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Das Privatleben Katharinas ist im allgemeinen in den stärksten Farben aufgetragen worden. Man stellt sich die Kaiserin vor, als habe sie täglich die schlimmsten, wüstesten Orgien mitten unter leichtfertigen zynischen Frauen und Männern gefeiert. Die Schlösser von Petersburg, Zarskoje-Selo, Oranienbaum und besonders die Ermitage werden als Brutstätten der Roheit und sittlichen Verderbnis hingestellt, und Katharina geht allen mit dem schändlichsten Beispiel voran.
Betrachtet man jedoch das Leben dieser in allen Dingen und in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Frau etwas genauer, so erscheint es uns in einem nicht so ausschweifenden, unmoralischen Lichte, wie es Legende, Verleumdung, Klatsch und Prahlsucht uns überliefert haben. Das harmonische Gleichgewicht in ihren Charaktereigenschaften und Lebensgewohnheiten, die genaue Regelung ihrer ungeheuren Arbeitstätigkeit, ihrer Zerstreuungen und Vergnügen stehen allerdings im Widerspruch mit ihrem intimsten Leben, aber sie werfen auch gleichzeitig einen Schleier der Nachsicht über das Genie, das glaubte, sich mehr gestatten zu können als eine andere ihres Geschlechts. Katharina war wohl ausschweifend, oft schlüpfrig, unersättlich in der Liebe wie im Ehrgeiz. Aber sowohl ihre sinnlichen Genüsse wie ihre ehrgeizigen Pläne wusste sie in gewisse Regeln zu lenken, die sie fast nie überschritt. Sie verlor sich weder in dem einen noch im andern. Ihre Liebhaber haben in ihrem Leben und ihren Schlössern einen ungeheuren Platz eingenommen, sie hatten auf das wirtschaftliche, politische und moralische Leben des Staates verderblichen Einfluß, aber Katharina selbst wußte sich stets und in allen Lagen ihre Stellung als Herrscherin sowohl wie als Frau zu bewahren, und zwar als Frau im wahren Sinne des Wortes, als die Seele ihres Hauses, ihrer Familie, ihres Hofes, ihres geselligen Kreises. So prunkvoll und luxuriös alles nach außen hin war, so einfach waren ihre Gewohnheiten im Privatleben. Es war ihr sehr lästig, viel Dienerschaft um sich zu haben, zwei, drei, auf die sie wirklich zählen konnte, genügten ihr. Am liebsten tat sie alles selbst, weil sie, die rastlos Tätige damit weniger Zeit verlor, als wenn sie erst um alles bitten mußte. Alle ihre Untergebenen behandelte sie mit der größten Höflichkeit. Nie befahl sie, immer bat sie selbst den geringsten ihrer Lakaien, wenn er etwas für sie tun sollte. Stets stand das Wort »bitte« vor ihren Wünschen und Anordnungen. Da sie ein sehr heftiger Charakter war, geschah es mitunter, daß sie unwillig wurde, wenn man sie beim Schreiben oder bei irgendeiner anderen Arbeit störte. Es entfuhr ihr dann vielleicht ein hartes Wort. Im nächsten Augenblick aber tat es ihr schon leid, und sie suchte ihr Unrecht, das oft keins war, durch das Bekenntnis ihrer Heftigkeit wieder gut zu machen. »Werde ich es wohl dahin bringen, daß man mich nicht fürchtet?« sagte sie in Hinsicht auf ihre Dienstboten. Oft ging ihre Nachsicht zu weit, und ein Undankbarer mißbrauchte ihre Güte, aber im allgemeinen liebte und verehrte man sie unter ihrer Dienerschaft und ging für sie durchs Feuer.
Katharinas Tagewerk begann zu früher Stunde. Gewöhnlich stand sie um sechs Uhr morgens auf. In früheren Zeiten trieb sie die Rücksicht auf ihre Umgebung so weit, daß sie sich selbst das Feuer im Kamin anzündete, Kerzen ansteckte, um die müden Diener zu so früher Stunde nicht zu wecken. In späteren Jahren änderte sich das, nicht aber, weil Ihre Majestät diese kleinen häuslichen Arbeiten als ihrer unwürdig befunden hätte, nein, weil ihre Zeit zu kostbar war. Aus diesem Grunde hatte sie auch nur ein kleines Lever eingeführt, das erst gegen 1 Uhr mittags stattfand. An ihm nahmen nur wenige Freunde und einige hohe Würdenträger teil. Inzwischen arbeitete sie von sechs Uhr an teils allein, teils mit ihren Sekretären, empfing Minister, Generale und Diplomaten, Gelehrte und Künstler, und fand auch noch Zeit, dem jeweiligen Günstling eine Liebesstunde zu widmen.
