Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band II
Berthold Auerbach

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Dreizehntes Capitel.

Roland bat, daß er hier warten dürfe; er wurde in die Wohnstube geführt; das Dienstmädchen sagte, daß Erich nach der Hauptstadt gereist sei, er käme aber möglicher Weise noch heute zurück; die Mutter sei nach dem Grabe ihres Sohnes gegangen, dessen Todestag heute war. Das Mädchen ging hinaus, um die Lampe herzurichten. Allein und müde saß Roland in der Stube in einer Sophaecke.

Wunderlich! Da stehen so viele Menschenwohnungen auf der Welt, da kann man eintreten und sitzt plötzlich in einem fremden Haus.

Vom Thurme der Stadt tönte nach alter Sitte ein Choral, von Trompeten geblasen. Roland träumte in die Welt hinein, er wußte nicht mehr, wo er war, er erinnerte sich nur, daß er einstmals durch viele Länder und Städte gefahren.

Da trat die Mutter ein. Sie blieb unter der Thüre stehen. Roland richtete sich auf und sagte:

»Guten Abend, Mutter.«

Die Hände ausstreckend rief die Mutter:

»Hermann . . .«

»Ich heiße nicht Hermann, ich heiße Roland.«

Die Mutter ging zitternd auf ihn zu, die Tante kam eben mit Licht und jetzt klärte sich Alles auf. Roland konnte sagen, daß er Erich nachgereist sei, denn er lasse nicht mehr von ihm. Die Mutter küßte Roland und weinte und schluchzte.

Man hörte Schritte auf der Treppe. Erich trat ein.

Roland hatte nicht die Kraft, sich vom Platze zu erheben, und Erich rief staunend:

»Du hier?«

Roland konnte kaum hervorbringen, was er gethan. Starr und irr schaute er drein, da Erich ihm so fremd gegenüber stand und nicht einmal die Hand reichte. Er berichtete kurz, was vorgefallen, er schien etwas von dem Unrecht zu erkennen, das er begangen; Erich sollte ihm nun helfen, Alles zu ordnen. Dieser erkannte die Aufregung des Knaben und suchte ihn zu beruhigen.

»Bleib jetzt hier bei meiner Mutter,« sagte er, »ich muß sofort durch ein Telegramm Deine Eltern benachrichtigen. Ich komme bald zurück.«

Eben als er gehen wollte, übergab ihm die Mutter noch einen eingetroffenen Brief, es war der ablehnende Brief Sonnenkamps. Erich überflog ihn nur, dann ging er eilig davon.

Die Mutter faßte Roland nochmals in ihre Arme, aber Erich sagte kurz:

»Ich gebe ein Telegramm an Herrn Sonnenkamp auf mit der Anfrage, ob er Roland abholen wolle oder ob man ihn bringen solle.«

Als Erich wieder nach Hause zurückkehrte, fand er Roland auf dem Sopha eingeschlafen; nur mit großer Mühe war er zu erwecken, daß man ihn zu Bette bringen konnte. Lange saß Erich noch bei seiner Mutter und sprach davon, wie wundersam das Schicksal mit ihnen spielte.

Die Mutter berichtete, wie sie auf dem Heimwege vom Kirchhofe von erdrückend schmerzlichen Gedanken überfallen worden. Das Antlitz Hermanns könne sie sich noch vergegenwärtigen und das war ja auch festgehalten in der Photographie, die mit einem Immortellenkranze eingerahmt in der Fensternische gerade über ihrer Nähmaschine hing; aber wie Hermann sich bewegte, wie er dahin schritt, wie er den Kopf mit den dichten braunen Haaren zurückwarf, wie er lachte, scherzte, liebkoste, der Klang seiner Stimme, der Turteltaubenton seines Lachens, das Alles verschwinde ihr – ihr, der Mutter. So sei sie des Weges dahin gegangen, sich gewaltsam das Lebensbild des Verstorbenen zurückrufend. So sei sie heimgekehrt, und da sei ihr eine Gestalt entgegengetreten ganz wie Hermann und habe ihr entgegengerufen: »Guten Abend, Mutter!«

Sie sprach nun mit demselben Entzücken von Roland, das Erich empfunden hatte, als dieser ihn zum ersten Mal gesehen.

Erich erzählte dagegen von den Bedingungen bei Uebernahme des Instituts, dann berichtete er von dem Anerbieten des Ministers. Er sollte in die Stelle eintreten, die dem Vater nicht geworden und die ihm, wer weiß, doch das Leben erhalten hätte. Dazu belastete ihn, daß er als Erbe und durch Gönnerschaft ohne persönliches Verdienst die Stelle erhalten solle.

Die Momente waren selten, aber sie kamen doch, in denen die Mutter aus ihrer alten Gewohnheit heraus in manchen Empfindungen und Betrachtungen des Bürgerthums eine Aufsässigkeit und Widerspenstigkeit sah, die sie nicht billigen konnte. Bei ihrem Manne hatte sich das mild und nur selten gezeigt, in Erich aber war es lebendiger; er hatte jenes trotzig Anstürmende, das nur sich selber Ansehen und Macht verdanken will. Sie unternahm es nicht mehr, die Sinnesweise ihres Sohnes ändern zu wollen.

Noch spät in der Nacht kam ein Brief von Clodwig, der die doppelte Summe, die Erich verlangt hatte, zur Verfügung stellte.

Mitternacht war vorüber, als Mutter und Sohn noch beisammen saßen. Erich bat die Mutter, sich niederzulegen, er wolle warten, bis eine Antwort von Sonnenkamp käme.

Erich saß lange einsam, Alles überdenkend.

Er ging nochmals, kaum hörbar auftretend, nach dem Zimmer Rolands, der bei seinem Eintritt stöhnend »Erich!« rief, ohne aus dem Schlafe zu erwachen . . .

Um dieselbe Stunde war große Bewegung auf Villa Eden; Greif, der Hund Rolands, war vor der Wohnung des Castellans angekommen und hatte so heftig gebellt, daß auch die andern Hunde mit einander zu bellen anfingen und Alles im Hause erwachte. Die Diener jammerten, denn Roland mußte verunglückt sein, da Greif allein heimgekehrt war. Auch Sonnenkamp war erwacht. Alles stand um den Hund, der wohl bellte, als man in ihn hinein redete, aber Niemand verstand, was er damit sagen wollte. Glücklicherweise kam bald das Telegramm von Erich, der bedachtsam dasselbe nach der Stadt gerichtet hatte, wo eine Nachtstation war.

Sonnenkamp ließ den Major wecken, er mußte sofort mit ihm abreisen.


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