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Ein zukünftiger König als Favorit

Fünftes Kapitel.
Politik und Liebe

Ehe der Mann erschien, der zum erstenmal nicht nur Katharinas Körper sondern auch ein wenig ihr Herz besessen, den sie aber vor allem für würdig hielt, später in ihre Politik zu verwickeln und auf die gleiche Stufe mit sich selbst zu stellen, indem sie ihm eine Krone verlieh, vergaß sie sich selbst nicht. Sie arbeitete beständig an der Kultur ihrer eigenen Persönlichkeit und suchte immer festeren Boden in Rußland zu fassen. Der Gedanke an den Thron verließ sie keinen Augenblick. Ihr klarer, scharfer Verstand ließ sie weiter sehen, als man es von einer so jungen Frau vermuten konnte. Sie entwickelte sich zu einer Persönlichkeit, einer Macht, mit der man zu rechnen hatte. Mit ungeheurer Geschicklichkeit hatte sie es verstanden, sich nach und nach am Hofe und im Ausland die einflußreichsten Bundesgenossen zu schaffen, und Männer wie Bestuschew, der im Anfang ihr Feind gewesen, waren überzeugt, daß Katharina und nicht Peter einst das Zepter führen werde. Der preußische Gesandte Mardefeld sagte es ihr direkt ins Gesicht, daß sie einmal die Zügel in ihren Händen halten werde, und viele andere in ihrer Umgebung bestärkten diese Ansicht. Den fremden Mächten blieb es nicht unbekannt, zu welcher Rolle sich die Großfürstin vorbereitete und daß sie allein am russischen Hofe eine Persönlichkeit war, mit der man zu rechnen hatte. Seit man wußte, daß der Gesundheitszustand der Kaiserin Elisabeth infolge ihres immer ungeregelteren Lebens sehr zu wünschen übrig ließ, betrachtete man die Großfürstin als den Mittelpunkt des russischen Hofes. Peter war eine abgetane Sache, er zählte nicht, gab sich auch keine Mühe, irgendwelchen Einfluß zu erlangen.

Im fortwährenden Studium ihrer Lage, in der Aufrechterhaltung ihrer eigenen Interessen und nicht zum wenigsten in der Wissenschaft und Literatur suchte Katharina Halt oder besser das Gleichgewicht ihres Ichs wieder herzustellen, das ohnedem im Strudel ihrer Leidenschaften und Sinnlichkeit untergegangen wäre. Nach der Geburt des Thronfolgers entstand infolge ihres körperlichen Zustandes an und für sich eine größere Ruhe und Einsamkeit. Saltikoff war nicht mehr am Hofe, die meisten der sie umgebenden Persönlichkeiten sagten ihrem Geiste nicht zu. Der Großfürst konnte ihr nichts sein; sie selbst entfernte sich immer weiter von ihm und ging ihren eigenen Weg. Peter war auch viel zu sehr beschäftigt mit einer neuen Liebe, denn er wechselte in dieser Beziehung noch öfter als Katharina. Diesmal war es die junge Gräfin Elisabeth Woronzoff, die Schwester der ihm später zum Verhängnis werdenden Fürstin Daschkoff Die Memoiren der Fürstin Daschkoff erschienen im gleichen Verlag unter dem Titel »Am Zarenhofe Katharinas II.«.. Katharina schloß sich in dieser Zeit aus Politik und Verstellung besonders den Schuwaloffs, den Vertrauten der Kaiserin, und den Rasumowskis an. Sie gehörten zur Partei, die den unfähigen Peter nach dem Ableben Elisabeths nicht auf dem Throne zu sehen wünschte, jedoch beabsichtigte, den kleinen Paul zum Zaren mit einer Regentschaft auszurufen. Katharina sah ein, daß es besser sei, sich diese Leute zu Freunden als zu Feinden zu machen. Im großen und ganzen lebte sie wieder viel mit ihren Büchern. Von neuem und mit tieferem Studium nahm sie die Lektüre von Montesquieus »De l'esprit des Lois« wieder auf, aus dem sie für ihre spätere Laufbahn manche gute Lehre zog, denn sie selbst verfaßte später ein Gesetzbuch nach ihrem Sinne. Es solle das Brevier eines jeden vernünftigen Herrschers sein, sagte sie einmal in bezug auf Montesquieus Werk, und sie selbst hat es sich in der Tat zur Richtschnur genommen. Mit Voltaire identifizierte sie sich jetzt geradezu. Später schloß sie sich noch den Ideen Diderots, d'Alemberts, Grimms und anderer an, vorläufig aber war sie ganz und gar dem großen Freidenker verschrieben, mit dem sie uns einen der interessantesten und liebenswürdigsten Briefwechsel hinterlassen hat. Überraschend ist es, daß ein so vollkommen beweglicher Geist wie Katharina weder die Dichtkunst noch die Musik liebte. Sie hörte zwar die Verse Ségurs und anderer in ihrer Güte an, aber sie drang niemals in ihre Schönheiten ein. Ebenso hat die Musik, selbst nicht die der größten Meister, niemals zu ihrem Herzen gesprochen. Sie ging nur zu einem Konzert, weil sie dann und wann dort erscheinen mußte. Im Theater ließ sie während der Zwischenakte stets das Orchester schweigen. Die einzige Musik; die sie liebte, war die Tanzmusik, und auch nur als Mittel zum Zweck. Der Tanz war ihr nicht Kunst sondern Sinnlichkeit. Allein hätte sie schwerlich Vergnügen gefunden zu tanzen, aber die Berührung mit dem Mann – darin lag für sie der Reiz, wenigstens so lange sie jung war.