Neben ihrem Schlafzimmer im Winterpalast befand sich außerdem offiziellen Ankleidezimmer noch ein kleineres intimeres Toilettezimmer, wo sie die erste flüchtige Morgentoilette machte. Sie brauchte dazu nur eine einzige Dienerin zu kleineren Handreichungen. Sobald die Kaiserin aufgestanden war, rieb sie sich das Gesicht mit Eis ab, dann spülte sie sich den Mund mit lauem Wasser aus, streifte ein weites, faltiges Morgenkleid aus weißem Flanell über, ließ sich geschwind von der kleinen kalmückischen Dienerin, die stets um sie herum war, das Haar ein wenig ordnen und, eine Haube aus weißem Krepp aufsetzen – jene Haube, von der Grimm erzählt, sie habe in der Hitze der Unterhaltung oder Tätigkeit bald auf dem einen, bald auf dem anderen Ohr gesessen. Dieser rasche Anzug nahm kaum zehn Minuten in Anspruch. Er genügte der Kaiserin fürs erste. Mit raschen Schritten ging sie nun in ihr Arbeitszimmer, gefolgt von ihren fünf kleinen Lieblingshunden, die des Nachts neben ihrem Bett in einem mit rosa Seide und Spitzen garnierten Korbe schliefen.
Ehe sich Katharina zur Arbeit setzte, trank sie einige Tassen sehr starken Kaffees, den niemand anders vertragen konnte als sie. Ihr Koch verwendete dazu ein Pfund Kaffee auf fünf Tassen, und selten ließ sie eine davon stehen. Jeder andere hätte von diesem konzentrierten Gift Herzbeschwerden bekommen; Katharina aber brauchte es zu ihrer Gesundheit.
Bis neun Uhr blieb die Kaiserin allein in ihrem Kabinett, ganz in ihre Korrespondenz vertieft oder mit Lektüre und anderen Arbeiten beschäftigt. Wir wissen, sie war eine große Briefschreiberin. Wenn sie auch die meisten Briefe von ihren Sekretären, deren sie immer drei bis vier beschäftigte, schreiben ließ, so blieben ihr doch noch genug, die sie eigenhändig verfaßte. So z. B. fast der ganze Briefwechsel mit Grimm und die Briefe an Voltaire, die sie zum mindesten abschrieb, nachdem man sie nach ihren Angaben entworfen hatte. Während der Arbeit schnupfte Katharina beständig, auch in jungen Jahren. Es galt damals durchaus nicht für unweiblich oder ungraziös, wenn eine junge hübsche Frau eine Prise nahm. Genau wie wir es jetzt für »fair« halten, wenn junge Damen rauchen, gehörte es zu jener Zeit zum guten Ton zu schnupfen.
