Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band II
Berthold Auerbach

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Sechstes Capitel.

Erich war allein auf der Villa. Er sog die Stille, die Ruhe und Lautlosigkeit mit einem freien Aufathmen ein, als käme er, nachdem er viele Tage und Nächte auf der dröhnenden Locomotive gestanden, jetzt plötzlich in den stillen Wald, ja als läge er tief auf dem Stromesgrund und über ihm rauschten leise die kühlenden Wellen. Er las nicht, er schrieb nicht, er pflegte nur einer unergründlichen Ruhe.

Erst andern Tages wollte er, der Einladung Clodwigs folgend, ihn auf Wolfsgarten besuchen. Die Freiheit, einen ganzen Tag mit geschlossener Lippe leben und allein sein zu dürfen, muthete ihn an, wie wenn er aus der Gefangenschaft im Dienste jetzt zum ersten Mal frei wieder sich selbst gegeben war. Noch einmal dachte er, daß Clodwig ihn erwarte, aber fast laut sagte er:

»Ich kann nicht! . . . Ich darf nicht!«

Er wollte sich selbst leben, nur einen einzigen Tag kein fremdes Wort hören, zu Niemand sprechen, lautlos, einsam, unabhängig und unanhänglich für sich allein sein.

Einen Augenblick gedachte er, an seine Mutter zu schreiben; auch das unterließ er. Niemand sollte etwas von ihm, er wollte sich allein haben. Wie einen Schmerz, wie eine Krankheit fühlte er sein stetiges Denken für Andere, sein Streben für sie, seine Liebe zu ihnen, und im Tiefsten seiner Seele war ein Ruf nach Einsamkeit. Nur einen einzigen Tag wollte er einmal ein Egoist sein, in unbedingter Ruhe leben, kein Buch, kein Lebensverhältniß, kein Verlangen, kein Streben sollte ihm etwas von dieser Alleinigkeit rauben.

Im Park unter einer großen Buche lag er und träumte in den Tag hinein. Es gibt ein leises wonniges Rieseln des Seins und Empfindens ohne bestimmtes Denken und Wollen, das gerade der rastlos Denkende und Sorgende am tiefsten inne wird. So lag Erich in sich beseligt, schauend und athmend, der Tritt eines Gärtners auf dem knirschenden Sande weckte ihn wie aus einem Traum. Der Gärtner begann den Weg zu harken und mit einer Walze zu festigen, das kratzte und knirschte so seltsam; Erich hätte ihn gern zur Ruhe verwiesen, aber er unterließ es.

Er schaute in das Gezweige des Baumes, und wie der leise Wind es hin und her bewegte, so ließ er sein Denken sich hin und her bewegen, nichts wollend, nur leben, kein Ziel. Alles war still, in sich beruhigt.

Wie oft vom ersten Auskeimen an hat solch ein Blatt sich vom Winde bewegen zu lassen, bis es fällt, und dann – ja dann?

Weiter zog ihn der Gedanke. Ja, Einsamkeit, das ist das Ruhen an der Muttererde, das ist die Lösung der Sage von Antäus, der aus der ewigen Kraft der Muttererde, sobald er sie berührte, von neuer Macht durchdrungen ward. Und weiter, immer weiter ging sein Träumen und Denken. Das ist die Beschwerniß des Reichthums, das ist der Fluch, der ihn vom Himmelreich ausschließt, daß er nicht untertauchen kann in die Urkraft des Erdenseins; der Reiche besitzt Alles, nur das Eine nicht, die Ablösung von der Welt, die Einsamkeit in sich. Ballast! Ballast! zu viel Ballast!

In allem Träumen und allem Denken ins Weite kam der Schlaf über ihn, und als er erwachte, war er frisch und neubelebt.

Es war ein Tag und eine Stunde, in der Alles, was vergangen und was ist und was die Menschheit geträumt und in Arbeit sich errungen, neu durchleuchtet und aus sich selbst leuchtend vor dem Auge steht. Alle Räthsel scheinen gelöst, Alles ist Friede, Ewigkeit und Einigkeit.

Erich ging im Park, im Hause umher und begrüßte Alles mit frischen Augen; er hatte Alles vergessen, weit weg gesetzt gehabt, jetzt erschaute er es als neuer, in sich gekräftigter Mensch.

Es ist gut, daß die Welt still hält und immer bereit ist, wenn wir aus Selbstvergessenheit wieder zu ihr zurückkehren.

Ein ganzer Tag verging, an dem Erich keinen Buchstaben las und keinen schrieb.

Am andern Morgen ritt er des Weges dahin zu Clodwig.

Kaum aber war er eine Viertelstunde geritten, als ein Knabe ihn anrief und ihm einen Zettel brachte. Er las, kehrte um und ritt wohlgemuth dem Dorfe zu.


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