Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band II
Berthold Auerbach

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Siebentes Capitel.

Fröhlich fahren die Menschen am hellen Sommertage den Strom auf und ab, Alles schimmert und glitzert im Sonnenschein und ist voll Lust. Wer mag da denken, wie viel Jammer, wie viel Mühsal, Angst und Sorge dort in den Häusern? Seht, oben im hochgelegenen Dorf, das sich so zierlich ausnimmt vom Strome aus gesehen und uns auch jetzt Glockenklang zusendet, dort wandert ein armer Dorfschullehrer aus der Kirche nach dem Schulhause, seine Mienen sind schwer bedrückt. Heut aber erheitert sich sein Antlitz, denn vor dem Schulhause steht ein wohlbekannter Genosse und streckt ihm die Hand entgegen.

»Ei, Sie hier, Herr Knopf?« ruft der Schulmeister.

»Die Republik der Vereinigten Staaten schenkt mir heut einen freien Tag. Sie sehen einen unabhängigen Mann vor Ihnen. Ach, lieber Faßbender, ich bin doch eigentlich zum Mädchenlehrer geboren; ich sage Ihnen, vor der Sündfluth des ersten Balles sind die Mädchen die lieblichsten Blüthen unseres Planeten.«

Knopf erzählte seinem Collegen, wie glücklich er sei, ein lebhaftes, überaus leicht begreifendes amerikanisches Kind zur Schülerin zu haben; sein unschönes Gesicht nahm dabei einen ganz veränderten Ausdruck an.

Knopf hatte in der That ein unschönes Antlitz. Die Nase, der Mund, die Stirn, ja selbst die Brauen, die über den mattblauen Augen etwas weit hervorstanden, zumal wenn er, wie jetzt, die Brille abgethan, Alles war knollig. Nun aber, da er von seiner Schülerin sprach, ging ein Leuchten über sein Antlitz, das es fast schön erscheinen ließ.

Knopf war hieher gekommen, um dem nunmehrigen Erzieher Rolands einige Andeutungen zu geben über den Charakter seines Zöglings und die Art, wie er weiter zu führen sei. Er hatte sich schon früh vor Sonnenaufgang auf die Wanderung gemacht. Jetzt aber fühlte er, daß er nicht nach der Villa gehen dürfe, er wollte daher den neuen Erzieher hieher bescheiden; er bat um einen Knaben, der einen Zettel an den Hauptmann Dournay bringe.

Die Kinder kamen allmälig heran und grüßten Herrn Knopf, den sie aus früherer Zeit kannten. Ein krausköpfiger Knabe war glücklich, statt in der Schule sitzen zu müssen, den Zettel nach Villa Eden zu tragen.

Knopf wußte einen schönen Platz hinter dem Dorfe auf dem Scheitel des Berges unter einer Linde; dorthin wanderte er, legte sich unter den Baum und schaute wonnigen Blickes hinein in die Landschaft.

»In Gras und Blumen lieg' ich gern, wenn eine Flöte tönt von fern,« sagte er fast laut vor sich hin. Und da in unserer dampfbrausenden Zeit nur selten noch eine Flöte tönt, wollte er das Wort des Dichters selbstwillig zur Wahrheit machen. Er schraubte seinen Stock zurecht, der eine wohleingerichtete Flöte war und blies die zu dem Uhland'schen Liede gesetzte Melodie Konradin Kreutzers. Er freute sich fast mehr, daß Andere in der Ferne das hörten, als daß er sich selbst damit vergnügte.

Stromab, stromauf zog kein Schiff vorüber, dem er nicht mit einem weißen Tuche zunickte. Mögen es auch Fremde sein, was thut's? Er hat ihnen ein Zeichen gegeben, daß er da oben glücklich ist; sie sollten es unten auf ihrer Fahrt auch sein. Das mag ihnen das Zuwinken sagen.

Knopf verdient, daß wir ihn etwas näher kennen lernen.

Eines armen Schullehrers Sohn, hat er sich mit großer Mühe durch die Universitäts-Studien gearbeitet, er hat sein Examen gemacht, aber dann kam das große Unglück über ihn. Im Probejahr wurde er schon am ersten Tage von den Knaben ausgetrommelt und je mehr er um Stille bat, um so toller wurden die Knaben, und je mehr er in Zorn gerieth, um so übermüthiger verhöhnten sie ihn. Der Director assistirte ihm, doch kaum hatte er die Schulstube verlassen, als das Lärmen und Trommeln von Neuem anging. Es wurde Knopf gestattet, in einer entfernten Stadt sein Probejahr abzuhalten, aber eine unsichtbare Macht mußte sein Mißgeschick verbreitet haben; bald nachdem er den Unterricht begonnen, wurde er auch hier ausgetrommelt. Und nun entsagte er dem öffentlichen Unterrichte ganz.

In der Residenz war Knopf beliebt als Mädchenlehrer. Weil er so unschön war, konnten ihn die Mütter ohne Besorgniß, daß sich die halbwüchsigen Mädchen in ihn verlieben möchten, ganz ohne Aufsicht Unterricht geben lassen. Dabei war er der Nothlehrer für Knaben. Keinem Andern waren so viele Schüler gestorben als ihm, denn er bekam sie erst zum Unterricht, wenn sie krank waren.

Knopf war viel in Bädern gewesen. Wenn die Eltern die Kinder nicht ins Bad begleiten konnten, namentlich nicht in die allheilenden Soolbäder, so wurde Knopf damit betraut; er war Lehrer und Wartemutter zugleich. Einen Plan hielt er längere Zeit fest: er wollte in einem Soolbade eine Anstalt zur Wartung kranker Kinder gründen, denn Jod ist die Losung der scharfblütigen gebildeten, d. h. besitzenden Welt; er hoffte, daß er eine Gefährtin zum heiligen Jod fände.

