioren wie von sogenannten minderen Leuten, sind dieselben Frauen, die auch wohlthätige Vereine gegründet haben und aufrecht erhalten. Darum laßt uns behaglich und ohne böse Nebengedanken beim Damenkaffee zu Gaste sein.
Da kommt Frau Weiß. Hinterrücks wird sie Frau Kohle genannt, denn sie ist die Gattin eines Holz- und Kohlenhändlers; sie hat schwarze Locken und eine dunkle Hautfarbe, die immer so aussieht, als ob sie nicht vollkommen rein gewaschen wäre; und da die gute Frau wußte, daß sie Frau Kohle genannt wurde, kleidete sie sich immer in sogenanntes Nachtweiß, was freilich zu ihrer dunklen Haut- und Haarfarbe am hellen Tage gar nicht stimmte, während sie bei Licht eine anziehende Erscheinung war. Leider hat sie den Fehler, daß sie schielt und zwar mit einem so süßen Ausdruck, als wären ihre Augen mitten in einem schmachtenden Liebesblick für immer stehen geblieben.
Da ist die Frau des Cementfabrikanten, groß und stattlich; sie lacht nie, ist immer unsäglich ernst, als trüge sie ein schweres Geheimniß mit sich herum; sie hat aber gar kein Geheimniß zu verrathen, als daß sie nichts zu sagen weiß.
Da sitzt die schöne, nur ein wenig zu wohlbeleibte Frau des Schul-Directors, genannt Frau Kleiderleib, denn sie weiß sich vortrefflich zu kleiden; sie lächelt immer und zeigt sehr schöne Zähne, man könnte fast vermuthen, daß sie auch lächeln wird, wenn sie eine Todesnachricht zu verkünden hat.
Da ist die Frau des Dampfschiffsagenten, von behaglichem Anblick, Mutter von elf Kindern. Die ganze Gesellschaft ist ärgerlich auf die kleine, runde brave Frau, da sie die Tasse nicht auf dem Tische stehen läßt, sondern in der linken Hand erhoben hält und dabei fortwährend Kuchen eintunkt und Jedem zunickt und Recht gibt, aber sich selten selbst vernehmen läßt oder doch nur aus vollgestopftem Munde, wobei man nichts versteht.
Da sind die beiden Engländerinnen, die im Städtchen wohnen; sie sind einfach bürgerlich und beliebt, sie sind nicht vornehm, aber sie erscheinen so, weil sie immer selbständig und keines Anschlusses an Andere bedürfen. Sie leben in ihrem Hause, haben keine Besuche nöthig, sind selbst wie die Insel, von der sie stammen. So oft die beiden Frauen in eine Gesellschaft kommen, werden sie neu und frisch begrüßt. Die liebenswürdige unbehülfliche Art, mit der sie Deutsch sprechen und ungewöhnliche Wortfügungen machen, erhöht noch das allgemeine Wohlwollen. Auch Bella war besonders freundlich gegen sie.
Häkel-, Stick- und Näharbeit hatte man natürlich bei sich, aber es sind nur Schauarbeiten, um nicht müßig zu erscheinen.
Die Frauen sprachen durch einander, es war wie das Singen der Vögel im Walde; jeder singt seine Weise, putzt sein Schnäbelchen und kümmert sich nicht um das Andere, hört kaum zu. Nur zwei Aeußerungen wurden allgemein gehört und nochmals erzählt. Frau Weiß hatte die erfreuliche Bemerkung gemacht, man sehe Graf Clodwig seine vielen hohen Orden an, auch wenn er gar keinen trage, und die Frau Landrichter ließ sich's nicht entgehen, das Wort gegen Bella zu wiederholen. Noch ein Zweites erregte allgemeine Aufmerksamkeit. Man kam, man wußte nicht woher, auf das Thema, ob es angenehm oder unangenehm sei, wenn die Männer rauchen. Frau Kleiderleib erzählte, ihr guter Mann wünsche oft, daß er recht leidenschaftlich rauchen möchte, um es ihr zu Liebe sich abzugewöhnen. – Bella hatte das ständige Gefälligkeitslächeln, das so kalt und doch so bezaubernd war.