Ihr Ehrgeiz wuchs mit den Jahren. Jetzt war sie bereits zehn Jahre in Rußland. Sie beherrschte die Sprache des Landes nahezu vollkommen und wurde täglich mehr mit den Sitten des Volkes bekannt, die sie bei jeder Gelegenheit zu beobachten suchte. Ihre Umgebung bestand fast nur aus Russen, mit Ausnahme von wenigen Ausländern. Ihre Russenvorliebe erstreckte sich sogar bis auf ihre Liebhaber, von denen nur Poniatowski und später Zoritzsch Fremde waren, der eine ein Pole, der andere ein Serbe, Slawen immerhin. Sie selbst wurde ganz Russin. Wie in prophetischer Voraussicht auf ihre zukünftige Geschichte bereitete sie sich selbst und ganz persönlich auf die Rolle vor, die ihr einst zufallen mußte.

Den Diplomaten der fremden Mächte erschien die kluge Großfürstin so bedeutend, daß sie sich bei schwierigen politischen Unterhandlungen meist zuerst im geheimen an sie wandten, die mehr Scharfsinn, Klugheit und Kenntnisse besaß als alle Staatsmänner der Kaiserin Elisabeth zusammen. Es gelang ihr oft ihre Ansichten und Entscheidungen auf irgendeine Weise bei der Zarin und ihren Ratgebern durchzusetzen, ohne daß sie merkten, daß sie im Grunde das befolgten, was Katharina entschieden hatte. Je mehr sie sich jedoch zu einer individuellen Macht entwickelte, desto gespannter wurde das Verhältnis zwischen ihr und Elisabeth, die ihr weder durch Geist, noch durch Kenntnisse, noch durch Charakterstärke imponieren konnte. Elisabeth brachte ihr das größte Mißtrauen entgegen und bewies im Verkehr mit der Großfürstin die größte Kleinlichkeit. Peter hatte schon längst das Vertrauen seiner Tante verloren, und es war zu wiederholten heftigen Auftritten zwischen ihr und ihm gekommen. Sie hatte ihm sogar gedroht, sie werde mit ihm so umgehen wie Peter der Große mit seinem Sohne Alexei verfahren sei, oder beide, ihn und Katharina, nach Deutschland zurückschicken. Es ist nicht zu viel gesagt, daß Peter schließlich von ihr in bezug auf seine Freiheit und seine Handlungen vollkommen abhängig und »wie ein in gelindem Arrest befindlicher Staatsgefangener behandelt« wurde. Also auch Elisabeth lag der Gedanke nicht fern, ihm den Thron zu verweigern und ihm seinem Sohne Paul zu geben.

Unter solchen Verhältnissen war es erklärlich, daß die kluge Großfürstin sich Verbindungen und Freunde zu schaffen suchte. Während Peter immer tiefer sank und seinen Verkehr auf Lakaien und Subalternoffiziere beschränkte, stieg seine Gattin immer höher und wurde bald der Mittelpunkt der politischen Bewegung. Die hervorragendsten Würdenträger der fremden Staaten suchten ihren Umgang, ihren Einfluß; man fühlte, daß ihr allein die Zukunft gehöre.