Sobald es neun schlägt, steht die Kaiserin von ihrem Arbeitstisch auf und begibt sich wieder in ihr Schlafzimmer. Hier empfängt sie die hohen Staatsbeamten, die ihre Rapporte abstatten, Generale und Minister die irgendeine Audienz erbeten haben, sowie ihren Geheimsekretär, dem sie ihre Aufträge erteilt. Er ist der erste, der von ihr gerufen wird. Katharina reicht ihm freundlich die Hand, die er ehrerbietig küßt. Auf ihre Aufforderung, »setzen Sie sich«, nimmt er an einem Tische Platz, um ihre Befehle zu erwarten. Er wird oft in seiner Arbeit unterbrochen, und die Kaiserin muß oft in ihren Anordnungen innehalten, denn jeden Augenblick werden Minister, hohe Beamte und Offiziere gemeldet, die sie alle mit großer Liebenswürdigkeit und Würde empfängt. In den Augen dieser alten und jungen Hofleute bemerkt man ohne Ausnahme grenzenlose Bewunderung für ihr Genie und Ehrfurcht vor ihrer Macht. Der General Suworoff treibt die Verehrung für seine erhabene Herrscherin bis zur Anbetung. Nachdem er sich vor allen im Zimmer befindlichen Heiligenbildern bekreuzigt und niedergekniet hat, macht er auch das Zeichen des Kreuzes vor Katharina, die in diesem Augenblick weder mit Zepter und Krone noch mit einem Heiligenschein ums Haupt vor ihm steht, sondern, wie eine ganz gewöhnliche Sterbliche, im Hauskleid, vielleicht das Morgenhäubchen ein wenig schief auf dem Ohr. Das hindert den Fanatiker jedoch nicht, sich dreimal andächtig vor ihr, wie vor einer Heiligen, auf die Knie niederzulassen. Sie schilt ihn wegen seiner Verrücktheit und richtet lebhafte Fragen an ihn. Dann kommt ein anderer an die Reihe, und noch einer, und noch einer. Plötzlich nähert sich der diensttuende Kammerherr der Kaiserin, flüstert ihr geheimnisvoll ein paar Worte ins Ohr, deren Bedeutung jedermann kennt. Auf einen Wink von Katharina ziehen sich alle im Zimmer befindlichen Personen zurück. Der Günstling erscheint! Er hat zu jeder Zeit Zutritt und darf die Kaiserin auch während ihrer Arbeitsstunden aufsuchen. Ja sie hat diese offizielle Ritterlichkeit sogar gern; sie will, daß man sieht, sie ist ganz Frau, sie wird begehrt. Sie will, daß man sagt: »Ihre Majestät haben soeben den Günstling empfangen.« Er bleibt gewöhnlich nicht länger als eine Viertel-, höchstens eine halbe Stunde bei ihr. Ist er fort, so nehmen die Arbeiten mit ihren Sekretären ihren Fortgang bis Mittag oder auch bis 1 Uhr. Um diese Zeit verabschiedet Katharina ihren Sekretär und begibt sich in ihr Privatankleidezimmer, wo sie bereits der Friseur Kotzloff erwartet. Sie hatte bis ins Alter wundervolles, dichtes langes Haar. Wenn sie vor ihrem Toilettentisch saß und frisiert wurde, fiel es in weichen, großen Wellen bis zur Erde hinab. Und es war immer wie mit Feenhand geordnet. Sie trug es weit aus dem Gesicht gekämmt, wodurch ihre hohe, geistreiche Stirn um so mehr zur Geltung kam. Jetzt vertauschte sie das weiße Morgenkleid mit einem lila oder grauen Seidenkleid, das ebenfalls ganz einfach in weite Falten fiel und keinerlei Putz aufwies. An gewöhnlichen Tagen trug sie weder Juwelen noch irgendeinen Orden, der ihren hohen Rang kennzeichnete. Ihre sehr kleinen Füße steckten in ausgeschnittenen Schuhen, die sehr niedrige Absätze hatten, ganz im Gegensatz zu der damaligen Mode der hohen Stöckelschuhe. Katharina war, was ihre Kleidung betraf, nicht kokett, aber alle Zeitgenossen sind sich darüber einig, daß sie nie geschmacklos gekleidet war. Als sie später fast unförmig dick wurde, verstand sie es noch, immer durch ihre Kleidung sehr vornehm zu erscheinen und die Mängel ihrer Gestalt nicht zu sehr ins Auge fallen zu lassen.
Sobald Katharina mit ihrer intimen Toilette fertig war, begab sie sich ins offizielle Ankleidezimmer, um ihr »Lever« abzuhalten, währenddem ihr vier Kammerfrauen vor einem prachtvollen Spiegeltisch aus massivem Gold noch kleine Handreichungen leisteten. Das Becken, in dem sie sich die Finger netzt, die Schale, in welcher eine Kammerfrau ihr Nadeln fürs Haar reicht, sind ebenfalls aus purem Golde. Inzwischen hat sich das nicht sehr große Zimmer mit den Höflingen angefüllt, die die Ehre haben, an dem Lever der großen Herrscherin teilzunehmen. Sie ist ganz natürlich, lebhaft, liebenswürdig, geistreich, witzig. Sie sieht frisch aus, und ihre klugen grauen Augen wandern von einem Besucher zum andern. Keiner der Anwesenden ist befangen oder von der Erhabenheit ihrer Stellung verwirrt. Durch ihr trauliches, einnehmendes Wesen versetzt sie alle in die angenehmste Stimmung. Sie lacht über die dummen Einfälle Leo Narischkins und ihrer Hofnärrin Matrena Danilewna. Diese liebt Katharina ganz besonders, denn sie ist gleichzeitig die treue Überbringerin aller Neuigkeiten und allen Klatsches am Hofe. Und Katharina liebte wie viele großen Herrscher außerordentlich etwas Klatsch zu hören, ohne jedoch einen anderen Nutzen daraus zu ziehen als ihr eigenes Vergnügen.