Nur kurz streifte das Gespräch Herr Sonnenkamp, es blieb bei Erich haften. Und warum nicht? Da jagen zur Sommerszeit Tausende am Städtchen vorüber, man wohnt am Wege, der zur alten Burg, zu anderen Sehenswürdigkeiten führt, aber wann hat man eine bleibende Erscheinung und noch dazu eine so ungewöhnliche? Nun war Erich ein fremder Vogel, der sich am geheimnißvollen Hause Sonnenkamp annisten wollte; man thut ihm nichts, keine Feder wird ihm ausgerupft, nur will Jedes sagen, von wannen er kommt und wie er erscheint.
Die Frau Landrichter bedauerte, daß der Major nicht da sei, denn er wisse am meisten von dem Hauptmann Doctor zu erzählen.
Man sprach davon, daß die Mutter Erichs eine Dame vom besten Adel, und Jede wollte ihr das angesehen haben, denn so etwas verleugne sich nicht. Bella gab auf diese Bemerkung einen allgemeinen freundlichen Blick zum Besten.
Als nun der Landrichter zur Begrüßung in die Kaffeevisite kam, bat Bella, daß er sich einen Stuhl neben ihr nehme; sie sagte, wie froh man in diesem harmlosen Kreise sei und nur wünschen müsse, daß nie ein störendes Element eintrete, das zersetzend auf denselben einwirke.
Der Landrichter schaute sie mit seinen gutmüthigen Augen befremdet an und strich seinen reglementwidrigen Schnurrbart; er konnte nicht ahnen, daß dies eine Vorbereitung war zu dem, was ihm dann seine Frau mittheilen sollte. Er entschuldigte sich und entfernte sich bald wieder. Seine Frau berichtete nun, daß Lina in den Liederkranz des Städtchens eingetreten sei; man übe jetzt zu dem großen Musikfeste, das in der nahen großen Stadt abgehalten werden solle, und Lina werde wahrscheinlich eine Solopartie übernehmen.
Frau Bella sprach sehr belehrend und wegwerfend zugleich. Sie haßte die Musikfeste, denn sie war überzeugt, daß nur sie allein Musik versteht, und nur die Musik, die sie treibt, wirkliche Musik ist. Nun singen bei solchen Musikfesten Hunderte von Jünglingen und Jungfrauen gewöhnlichen Standes ein Oratorium von Händel, Haydn, Bach, und das ärgerte Bella; diese Menschen reden sich dann gewiß ein, sie verstünden auch etwas. Wenn Bella die Macht gehabt, sie hätte diese Musikfeste polizeilich verboten. Auch haßte sie die Oratorien; sie sagte freilich nur: ich habe keinen Sinn dafür; aber da sie das sagte, sollte es für Jeden als volles Zeugniß bestehen, daß an der Sache nichts sei.
Sie ließ die deutschen Oratorienmeister, wie sie sagte, recht gern gelten, aber empörend blieb ihr, daß da die Frau Landrichter und die Schuldirectorin und zwei Töchter des pensionirten Forstmeisters und auch noch Schneider- und Schusterstöchter sich einbilden dürften, sie betheiligten sich an der höchsten Kunst.
Nun wurde allgemein gewünscht, daß Lina singe. Die Engländerinnen baten besonders dringend um einen deutschen Gesang; doch Lina, die sich sonst gar nicht zierte, wollte nicht willfahren. Die Augen der Mutter rollten in Zorn, aber Bella legte ihre Hand auf den Arm der zürnenden Mutter und sagte, sie gebe Lina Recht: so unvermittelt zu singen, das wolle sich nicht fügen. Sie stand auf, ging an den Flügel und präludirte, dann spielte sie eine Mozart'sche Sonate mit voller Meisterschaft. Alles war entzückt und das Haus des Landrichters war hoch erhoben.
