Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band II
Berthold Auerbach

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Achtes Capitel.

Der Reiter kam näher, jetzt war er bei Knopf. Dieser sah staunend nach dem Manne, er konnte kein Wort hervorbringen; Erich aber sagte:

»Habe ich die Ehre, meinen Collegen, Herrn Knopf, vor mir zu sehen?«

»Das bin ich.«

Rasch schwang sich Erich aus dem Sattel und reichte Knopf die Hand.

»Ich danke Ihnen,« sagte er. Und bei jedem Worte, das er sprach, bei dem Ton seiner Stimme wurde das Antlitz Knopfs immer glänzender, überall im Gesichte zeigten sich noch mehr Vertiefungen und Erhöhungen, während Erich fortfuhr:

»Es war meine Absicht, Sie bald einmal zu besuchen; ich wollte es aber nicht eher thun, bis meine Anschauungen allseitig begründet waren.«

»Sehr richtig,« erwiderte Knopf, »jedes fremde Urtheil ist Vorurtheil.«

Mit immer mehr Verwunderung sah Knopf auf Erich und sagte – es klang wie ein Liebesgeständniß:

»Es freut mich, daß Sie ein schöner Mann sind. Ja, lächeln Sie nur und schütteln Sie den Kopf, das thut sehr viel in diesem Hause und bei Roland besonders.«

Erich legte die Hand auf die Schulter Knopfs, ging mit ihm dem Dorfe zu und sagte, Knopf hätte ihn wohl auf der Villa besuchen dürfen, und wenn er die Familie vermeiden wolle, so hätte er ihn ganz allein getroffen, denn sie sei mit Herrn von Prancken nach dem Kloster, um Manna abzuholen.

»Ach, das arme Mädchen,« klagte Knopf. »Ich darf wol sagen, daß ich schon mehr als fünfzig Schülerinnen gehabt, gar liebe, prächtige Mädchen, und nicht die Hälfte, ja nicht ein Drittheil hat sich so verheiratet, wie man es ihnen wünschen möchte.«

Erich stellte sein Pferd in der Dorfschenke ein und Knopf führte ihn unter die Linde auf dem Bergesscheitel und dort sprachen sie über Roland; Erich hörte zum ersten Mal ein gerechtes Urtheil über ihn.

»Ich muß Ihnen,« unterbrach sich Knopf, »wie ein Kind meine jüngste Wahrnehmung und meinen jüngsten Schmerz kundgeben. Sie haben doch nicht Eile? Ich muß Ihnen ehrlich gestehen, mich verdrießt nichts so sehr in unserer Zeit, als daß die Menschen immer Eile haben.«

Erich beruhigte ihn und sagte, sie hätten den ganzen Tag zur Verfügung und schloß:

»Nun erzählen Sie.«

»Als ich heut über den Berg wanderte, dort oben an der Waldcapelle, wurde ich tief traurig. Es war thaufrisch, die Vögel sangen ungestört weiter, unbekümmert um das Läuten der Frühglocke von der Capelle hier oben und unbekümmert um das Läuten vom Bahnhofe da drunten. Was kümmert das die in sich gehaltene Natur in der Zeit der ersten Frühlingsliebe? Doch, das wollte ich Ihnen ja eigentlich nicht erzählen,« unterbrach er sich, die Hand auf das Taschenbuch legend, worin gewiß ein Gedicht dieses Inhalts war. – »Also ich ging den Waldpfad dahin, da hörte ich Kinderstimmen, helle, fröhliche, und eine sanft begütigende. Den Berg herauf kam ein schönes Mädchen – entschuldigen Sie, ich hab' erst später gesehen, daß sie schön war – ich hatte mir ein Bene angethan und im grünen Wald meine Brille abgenommen, ich setze sie nun auf und sehe zuerst wunderschöne, volle, weiße Hände. Das Mädchen bemerkte mich, sie schien zu erschrecken und faßte den ältern Bruder, einen Knaben von etwa dreizehn Jahren, an der Hand, zwei jüngere gingen neben ihr. Ich ging vorüber und grüßte; das Mädchen dankte nur leise, die Knaben aber sagten laut: Guten Morgen. Ich kehrte wieder um zur Capelle. Diese Stille, diese Ordnung hier oben, wo keine Menschen wohnen, Alles bereit zu ihrer Andacht, diese Gefäße, die Bilder, diese Leuchter und der Geistliche so würdig . . . ich meine, es ist nicht möglich, daß ein Mensch, der sich so neigt, so kniet, so die Hände erhebt, Alles das nur heucheln kann. Der niedrigste Verbrecher im Zuchthause wäre ein Engel gegen einen solchen. Die Predigt selbst war freilich nur eine Spitalsuppe. Aber sollten Sie es glauben? Ich hatte eigentlich das Mädchen noch einmal sehen wollen, ich schämte mich jedoch, daß ich mit solcher Absicht in den Tempel gekommen war, und schlich leise auf den Zehen davon. Und da kam das große Elend über mich.«