Die Hauptperson bei diesem kaiserlichen Lever ist indes der Günstling, heißt er nun Lanskoi, Mamonoff oder Zubow, und neben ihm der allgewaltige Patiomkin, wenn ihn nicht seine Feldherrnpflichten vom Hofe Seiner Herrin fern halten. Sobald Katharinas Enkelkinder ein gewisses Alter erreicht hatten, durften auch sie mit an dem Lever der Großmutter teilnehmen.
Um ein Uhr, später um zwei Uhr, hält Katharina Tafel. Nur wenige Personen haben die Ehre mit der Kaiserin zu speisen. Der Günstling sitzt stets an ihrer rechten Seite. In früheren Jahren wurden die vertraute Freundin der Kaiserin: die Fürstin Katharina Romanowna Daschkoff, die Gräfin Bruce, ihre Ehrendame, die Nichte Patiomkins, Gräfin Branicka, die beiden Brüder Narischkin, der Feldmarschall Fürst Galitzin, Fürst Patiomkin, Graf Tschernitscheff, Graf Stroganoff, Fürst Bariatinski, die Orloffs, Graf Rasumowski zu Katharinas Tafel hinzugezogen. Später schieden einige dieser Personen aus und wurden durch andere ersetzt. Das Ehrenfräulein Protassof, der Erzieher des jungen Bobrinski, Vizeadmiral Ribas, Katharinas und Orloffs Sohn und andere kamen hinzu.
Katharina war keine Feinschmeckerin. Man aß gewöhnlich schlecht an ihrer Tafel. Jahrelang hatte sie einen Koch, den Brillat-Saverin gewiß nicht einmal in der gewöhnlichsten Garküche der Pariser Boulevards geduldet hätte. Katharina merkte es gar nicht, daß er schlecht kochte. Als man sie schließlich darauf aufmerksam machte, konnte sie sich nicht entschließen, ihn wegzuschicken, weil er schon so lange in ihrem Dienste war. Wenn er Dienst hatte und die Speisen kaum genießbar auf die Tafel kamen, lachte die Kaiserin nur und sagte: »Meine Damen und Herren, wir haben wieder mal eine Fastenwoche vor uns!« Ihre Damen und Herren wußten sich indes schon anderwärts schadlos zu halten. Denn wenn auch Katharina verhältnismäßig wenig für ihren Tisch ausgab, so schöpften doch Nikolai Saltikoff, die Branicka, Patiomkin und Zubow um so tiefer in der kaiserlichen Kasse, um sich keinen der kulinarischen Genüsse entgehen zu lassen. Patiomkin und Zubow brauchten allein für ihre Tafel 400 Rubel am Tag, außer Wein, Kaffee, Tee und Schokolade, die sich ebenfalls auf 220 Rubel beliefen. Also weit mehr als 1000 Mark im Tag allein für Essen.