Im Jahre 1755 wurde der englische Gesandte Sir Charles Hanbury Williams an den Hof Elisabeths geschickt, um der Annäherung Rußlands an Frankreich entgegenzuwirken. In seiner Begleitung befand sich ein junger Pole, Stanislaus Poniatowski, als Gesandtschaftssekretär. Er war ein hübscher eleganter Mann, geistreich, heiter, ritterlich, ein glänzender Gesellschafter, ganz geeignet für einen Hof, wo Vergnügen und Feste die Hauptrolle zu spielen schienen. Das mußte besonders der etwas steife korrekte Sir Charles fühlen, dem seine Mission natürlich zu allererst am Herzen lag. Er sollte mit Elisabeth den Subsidienvertrag von 1742 erneuern und im Falle eines Kriegs mit Frankreich sich eines russischen Truppenkontingents versichern. Es war jedoch schwer, eine Unterhaltung in dieser Beziehung mit der vergnügungssüchtigen Elisabeth zu führen. Sie tanzte von einer Maskerade, von einem Ball zum andern und feierte Gelage, nach denen sie immer von einem halben Rausch betäubt war. Williams erkannte, daß er mit dieser wollüstigen und zugleich für alle Geschäfte trägen Kaiserin keine ernste politische Unterhandlung führen konnte. Er mußte seine Blicke nach einer anderen Seite lenken. Der diplomatische Spürsinn seiner Rasse sagte ihm sogleich, daß an dem jungen Hof nicht Peter sondern Katharina die Führende sei. Sie allein konnte ihm helfen. Er erschien daher häufig am Hofe des großfürstlichen Paares. Fast immer begleitete ihn der junge Poniatowski, den er in Dresden am Hofe des Königs von Polen kennen gelernt hatte und nun mit sich führte, um ihn in die diplomatische Karriere einzuweihen.

Poniatowski war damals 22 Jahre alt. An Schönheit konnte er zwar nicht mit dem starken gesunden Saltikoff konkurrieren, er besaß jedoch weit verführerischere Vorzüge. Er hatte jene, verfeinerte Kultur, die besonders die Polen sich in Frankreich so schnell aneignen. Und Stanislaus Poniatowski hatte eine gewisse Zeit jener geistvollen glänzenden Gesellschaft von Paris angehört, die ihren Zauber damals über ganz Europa verbreitete. Er war einer jener Jünglingsgestalten, wie sie Voltaire in seinen Werken beschrieb, ein »bel esprit« mit allen Vorzügen und Fehlern. Er verstand auch seine Talente und Fähigkeiten in das vorteilhafteste Licht zu setzen. Dazu war er einer der liebenswürdigsten, feinsten, diskretesten Männer, die sich Katharina je genähert hatten. Er besaß die Begeisterung, die Ideale und die Sentimentalität der Jugend, obgleich er durchaus nicht ohne Egoismus war. Im Gegenteil, er ließ seine eigenen Vorteile nie außer acht. Katharina, die fast die gleichen Eigenschaften, außer der Sentimentalität, besaß wie er, mußte sich für diesen jungen Menschen interessieren. Alle die Männer, die sie kannte, waren mit mehr oder weniger galanten Abenteuern, mit einer mehr oder weniger stürmischen Vergangenheit in ihre Arme gekommen; Stanislaus, sagte man, hatte noch kein Leben hinter sich, obgleich er längere Zeit in Paris verbracht hatte. Er war indes nicht der Mann, der den Unwissenden spielte. Wenn er auch keine Erfahrungen in Abenteuern mit Frauen hatte, so kannte er doch das Hofleben und vielleicht auch, aus natürlicher Anlage, die Frau, denn es ist nicht immer gesagt, daß ein Lebemann auch ein guter Frauenkenner sein muß. Poniatowski war von Katharina entzückt. Sie hatte sich nach ihrem ersten Kind zu einer entzückenden Frau entfaltet. Er hat uns von ihr ein begeistertes Bild hinterlassen, das vielleicht mit dem Auge der Liebe entstanden, das jedoch beweist, wie verführerisch die Schönheit der Großfürstin damals auf ihn wirkte. Sie war 25 Jahre alt.

