Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band II
Berthold Auerbach

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Fünftes Capitel.

Frau Ceres sagte am Morgen, daß sie nicht gern schon jetzt wieder nach der Villa zurückkehre; das Fest aus Rudolphshöhe lag ihr im Sinn und sie wünschte heute wieder ein solches zu haben und nicht abzureisen. Man konnte ihr nicht willfahren. Sie bat die Cabinetsräthin dringend, doch mit nach der Villa zu reisen und bei ihr zu bleiben. Es wurde abgelehnt, aber ein baldiger Besuch versprochen.

Frau Ceres war verstimmt; um sie aufzuheitern, ließ nun Sonnenkamp Prancken zu ihr in den Wagen sitzen und nahm Roland zu sich. Jetzt, da er seinen Sohn allein hatte, fragte er ihn über mancherlei aus; namentlich scheute er sich nicht, zu erforschen, wie Erich mit der Gräfin Bella gewesen und ob sie oft allein spazieren gegangen.

Unterwegs begegneten ihnen die Reitpferde, die voraus heimwärts geschickt waren. Sonnenkamp ließ einen Augenblick anhalten, die Pferde schauten unter den Decken heraus mit ihren großen Augen gar seltsam auf ihren Herrn. Er gab dem Reitknecht einen strengen Verweis, denn er hatte von ferne bemerkt, daß dieser statt ruhig nebenher zu gehen, auf einem der Pferde gesessen hatte; er drohte kurz, daß bei nächstem Zuwiderhandeln der Reitknecht entlassen würde. Man fuhr weiter und Roland sagte:

»Unsere Pferde sind besser bekleidet als arme Menschen.«

Sonnenkamp antwortete nichts, er sah nur seitwärts und dann auf seinen Sohn.

Plötzlich rief Roland dem Kutscher, er möge anhalten. Er sah am Wege den Fuhrmann, mit dem er in jener Nacht gewandert war. Er stieg aus, reichte dem Manne die Hand und sagte, wenn er den Hausknecht treffe, möge er ihm sagen, daß er ihn besuchen solle. Roland stieg wieder ein, der Fuhrmann starrte ihm nach und der Vater fragte nach diesem seltsamen Begegniß.

Roland erzählte Alles; auch die Sage vom Lachgeist erzählte er, aber der Lachgeist schien auf Sonnenkamp keine Wirkung zu üben, und wie Roland erkennen ließ, daß er sich gern in das Leben armer, mit der Noth ringender Menschen versetze, pfiff Sonnenkamp unhörbar vor sich hin. Je mehr aber Roland sprach, um so mehr staunte der Vater über die geistige Regsamkeit desselben; jenes Gespräch auf der Burg, nachdem der Krischer die Frage gestellt, kam in seltsamen Verschlingungen und Vermengungen hervor.

Sonnenkamp kämpfte mit sich, was er thun sollte. Erich sofort entlassen, das geht nicht wegen Roland; er würde dann diese verkehrten Anschauungen um so hartnäckiger festhalten. Auch wegen der Cabinetsräthin durfte man einen Bruch mit Erich nicht herbeiführen, zumal da dieselbe großen Nachdruck darauf legte, Erichs Mutter zur Beihilfe zu erlangen; vor Allem aber war auf Clodwig Rücksicht zu nehmen, denn die Verbindung mit diesem hatte nicht Prancken, sondern Erich zu Stande gebracht und Clodwig war der mächtigste Hebel zur Ausführung des Planes.

Bald nach der ersten Begrüßung fragte Sonnenkamp Erich, wo er gestern gewesen sei; er fragte das wie ein Herr, der über die Zeit seines Dieners zu verfügen hat und Rechenschaft verlangen kann.

Erich berichtete von seinem Besuche auf Wolfsgarten, er verweilte besonders bei der Schilderung des jungen russischen Fürsten.

Sonnenkamp lächelte, es war ihm lieb, daß diese stolze Idealität ihre Abwege so gut verbergen konnte. –

Roland war jetzt geneigt, die festgesetzte Ordnung willkürlich zu durchbrechen, und blieb er beim Unterrichte, so sah er verdrossen drein; aus der Ferne tönte noch immer die Trompetenmusik und saßen Officiere frei und heiter beisammen.

Erich erkannte die Umwandlung in seinem Zögling und war tief traurig; mochte er Roland die ganze gesammelte Kraft widmen, dieser nahm Alles nur widerwillig hin.

Ein unscheinbares Ereigniß brachte den Zwiespalt zum Ausbruch. Sonnenkamp übergab Erich im Beisein Rolands das erste fällige Gehalt; er schaute triumphirend auf seinen Sohn, während er die Goldstücke in eine Rolle that. Erich nahm das Gold in die Hand, trat einen Schritt vor gegen das Fenster, wo Roland stand und sagte:

»Hier, Roland, nimm meinen Lohn und trage ihn auf mein Zimmer. Warte dort auf mich.«

Roland empfing das Gold; er sah verwirrten Blickes auf den Vater und Erich.

