Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Das Leben an einem Hofe, an dem sozusagen eine beständige Liebesatmosphäre herrschte, wo Intrigen und Heimlichkeiten an der Tagesordnung waren, konnte auf eine Frau wie Katharina nicht seine Wirkung verfehlen. Von Natur aus war sie leichtlebig und sinnlich. Sie hatte sich frühzeitig verstellen gelernt, hatte alle möglichen Schliche anwenden müssen, um dies oder das in ihrem Leben vor ihren Aufpassern zu verbergen. Sie, die die Lüge haßte, war oft zu kleinen Ausreden gezwungen. Nach und nach war ihr von Natur aus gut veranlagter gerader Charakter verdorben worden. Das Hof leben um sie herum war kein gutes Beispiel für sie. Da bald jeder junge Mann am kleinen wie am großen Hofe bemerkte, daß die Beziehungen der Großfürstin zu ihrem Gatten sehr oberflächlich und kalt waren, daß Peter sich absolut nichts aus seiner reizenden Frau machte, diese selbst aber in den Augen der anderen Männer äußerst begehrenswert schien, war sie mehr wie jede andere der Versuchung ausgesetzt. Fast jeder Mann, der sich ihr näherte, verliebte sich in sie, wenn es auch nicht immer eine Liebe war, die die höchsten Ideale inspirierte. Sogar den Gatten ihrer Hofmeisterin, den die Kaiserin Elisabeth gegen alles gefeit glaubte, erfaßte beim Anblick seiner liebenswürdigen Herrin die ansteckende Krankheit der Liebe. Tschoglokoff war anfangs abwesend gewesen, aber vom ersten Tage seiner Anwesenheit in der Nähe Katharinas verfolgte er sie mit seinen Liebeserklärungen, dichtete sie an und sandte Seufzer auf Seufzer zu ihr, aber vergebens. Katharina, die stets die männliche Schönheit anzog, im übrigen aber nicht besonders wählerisch war, verschmähte die Liebe Tschoglokoffs nicht etwa aus moralischen Gründen, sondern weil er häßlich und dumm war.
Der junge und hübsche Graf Kiril Rasumowsky, ein jüngerer Bruder des Günstlings der Kaiserin Elisabeth, hätte sicher mehr Glück bei der Großfürstin gehabt, wenn er kühner gewesen wäre. Aber er war ein stiller Verehrer, der sich begnügte, sie zu sehen. Katharina lernte ihn im Jahre 1749 in Rajowa, dem Landgute der Tschoglokoffs in der Nähe von Moskau kennen, wo sie einen ganzen Sommer zubringen mußte, weil die Kaiserin Elisabeth im nahen Kloster Troitza ihren frommen Pflichten nachkam. Katharina würde sich gewiß bei den wenig interessanten Tschoglokoffs gräßlich gelangweilt haben, wenn ihr nicht ein paar junge lebenslustige Kavaliere der Nachbarschaft die Zeit vertrieben hätten. Unter ihnen befand sich auch der Graf Rasumowsky. Trotzdem er eine der schönsten Besitzungen auf der anderen Seite von Moskau hatte und ein glänzendes Haus führte, machte er täglich 40-50 Werst zu Pferd oder zu Wagen, um die Tschoglokoffs zu jener Zeit zu besuchen, als die Großfürstin bei ihnen weilte. Er war sehr lustig und erheiterte durch seine drolligen Einfälle ganz besonders die junge Katharina, die die Fröhlichkeit über alles liebte. Rasumowsky war indes auch sehr zurückhaltend, besonders ihr gegenüber. Er machte ihr auf die diskreteste Weise den Hof, an die Katharina offenbar nicht gewöhnt war, denn sie merkte nicht einmal, daß seine täglichen Besuche nur ihr allein galten. Erst zwanzig Jahre später fiel es ihr einmal ein, Rasumowsky zu fragen, was ihn denn zu jener Zeit veranlaßt habe, jeden Tag den weiten Weg nach Rajowa zu machen. »Die Liebe«, antwortete Rasumowsky. »In wen konnten Sie denn um alles in der Welt damals verliebt sein?« fragte Katharina. – »In Sie«, gab er trocken zurück, worauf Katharina in ein unbändiges Lachen ausbrach, weil sie es damals nicht gemerkt hatte.
