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An den Stufen des Thrones

Sechstes Kapitel.
Der Kampf um die Krone

Trotz ihres unregelmäßigen wüsten Lebens hatte die Kaiserin Elisabeth nicht nur sinnliche Zerstreuungen und Vergnügungen im Kopfe. Sie dachte bisweilen auch an die Zukunft des russischen Reiches, dessen Regierung nach ihrem Tode in den Händen ihres unvernünftigen Neffen ruhen sollte. Längst hatte sie die Fehler Peters erkannt, aber längst auch war es ihr klar, daß Katharina keine gewöhnliche Frau sei, sondern sich einst eigenmächtig ihre Stellung begründen würde. Sie liebte aber weder Peter noch die Großfürstin. Mit ihrem Günstling Schuwaloff soll sie oft von der Möglichkeit gesprochen haben, den kleinen Großfürsten Paul zum Thronfolger auszurufen und die Eltern nach dem Ausland zu verbannen, denn man war sich darüber vollkommen einig, daß von einem so schwachsinnigen Fürsten, wie Peter, nur Unheil für das Land zu erwarten sei. Elisabeth besaß jedoch nicht die Fähigkeit, einen Entschluß zu fassen; ihre angeborene Trägheit verhinderte sie daran. Vielleicht dachte sie auch nicht an ein baldiges Ende, denn sie liebte das Leben mehr als alles. Kurz sie änderte nichts hinsichtlich der Thronfolge, obwohl sie den kleinen Großfürsten leidenschaftlich gern hatte.

Der Tod überraschte die kranke Kaiserin am 5. Januar 1762. Er änderte vieles in der politischen Lage Europas, aber in Rußland ging er ohne bemerkenswerte Zeichen vorüber. Peter III. bestieg ruhig, ohne irgendwelchen Widerstand von seiten des Volkes zu finden, den Zarenthron. Er selbst wußte nicht, welche Gefahr ihm gedroht hätte, wenn seine Tante entschlußfähiger gewesen wäre. Am Vorabend ihres Todes ließ sie ihn sogar noch einmal zu sich rufen. Es kamen jedoch in dieser letzten Unterredung nur rein persönliche Fragen zur Sprache. Sie bat ihn besonders mit seiner Gemahlin in Eintracht zu leben und dem kleinen Paul stets Liebe und Wohlwollen zu zeigen. Dann mußte der Großfürst ihr versprechen, die beiden Günstlinge Alexei Rasumowski und Iwan Schuwaloff unter seinen Schutz zu nehmen. Man sieht, Elisabeth war bis zuletzt ganz mit ihren eigenen Interessen beschäftigt.

Als sie ihren letzten Atemzug tat, befanden sich Peter und Katharina an ihrem Sterbebett. Der Senator Fürst Trubetzkoi proklamierte aus dem Schlafzimmer der verstorbenen Kaiserin heraustretend die Thronbesteigung des neuen Zaren.

Es schien, als wenn die ersten Schritte Peters III. als Herrscher von einer sehr vernünftigen Einsicht geleitet seien. Dieser günstige Eindruck wurde jedoch sehr bald durch Peters Bizarrerien aller Art verwischt. Er beging vor allem den großen Fehler, das russische Volk in seinem Innersten zu verletzen indem er alles Russische verbannte und es germanisieren wollte.

Außerdem schuf er sich in seiner klugen Frau seine größte und gefährlichste Feindin. Friedrich der Große soll ihn gewarnt und ihm geraten haben, sich Katharinas Freundschaft zu erwerben. Peter achtete dieses wohlgemeinten Rates nicht. Er hätte es am liebsten gesehen, wenn Katharina überhaupt nicht Kaiserin geworden wäre. Absichtlich wurde sie bei allen offiziellen Angelegenheiten übergangen. In dem Manifest, das am Tage der Thronbesteigung Peters bekannt gemacht wurde, ist weder ihr Name noch der des kleinen Großfürsten genannt. Sobald Peter die Macht in Händen hatte, rächte er sich als Gebieter für die Überlegenheit, die Katharina ihm bisweilen gezeigt, als er noch nichts zu sagen hatte. Er behandelte sie mit der größten Verachtung. Sie hatte nicht den geringsten Einfluß auf die Geschäfte und öffentlichen Fragen und mußte täglich die gröbsten Beleidigungen von ihrem Gatten über sich ergehen lassen. Eines Tages schrie er bei vollbesetzter Tafel das Wort »dura« zu ihr hinüber. Es bedeutet in der russischen Sprache den stärksten Ausdruck für ›dumm‹. Die Kaiserin mußte es sich gefallen lassen, daß Peters Geliebte die besten und schönsten Gemächer im Schlosse bewohnte, während sie selbst einen entlegenen Flügel angewiesen bekam. Elisabeth Woronzoff wurde überall mit Ehren überhäuft, während Katharina nur einen kleinen Hof Getreuer um sich versammelt hatte. Sie befand sich in einer äußerst kritischen und gefahrvollen Lage, um so mehr, da sie in jener Zeit dem Grafen Bobrinski, dem Kinde Orloffs, das Leben schenkte.