»Zu jener Zeit«, sagt er, »war ihre Schönheit auf dem Gipfel der höchsten Entfaltung, wie sie jede Frau einmal erlebt, die Anspruch auf Schönheit machen kann. Ihr schwarzes Haar umrahmte ein blendend weißes Gesicht. Ihre Augenbrauen und sehr langen Wimpern waren schwarz, die Nase griechisch, ein Mund, wie zum Kusse geschaffen, Hände und Arme wunderschön: eine schlanke Figur, eher groß als klein, einen äußerst elastischen Gang und doch außerordentlich vornehm. Der Ton ihrer Stimme war angenehm und ihr Lachen ebenso fröhlich wie ihr ganzes Wesen, das sie die ausgelassensten und kindlichsten Spiele mittun ließ.«

Aber Poniatowski, obgleich nicht schüchtern, sondern in diesem Falle eher kühn und unternehmend, überlegte es sich eine Zeitlang, ob er sich der Großfürstin nähern solle. Er hatte zu viel von dem grausamen Geschick der Männer gehört, die sich der Gunst schöner Fürstinnen, besonders der russischen, erfreut hatten. Wie ein Gespenst erschien ihm Sibirien in der Ferne, Sibirien, wo so viele jungen Leute schmachteten oder geschmachtet hatten, nachdem sie aufgehört, ihren Gebieterinnen zu gefallen.

Es fand sich jedoch bald ein Vermittler. Bestuschew, der großes Interesse daran hatte, lieber einen Fremden um die immer mehr zu Einfluß gelangende Großfürstin zu sehen als den Russen Saltikoff, der inzwischen doch wieder nach Petersburg zurückgekehrt war, leitete die Annäherung ein. Er bediente sich dazu des zu allem tauglichen Leo Narischkins. Es gelang ihm gar bald, den jungen Polen zu überzeugen, daß Katharina weder eine Messalina noch eine Elisabeth von England, oder eine Marie von Schottland, oder eine Christine von Schweden sei. Sie verbannte auch nicht, wie die Kaiserin Katharina I. und Elisabeth ihre Liebhaber, nachdem sie ihre Schuldigkeit getan und sie ihr nicht mehr gefielen, nach Sibirien. Poniatowski sah nichts lieber, als die nähere Bekanntschaft der Großfürstin zu machen, es galt jedoch zuvor den wieder zurückgekehrten Saltikoff aus dem Felde zu schlagen. Saltikoffs Liebe war jedoch im Verbleichen begriffen. Er war nicht mehr der gleiche glühende Liebhaber. Andere Arme, andere Augen und Lippen veranlaßten ihn die Liebesstunden mit der Großfürstin so kurz wie möglich zu gestalten. Eines Nachts wartete Katharina bis 3 Uhr morgens vergebens auf ihn.

Poniatowski, der Ritterliche, Galante hätte nie eine schöne Frau warten lassen. Eines Tages wurde er mit einem verheißenden Blick, einem liebenswürdigen Lächeln, ein paar angenehmen Worten ausgezeichnet. Jetzt war es an ihm, sein Glück entweder mit beiden Händen zu erfassen oder es sich für immer entgehen zu lassen. Er riß es kühn an sich, und bald war es für die ganze Umgebung Katharinas kein Geheimnis mehr, daß er der Glücklich-Erwählte war. Er ging bei ihr aus und ein wie ein guter Bekannter. Zu jener Zeit befand sich der schwedische Gesandte Graf Horn am Hofe von Petersburg. Er war ein intimer Freund Poniatowskis und wurde auch zu dem engeren Gesellschaftskreise der Großfürstin zugelassen. Als er eines Tages den Salon Katharinas betrat, kam ihm ihr kleines Bologneserhündchen kläffend entgegen und zwickte ihn ins Bein. Dasselbe tat es mit jedem anderen Besucher, der eintrat. Plötzlich erschien Poniatowski. Diesmal aber bellte das Hündchen nicht, sondern ging wedelnd und freudig auf ihn zu. Horn, ein feiner Beobachter, lächelte und sagte zu Poniatowski: »Mein Freund, es gibt nichts gefährlicheres als ein Bologneserhündchen. Das erste, was ich stets mit den Frauen getan habe, die ich liebte, war, ihnen einen solchen Hund zu schenken. Durch diese Tiere erfuhr ich stets, ob es jemand gab, der mehr begünstigt war als ich.«