Nach der Tafel plauderte man noch ein wenig. Darauf verabschiedete die Kaiserin ihre kleine Gesellschaft und zog sich mit einer Handarbeit in ihr Boudoir zurück. Wie eine kleine Bürgersfrau liebte sie es sehr, ein wenig zu sticken, zu nähen oder zu knüpfen. Währenddem las ihr Betzki, der mysteriöse Freund ihrer Mutter in Paris, von dem die Legende behauptete, er sei Katharinas rechter Vater, aus ihren Lieblingsschriftstellern vor. Als Betzki zu alt wurde, las sie später selbst. Mit der Zeit wurden aber auch Katharinas Augen schwächer, und sie mußte sich einer Brille bedienen. Sie brauchte sie jedoch nur beim Lesen; beim Schreiben hatte sie sie nicht nötig. Aber sie war doch ärgerlich über diese Schwäche, ein Zeichen des Alters. Als ihr Sekretär Chrabowtzki eines Tages im Zimmer war und sah, wie sie sich die Brille aufsetzte, um ein Schriftstück zu entziffern, sagte sie zu ihm scherzend: »Sie haben so ein Ding nicht nötig, was? Wie alt sind Sie?« – »26 Jahre, Majestät.« – »Ach, da haben Sie noch nicht Zeit gehabt, sich, wie ich, Ihre Augen im Dienste des Staates zu verderben.«
In diesen Stunden der Ruhe, die jedoch ebenfalls durch alle möglichen Geschäfte unterbrochen wurden, denn einer oder der andere ihrer Sekretäre war immer um sie beschäftigt, ließ sie oft einige Kinder, später waren es ihre Enkelkinder, zu sich kommen, mit denen sie in den Zwischenpausen der Geschäfte oder jeweiligen Unterhaltungen spielte. Sie, die für ihren eigenen Sohn nichts übrig hatte, war außerordentlich kinderliebend. Einige ihrer kleinen Lieblinge, wie den jungen Markoff und den Sohn des Admirals Ribeaupierre, erzog sie vollständig an ihrem Hofe. Die Kinder des Fürsten Galitzin, vier kleine Neffen Patiomkins, der Sohn des Grafen Nikolai Saltikoff, der kleine Graf Valentin Esterhazy, ein Kind des Grafen Schuwaloff, alle, alle durften sie in den Gemächern Katharinas spielen, und sie selbst war das größte Kind unter ihnen. Als sie noch jünger war, waren es wilde, tolle Spiele, die sich meist am Fußboden erlebten, und Kinder wie Kaiserin, Gregor Orloff und Zachar Tschernitscheff in die vergnügteste Laune versetzten. Später, als es Katharinas Körperfülle nicht mehr erlaubte, sich mit den Kleinen auf den Teppichen zu wälzen, schnitt sie ihnen Puppen aus, verfertigte allerhand drolliges Spielzeug aus Karton und Papier, zeichnete ihnen Karrikaturen, erzählte ihnen die herrlichsten Märchen oder die lustigsten Geschichten, und das fröhliche Kinderlachen um sie herum nahm kein Ende. Es tat ihr wohl. Sie liebte die Heiterkeit, die Jugend, alles Natürliche.
Neben den Kindern waren es die Tiere, die sich Katharinas ganz besonderer Sorgfalt erfreuten. Sie hatte stets eine zahlreiche Hundefamilie um sich, und die berühmte »Familie Anderson« spielt eine nicht geringe Rolle in ihren Briefen an Grimm und andere. In ihrer drolligen Art wußte sie ganz reizend über die Hunde-Andersons zu plaudern. Einmal schreibt sie:
»An der Spitze befindet sich der Chef der Rasse, Sir Tom Anderson, seine Gemahlin Herzogin Anderson, ihre Kinder: die junge Herzogin Anderson, Monsieur Anderson und Tom Anderson. Dieser lebt in Moskau unter der Vormundschaft des Fürsten Wolkonski, Generalgouverneurs der Stadt. Außer Tom, dessen Ruf gemacht ist, gibt es noch 4 oder 5 junge »Leute«, die viel versprechen und die in den besten Häusern von Moskau und Petersburg erzogen werden; z. B. beim Fürsten Orloff, bei den Herren Narischkin, dem Fürsten Tufiakin. Sir Tom Anderson hat sich in zweiter Ehe mit Fräulein Mimi verheiratet, die seitdem Mimi Anderson heißt. Aber bis jetzt gibt es noch keine Nachkommenschaft. Außer dieser legitimen Ehe (denn in der Geschichte, der Leute muß man sowohl ihre Fehler wie auch ihre Tugenden erwähnen) hat Monsieur Tom verschiedene außereheliche Verbindungen gehabt. Die Großfürstin (Pauls Gattin) hat mehrere hübsche Hündinnen, die ihm den Kopf verdreht haben, aber bis jetzt ist noch keiner seiner Bastarde geboren worden, und wie es scheint, wird auch keiner geboren werden. Es ist eben alles, was man auch sagen mag, pure Verleumdung.«
Bis vier Uhr blieb Katharina gewöhnlich in ihrem Salon, teils mit einer Arbeit, teils mit den Kindern beschäftigt. Dann begab sie sich bis 6 Uhr mit dem Günstling in die Ermitage, ihrem Lieblingsaufenthalt. Dort hatte sie alles nach ihrem Geschmack eingerichtet, auch die Etikette. Sie hatte sie ganz aus diesen wohnlichen, künstlerischen Räumen verbannt. Hier durfte man Mensch sein. Katharina selbst hatte ein starkes Bedürfnis nach diesem freien Menschentum, nach dieser ganzen Natürlichkeit und Ungezwungenheit, die bei ihr oft in Derbheit überging.