Alle Zeitgenossen bemerkten damals ihr niedergedrücktes Wesen aber auch ihre würdevolle Haltung ihrem Gemahl gegenüber. Es kam nie eine Klage über ihre Lippen; sie hatte nur Tränen zu ihrer Verteidigung. Man kannte in ihr kaum die kühne Großfürstin wieder. Sie lebte ganz für sich und abgeschieden und schien sich gegen alles mit Philosophie zu wappnen. Bei Katharinas leicht erregbarem Charakter mußte ein solches Benehmen Verdacht erregen. Die ihr Näherstehenden glaubten daher auch nicht an diese ergebene Selbstverleugnung. Man wußte ja, daß sie ihren Mann nicht nur wegen seiner Unbedeutendheit verachtete sondern im Grunde ihres Herzens leidenschaftlich haßte. Nun galt sie nichts und war noch obendrein den tiefsten Demütigungen von diesem Manne ausgesetzt, dem sie doch in allem überlegen war. Wohl erschien sie äußerlich ruhig gegen alle Erniedrigungen, aber in ihrem Innern häuften sich immer mehr die Pläne zu ihrer Befreiung.

Wenn man dem englischen Gesandten Williams Glauben schenken darf, so hatte sie ihm schon fünf Jahre früher ihre Absichten mitgeteilt, im Fall die Kaiserin Elisabeth sterben würde. »Ich ginge«, hatte sie ihm geschrieben, »direkt in das Zimmer meines Sohnes. Träfe ich dort Alexei Rasumowski, so würde ich ihn bei meinem kleinen Paul lassen, wenn nicht, so würde ich das Kind mit in mein Zimmer nehmen. Gleichzeitig würde ich einen Vertrauensmann zu fünf Offizieren der Garde (den Orloffs) schicken. Jeder von ihnen stellte mir 50 Gardesoldaten zur Verfügung. Dann rief ich Bestuschew, Apraxin und Lieven zu mir. Ich selbst würde mich in das Sterbezimmer begeben, wo ich den Treueid des Hauptmanns der Garde empfinge. Und diesen Offizier würde ich mit mir nehmen. Sollte ich auch nur die geringste Zögerung bemerken, so ließe ich die Schuwaloffs verhaften.« Und kühn fügte sie ihrem Schreiben an Williams hinzu: »Ich würde nicht, wie Iwan der Schreckliche, bei Ihrem Könige eine Zuflucht suchen, denn ich bin entschlossen, entweder zu regieren oder unterzugehen.«

Es kam ein wenig anders, wie sie es sich in dem Briefe an den englischen Gesandten gedacht hatte. Aber es kam doch so, daß sie regierte. Sie gewann schließlich die Oberhand. Peter schloß sich immer enger an die Gräfin Woronzoff an, und seine Anhänger, die Feinde Katharinas, waren bestrebt, in ihm den Gedanken an eine Heirat mit seiner Geliebten immer stärker zu befestigen. Die Woronzoff war eine sehr gewöhnliche Frau. Ein Zeitgenosse sagte von ihr, sie »trinke, rauche und fluche wie ein Soldat und spucke, wenn sie spreche, obendrein schiele sie auch noch.« Ihr Benehmen gegen die Kaiserin wurde von Tag zu Tag unerträglicher und impertinenter. Sie sah sich bereits an der Seite Peters auf dem Throne.