Der englische Gesandte Williams hatte also einen mächtigen Fürsprecher neben Katharina, denn Poniatowski gewann immer mehr Einfluß über sie. Aber Williams wäre kein Engländer gewesen, wenn er nicht mit dem Golde seiner Regierung geklappert hätte. Und auch Großfürstinnen sind für die gleißende Schönheit dieses Bestechungsartikels empfänglich. Ihr ganzes Leben lang brauchte Katharina ungeheure Summen für ihren persönlichen Bedarf: später genügten ihr kaum die ungeheuren Schätze ihres großen Reichs. Als Großfürstin wurde sie von Elisabeth verhältnismäßig knapp gehalten und hatte beständig Schulden. Außerdem glaubte sie dem englischen Gesandten nur nützen zu können, wenn sie Geld in Händen hätte, da es ihr nicht darauf ankam, selbst die Kammermädchen der Kaiserin zu bestechen. Auf diese Weise flossen ungefähr 44 000 Rubel englischen Geldes in die Hände Katharinas. Sie stellte sogar einen Empfangsschein darüber aus und verpfändete ihr Ehrenwort, alles später wieder zurückerstatten zu wollen. In der Tat wurde im Jahre 1764 ihr Minister Panin damit beauftragt, diese Angelegenheit mit dem englischen Gesandten Buckingham zu regeln, aber England ging darüber zartfühlend hinweg.

Katharina war bald in den Händen der drei Männer, Williams, Bestuschew und Poniatowski, von denen natürlich der letztgenannte die meiste Gewalt über sie hatte. Die Liebe ging mit der Politik, die ihr so streng verboten war, Hand in Hand. Trotz allem glückte die Mission Williams nicht, und er war gezwungen, 1759 Rußland zu verlassen. Aber Katharina verpfändete ihm in einem Schreiben vom 19. August 1759 ihr Wort, daß sie alles tun werde, für das Bündnis zwischen Rußland und England zu wirken. Stets werde sie der persönlichen Verpflichtungen eingedenk sein, die sie dem Könige gegenüber habe. Und sehr vielsagend waren die Schlußworte des Briefes. Sie schrieb, sie wünsche nichts so sehr, als daß es ihr dereinst möglich sein werde, Williams im Triumphe wieder nach Rußland zurückkehren zu sehen. So setzte sie sich durch ihr geheimes Einverständnis mit den verschiedensten Personen über politische Dinge der größten Gefahr aus. Was sie nicht tat, tat Bestuschew oder Poniatowski; alle drei arbeiteten sich in die Hände.

Am Hofe merkte man gar bald, welchen Einfluss der junge Pole auf Katharina gewann. Elisabeth kümmerte sich wenig um die Ehre der Großfürstin; im allgemeinen zeigte sie sich gegen die Sitten der anderen ebensowenig streng wie gegen sich selbst, aber sie ließ sich stark von ihrer Umgebung beeinflussen. Poniatowski erhielt eines Tages den Befehl, Rußland sofort zu verlassen. Aber schon hatte Katharina sich in dem Kanzler Bestuschew, wie wir gesehen haben, einen mächtigen Freund geschaffen. Er gab ihr den Geliebten zurück, denn noch übte Bestuschew seinen ganzen Einfluß auf die Kaiserin Elisabeth aus. Nach einer Abwesenheit von nur drei Monaten erschien Stanislaus von neuem am russischen Hofe und zwar mit einer Würde, die ihm sowohl Ansehen als auch bedeutenden Einfluß verlieh. Er kam als Gesandter des Königs Augusts III. von Polen, und seine Brust schmückte der weiße Adlerorden. Auch das war Bestuschews Werk. Er brauchte Poniatowski ebenso wie Katharina. Durch seinen Freund, den Grafen Brühl, Minister des Königs von Polen und Kurfürsten von Sachsen, war es ihm ein leichtes gewesen, diese Gunst für seinen Schützling zu erwirken.