Die »Ermitage« nahm einen ganzen Flügel des Petersburger Schlosses ein. Den größten Teil bildete die sehr wertvolle und reiche Bildergalerie und die unschätzbaren Sammlungen von Kunstgegenständen und Büchern, die Katharina mit großem Geschmack hier vereinigt hatte. Ferner waren zwei große Spielsäle und ein Speisesaal vorhanden, wo man an zwei nicht zu großen Tischen in engster Vertrautheit speiste. Neben diesen Räumen lag ein herrlicher Wintergarten mit den seltensten Pflanzen und Blumen. Man wandelte unter tropischen Bäumen und exotischen Gewächsen wie in einem Feenreich. Buntgefiederte, reizende Vögel sangen ihre süßen Liebeslieder, und abends wurden diese bezaubernden Räume in ein magisches Licht gehüllt.
Am angenehmsten war aber die große unumschränkte Freiheit, die in diesen intimen Gemächern Katharinas herrschte. Ein mächtiges Schild am Eingang des Tuskulums schrieb dem Eintretenden den Ton vor, der hier gebräuchlich war. »Es ist verboten«, heißt es da, »sich zu erheben, wenn die Kaiserin erscheint, selbst wenn man sitzt und sie auf sich zukommen sieht, oder sie es wünscht, die Unterhaltung ihrerseits stehend weiterzuführen. Ferner ist es verboten schlechte Laune mitzubringen, beleidigende Worte zu wechseln, von jemand Schlechtes zu sprechen, sich irgendwelcher Streitigkeiten oder Gehässigkeiten zu erinnern, die man mit einem Anwesenden außerhalb der Ermitage eventuell haben könnte; man soll sie mit seinem Hut und seinem Stock vor der Tür lassen. Es darf auch weder gelogen noch gefaselt werden«. Jeder, der diesen Vorschriften zuwider handelte, mußte 10 Kopeken Strafe in die aufgestellte Büchse werfen. Der Ertrag – und er war nie gering – war für die Armen bestimmt. Bezborodko war der Kassierer. Der Abend endigte meist in einer Partie Whist oder Robber. Und da geschah es nicht selten, daß der eine oder der andere Beteiligte seine Karten wütend auf den Tisch warf, weil er meinte, die Kaiserin spiele zu seinem Nachteil. Das geschah auch sogar bisweilen während der offiziellen Spielabende vor versammeltem Hofe. Der Kammerherr Tscherthoff geriet jedesmal in hellen Zorn, wenn die Kaiserin mit ihm spielte. Eines Abends stand er brüsk vom Spieltisch auf, warf der Kaiserin seine Karten vor die Füße und behauptete, sie spiele falsch. Katharina war durchaus nicht beleidigt, sondern verteidigte sich und nahm die Mitspielenden zu Zeugen.
Nur wenige Auserlesene waren es, die von Katharina ein paarmal des Abends hinter verschlossenen Türen in der Ermitage empfangen wurden. Und weder Versailles noch Trianon unter Ludwig XV. hörten Dinge, wie sie die Wände dieser geheimen Gemächer in Petersburg während der Abendgesellschaften der Kaiserin zu hören bekamen. Es wurden oft so derbe Späße gemacht, daß sogar Männer, wie der sehr galante Graf Ségur, im Innern peinlich berührt waren, während Katharina vor Lachen bersten wollte und Leibschmerzen bekam. Hier gab Leo Narischkin den Ton an. Er tischte immer neue Kalauer auf, die Ihre Majestät aufs höchste amüsierten. Beiläufig unterhielt man sich auch mit allen möglichen harmlosen Scherzen. So war die große Kaiserin sehr stolz darauf, daß sie mit dem rechten Ohre wackeln konnte, ohne im geringsten das Gesicht zu verziehen. Der Baron Vanjoura hingegen erregte viel Neid und Heiterkeit dadurch, daß er mit der Perücke wackeln konnte. Es wurden auch Pfänderspiele gemacht. Dann kam es bei der Auslösung der Pfänder oft vor, daß man von der Kaiserin verlangte, sie solle sich auf den Boden setzen. Und sie tat es, nicht ohne Mühe, denn sie war sehr dick. Die ganze Umgebung lachte über die komische Figur, die sie dabei machte. Oder sie mußte auf einen Zug ein Glas Wasser austrinken, oder eine Stelle aus der »Telemachide« von Trediakowski hersagen »ohne zu gähnen«. Ab und zu verfaßte man auch Knüttelverse auf diese oder jene Person der Gesellschaft. In dieser Art Poesie zeigte sich besonders die Kaiserin sehr erfinderisch. Eines Tages machte sie auf den sehr geliebten Narischkin folgende Verse:
Zur Information für die Nachwelt.