Mit besonderem Eifer lehrte er die Mädchen griechische und römische Mythologie, denn es ist wichtig, daß ein Mädchen gebildeter Stände darin keinen Fehler mache. Sein Lieblings-Gegenstand war indeß die Erklärung der Dichter, vorzugsweise der romantischen. Natürlich war er auch Dichter, indeß nur bescheiden für sich. Es wird wol wenig früh angelegte und später vergessene Mädchenalbums in der Residenz geben, worin nicht ein schön geschriebenes Sonett oder noch häufiger ein Triolett von Emil Knopf für seine liebe Schülerin enthalten war. Ebenso gewandt als beliebt war er im Verfertigen von Polterabend-Spielen, wenn sich eine von seinen Schülerinnen verheiratete. Er verstand nicht nur, die allegorischen Mädchenblumen sprechen zu lassen: ich bin die Rose, ich bin das Veilchen . . . er wußte auch anmuthige Scherze und Neckereien anzubringen. Während auf der Bühne die Gespielen schön geschmückt declamirten und reizende Gruppen bildeten, saß er im Souffleurkasten und hauchte ihnen die Worte zu. Wie glücklich war er aber auch dann beim Feste und nickte sehr beifällig, wenn dieser oder jener Redner auswendig oder vom Blatte den Toast sprach, den er verfaßt hatte.

Er war auch musikalisch genug, die Privatübungen zu überwachen, besonders war er im Tacthalten sehr fest, darin war er unbarmherzig. Er konnte auch genug zeichnen, um hierin nachzuhelfen, zumal im Blumenzeichnen.

Emil Knopf war einer der brauchbarsten Menschen; er war stolz darauf, sich nie in öffentlichen Blättern angekündigt zu haben, er wurde stets von Mund zu Mund und zwar meist von schönem Mund zu schönem Mund empfohlen; eine Mutter pries ihn der andern und die Väter lächelten und sagten: »Ja, Herr Candidat Knopf ist ein sehr gewissenhafter Lehrer.«

War er in einem Hause, wo man das Rauchen nicht gerne hatte, kaute er geröstete Kaffeebohnen und das genügte ihm. Knopf schnupfte sehr gern, that es aber nur, wenn er allein war.

Aber das ist doch kein Grund, daß er dazu bestimmt schien, immer nur Aushelfer, immer nur pädagogische Wartefrau auf einige Wochen zu sein. Bis Noth und Krankheit vorüber, wird Knopf ins Haus genommen, dann wird er entlassen, mit sehr höflichen, sehr herzlichen Worten – aber er wird doch entlassen.

Vierzehn Semester – Knopf zählte immer nach Semestern, und wir müssen es ihm darin gleich thun – lebte er in der Residenz, und während dieser Zeit nahm er sich immer vor, eine Sorte Cigarren, die ihm schmecke, in größerer Masse anzuschaffen, aber er kam nie dazu. Vierzehn Semester rauchte er von einer Woche zur andern immer Probe-Cigarren, fragte beständig, was das Tausend kostet, aber nie brachte er es zu Tausend.

Knopf war von Natur ein ungeschickter Mensch, aber er erzog sich und wurde einer der besten Schwimmer und Turner, so daß er auch eine Zeit lang zur Aushülfe Turnlehrer wurde. Zwei Stellen, die er auf dem Lande inne gehabt, wo es so schwer ist, einen Clavierstimmer zu bekommen, hatten ihn dazu veranlaßt, auch das zu lernen. Er übte es aber nur für das jeweilige Haus, in dem er lebte. Manche behaupteten, er könne auch stricken und Weißzeug nähen, doch das war entschieden Verleumdung. Strümpfe stopfen verstand er allerdings meisterhaft, aber noch nie hatte ihn Jemand dabei gesehen; er that es immer heimlich.

Zu Herrn Sonnenkamp war Knopf ebenfalls als Nothlehrer gekommen; hier schien ihm aber ein längeres Verweilen beschieden und eine sorgenfreie Zukunft. Knopf hatte eine schwärmerische Liebe zu Roland, und obgleich der Knabe nichts Rechtes bei ihm lernte, sagte er doch oft zum Lehrer Faßbender, dem er sich angeschlossen hatte:

»Die Götter haben auch nichts gelernt. Wer kann sagen, wer der Musiklehrer Apollo's gewesen, bei welchem Oberkellner Ganymed kredenzen gelernt? Schöne Naturen haben Alles von selbst und brauchen nichts zu lernen. Wir sind nur Krüppel mit allem unserm Lernen, wir lassen uns von der Tyrannei der vier Facultäten einfangen, aber das Leben ist kein Quadrat.«

Das also ist unser Freund Knopf, und »unser Freund Knopf« wurde er in den besten Häusern des Landes genannt.

Knopf hatte eben mit dem Flötenspiel aufgehört; jetzt saß er, die Schreibtafel auf dem Knie und schaute bald in die Landschaft, bald schrieb er hastig einige Worte; dann nahm er den Bleistift zwischen die Zähne, er schien an einer Wendung zu kauen.

Weit hinaus konnte man die Straße sehen, die vom Dorfe bei der Villa heraus nach dem Nachbarorte führt. Jetzt sah Knopf einen Reiter daherkommen. Er verwandelte schnell die Flöte in einen Spazierstock und verbarg sein Taschenbuch, dann eilte er über die Weinberge hinab auf die Landstraße.

»Ja, wer so gut zu Pferde sitzt, ist der richtige Lehrer für ihn,« sagte Knopf. Er zog schon von ferne den Hut ab; der Reiter nickte ihm zu.


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