»Thu mir den kleinen Dienst und trage das Gold auf mein Zimmer,« wiederholte Erich.

Roland ging. Er trug das Gold in der Hand, als wäre es eine schwere Fessel; er ging auf das Zimmer Erichs, dort legte er das Gold auf den Tisch. Er wollte weggehen, aber er dachte, daß er es doch bewachen müsse; er wollte das Zimmer schließen, aber er erinnerte sich, daß Erich ihm gesagt, er solle auf ihn warten.

Da kam Prancken, um ihm Lebewohl zu sagen; er beglückwünschte Roland, daß er bald von Erich befreit sein würde. Jetzt erst wurde Roland klar, was geschehen war und noch geschehen sollte. Prancken sagte Roland heiter Lebewohl. Als er weggegangen, fühlte Roland, daß er Prancken nie mehr lieben könne; er empfand das als einen Verlust und still stand er neben dem Tische und schaute immer auf das Gold. In kindischer Weise zählte er dann, wieviel Erich bekommen habe. Aber für welche Zeit hatte er das bekommen? Er brachte es nicht heraus, er wendete sich wie unwillig ab und schaute zum Fenster hinaus. Hinter ihm lag das Gold auf dem Tische, und es war, wie wenn Jemand bei ihm wäre, der ihm zuraunte: Vergiß mich nicht!

Unterdeß stand Erich bei Sonnenkamp und schaute ihn still an.

Wollte der Mann ihn entlassen oder nur demüthigen?

Er war entschlossen, ihm Beides zu vereiteln.

Da Erich noch immer nicht sprach, sondern ruhig den Blick auf Sonnenkamp geheftet hielt, sagte dieser endlich:

»Ich habe Sie doch nicht verletzt?«

»Ich bin nicht empfindsam, ich achte das Geld, soweit es Achtung verdient, und freue mich meines ehrlichen Lohnes. Ich liebe Ihren Sohn vielleicht mehr als . . . doch für die Liebe gibt es kein Maß, sie mißt sich nicht an Anderem. Weil ich Ihren Sohn liebe, will ich, daß eher auf mich als auf seinen Vater ein Makel falle.«

»Auf mich?«

»Ja; ich hätte Ihnen wol etwas herauszahlen können, da Sie mich vor den Augen meines Zöglings so ablohnen. Ich kann nicht glauben, daß Sie das ohne Absicht gethan. Ich erkläre Ihnen aber, daß ich mich durch Derartiges nicht gedemüthigt fühle.«

Sonnenkamp machte eine abwehrende Bewegung und Erich fuhr fort:

»Ich hätte Ihnen in Gegenwart Rolands sagen können, daß die freie Arbeit – ich spreche nicht von Liebe – wie sie der Mensch dem Menschen leistet, nie bezahlt werden kann. Ich unterdrückte es, weil ich will, daß Ihr Sohn Sie mehr liebe und ehre, als andere Menschen, auch mehr als mich. Ich bin in Ihrem Dienste, dies ist Ihr Haus, Sie können mich in dieser Stunde daraus entfernen.«

»Das wollte ich nicht . . . das will ich nicht! Habe ich das gesagt? Ich muß mich Ihnen nur erklären und Sie müssen sich mir erklären. Haben Sie nicht Roland gesagt, daß die Zeit kommen wird oder da ist, wo es keinen Privatbesitz mehr gibt?«

Erich entgegnete, daß ihm das nicht im Entferntesten in den Sinn gekommen sei; er habe nur ein Beispiel von der Umwandlung der Gesinnungen gewählt; er bereue, gerade dieses gewählt zu haben, und werde dafür sorgen, die mißverständliche Auffassung Rolands zu berichtigen. Aber er hätte wohl voraussetzen dürfen, der Vater würde eher einen Mißverstand Rolands, als einen Widersinn des Lehrers annehmen.

Sonnenkamp pfiff wieder leise vor sich hin.