INSCHRIFT
auf den ersten Grundstein des Landhauses des Herrn
Großstallmeisters Leo Narischkin zu setzen.
Hier ist das Haus
des Sir Leon Narischkin, Großstallmeisters.
Kein keckes Pferd hat sich über ihn zu beklagen, denn er bestieg niemals eins.
In seiner Jugend versprach ihm Frau Natur Schönheit:
Warum sie ihr Wort nicht gehalten, ist unbekannt.
Als er heiratete, nahm er die zur Frau, an die er am wenigsten dachte.
Er liebte den Wein, die Frauen und den Prunk,
Niemand sah ihn jedoch jemals betrunken, oder verliebt, oder ordentlich gekämmt.
Er rasierte sich selbst, weil er fürchtete, der Barbier könne ihn schneiden,
Aber je größer die Feste waren, desto tiefere Wunden des Rasiermessers sah man auf seinem Gesicht.
Er suchte überall Abenteuer und fand niemals welche.
Seine Freunde behaupten, er sei im Anfang sehr ehrerbietig, verlöre aber später die Geduld.
Er tanzte viel und war zu jeder Gelegenheit geschmeidig und leicht,
Wenn sein dicker Körper ihn nicht verhinderte, das linke Bein dem rechten nachzuziehen.
Er war reich und hatte nie einen Pfennig in der Tasche.
Er liebte auf den Markt zu gehen, wo er alles kaufte, was er nicht brauchte.
Von allen seinen Schätzen liebte er am meisten die hundert Toisen, die Ihr vor Euch seht.
Er liebte es, sie jedes Jahr mit kleinen Lauben dicht zu besetzen.
Man gelangte dazu auf verschlungenen Wegen, mit dichten Büschen, Springbrunnen, Bächen,
Die ausgetrocknet waren, wenn es nicht regnete.
Nichtsdestoweniger verbrachte er den größten Teil des Sommers unterwegs.
Fröhlich sein und fröhlich machen war sein Wahlspruch;
Das Spiel sein Element;
Lachen und Freude verließen ihn nie.
Auf so harmlose Weise amüsierte man sich oft in der Ermitage. Ganz anders verbrachte sie die Stunden, die sie nachmittags mit dem Günstling dort verweilte. In seiner Gesellschaft, besonders zur Zeit Lanskois und Patiomkins, gab es entweder neue Kunstsammlungen zu besehen oder ihre Anordnung zu bestimmen, wertvolle Bücher in die Bibliothek einzureihen, oder auch eine Partie Billard mit dem Bevorzugten zu spielen. Das waren für Katharina die liebsten Stunden des Tages. Aber Punkt sechs Uhr wurde sie aus diesem beinahe bürgerlichen Leben herausgerissen. Es begann die Zeit des Diners und des öffentlichen Empfanges.