Andere in der Umgebung der Großfürstin waren indes weniger zurückhaltend in ihren Gefühlen für sie. Auch waren sie nicht so häßlich noch so tölpelhaft wie Tschoglokoff. Kurz, sie verstanden es besser wie beide, sich der jungen Großfürstin zu nähern, und diese war nicht prüde. Einer der drei verbannten Tschernitscheffs kehrte im Jahre 1745 wieder an den Hof zurück. Es war Zachar und nicht Andreas, der diesmal seine Augen zu Katharina erhob. Aber der Name hatte für Katharina nichts zu bedeuten. Zachar fand die Großfürstin während der sechs Jahre seiner Abwesenheit schöner, blühender, begehrenswerter geworden und verfehlte nicht, es ihr zu sagen. Katharina war für Schmeicheleien äußerst empfänglich. Auch sie fand, daß dieser galante Offizier ein schöner Mann geworden war. Der Flirt begann. Auf einem Maskenball, auf dem alle Welt sich kleine Devisen schrieb, mit mehr oder weniger glücklichen Versen, ließ Zachar Tschernitscheff in die Hand der Großfürstin ein Zettelchen gleiten, das die glühendste Liebeserklärung enthielt. Katharina fand das Spiel äußerst amüsant und erwiderte seine Gefühle in nicht weniger leidenschaftlichen Worten. Durch diesen schnellen Erfolg ermutigt, flüsterte er ihr später beim Tanz zu, er habe ihr tausend Dinge zu sagen, könne dies aber nur unter vier Augen in ihrem Zimmer tun. Am Abend, wenn alles zur Ruhe wäre, wolle er als Lakai verkleidet zu ihr kommen. Katharina verbot ihm weder seine kühne Sprache, noch lehnte sie seinen Vorschlag ab; sie machte ihn nur auf die Gefahr aufmerksam, die damit verbunden sei. Die Chronik verrät nicht, ob Zachar Tschernitscheff noch an diesem Abend alle seine Wünsche erfüllt sah. Später hat er sicher nicht mehr nötig gehabt, sich als Diener zu verkleiden, wenn er die Geliebte sehen wollte. Es existieren Briefe an ihn, die seinerzeit anonym veröffentlicht wurden, die aber erwiesenermaßen von der Großfürstin sind. Sie lassen keinen Zweifel darüber, daß Zachar es nicht bei einem bloßen Flirt mit der Großfürstin beruhen ließ. Anfang 1752 kehrte er jedoch wieder zu seinem Regiment zurück und überließ Katharina der Einsamkeit. Sergius Saltikoff sollte sie über die Trennung von dem Geliebten trösten.
Er gehörte ebenfalls zu der Umgebung des Großfürsten, war Kammerherr und vielleicht weniger oberflächlich als die anderen. »Er war schön wie der Tag«, sagte Katharina von ihm. Es gab keinen schöneren, keinen vornehmeren Mann, weder am kleinen noch am großen Hofe als ihn. Er war ein vollendeter Höfling und wußte seine Fehler zu verbergen. Katharina selbst spricht ihn nicht frei von gewissen intriganten Eigenschaften und dem Mangel an Grundsätzen. Aber er gefiel ihr trotzdem oder gerade deshalb. Als sie ihn kennen lernte, war er 26 Jahre alt und seit zwei Jahren mit einem Ehrenfräulein der Kaiserin Elisabeth, Matrena Pawlowna Balk verheiratet. Es war eine Liebesheirat gewesen, aber Sergius war durchaus kein Ausbund von Treue; er führte ein sehr galantes Leben. Für junge Ehen war er einer der gefährlichsten Männer von Petersburg, wo derartige Liebesaffären eine Hauptrolle spielten. Die Erfolge bei den Frauen bestärkten Saltikoff, seine Augen bis zur Gattin des Großfürsten zu erheben, von der man ohnehin wußte, daß sie für Männer dieser Art etwas übrig hatte. Aber Saltikoff war doch bedeutend raffinierter als sein Vorgänger. Er wußte Katharina auf eine so zarte und doch deutliche Weise den Hof zu machen, daß sie überzeugt sein mußte, er bringe ihr eine aufrichtige, edle Neigung entgegen, obgleich ihn anfangs sicher mehr die Eitelkeit als die Liebe veranlaßt hatte, ihre Gunst zu erwerben. Einen ganzen Sommer lang bemühte er sich täglich mit der größten Aufmerksamkeit