Bella erhielt überschwängliches Lob, aber sie lehnte es ab und ging auf die Sucht über, daß Alles, was lange Kleider trägt, Clavier spielen wolle, indem sie sagte:
»Da glaubt jedes Mädchen auch einen Tonstrickstrumpf stricken lernen zu müssen.«
Sie wiederholte das Wort Tonstrickstrumpf im Dreivierteltact. Die Gesellschaft lachte, die Engländerinnen schauten verwundert drein, Bella erklärte ihnen, was sie unter diesem Worte verstehe, und setzte hinzu:
»Ja, sie stricken einen Strumpf von Tönen und die Hauptsache ist ihnen, daß sie keine Tonmasche fallen lassen. Ich glaube gar, die guten Kinder betrachten die vier Theile der Sonate als die vier Theile des Strumpfes; der Ranft ist das Andante, die Wade das Adagio, die Ferse das Caprizzio, die Zehenspitze das Finale. Nur wer wirkliches Talent hat, sollte Musik lernen dürfen.«
Nun erzählte Jegliches, wie viel Zeit man in der Jugend für das Clavier aufgewendet und wie man es nach der Heirat doch aufgegeben.
Der Landrichter war herbeigerufen worden; Bella lobte Lina, die nun sang, und bat, daß man Lina auf einige Wochen ihr zum Besuch gäbe, sie könne sie vielleicht doch noch in Manchem unterrichten. Der Blick, mit dem die Frau Landrichter umschaute, drückte den Triumph aus, daß alle Frauen das mit angehört hatten. Sie kam sich sehr gutmüthig und herablassend vor, daß sie noch vertraulich mit der Frau Doctor und nun gar mit Frau Kohle und den Kaufmannsfrauen verkehrte.
Bella rühmte auch den schmackhaften Kuchen, den die Frau Landrichter so vortrefflich zu bereiten verstände; sie wünschte die Bestandtheile desselben zu kennen. Die Frau Landrichter sagte, daß sie eine bestimmte Dosis bitterer Mandeln hinzufüge. Sie versprach, das Recept aufzuschreiben.
Man hatte kaum den Maiwein gekostet und gefunden, daß Niemand ihn so vortrefflich zu bereiten wisse als der Herr Landrichter, da wurde gemeldet, daß Herr von Prancken angekommen sei. Der Landrichter trat vor das Haus, seine Frau hielt Bella zurück und Lina schaute zum Fenster hinaus und sah, wie Prancken ablehnte, einen Augenblick heraufzukommen. Bella verabschiedete sich rasch und fuhr mit ihrem Bruder davon.
Als Bella fortgegangen, rückte man vertraulicher zusammen; jetzt erst fühlte man sich heimisch und wohlgemuth.
Die Engländerinnen waren nach Bella die Ersten, die sich verabschiedeten; die Anderen wollten nicht minder vornehm sein als sie, bald war die Gesellschaft aufgelöst.
Als die Frau Landrichter mit ihrem Manne allein war, erzählte sie, daß viel von Herrn Dournay gesprochen worden und daß es Pflicht des Beamten wäre, den Bezirk sauber zu halten.
Der Landrichter war treu im Amte, aber durchaus nicht begeistert für seinen Beruf, er sagte stets: Was gehen mich die Händel fremder Menschen an? Wenn ich Gutsbesitzer wäre, würde ich mein Lebenlang mich nicht in die Streitigkeiten Anderer mischen, sondern still und vergnügt für mich leben. Nun aber, da er einmal in das Amt gesetzt war, vollführte er es pflichtgetreu. Nur sehr widerwillig ließ er sich bestimmen, in die Angelegenheit Erichs einzugreifen; er erklärte sich erst bereit, als seine Frau ihm geradezu sagte, es sei der Wunsch der Gräfin Bella.