Wiederum spielten die Goldklumpen eine Rolle. Brühl wußte, daß die russische Großfürstin und ihr Gemahl beständig in Geldverlegenheit waren, weil Elisabeth lieber ihre Reichtümer an ihre Favoriten vergeudete und in prachtstrotzenden Festen und kostspieligen Orgien verpraßte. Er übergab daher dem jungen Gesandten 6000 Dukaten, die er, wenn sich die Gelegenheit böte, vor allem dem Großfürsten nach und nach leihen solle, um sich auch ihn zum Freunde zu machen. Poniatowski wünschte nichts lieber als das, denn der Großfürst als Feind hätte ihm doch eines Tages gefährlich werden können. Er hatte dabei noch seine eigenen materiellen Interessen im Auge, denn er war nicht nur verliebt, sondern auch ehrgeizig. Ein Mann mit seinem Geist und seinen Fähigkeiten hatte leichtes Spiel an einem Hofe wie dem russischen. Die Kaiserin Elisabeth lag entweder stundenlang vor den Heiligenbildern auf den Knien oder war mit ihrem Tand beschäftigt oder feierte Feste. Sie fiel von einem Extrem ins andere, huldigte einmal bis zum Übermaß ihren Ausschweifungen, ein andermal ihrer Frömmigkeit. Nach gewissen sinnlichen Exzessen mußte man sie halb betrunken ins Bett bringen, und sie litt es nicht einmal, daß man sie entkleidete. Ihre Kammerfrauen schnitten ihr einfach die Kleider auf oder legten sie wie sie war ins Bett, wo sie manchmal in den Armen eines jungen Athleten neue Kräfte gewann. Eine so unregelmäßige Lebensweise hatte zur Folge, daß sie oft in Krämpfe verfiel und kränkelte. Mehr wie je richteten sich die Blicke der Partei Katharinas auf einen möglicherweise nahe bevorstehenden Thronwechsel, und es entspann sich eine Art Verschwörung, in der der Kanzler Bestuschew die Hauptrolle spielte. Durch Poniatowski schickte er Katharina ein von ihm verfaßtes Manifest, in welchem er seine Absichten im Falle des Todes der Kaiserin kundtat. Der Großfürst Paul solle zum rechtmäßigen Kaiser ausgerufen, Katharina zur Teilnehmerin an der Regierung erklärt werden. Für sich beanspruchte Bestuschew die Stelle eines Generalleutnants über vier Garderegimenter und die Präsidentschaft der drei Reichskollegien: des Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten, des Kriegsministeriums und der Admiralität. Katharina widersprach diesem Plane nicht, sondern ließ dem Kanzler durch ihren Geliebten für seine guten Absichten danken. Sie fügte nur hinzu, sie halte deren Ausführung für schwierig. Ein halbes Jahr zuvor, im August 1757, hatte sie in Gemeinschaft mit Bestuschew den Rückzug des Feldmarschalls Apraxin, nach der Schlacht von Groß-Jägerndorf, veranlaßt, weil sie im Falle des Todes der Kaiserin eventuell eines Teiles der Armee bedurfte. Kurz, sie wurde immer kühner in ihren politischen Entwürfen, und es hätte nicht viel gefehlt, so wäre sie in den Abgrund dieser politischen Intrigen versunken. Glücklicherweise traf der Donnerschlag nur Bestuschew. Er wurde gestürzt. Der Vizekanzler Woronzoff, der Onkel der Geliebten Peters, schwärzte ihn bei der Kaiserin an, und diese ließ Bestuschew im Februar 1758 verhaften und nach Sibirien verbannen.

Katharina erfuhr die Nachricht von der Verhaftung Bestuschews durch einen Brief Poniatowskis. Sie war wie vom Donner gerührt, hatte indes soviel Geistesgegenwart, daß sie alle kompromittierenden Papiere verbrannte und an diesem Tage ruhig, und als wenn sie von nichts wüßte, in der Öffentlichkeit erschien. In dieser für sie sehr gefährlichen Krise zeigte sie eine bewunderungswerte Charakterfestigkeit, die sie auch wirklich aus allem siegreich hervorgehen ließ. Elisabeth konnte ihr nichts wahrhaft Nachteiliges nachweisen; sie bewies Katharina ihre Ungnade nur dadurch, daß sie wochenlang nicht vor ihr erscheinen durfte.

Bald waren auch diese bangen Stunden überwunden, und Katharinas heiteres Gemüt trug den Sieg davon. Poniatowski verstand es immer mehr, sich Katharinas Herz und Sinne zu gewinnen. Er war Tag und Nacht bei ihr. Die sinnliche Frau konnte nicht mehr ohne ihn leben. Peter hatte jetzt die Gräfin Woronzoff, Frau Tepploff und eine junge deutsche Tänzerin, die er unterhielt. Also genug der Ablenkung. Die Großfürstin konnte in ihren Gemächern tun und lassen was sie wollte. Leo Narischkin verhalf ihr gelegentlich auch zu einem nächtlichen Besuch bei seiner Schwägerin, wo manches Stelldichein mit Poniatowski stattfand. Katharina liebte derartige Abenteuer außerordentlich, besonders wenn sie sich als Mann verkleiden konnte.