um die junge Großfürstin. Er sah nur sie, lauschte auf jedes ihrer Worte, erhaschte jeden Wunsch, den sie ausdrückte, um ihn sogleich zu erfüllen. Er kannte Katharinas Vorliebe für Vergnügen, Scherz und Belustigungen und wußte, daß sie jedem dankbar war, der das monotone Leben in Orienbaum angenehm zu unterbrechen verstand. Ihm war die Gabe des liebenswürdigen Gesellschafters im hohen Maße verliehen, und so erfand er jeden Tag etwas Neues, um seine angebetete Großfürstin aufs beste zu unterhalten. Da er viel Einfluß bei Peter hatte, fiel es ihm nicht schwer ihn zu veranlassen, die schönsten Feste zu geben, Jagden zu veranstalten, reizende Ausflüge zu unternehmen, bei denen immer Katharina der Mittelpunkt war. Und sie wußte ihm Dank dafür. Ihre Augen, ihr Lächeln verhießen ihm eine ganze Welt von Glück. Täglich erschien sie ihm schöner, anziehender, reizender. Er sagte es ihr, und Katharina war glücklich es zu hören. Schließlich war Saltikoff wirklich schlecht und recht in die reizende Großfürstin verliebt, die mit ihrer gesunden, manchmal etwas derben Fröhlichkeit, ihrem Witz und liebenswürdigen Spott alles um sich herum belebte. Auch er gefiel Katharina; aber sie wollte von ihm erobert sein. Später, als Kaiserin, mußte sie stets die ersten Schritte zur Annäherung tun, damals jedoch nahm sie noch keinen Thron ein und durfte ganz Weib sein.
Saltikoff ließ sich nicht lange bitten, die Eroberung zu unternehmen. Er war sich seines Sieges gewiß. Als erfahrener Frauenverführer und -kenner wußte er, daß er vor allem versuchen mußte, mit Katharina allein zu sein, um so sprechen zu können wie er wollte. Die Großfürstin war jedoch fast immer von den beiden Tschoglokoffs umgeben. Aber Saltikoff war »ein wahrer Dämon im Intrigenspinnen«. Er hatte gar bald ein Mittel gefunden, das Argusauge wenigstens des Mannes von ihnen abzuwenden. Frau Tschoglokoff kam weniger in Betracht, da sie um diese Zeit einer Niederkunft entgegensah und mit ihrer eigenen Person genügend zu tun hatte. Übrigens hatte sich Katharina auch in ihr mit der Zeit eine Freundin geschaffen, die nicht mehr so strenge Aufsicht führte. Mit dem Manne hingegen war es etwas ganz anderes. Er war in die Großfürstin verliebt und suchte ebenfalls, wo und wann er nur konnte, in ihrer Nähe zu sein. Er mußte also entfernt werden. Sergius fiel es nicht schwer, ihn wenigstens für ein paar Stunden zu beschäftigen. Er entdeckte nämlich plötzlich, daß Tschoglokoff die reizendsten Verse machen konnte und überzeugte den eitlen verliebten Tropf so davon, daß er sich stundenlang in irgendein abgelegenes Zimmer setzte und sich abmühte, die tollsten Liebesgedichte zu machen, die natürlich alle die Großfürstin zum Gegenstand hatten. Leo Narrischkin, der mit im Bunde war, setzte sie dann in Musik, und alle hatten einen Heidenspaß an dem alten Narren, am meisten Saltikoff und Katharina. Sie freuten sich nicht allein göttlich über den so gelungenen Streich, sondern hatten nun auch vollkommen Zeit, allein oder nur in Gesellschaft der Fürstin Gagarin, Katharinas Vertrauten, miteinander zu plaudern. Man sagte sich in diesen Stunden, was man wollte. Sergius verlor keinen Augenblick, Katharina seine Liebe zu gestehen. Seine Worte waren schmeichelnd, verlockend; das Bild, ihres beiderseitigen zukünftigen Liebesglücks, das er vor ihrem Geiste entrollte, war bezaubernd. Sie hörte gern zu und dachte nicht ernstlich daran, ihn zurechtzuweisen. Schelmisch nur erwiderte sie ihm: »Sie wissen ja gar nicht, ob mein Herz schon anderweit gebunden ist.