Es ist wirklich ein großer und schöner Zug Katharinas, daß sie diejenigen, die ihr zu schaden suchten, später, als sie die Macht in Händen hatte, weder verfolgte noch in ihrer Freiheit beschränkte. In diesem besonderen Falle handelte die Kaiserin sogar sehr freundlich gegen ihre einstige Rivalin. Als die Gräfin Elisabeth Woronzoff eine Fürstin Pallianski geworden, nahm sie deren beide Töchter zu sich an den Hof als Ehrenfräulein. Und doch hatte sie viel durch diese Frau zu leiden gehabt, selbst öffentlich, daß man sogar in Diplomatenkreisen davon sprach. So schrieb der Baron de Breteuil am 15. Januar 1762 an den Herzog von Choiseul:

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Fürstin Katharina Daschkoff

»Die Kaiserin befindet sich in einem fürchterlichen Zustand. Sie wird mit der größten sichtlichsten Verachtung behandelt. Wie ich schon bemerkte, sucht sie alles philosophisch zu ertragen. Aber ich habe Ihnen auch schon gesagt, wie wenig sich das mit ihrem Charakter vereinbart. Jetzt weiß ich und zweifele nicht mehr daran, daß sie das Benehmen des Kaisers gegen sie und den Hochmut des Fräulein von Woronzoff nur mit großer Ungeduld erträgt. Ich bin überzeugt, daß die Kaiserin, deren Mut und Heftigkeit ich kenne, eines Tages eine nicht ungewöhnliche Handlung begeht. Ich weiß, sie hat Freunde, die sie zu besänftigen suchen, die jedoch alles für sie wagen würden, wenn sie es verlangte.«

Diese Freunde waren die junge und kühne Fürstin Katharina Daschkoff, der Graf Nikita Panin, die fünf Brüder Orloff, Leo Narischkin und seine Schwägerin, Madame Siniawin, der Hauptmann Passek, Fürst Repnin, Teplow, ein Pimontese namens Odard, später Sekretär Katharinas, und mehrere andere Personen des Hofes. Die Fürstin Daschkoff und Graf Panin waren nicht nur miteinander verwandt, sondern auch sehr eng vertraut. Sie hatten beide die gleichen Ansichten, und die Fürstin, ein energischer, fast männlicher Geist, besaß ungeheuren Einfluß auf den zukünftigen Ersten Minister Rußlands. Er, sie und die Brüder Orloff waren gewiß die Hauptbeteiligten an der Verschwörung gegen den Zaren. Sie sahen das ganze Unheil voraus, das Katharina drohte, denn sie wußten, daß Peter III. die Absicht hatte, seine Gemahlin zu verstoßen und ihren Sohn für illegitim zu erklären. Daß dies geschähe, mußte durch einen Handstreich verhindert werden. Die allgemeine öffentliche Meinung gegen Peter hatte mit diesen persönlichen Verhältnissen jedoch nichts zu tun.

Auf jeden Fall war die Revolution, die Peter den Thron und etwas später das Leben kostete, durchaus nicht in allen Punkten vorbereitet und reiflich überlegt. Sie geschah ganz plötzlich durch die Gewalt der Umstände. Es wurde das Gerücht laut, daß Peter bereits ein Manifest zur Verhaftung der Kaiserin und des Großfürsten erlassen habe; sie sollte in der Nacht vom 10. Juli (29. Juni) stattfinden. Gleichzeitig beabsichtigte er in derselben Nacht seine Trauung mit Elisabeth Woronzoff vollziehen zu lassen. Einige Tage vorher hatte er die Gräfin mit dem Katharinenorden geschmückt. Am Morgen des 8. Juli (27. Juni) verbreitete sich bereits in Petersburg die Kunde, Katharina sei nach Schlüsselburg gebracht worden. Bei einem der Verschworenen, dem Hauptmann Passek, erschien ein Soldat der Garde, um ihn zu benachrichtigen, daß schleunige Hilfe nottäte, um die Kaiserin zu retten. Ein nichteingeweihter Offizier hörte diese Mitteilung und ließ sofort Passek verhaften, worauf er den Zaren, der sich zu jener Zeit in Oranienbaum befand, von dem Vorgefallenen unterrichtete. Für Katharina und ihre Helfershelfer war die Stunde des Handelns gekommen.