»Welches meinen Sie?«

»Das Elend unserer Freiheit kam über mich. Da geht das Mädchen mit ihren drei jüngeren Brüdern in der Morgenfrühe durch den Bergwald und sie wandern nach der Waldcapelle, wo die Glocke sie ruft. Denken Sie sich, diese vier Menschen hätten kein Ziel für ihren Morgengang, kein so schönes, sicheres, was wäre es? Ein Gang ins Freie, weiter nichts! Ins Freie – was ist denn das? Es ist nichts und nirgends. Aber in einen festen Tempel eintreten, wo die Orgel braust, heilige Gesänge anzustimmen sind, das muß die jungen Seelen erquicken und sie bringen von ihrem Morgengange durch das Freie eine höhere Labung in ihrem Gemüthe mit heim. Und da droben ist Gottesdienst, ob Menschen kommen oder nicht, da ist nichts auf den besonderen Charakter einer Gemeinde, einer bestimmten Bildungsstufe gerichtet. Das waltet fort wie die ewige Natur, unbekümmert, ob es empfangen wird; wer kommt, mag Theil daran nehmen, Niemand fragt, Niemand braucht zu wissen, von wannen er ist. Wenn ich gläubig sein könnte, ich wäre katholisch oder ein altgläubiger Jude. Was aber ist unser Leben? Ein Gang ins Freie, ins Ungehinderte, aber auch ins Unbestimmte! Sie verstehen doch, daß mich das traurig machen mußte, denn ich kann mich nicht zu etwas Anderem, zu etwas Positivem zwingen. Und wie ich es nicht kann, kann es meine Mitwelt nicht, und doch müssen wir wieder etwas gewinnen. Unser Leben soll nicht blos ein Gang ins Freie sein, sondern durch das Freie zu einem festen, sichern, heimatlichen, die Menschengemüther sammelnden Ziele. O, wenn ich es nur sagen, nur fassen könnte und die Millionen lechzender Seelen mit mir! Und da ist Roland! Wohin können Sie ihn führen? Ins Freie. Aber was soll er dort? Was findet er? Was bindet, was lockt ihn? Da ist der Punkt, das ist das schwere Räthsel. Die Religion, die sittliche Burg, wohin wir den reichen Jüngling führen, hat nicht Mauern, nicht Dach, hat kein Bild, keinen Gesang, keine Weihesprüche . . . . da liegt's.«

»Ich hoffe, es soll uns beschieden sein,« sagte Erich und faßte die Hand des Mannes, »einem Menschen den Halt in sich zu geben, ohne Anlehnung an von Außen Gegebenes. Wir Beide hier, haben wir diesen Halt nicht?«

»Ich glaube, oder auch, ich weiß,« rief Knopf begeistert. »Da sitzen wir hier oben und schauen ins Weite, ob kein Zeichen kommt, kein das ganze Dasein durchdringendes oder erneuerndes Wort; es kommt nicht von außen, es ist nur in uns. Und in Roland ist ein ganzer Mensch, eine gediegene Natur trotz aller Zerfahrenheit, die sie über ihn gebracht haben; er hat störrische Keckheit und überraschende Weichheit zugleich. Er hat viele gute Empfindungen. Ist es nicht ein verkehrter Weg, einen Menschen durch den Anblick von allerlei Elend und Gebresten zum Guten zu erziehen? Das macht grüblerisch, sentimental, schwächlich. Die Griechen hatten einen andern Weg, den der Kraft, der Heiterkeit, des Selbstvertrauens, das macht stark. Ach,« fuhr Knopf lächelnd fort, »der eigentlich schöne Mensch oder der eigentliche Mensch ist der unexaminirte Mensch, eine Species, die sich in Europa gar nicht mehr findet. Wir werden Alle zum Examen geboren. Das war das Große an den Griechen, daß sie keine Examinations-Commission hatten; Plato hat nirgends promovirt, und das ist das Große, das Griechenthum Erneuernde in Amerika, da gibt's eigentlich auch kein Examen. Civis romanus sum, das ist genug fürs Allgemeine.«