« Das machte ihn nur noch feuriger, noch kühner. Er hatte ja keine Absage bekommen, und das glückliche Lächeln um ihren Mund verriet ihm etwas ganz anderes. Er kannte die Sprache der Liebenden, des Verführers, und Katharina hatte nicht die Absicht ihm zu widerstehen. Sie fragte nur noch: »Und Ihre Frau?« Das war schon ein halbes Zugeständnis. Saltikoff war nicht der Mann, der sich durch eine solche Frage in die Enge treiben ließ. Wie die meisten in seiner Lage, griff er zu der berühmten Ausrede, seine Heirat mit Matrena Pawlowna sei eine Jugendtorheit gewesen; er liebe sie gar nicht, er sei enttäuscht worden. Nur ihr, Katharina, ihr ganz allein gehöre seine große, seine tiefe Liebe. Und darin log er nicht, denn sie hatte ihn wirklich eine leidenschaftliche Liebe eingeflößt, die bald mit demselben Feuer zurückgegeben wurde.
Katharina wollte es ihm jedoch damals noch nicht so leicht machen. Sergius mußte noch manches Alleinsein arrangieren, ohne seine heißen Wünsche erfüllt zu sehen. Katharina gesteht selbst, das Schlimmste für sie sei gewesen, daß er ihr so gut gefallen habe. Eines Tages war bei Tschoglokoffs Jagd, bei der auch das großfürstliche Paar zugegen war. Der verliebte Saltikoff wußte es so einzurichten, daß er stets an der Seite Katharinas ritt. Wie zufällig schlugen beide einen anderen Weg ein als die übrige Jagdgesellschaft. Bald verloren sie sich im Walde; sie waren allein. Eine ganze Stunde lang konnten sie sich alles sagen, was sie auf dem Herzen hatten. Saltikoff wurde immer kühner, immer dringender, immer leidenschaftlicher. Er sagte ihr, daß er sie liebe, daß er das größte Geheimnis um diese Liebe hüllen werde. Katharina hörte still zu. In ihrem Innern fühlte sie ein großes Glück. Es war das erstemal, daß ein Mann aus echtem Gefühl zu ihr sprach. Aber auch er wollte die Gewißheit von ihr haben, daß er geliebt sei. Es wurde ihr plötzlich unheimlich mit diesem leidenschaftlich erregten jungen Mann. Die Unterhaltung und ihre Abwesenheit hatte schon zu lange gewährt. Sie bekam mit einemmal Angst, daß man sie überraschen könne und sagte rasch auf seine eindringliche Frage, ob sie ihn liebe: »Ja, ja, aber gehen Sie«. – »Ich habe Ihr Wort«, rief Saltikoff beglückt und stürmte auf seinem Gaul davon. Gleich im nächsten Augenblick bereute es die Großfürstin, zu viel gesagt zu haben. »Nein, nein«, rief sie ihm nach. – Er aber rief fröhlich und zuversichtlich zurück: »Ja, ja!« Und er behielt recht.
Während der junge Hof in Oranienbaum war, befand sich die Kaiserin Elisabeth meist in Petersburg. Gab es größere Hoffestlichkeiten während dieser Zeit, so begaben auch Peter und Katharina sich nach der Hauptstadt, um daran teilzunehmen. In Petersburg konnte Katharina sich leichter den beobachtenden Blicken ihrer Umgebung entziehen als auf dem Lande. Sie brauchte nur ein kleines Unwohlsein vorzuschützen, um nicht im Theater, auf den Bällen oder den Festlichkeiten erscheinen zu müssen. Und so geschah es, daß Saltikoff an einem solchen Abende in Petersburg zum glücklichsten Menschen wurde. Sie blieb allein in ihrem Zimmer. Der Großfürst, der viel zu blöde war, das Interesse seines Kammerherrn für seine Frau zu merken und übrigens zu dieser Zeit wieder in ein Hoffräulein der Großfürstin, Martha Isajewna Schaffiroff, verliebt war, leistete ihren Zusammenkünften noch Vorschub. Er forderte Saltikoff wiederholt auf, der kranken Großfürstin Gesellschaft zu leisten, wenn alle anderen sich amüsierten. Natürlich war weder Katharina noch ihr Geliebter darüber böse. Eines Tages jedoch dämmerte es auch in dem Hirn Peters. Er sagte: »Sergius Saltikoff und meine Frau hintergehen Tschoglokoff; lassen ihn nach ihrer Pfeife tanzen und machen sich noch über ihn lustig.« Aber weiter unternahm er nichts. Es war ihm offenbar gleichgültig, was seine Frau tat.