Noch in derselben Nacht vom 8. zum 9. Juli (27./28. Juni) 1762 um 5 Uhr morgens trat Alexis Orloff unangemeldet in das Schlafzimmer der Kaiserin in Peterhof und weckte sie. Es sei Zeit, sagte er nur. Katharina lag in tiefem Schlaf. Sie mußte sich erst besinnen, worum es sich handelte. Als sie nähere Erklärungen wissen wollte, sagte Orloff, der Hauptmann Passek von der Garde sei verhaftet worden, und man müsse schleunigst nach Petersburg aufbrechen, um sie zur Selbstherrscherin ausrufen zu lassen. Katharina kleidete sich in größter Eile an und bestieg einen Wagen, den Orloff mitgebracht hatte. Nur eine ihrer Kammerfrauen, die treue Schargorodskaja, nahm an ihrer Seite Platz. Orloff setzte sich zu dem Kutscher Schkurin auf den Bock, und fort gings im rasenden Galopp nach Petersburg. Unterwegs begegnete man dem Friseur der Kaiserin, der jeden Morgen nach Peterhof kam, um Katharina zu frisieren. Auch er wurde mitgenommen.

Man hatte indes nicht daran gedacht, Pferde zum Auswechseln aufzustellen. Es waren 30 Kilometer von Peterhof bis nach der Hauptstadt zurückzulegen! Zuletzt kam man nur noch sehr langsam von der Stelle, so sehr man auch die armen Tiere antrieb. Glücklicherweise hatten Gregor Orloff und der Fürst Bariatinski, die bereits um das Schicksal der Kaiserin besorgt waren, den guten Gedanken gehabt, ihr entgegen zu fahren. Fünf Werst vor Petersburg begegneten sie ihr. Schnell bestieg Katharina ihren Wagen und gelangte nun in kurzer Zeit bis vor die Kaserne des Ismailofskischen Regiments.

Auch hier war nichts auf ein solches Ereignis vorbereitet. Nur wenige Soldaten waren da. Man trommelte jedoch den kleinen Häufen zusammen, gab ihnen viel Wodka zu trinken, und die Soldaten schrien alles, was man von ihnen verlangte. Zwei von ihnen mußten einen Priester holen. Der Pope war sogleich zur Stelle und tat ebenfalls alles, was gewünscht wurde, erhob das Kreuz und murmelte die Formeln eines Eides; die Soldaten knieten nieder und huldigten der Kaiserin als Autokratin.

Von hier aus fuhr Katharina mit ihren Begleitern zur Kaserne des Preobrashenskischen Regiments. Dort stieß man anfangs auf gewissen Widerstand, weil Ssemen Romanowitsch Woronzoff, ein Bruder der Mätresse Peters, eine Kompagnie befehligte und die Sache des Kaisers und seiner Schwester zu wahren suchte. Bald aber überwog die für Katharina stimmende Partei, und das ganze Regiment brach in Hochrufe aus und leistete den Eid. Vom Großfürsten Paul war bei alledem nicht die Rede. Woronzoff und der Major Woijekoff zerbrachen vor Scham um diesen Treubruch gegen den Zaren ihre Degen. Sie gerieten in Gefahr, von der Menge gelyncht zu werden. Woijekoff rettete sich durch die Flucht; Woronzoff wurde verhaftet, weil man befürchtete, er werde nach Oranienbaum reiten und den Zaren von den Vorgängen in der Hauptstadt in Kenntnis setzen. Katharina vergab beiden Offizieren später, aber sie vergaß nicht. General Villebois von der Garde zu Pferd, einer ihrer glühendsten Verehrer stellte ihr vor, welchen Schwierigkeiten sie begegnen werde bei einem solchen Unternehmen. Katharina sah ihn mit großen Augen kalt und stolz an und sagte nur: »Ich habe Sie nicht rufen lassen, um Ihre Meinung zu hören. Was gedenken Sie zu tun?« Da sank auch er vor ihr in die Knie und huldigte ihr.

An der Spitze der so gewonnenen Truppen zog die Kaiserin zur Muttergotteskirche von Kasan, um dort den Treueid ihrer neuen Untertanen zu empfangen. Nikita Panin erschien hier mit dem achtjährigen Paul, der auf diese Weise an seiner Entthronung teilnahm, denn nicht seiner Mutter sondern ihm wäre die Krone zugekommen, die man Peter III. entriss. So hatte es wohl auch Panin beabsichtigt. Er wollte Katharina nur als Regentin ihres Sohnes proklamiert wissen, kam aber zu spät.