Von neuem begab sich die Kaiserin in ihre inneren Gemächer, um ein wenig ihre Kleidung zu ordnen, denn sie zog sich abends nie um, nur bei besonderen Gelegenheiten. Dann legte sie die Hoftoilette an, gewöhnlich ein dunkelrotes Plüschkleid nach russischer Mode. Ihr üppiges Haar schmückte eine Diamantenkrone. Und nie stand eine Krone einem Haupte besser als Katharinas klugem, majestätischem Kopfe. Aber es war auch, als wenn sie mit den offiziellen Kleidern ein ganz anderer Mensch würde. Sobald sie die Handschuhe angezogen und in den Empfangssälen erschien, war sie nicht mehr die heitere, lustige Frau, die so sehr viele menschliche Schwächen hatte, sondern nur noch die Herrscherin, majestätisch und würdig, huldvoll und gütig. Obgleich eher klein als groß, erschien sie allen imposant. Sie hielt sich äußerst gerade und trug den Kopf sehr hoch, aber immer mit freundlicher, liebenswürdiger Miene. Sie ging langsam, mit kleinen, gemessenen Schritten durch die Reihen der sich vor ihr bis zur Erde neigenden Höflinge, grüßte nach allen Seiten mit einer leichten, anmutigen Verbeugung des Kopfes, richtete an diesen oder jenen ein paar verbindliche Worte, oder reichte einem Fremden, der ihr auf dem Wege zu ihren Spieltischen vorgestellt wurde, die Hand zum Kusse. Beim Spiel war sie wieder ganz menschlich, scherzte oft und lachte über ein geistreiches oder auch nur schlagfertiges Wort ihrer Gesellschafter. Punkt zehn Uhr aber zog sie sich zurück. Der Günstling verbeugte sich vor ihr, reichte ihr den Arm und begleitete sie allein in ihr Zimmer. Er erschien nicht wieder. Der ganze Hof Katharinas, ihr Sohn, ihre Enkelkinder waren auf diese Weise Zeuge ihres intimen Lebens. In diesem Augenblick war sie für sie nicht mehr die Kaiserin, die Mutter, die Großmutter, sondern nur Frau.
Von ihren Enkelkindern wurde Katharina heiß geliebt und verehrt. Sie selbst empfand für sie die zärtlichste Zuneigung und Fürsorge, während sich ihr Sohn Paul eher über Vernachlässigung des Muttergefühls bei ihr beklagen konnte. Ja, sie gestattete es sogar, daß sich die Günstlinge ihm gegenüber in unerhörter Weise benahmen. Wie groß jedoch der Platz war, den die Enkel, besonders der sanfte Großfürst Alexander, im Herzen Katharinas einnahmen, geht aus allen ihren Briefen und Handlungen hervor. Sie beschäftigte sich so eingehend mit ihrer Erziehung, daß die eigenen Eltern nicht einmal den geringsten Anteil daran haben durften. Den Töchtern gab sie die ehrenhafteste Frau in Rußland zur Hofmeisterin und den Söhnen Männer wie La Harpe zu Erziehern, für eine Autokratin gewiß ein großer, freimütiger Zug. Denn La Harpe war durch und durch Republikaner, ein freier Schweizer. Er sagte ihr in unumwundenen Worten, daß er seine Grundsätze auch als Prinzenerzieher nicht ändern könne. Und Katharina antwortete ihm: »Mein Herr, seien sie Jakobiner, Republikaner, alles, was Sie wollen. Ich halte Sie für einen Ehrenmann, und das genügt mir«. Und diese Antwort gab sie, als ein anderes Herrscherhaupt in Frankreich unter der Guillotine fiel!
Mit der ängstlichsten Sorgfalt wachte sie über das moralische Leben ihrer Enkel, so frei und frivol sie in ihrem eigenen Leben war. Vom ersten Tage an beobachtete sie ihre körperliche und geistige Entwickelung, und entzückt berichtete sie in ihren Briefen an die Freunde alles Neue von den kindlichen Einfällen, den besonderen Charakterzügen und Anlagen, der Kraft und Gesundheit der kleinen Großfürsten. Wenn Alexander und Konstantin später nicht die Hoffnungen ihrer kaiserlichen Großmutter erfüllten, so war es, weil die Natur stärker ist als die Erziehung. Aber Katharinas Grundsätze waren gut. Man kann nicht leugnen, daß sie ihren Enkeln erhabene Gesinnung, einen festen Charakter, richtiges Urteil, Besonnenheit und Tatkraft einzuflößen bemüht war. Alexander nahm einige dieser Eigenschaften an; bei Konstantins schlechter Veranlagung versagte alle Erziehung.
Katharina, die es selbst mit der Moral nicht genau nahm, hielt in ihrer engeren Familie streng darauf. Sie selbst dachte ja auch nicht, daß sie durch ihren Lebenswandel ihren Kindern und Kindeskindern ein schlechtes Beispiel gab. Es erschien ihr alles, was sie tat, natürlich, und deshalb machte sie auch kein Hehl daraus. Katharinas Unsitten waren weniger die ihres Herzens als die ihrer Zeit und der außerordentlichen Umstände, infolgederen diese ehrgeizige, ruhmsüchtige, eitle aber schwache Frau von einer unbedeutenden kleinen Prinzessin auf den mächtigsten aber auch barbarischsten und sittlich-verrohtesten Thron gelangte.