Saltikoff hatte Katharina zwar versprochen das größte Geheimnis um ihre Liebe zu weben, war jedoch durchaus nicht vorsichtig bei seinen Besuchen. Sie kamen sehr bald zu Ohren der Kaiserin Elisabeth. Sie war jedoch weit wütender über die Tschoglokoffs, die sich an der Nase herumführen ließen, als über Saltikoff. Wahrscheinlich nur der Form wegen, erhielt er den Befehl, sich für einen Monat vom Hofe zu entfernen, gleichzeitig mit ihm auch sein Freund Leo Narischkin. Es schien, als wenn die Kaiserin es nicht ungern sähe, daß Katharina einen Geliebten hatte, denn sie wußte längst, wie es um die Ehe ihres Neffen bestellt war. Und die Thronfolge lag ihr am Herzen. Wäre sie ernstlich böse auf Saltikoff gewesen, so hätte sie ihn, wie einst Andreas Tschernitscheff, viel empfindlicher bestraft. Es mußte wohl ein besonderes Interesse vorliegen, daß sie es nicht tat.
Saltikoffs Abwesenheit vom Hofe währte jedoch länger als einen Monat. Er wurde krank und konnte erst im Februar 1753 wieder vor der Geliebten erscheinen. Katharinas Herz war leicht und vergaß schnell. Sie hatte sich inzwischen einen kleinen intimen Gesellschaftskreis gebildet, in dem vor allen junge Männer vorherrschend waren. An der Gesellschaft der Frauen fand sie nur ausnahmsweise Gefallen. Unter den jungen Leuten war einer, der ihr ganz besonders wegen seiner Lustigkeit gefiel. Er hatte schon früher zu ihrer Umgebung gehört, war der Freund Saltikoffs und mit ihm für kurze Zeit vom Hofe verbannt worden. Aber Leo Narischkin war nicht krank geworden, sondern nach abgelaufener Frist zurückgekehrt und bereits auf dem Wege, den Sieg über den fernen Saltikoff davon zu tragen, als dieser noch zur rechten Zeit erschien. Und so spielte Narischkin eben die Rolle als Lustigmacher der Großfürstin weiter und blieb ihr Hofnarr bis an ihr Lebensende. »Er war einer der seltsamsten Menschen, die ich je gekannt«, sagte sie von ihm; »niemand konnte mich mehr zum Lachen bringen wie er.« Narischkin war ein geborener Hanswurst, ohne indes geistlos zu sein. Sein ausgesprochenes humoristisches Talent amüsierte Katharina aufs höchste. Besaß sie doch selbst einen sehr scharfen Witz und ausgelassenen, lustigen Sinn.