»Setzen wir uns,« sagte er endlich; »sprechen wir ruhig als verständige Männer, als Freunde, wenn ich so sagen darf.«

Er machte eine Pause; mit ganz veränderter Stimme fuhr er dann fort:

»Ich muß Ihnen bemerken, daß, auch von dem Irrthum abgesehen, Ihre Denkweise mir für meinen Sohn gefährlich scheint. Sie scheinen mir in der That ein Menschenfreund. Ich respectire das. Sie gehören zu den Menschen, die jedem Straßenknecht am Wege den Dank für seine Mühe ausdrücken möchten, auch materiell. Sie sehen, ich glaube an Ihre wirkliche Menschenfreundlichkeit. Aber diese Menschenfreundlichkeit – ich spreche offen – taugt für meinen Sohn nicht. Es wird auch viel Schmuggelhandel mit Gefühlen getrieben; man redet sich ein, daß die niederen Menschen unsere Empfindung haben. Mein Sohn hat dereinst ein fürstliches Einkommen; wenn nun ein Reicher so durch das Leben gehen müßte, immer ausschauen, wo Noth, wo nicht entsprechender Arbeitslohn, er wäre zu größerem Elend verdammt, als ein Bettler am Weggraben. Das Härteste, was meinem Sohn geschehen könnte, wäre, wenn man ihn sentimental, wenn man ihn weinerlich machte. Ich gehöre nicht zu diesen Menschen und möchte, daß auch mein Sohn nicht zu denen gehöre, die eine ewige Sehnsucht nach dem Unnennbaren und, wie ich glaube, Unerreichbaren haben; ich will für mich und meinen Sohn erreichbaren Lebensgenuß.«

»Auch ich,« erwiderte Erich, »möchte Roland gutherzig erhalten, aber nicht weichherzig machen. Er soll die schöne Gunst seines Lebens erkennen, soll das Schönste und Höchste empfangen und aus sich machen.«

Erich setzte das näher auseinander, Sonnenkamp reichte ihm die Hand dar und sagte:

»Sie sind . . . Sie sind . . . ein edler Mensch. Sie haben auch noch an mir zu erziehen. Vergessen Sie, was geschehen; ich vertraue Ihnen unbedingt. Ich vertraue Ihnen, daß Sie mir nicht das Herz meines Sohnes entziehen, daß Sie ihn nicht weichmüthig machen, nicht zu einem Allerweltshelfer.«

Sonnenkamp stieß diese Worte heftig hervor, denn innerlich knirschte er, daß der Mann, den er hatte demüthigen wollen, sich so kühn herausgewunden hatte.

Als Erich zu Roland kam, ging ihm dieser entgegen, streckte ihm beide Hände zu und rief:

»Ich bitte Dich, verzeih meinem Vater, daß er Dich wie einen Knecht abgelohnt.«

Erich hatte viel Mühe, Roland das Geschehene zu erklären, ohne seinen natürlichen Sinn zu verwirren oder zu zerstören. Der Sohn sollte Liebe und Verehrung für den Vater haben.

»Wir wollen zum Major gehen,« sagte Roland endlich; er wollte offenbar zu einem Menschen, der von all diesem Wirrwarr nichts wußte.

Sie gingen zum Hause des Majors; sie trafen ihn nicht. Sie wanderten mit einander bis in die Nacht hinein und sprachen kaum ein Wort.

Auch Sonnenkamp wanderte in der stillen Nacht durch den Park. Ein Wort, das Erich heut wieder genannt, hatte in ihm einen großen Kampf hervorgerufen. Das Wort hieß: freie Arbeit. Und wieder kehrten seine Gedanken zum nächsten zurück, er begriff nicht, wie er dazu gekommen, Erich zu verletzen, während es doch in seiner Absicht lag, dessen Mutter kommen zu lassen. Wie gütig werden das die Menschen finden. Alles kommt nur darauf hinaus, daß die Welt glaubt. Die Geschminkte weiß auch, daß sie keine rothen Wangen hat, aber sie freut sich, daß die Welt es glaubt, ist fröhlich und thut jung.

Sonnenkamp hatte gewünscht, daß Prancken den Ankauf der benachbarten Villa, die man der Cabinetsräthin überlassen wollte, betreiben sollte. Prancken hatte es ebenso freundlich als mit guten Gründen abgelehnt, denn er fand, daß Herr Sonnenkamp sich den Anschein geben müsse, als wolle er sich nur gute Nachbarschaft sichern. Sonnenkamp wußte nicht, sollte er hoffen oder fürchten, daß Prancken die Sache bereits von langer Hand angeregt und sich einen Vortheil dabei gesichert habe. Sollte er der Betrogene sein? Aber es war schön, wenn sein künftiger Schwiegersohn so viel Klugheit hatte, sich einen Vortheil zu sichern.

In den nächsten Tagen bekümmerte sich Sonnenkamp wenig um Haus und Garten, um Roland und Erich, er besichtigte das Landhaus, suchte die entsprechenden Weinberge zu erwerben und ward vollkommen überzeugt, daß Prancken noch gar nichts in der Sache gethan.

Der Weingraf hatte auch die Absicht, das Landhaus zu kaufen; es hieß, er wolle es für seinen Eidam, den Sohn des Hofmarschalls, erwerben. Sonnenkamp schloß rasch den Kauf ab.


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