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Prancken ging zu Sonnenkamp; er traf denselben in einem allgemeinen Gespräche mit dem Landrichter; die Begrüßung zwischen dem Hausherrn und Prancken war sehr vertraulich und Prancken setzte sich rittlings auf einen Stuhl.
»Ich werde Ihnen, verehrter Freund,« begann Prancken – er nannte Herrn Sonnenkamp vor der Welt gern verehrter Freund – »ich werde Ihnen später von meiner Reise erzählen. Nun lassen Sie mich Ihnen nur Glück wünschen, daß für unsern Roland ein allem Anschein nach überaus passender Mann gefunden worden.«
Herr Sonnenkamp erwiderte, daß er den Chevalier schwerlich behalte; er sei nur auf Probe im Hause; es sei zu besorgen, daß der höchst gebildete Schweizer das Naturell Rolands vielleicht zu sehr nach dem Kirchlichen hin lenke; Erich wäre doch eigentlich der Mann, den er sich wünschen möchte.
Prancken schaute um, wie wenn er sich nochmals überzeugen müsse, daß der Feind eine andere Stellung einnehme.
»Wir müssen allerdings den Marktwerth dieses Mannes genau messen,« sagte er.
Sonnenkamp betrachtete ihn scharf, da Prancken das Wort Marktwerth eigenthümlich rasselnd betonte. Glaubte der Baron, er müsse sich ihm, dem Kaufmann, anbequemen? Er konnte nicht wissen, daß Prancken stolz war auf dieses Wort, und Sonnenkamp erwiderte:
»Sein Marktwerth ist nicht gering; doch ist dieser Hauptmann Doctor ein excentrischer Mensch; excentrische Menschen sind zuweilen angenehm, aber man kann sich nicht auf sie verlassen.«
Nur behutsam hob Prancken die Freigeisterei Erichs hervor und wie nothwendig es sei, daß Roland in die Leitung eines wahrhaft frommen und zugleich weltmännisch formvollen Mannes käme.
Im Bewußtsein der Ueberlegenheit und im Triumphe mit den Menschen zu spielen, berichtete Sonnenkamp, wie Doctor Richard ihm Erich so schwärmerisch geschildert habe, daß man nicht genug eilen könnte, den Mann mit sechs Pferden abzuholen.
»Ah, der Doctor!« rief Prancken und schwenkte dabei die rechte Hand hin und her, als hätte er eine unsichtbare Reitpeitsche in der Hand. »Ah, der Doctor! Natürlich! Atheisten und Communisten halten zusammen. Hat der Doctor Ihnen auch gesagt, daß er am Sonntag ein geheimes Gespräch mit Herrn Dournay gehabt hat?«
»Nein. Woher wissen Sie denn das?«
»Durch einen Zufall. Man hat eine ärztliche Rathgebung vorgeschützt, hat sich heimlich die Hände gerieben und dazu gesagt, Herr Sonnenkamp braucht nicht zu wissen, daß man von Alters her verbunden ist.«
Sonnenkamp dankte für diese Mittheilung, aber im Innern bestätigte sich ihm der Verdacht, daß Prancken einen seiner Diener in Sold hatte. Der Pole, den Prancken immer besonders freundlich anrief, der war's, der mußte aus dem Hause.
Unhörbar pfiff Sonnenkamp.
Der Landrichter hielt es für Pflicht, den Doctor als fürstlichen Kreis-Physicus nicht angreifen zu lassen; das verlangt die Solidarität. Nachdem er den Doctor vor jedem Unglimpf, der wol nicht ernst gemeint sei, sichergestellt, wobei Prancken beständig seinen Schnurr- und Knebelbart streichelte, machte der Landrichter eine Wendung, indem er sagte:
»Herr von Prancken hat in bester Absicht den jungen Mann empfohlen, aber dürfte ich auch meine Meinung aussprechen?«
Sonnenkamp entgegnete, daß er sehr viel Gewicht auf die Meinung des Landrichters lege. Jetzt war der Moment, wo das tactische Manöver vor sich gehen sollte. Prancken setzte sich fester auf seinen Reitstuhl, er ermuthigte den Landrichter, gradaus ins Feuer und drauf loszugehen und er rief:
»Erklären Sie nur geradezu . . . Ich selber muß mir Vorwürfe machen, daß ich nicht daran gedacht habe . . . eine Verbindung mit Herrn Dournay würde bei den allerhöchsten Herrschaften als eine Ungehörigkeit, ja vielleicht als Feindseligkeit angesehen werden.«
»Gestatten Sie mir,« entgegnete der Landrichter, und es war in Wort und Miene etwas, wie man im Amtszimmer einen Angeklagten in seine Schranken zurückweist, »gestatten Sie mir, daß ich genau die Grenze inne halte, die mir zusteht.«
Prancken war außer sich über den Landrichter; dieser so unansehnliche Mann bewahrte eine Haltung, die ganz unbegreiflich schien. Er hatte erwartet, der Landrichter würde Herrn Sonnenkamp die Hölle heiß machen und ihm vor Allem den Haß des Regenten gegen Erich ins Herz brennen – und was kam nun? Ein höchst mildes, vorsichtig abgewogenes, freundschaftliches Bedenken.