Saltikoff war nach seiner Rückkehr zu Katharina vorsichtiger geworden. Er war weniger feurig, weniger kühn und zeigte seine Liebe weniger offen. Katharina machte ihm darüber Vorwürfe, denn sie war durchaus nicht vorsichtig. Er aber wollte nicht ein zweites Mal vom Hofe verbannt werden. Eines Tages jedoch empfing ihn der Kanzler Bestuschew in einer Privataudienz, nahm ihn geheimnisvoll beiseite und sagte ihm vielbedeutend, er wolle die dummen Tschoglokoffs von der Großfürstin entfernen und ihr dafür die sanfte Wladislawa geben, mit der sie machen könne, was sie wolle. Sie würde der Kaiserin nie etwas verraten. Saltikoffs Augen wurden immer größer vor Erstaunen. Er wußte nicht, wo Bestuschew hinaus wollte. Erst als dieser ihn mit den Worten verabschiedete, das Wohl des Reiches und des Thrones liege in seiner Hand, verstand er. Überglücklich kehrte er zur Großfürstin zurück, um ihr die Botschaft zu überbringen. Auch sie hatte inzwischen eine ähnliche Unterredung mit ihrer Hofmeisterin gehabt, die im Auftrage der Kaiserin stattfand. Madame Tschoglokoff hatte ihr nach einer langatmigen moralischen Einleitung zu verstehen gegeben, daß sie unbedingt für einen Thronfolger sorgen müsse. Da sie nun aber, wie es schiene, vom Großfürsten keine Kinder bekommen könne, so müsse sie sich in diesem Falle dem Vaterlande opfern und eine Ausnahme von der hergebrachten Regel machen. Schließlich sagte sie der Großfürstin gerade heraus, sie solle zwischen Saltikoff und Narischkin wählen. Sie glaube aber wohl es sei der letztgenannte, den sie bevorzuge. »Nein, nein«, rief Katharina, unbekümmert ob sie sich dabei verriet. – »Nun, so ist es eben der andere«, antwortete die tugendhafte Hofmeisterin; »Sie werden sehen, daß ich Ihnen in dieser Beziehung keinerlei Schwierigkeiten in den Weg lege.«
Von nun an durfte Katharina sich also sorglos und ungestraft dem Wohle des Vaterlandes opfern. Sie tat ihr möglichstes und opferte auf dem Altare der Venus. Die Göttin hatte ein Einsehen und belohnte Rußland mit einem Thronerben. Zweimal jedoch hatte Katharina eine Fehlgeburt. Endlich am 20. September 1754 wurde der ersehnte Prinz, der spätere Paul I., geboren. Nicht allein Katharinas Memoiren, sondern auch die Aufzeichnungen Champeaux' und anderer Zeitgenossen lassen uns nicht im Zweifel über die Vaterschaft Saltikoffs. Niemand am Hofe glaubte, daß Paul der Sohn Peters sei. Der Marquis de l'Hôpital ging sogar soweit zu behaupten, Elisabeth habe ihr eigenes Kind gegen das der Großfürstin ausgetauscht, was indes ohne Frage Legende ist. Die einzig zuverlässige Zeugin in diesem Falle ist wohl Katharina selbst. Sie aber sagt in ihren Memoiren ganz offen, daß Sergius Saltikoff der Vater ihres Sohnes war.
Für die Geschichte ist dieser strittige Punkt fast ohne Bedeutung. In den Augen der Welt war Paul der Zarensohn, der Thronerbe. Merkwürdigerweise glich er moralisch in vielem Peter III. Auch seine Häßlichkeit könnte zu der Vermutung Veranlassung geben, daß Peter doch der Vater war. Aber dieser haßte geradezu das Kind, was wiederum ein Gegenbeweis dafür wäre. Gleichviel, der kleine Prinz war da und ließ sich nicht wegleugnen. Seltsamerweise empfand auch die Mutter keine Liebe für dieses Kind, das doch nach ihren eigenen Andeutungen ein Pfand der Liebe war. Als Entschuldigung für dieses geringe Muttergefühl mag allerdings in Betracht kommen, daß Katharina ihren Sohn in den ersten Jahren seines Daseins kaum zu Gesicht bekam. Gleich nach der Geburt bemächtigte sich die Kaiserin Elisabeth des kleinen Thronerben und trug ihn in ihre eigenen Gemächer. Sie selbst wollte seine Pflegerin sein, um ja nicht seiner verlustig zu gehen. Es waren in allen Stücken unnatürliche Verhältnisse für Katharina. Um sie, die Mutter, kümmerte man sich kaum. Sie hatte ihre Pflicht getan. Man ließ sie ganz allein mit ihrer Kammerfrau, die nicht wagte, ihr die unumgänglichste Pflege angedeihen zu lassen, weil sie nichts davon verstand. Die Hebamme war mit der Kaiserin und dem Neugeborenen verschwunden. Der Großfürst erschien wohl einen Augenblick am Bett der Wöchnerin, ging aber sofort wieder, um die Geburt des Kindes in einem Nebenzimmer sehr geräuschvoll beim Champagner im Kreise seiner Vertrauten zu feiern.