Um die Kirche herum standen 10 000 Soldaten, zum großen Teil nur halb bekleidet, aber alle stark bewaffnet. Der Erzbischof von Nowgorod, die Grafen Rasumowski, ehemalige Günstlinge der Kaiserin Elisabeth, Graf Bruce, Graf Stroganoff, Fürst Wolkonski und andere Würdenträger waren erschienen. Im Triumphe wurde Katharina in den Winterpalast geleitet. Hier waren der Senat und die Heilige Synode versammelt. Eine Menge ordengeschmückter Menschen drängte sich um die noch junge Herrscherin, ihr die Hand zu küssen. Nur der Kanzler Woronzoff wollte das alles nicht begreifen. Er fragte die Kaiserin sehr naiverweise warum sie Peterhof verlassen habe. Statt aller Antwort gab sie nur ein Zeichen, ihn hinwegzuführen. Man sagte ihm, er solle in der Kirche den Eid leisten, und er ging und tat es einige Tage später. Seine Nichte, die Fürstin Katharina Romanowna Daschkoff, langte etwas spät im Winterpalast an. Ihr Wagen hatte sich durch die ungeheure Menschenmenge, die das Schloß und die umliegenden Straßen umlagerte, keinen Weg bahnen können. Als sie jedoch endlich vor dem Palaste anlangte, wurde sie von den Soldaten der Garde im Triumphe bis zur Kaiserin getragen, die sie herzlich umarmte und ihr den Katharinenorden, den sie selbst trug, umhängte.

Inzwischen war von Teplow für die Kaiserin ein Manifest entworfen worden, worin Katharina besonders hervorhob, welche Gefahr dem Reiche und vor allem der Kirche durch die Regierung Peters gedroht habe, und wie übereilt sein Friedensschluß mit dem »Erzfeinde« (Friedrich dem Großen) gewesen sei. Dann wurden die verschiedensten Maßregeln getroffen, sich aller Truppen in der Umgegend der Hauptstadt zu versichern. In allen Straßen wurden Wachen aufgestellt und besonders die Straße von Oranienbaum nach Petersburg stark militärisch besetzt. Bis dahin hatte ein großer Teil der Soldaten an die Mähr geglaubt, Peter III. sei durch einen Sturz vom Pferde plötzlich gestorben, aber bald wurde man gewahr, daß es sich hier nicht um eine regelrechte Thronfolge handelte, sondern um einen Gewaltakt. Die Anhänger Katharinas fürchteten, es könne sich doch ein Kampf entspinnen, denn Peter war in Oranienbaum von seinen holsteinischen Truppen umgeben. Man mußte sich seiner Person versichern.

Während dessen hatte sich Peter von Oranienbaum nach Peterhof begeben in der Absicht, sich selbst von der Wahrheit der Gerüchte zu überzeugen, die schließlich noch unbestimmt bis zu ihm gedrungen waren. Er wollte seinen Ohren nicht trauen und durchsuchte fassungslos alle Gemächer im Schlosse nach seiner Frau. Aber das Nest war leer. Bald trafen auch zuverlässigere Nachrichten bei ihm ein, die ihn überzeugten, daß Katharina das Äußerste gewagt habe. Seine Umgebung und besonders der alte Feldmarschall Münich riet ihm, sich nach Kronstadt zu begeben und sich der Truppen und der Flotte zu versichern. Peter verwarf jedoch anfangs diesen Vorschlag und wollte sich in Peterhof mit seinen 1500 Holsteinern regelrecht verteidigen und den Ereignissen wie ein Soldat ins Auge sehen. Endlich gab er doch dem Drängen Münichs nach und schiffte sich mit seinem ganzen Hofstaat, besonders mit einer Menge schöner Damen, auf einer Jacht und einem Ruderboot nach Kronstadt ein. Er zitterte an allen Gliedern und verbarg sich im tiefsten Innern des Schiffs mit Elisabeth Woronzoff, seiner Geliebten.

Um 1 Uhr morgens kam die Hafenfestung in Sicht. Eine Schildwache rief die kaiserliche Jacht an. Man antwortete: »Der Zar.« – »Es gibt keinen Zaren mehr«, schallte es zurück: »fahren Sie weiter.« Dennoch wollten Peters Ratgeber ihn zum Landen bewegen, denn sie waren fest überzeugt, daß man es nicht wagen würde, auf den Zaren zu schießen. Aber Peter war feige. Er kehrte um, schlotternd vor Angst. Er hatte nur den einen Wunsch, mit Elisabeth in Oranienbaum in Sicherheit zu sein und dort die Ereignisse abzuwarten.