Erich lenkte zurück und fragte:

»Wissen Sie einen Beruf für Roland?«

»Beruf! Beruf! Das beste, was man lernt, steht nicht im Stundenplan und kostet kein Schulgeld. Die Berufseintheilung, auf die wir uns so viel einbilden, ist nur eine philisterhafte Tyrannei, eine Nothtugend. Gemeine Naturen bezahlen mit dem, was sie leisten, edle mit dem, was sie sind. So ists. Wenn ein schöner, sich frei auslebender Mensch da ist, das ziert die Menschheit, das thut ihr gut. Ich habe versucht, Roland die Naivetät des Reichthums zu bewahren. Wir Menschen sind nicht dazu da, uns zu Spital-Brüdern einzuexerciren. Nicht Jeder hat zu dienen, sich selbst vollenden ist auch ein Beruf. Sie sollten Roland aus dem Hause nehmen.«

»Das wäre allerdings das Beste, aber Sie wissen ja, das geht nicht.«

Erich forschte leise nach dem Anlasse, wegen dessen Knopf das Haus verlassen: aber auch ihm erzählte dies Knopf nicht; er gab nur zu verstehen, daß Roland von dem französischen Kammerdiener Armand verführt worden sei, und Armand sei ja jetzt aus dem Hause entlassen.

Erich bat Knopf, ihm von seiner Schülerin zu erzählen.

»Ja,« berichtete Knopf, »da haben wir's. Die Eltern haben das Kind nach Deutschland geschickt, da zu fürchten war, daß es dort, im Lande der Freiheit, eine unfreie Seele würde, denn Doctor Fritz und seine Frau sind religiös freisinnige Menschen und gelten als Muster von Edelsinn. Nun kam das Kind in eine englische Schule und bald fing es an, die Eltern zur Kirche bekehren zu wollen, und sprach immer den Vorsatz aus, Presbyterianerin zu werden. Es weinte und bat und sagte, es fände keine Ruhe, weil die Eltern so gottlos seien. Ist dies nicht eine höchst merkwürdige Erscheinung? Nun schickten die Eltern das Kind nach Deutschland, allerdings in das beste Haus, das sich finden ließ.«

Knopf nahm einen Brief aus der Tasche, er war von Doctor Fritz, der als Vertreter deutscher Humanität in der neuen Welt emsig an der Vertilgung des Schandflecks arbeitete, der durch den Bestand der Sklaverei noch auf der Menschheit ruht. Doctor Fritz gab dem Lehrer eine genaue Charakteristik seiner Tochter, die für einen Vater von der größten Unbefangenheit zeugte. Er bezeichnete auch, wie das Kind geleitet werden solle. In dem Briefe war auch eine Photographie des Doctor Fritz, eine kernhafte Erscheinung mit aufrecht stehendem, gekräuseltem, blondem Haar und vollem Bart; etwas idealisch Schwunghaftes sprach aus den Mienen des kräftigen Männerantlitzes.

Knopf erzählte dann, daß das Kind in der neuen Welt ganz im Zauberkreise der Grimm'schen Märchen gelebt, und es sei wunderbar, er könne nicht ergründen, ob es blos Phantasie, oder ob es Wirklichkeit: dem Kinde sei auf seiner Reise etwas begegnet, das wie ein Märchen klinge.

»Das Kind heißt Lilian,« berichtete Knopf, »und Sie wissen, daß man englisch auch die Maienblume the lily of the valley nennt, und nun hat das Kind eine Maienblume bekommen von einer Erscheinung im Walde, die ihren Namen nicht kannte. Ein wunderbares Märchen bildete sich dadurch in dem blonden Köpfchen, denn das Kind behauptet beständig, es habe den Waldprinzen gesehen.«

»Sie sind ein heimlicher Dichter,« sagte Erich.

Unwillkürlich fuhr Knopf mit der Hand nach seiner Brusttasche, wo seine Schreibtafel verborgen war, als hätte Erich dieselbe herausgenommen.

»Ich erlaube mir, manchmal einen Vers zusammenzuschmieden, aber seien Sie ruhig, ich habe noch kein fremdes Ohr damit geplagt.«

Erich gewann diesen so tief schwärmerischen Mann von Herzen lieb, und als es wieder im Dorfe läutete, sagte er:

»Nun kommen Sie und machen Sie mich mit dem Dorflehrer bekannt.«


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