So lag die Großfürstin, schlimmer wie die geringste Bürgersfrau, auf ihrem Schmerzenslager, von aller Pflege entblößt. Endlich, nach drei Stunden, erschien die Gräfin Schuwaloff in großer Hoftoilette an ihrem Bett und ließ Katharina einige Hilfe zukommen. Aber weder an diesem noch am folgenden Tage ließ sich irgend jemand außer dieser Dame in Katharinas Zimmer blicken. Es war, als wenn sie nicht mehr existierte. Alles drehte sich um das kleine Wesen, dem sie das Leben gegeben. In ihm waren alle Hoffnungen und Wünsche vereint. Wie um Katharina für ihre Mühe zu bezahlen, schickte Elisabeth ihr am dritten Tage, nachdem der kleine Großfürst getauft war, auf einer goldenen Platte 100 000 Rubel und einige Schmucksachen. Die Brillanten waren mäßig, aber das Geld machte Katharina Freude, denn sie hatte wie immer Schulden. Sie sollte sich jedoch nicht lange an diesem Geschenk erfreuen, denn wenige Tage später erschien Tscherkasoff, der Sekretär der Kaiserin, bei der Großfürstin und bat sie dringend, ihm doch vorläufig das Geld wieder zurückzugeben. Ihre Majestät habe einen zweiten Ukas über die gleiche Summe erteilt, aber er habe augenblicklich keinen Kopeken in seiner Kasse. Peter war nämlich auf die 100 000 Rubel Katharinas neidisch gewesen und glaubte als vorgeblicher Vater des Thronerben dasselbe Recht auf ein solches Geschenk zu haben. Elisabeth konnte es ihm nicht verweigern, und so mußte Katharina einstweilen zurücktreten.
Vierzehn Tage nach der Geburt ihres Sohnes erhielt die Großfürstin die Nachricht, daß Saltikoff vom Hofe entfernt worden sei. Auch er hatte seine Pflicht getan, er konnte gehen, man brauchte ihn nicht mehr. Zwar hatte Elisabeth ihm den ehrenvollen Auftrag erteilt, dem schwedischen Hofe die Nachricht von der Geburt des Thronerben zu überbringen, aber in diesem Falle war es mehr eine Bestrafung als eine Auszeichnung. Er kehrte nicht wieder. Als er sich seines Auftrags erledigt hatte und nach Petersburg zurückkehren wollte, wurde ihm durch einen Kurier der Kaiserin mitgeteilt, daß er sich als Gesandter nach Hamburg zu begeben habe. Die Verbannung aus der Nähe der Geliebten war offenbar.
Katharina litt unter dieser Trennung. Es machte sich eine große Melancholie in ihrem sonst fröhlichen Wesen bemerkbar. Es wurde öde um sie. Die Mutterschaft konnte kein Glück in ihr auslösen; sie war in diesem Falle nur die Gebärerin eines zukünftigen Kaisers gewesen. Der Vater des Kindes hätte ebenso gut Andreas oder Zachar Tschernitscheff, Leo Narischkin, Sergius Saltikoff oder vielleicht auch Tschoglokoff heißen können. Man fragte danach nicht. So wurde die Mutterliebe Katharinas vor einer leeren Wiege, einer unerfüllten, unvollständigen Liebe, vor der Frivolität des Hoflebens im Keime erstickt. Die Frau des Genusses, die sie von Natur aus war, trieb die Sinnlichkeit in andere Arme, zu neuen Genüssen. Ihr Herz spielte dabei nicht immer eine Rolle, obgleich sie nie ganz ohne Gefühl in der Wahl ihrer Liebhaber handelte.
Sie bewahrte jedoch dem schönen Saltikoff noch eine Zeitlang ihre Neigung. Sie schrieb ihm oft und erhielt von ihm Briefe. Die Einsamkeit und die Entfernung schienen ihre Leidenschaft für ihn sogar noch zu vergrößern, aber sie kannte die Treue nicht. Die Gegenwart eines schönen Fremden, den ein Zufall nach Rußland führte, ließ sie den Geliebten vergessen. Und zum ersten Male in ihrem Leben ging ihre Liebe mit der Politik Hand in Hand.