Dort angelangt, überraschte ihn eine neue unerwartete Nachricht. Katharina marschierte an der Spitze ihrer Truppen ihm und seinen holsteinischen Soldaten entgegen!

Es war ein wirklicher Triumphmarsch der Kaiserin. Sie sah wundervoll aus in der knappanliegenden Uniform der Siemionofskischen Garden, die sie sich von einem jungen Offizier geliehen hatte. Sie saß prächtig zu Pferde. Ihr langes schwarzes Haar wallte offen über ihre Schultern. Ihren schönen klassischen Kopf schmückte ein Barett aus Zobelpelz, um das ein Eichenlaubkranz gewunden war. Der Anblick dieser herrlichen Erscheinung war bezaubernd. An ihrer Seite ritt die junge Fürstin Daschkoff, fast noch ein Kind, in der gleichen Uniform. Sie sah aus wie ein ganz junger Leutnant. Aber auf beiden Gesichtern, sowohl auf dem achtzehnjährigen wie auf dem reiferen Frauenantlitz der Kaiserin standen Ehrgeiz, Stolz und kühne Unternehmungskraft, der Sieg einer großen geistigen und politischen Überlegenheit über einen tief unter ihnen stehenden Menschen und Herrscher geschrieben. Die Soldaten jubelten, einer solchen Frau wie Katharina das Geleite geben zu können. Die neuen Uniformen, die Peter ihnen vorgeschrieben, hatten sie zerrissen oder verkauft und sich so gut sie konnten mit den alten Uniformstücken ausgerüstet. Zwar hatte sie Peter der Große einst auch aus Deutschland importiert, daran aber dachte man nicht mehr.

Peter III. verteidigte sich nicht. Beim Anmarsch der Kaiserin überfiel ihn eine fürchterliche Feigheit. Er ließ sie nicht einmal bis Oranienbaum kommen, sondern schickte ihr den Fürsten Alexander Michailowitsch Galitzin entgegen mit dem Vorschlag, die Herrschaft mit ihr teilen zu wollen. Katharina dachte nicht an Teilung. Als einzige Antwort sandte sie Peter die Abdankungsakte zum Unterzeichnen und setzte inzwischen ihren Marsch fort. Es dauerte nicht lange, so kam ein anderer Abgesandter des Zaren, der General Ismailoff mit der Erklärung zurück, Peter sei bereit abzudanken. Wie ein eingeschüchterter Junge unterzeichnete er ohne Widerstand das Schriftstück und besiegelte damit sein Schicksal.

In Peterhof machte Katharina Halt. Sie verlangte, daß der Zar mit Elisabeth Woronzoff zu ihr gebracht würde. Er kam und benahm sich ganz würdelos. Er rutschte fast vor seiner Frau auf den Knien, weinte und schluchzte und wollte ihr die Hand in untertäniger Ehrfurcht küssen. Flehentlich bat er, man möchte ihn nicht von seiner Geliebten trennen. Katharina konnte und mußte ihn nur verachten samt der Gräfin, die vor ihr auf den Knien lag und weinte, weil sie ihre ehrgeizigen Hoffnungen versinken sah.

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Graf Alexis Orloff

Außer um seine Mätresse bat Peter noch um seinen Hund, seinen Neger Narziß und seine Geige. Die drei Wünsche gewährte man ihm, aber die Gräfin wurde entfernt und nach Moskau geschickt, wo sie sich bald darauf mit dem Fürsten Pallianski verheiratete. Dem Exzaren wurde ein Landhaus in Ropscha, 30 Kilometer von Petersburg entfernt, zum einstweiligen Aufenthalt angeboten. Später sollte er in der russischen Bastille, der Festung Schlüsselburg, interniert werden. Seine Umgebung bestand aus dem Fürsten Bariatinski, Alexis Orloff und einigen anderen Offizieren der Garde, den stärksten Stützen der Partei Katharinas. Gleichzeitig waren sie die verwegensten Männer, die vor keiner Tat, keinem Hindernis im gegebenen Fall zurückschreckten. In ihren kühnen rücksichtslosen Händen lag von nun an das Schicksal Peters.


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