Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band II
Berthold Auerbach

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Neuntes Capitel.

Der Lehrer des Dorfes war eine steife, pedantisch förmliche Erscheinung, er benahm sich sehr demüthig, da der Hauptmann ihn besuchte.

Er war ein Mann im Anfang der sechziger Jahre, sah dabei aber noch sehr rüstig aus. Mit einer Mischung von Stolz und Bitterkeit sagte er, er habe einen Sohn, der, einundzwanzig Jahre alt, in einer Fabrik des jungen Herrn Weidmann bereits das doppelte Gehalt beziehe, das sein Vater nach zweiunddreißigjähriger Dienstzeit genieße. Er habe vier Söhne, aber keiner dürfe Schulmeister werden. Ein zweiter Sohn sei Buchhalter bei einem Banquier in der Handelsstadt und der älteste Bau-Unternehmer in Amerika.

»Ja,« rief er laut, »es wird bei uns Schullehrern nicht besser, als bis allgemeine Arbeitseinstellung eintritt.«

»Würden Sie Schullehrer bleiben,« fragte Erich, »wenn Sie ohnedies ein auskömmliches Vermögen hätten?«

»Nein.«

»So würden Sie es auch nie geworden sein?«

»Ich glaube nicht.«

»Das ist das Elend,« rief Knopf, »daß der Reichthum immer sagt, ich darf die Noth nicht abwehren, denn durch dieselbe erzeugt und bildet sich das Große, die Noth macht ideal; Herr Sonnenkamp sagt immer: Ich darf mich nicht um die Existenzen um mich her kümmern, auch Roland soll es nicht, denn sonst verliert er seine Existenz; er kann nicht mehr spazieren reiten, ohne an das Elend und Ungemach da und dort zu denken. – Wir Lehrer dürfen stolz sein, wir sind die Hüter der Idealität. Sehen Sie hier ringsum die Dörfer, in jedem ist ein sichtbarer Thurm und ein unsichtbarer, und der unsichtbare ist die Idealität des Dorflehrers, der dort bei seinen Kindern sitzt.«

Erich that den Ausrufungen Knopfs Einhalt, indem er es dahin brachte, daß der Dorflehrer seine Lebensgeschichte weiter erzählte. Er war ein guter Mathematiker, trat ins Katasterwesen und wurde Zollbeamter, verlor seine Stellung bei Gründung des Zollvereins, trieb sich zwei Jahre fast verkommen herum und ging dann an die Schulmeisterei. Er hatte aber gut, d. h. vermögend geheirathet, so daß er seinen Söhnen eine bessere Erziehung geben konnte.

Es war Abend geworden.

Erich versprach dem Dorflehrer, ihn wo möglich auch zum Unterrichte Rolands zu verwenden, und ritt nach herzlichem Abschiede von Knopf heimwärts.

Als er die Villa sah, dachte er, wie das Leben dort nun werde, wenn die Tochter des Hauses aus dem Kloster heimgekehrt war.

Die Wagen waren schon da und Herr Sonnenkamp drückte sein Befremden aus, daß Erich nicht die Freundlichkeit gehabt, im Hause zu bleiben, oder sich die Stunde der Ankunft zu merken.

Nach dem Vielen, was Erich mit Knopf besprochen, überkam ihn jetzt die Empfindung der Dienstbarkeit wieder neu.

Er kam zu Roland, der ihn mit Inbrunst umarmte und rief:

»Ach, bei Dir allein ist's gut.«

Roland konnte sich nicht zurückhalten, von der Mißstimmung Aller zu erzählen, da Manna nicht mit zurückgekehrt sei.

Erich athmete freier auf.

Roland erzählte durcheinander, wie Bella auf der Rückfahrt bei der Wasserheilanstalt ausgestiegen sei, weil sie eine Depesche von Graf Clodwig erhalten, der sie dort erwartete. Endlich aber sagte er:

»Was geht uns alles Andere an! Du bist auch im Kloster und ich habe es Manna gesagt, Du siehst ganz aus wie der heilige Antonius in der Klosterkirche. Ja, lache nur! Wenn er lachen würde, so wie Du müßte er lachen, so wie Du mich jetzt ansiehst, so sieht er drein. Manna hat mir die Legende erzählt. Der Heilige hat in Andacht zum Himmel gebetet, und da hat sich ihm in der Einsamkeit das Christkind auf den Arm gelegt und da sieht er's an, so fromm, so lieb.«

Das Antlitz Rolands glühte, Alles fieberte an ihm und Erich hatte Mühe, ihn aus einer übersteigerten Stimmung wieder in eine gleichmäßige zu versetzen. Aber was ihm nur schwer gelingen wollte, gelang den Hunden; Roland war wieder der selbstvergessene Knabe, als er bei den Hunden war.


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