Der Landrichter hatte Erich nur als Menschen, als Gesellschaftsmitglied . . . er sagte, er wisse sich nicht recht auszudrücken . . . einen gefährlichen Menschen genannt; er habe das nur in moralischem Sinne gemeint; sofort aber nahm er das Wort moralisch zurück, denn Erich war bekanntermaßen ein höchst sittlicher Mann. Und als er jetzt auf die Erwägung kam, daß man sich durch eine Verbindung mit Erich die Ungunst des Hofes zuziehe, leuchtete aus dem Gesichte des kleinen Mannes eine freundlich milde Loyalität.
»Die Fürsten unseres Hauses,« sagte er, »sind nicht rachgierig, vielmehr höchst mild und versöhnlich; und nun gar unser jetzt regierender Herr! Mein Gott! er hat seine Eigenheiten, aber sie sind höchst unschuldig, und dabei ist er von unerschöpflicher Güte, und nun gar, wie wird er den Sohn seines Lehrers, ja den Jugendgenossen seines Bruders verfolgen wollen? Ich möchte eher behaupten, daß er dem eine Gunst zuwendet, der Herrn Dournay fördert, der es unmöglich gemacht hat, daß er ihn selber fördere.«
Prancken war voll Verzweiflung. Er sah auf den Landrichter wie auf einen Jagdhund, der nicht parirt. Er machte die Hand auf und zu, die Hand sehnte sich verzweifelt nach einer Peitsche; er winkte dem Landrichter mit den Augen, es half nichts, und er lächelte endlich bitter vor sich hin. Er sah dem Manne in den Mund, er meinte, es müßten ihm wieder Zähne gewachsen sein; er sprach so geläufig, so bestimmt, wie noch nie. Ja, diese Bureaukraten! dachte Prancken, während er seine Stulpenstiefel heraufzog, sie sind unberechenbar!
»Es ist mir angenehm,« rief er endlich und lächelte dabei gewaltsam, »es ist mir höchst erfreulich, daß unser verehrter Herr Landrichter alle Besorgnisse verscheucht. Ja, die Herren Beamten wissen die Acten vortrefflich zu ordnen.«
Der Landrichter hatte seinen Stich, aber er ging nicht durch die Uniform.
Sonnenkamp schien es genug zu haben, die Beiden zu schrauben. Mit triumphirender Miene ging er zu seinem Schreibtisch, wo mehrere fertige Briefe lagen, riß von einem das Couvert ab, gab den Inhalt und sagte:
»Lesen Sie, Herr von Prancken, und auch Sie, Herr Landrichter, lesen Sie laut.«
Der Landrichter las:
Villa Eden, den * Mai 186*.
Geehrter Herr Hauptmann Doctor Dournay!
Einem vielerfahrenen Manne werden Sie es nicht verargen, wenn er von seinem einseitig praktischen Standpunkte aus Ihnen zu bedenken gibt, ob Sie nicht ein Unrecht begehen, indem Sie Ihren von der Natur reich angelegten und durch Wissenschaft wohlgerüsteten Geist auf einen einzelnen Knaben statt auf eine große Gesammtheit verwenden.
Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen: ich betrachte Vernunft und Wissenschaft auch als Capital und Sie legen Ihr Capital zu einem viel zu geringen Zinsfuße an. Ich ehre Ihren Edelsinn und Ihre Bescheidenheit, die sich in Ihrem Anerbieten kundgeben; aber in der Zuversicht, daß Sie in einer Täuschung befangen sind, wenn Sie in einem so beschränkten Beruf sich genügen zu können glauben, muß ich nicht minder dankbar als entschieden Ihr Anerbieten, die Erziehung meines Sohnes zu übernehmen, ablehnen.
Ich wünsche, daß Sie mir Gelegenheit geben möchten, durch eine Bethätigung meinerseits Ihnen zu beweisen, wie sehr ich bin
Ihr Sie hochachtender
Heinrich Sonnenkamp.
So las der Landrichter und Sonnenkamp pfiff leise vor sich hin und schlug dazu den Tact mit dem übergeschlagenen Fuße. Mit einem triumphirenden Blick empfing er den Brief zurück, that ihn in einen neuen Umschlag und adressirte ihn an Erich. Während er die Adresse schrieb, sagte er:
»Ich hätte Lust, den Mann in anderer Weise in mein Haus zu nehmen; er sollte zu nichts weiter verpflichtet sein, als bei Tische gute Unterhaltung zu führen. Warum soll das nicht für Geld zu haben sein? Wenn ich ein Fürst wäre, würde ich Conversationsräthe ernennen. Sind nicht vielleicht die Kammerherren etwas Aehnliches?« fragte er mit leisem Anfluge von Spott Herrn von Prancken.
Prancken war empört. In diesem Manne war oft etwas Anmaßliches, daß er sogar die Hoheit des Hofes nicht schonte; aber Prancken lächelte sehr verbindlich. Lutz wurde durch das Sprachrohr gerufen, der Brief in das Postpaket gethan und Lutz ging davon.
Roland wartete auf Prancken, und dieser nahm ihn nun mit an einen stillen Platz des Parks, erzählte von der Reise und übergab ihm ein zweites Exemplar des Thomas a Kempis. Er zeigte ihm die Stelle, wo er heute zu lesen beginnen solle und so täglich weiter, aber stets verborgen, ob er nun einen gläubigen oder ungläubigen Erzieher haben werde.
»Kommt Herr Dournay nicht mehr zurück?« fragte Roland.
»Dein Vater hatte bereits, ehe ich kam, eine entschiedene Ablehnung an ihn geschrieben, die nun schon zur Post ist.«
Der Knabe saß mit dem aufgeschlagenen Buche in der Hand im Park, las aber nicht.