Eines Tages aber kam der Großfürst doch auf die Idee, daß nicht nur die Liebe die nächtlichen Zusammenkünfte Katharinas und Poniatowskis zusammenführe. Er hatte Angst um sein Leben, das er bedroht glaubte. In einer warmen Julinacht des Jahres 1758, als schon der Morgen graute, verließ Poniatowski in einer Verkleidung den Flügel des Schlosses, den die Großfürstin bewohnte. Plötzlich wurde er von einem Pikett Soldaten, die Peter wie in Kriegszeiten vor seiner Residenz Wache stehen ließ, verhaftet und zum Großfürsten geführt. Peter wollte wissen, ob sich sein Verdacht in bezug auf Katharina bestätigte, und ob ihre Zusammenkünfte was anderes bezweckten als nur die Galanterie. Poniatowski gab sehr geschickte Antworten, die keinen kompromittierten, und Peter konnte nicht anders, als ihn wieder frei lassen. Aber beinahe hätte Poniatowski seine Unvorsichtigkeit teuer bezahlen müssen, und das Mißtrauen Peters war noch nicht geschwunden. Der gewandte Pole suchte daher mehr wie je die Freundschaft des Großfürsten zu gewinnen. Wie hätte er das besser gekonnt, als durch die einflußreichste Geliebte des Großfürsten? Elisabeth Woronzoff war ein eitles Mädchen, das am liebsten die Rolle einer Pompadour gespielt hätte, ohne jedoch deren Geist zu besitzen. Auch war Peter kein Ludwig XV. Immerhin fühlte die Gräfin sich schon ungeheuer geschmeichelt, kleinere Gunstbezeigungen zu erweisen. Als schlauer Diplomat wandte Poniatowski sich an sie: »Es wäre Ihnen ein leichtes, Gräfin, alle Welt glücklich zu machen«, flüsterte er ihr bei einem Hofball, als er mit ihr tanzte, ins Ohr. Die Gräfin war glückselig und stolz, als Gönnerin auftreten zu können. Noch am selben Tage sprach sie mit Peter über Poniatowski und führte diesen, oder zog ihn vielmehr in das Zimmer des Großfürsten.

Gutmütig und wenig intelligent wie Peter war, empfing er ihn gleich mit versöhnenden Worten: »Bist du nicht ein großer Dummkopf, daß du solange gezögert hast, mich zum Vertrauten zu machen?« rief er. Darauf erklärte er ihm, er sei durchaus nicht eifersüchtig und gönne ihm sein Glück. Die Wachen, die er um Oranienbaum aufgestellt habe, bezögen sich nur auf die Sicherheit seines Lebens. Von nun an könne er aus- und eingehen, wenn er wolle, er, der Großfürst, würde seine diesbezüglichen Befehle geben. Am liebsten hätte er Poniatowski in seine Arme geschlossen, besonders weil der Schlaue seine Soldaten so sehr gelobt hatte, die eine so große Geschicklichkeit bei seiner Verhaftung bewiesen hätten. Peter war selig. »Da wir nun gute Freunde sind«, rief er, »so fehlt nur noch jemand«. – »Und darauf«, erzählt Poniatowski selbst, »begab er sich rasch in das Zimmer seiner Frau, zerrte sie aus dem Bett, ließ ihr nicht einmal Zeit, sich Strümpfe und Schuhe anzuziehen oder einen Morgenrock überzuwerfen. In ganz nächtlichem Kostüm führte er sie herein mit den Worten: »Nun, da ist sie. Ich hoffe, ihr seid zufrieden mit mir«. Vorher hatte er noch zu seinem neuen Freund gesagt: »Bleiben Sie doch, essen Sie zu Nacht mit mir. Sie wissen ja, ich habe auch eine Geliebte.« Darauf blieben alle vier in der größten Fröhlichkeit zusammen, man aß und trank und scherzte, und es wurde vier Uhr morgens, als man sich trennte. So ging es viele Wochen lang fort. Jeden Abend kam Poniatowski nach Oranienbaum, um die Geliebte zu besuchen. Durch eine geheime Treppe gelangte er zu ihr. In ihren Gemächern waren bereits der Großfürst und Fräulein Woronzoff, die immer stark mit ihm rauchte und trank. Gemeinschaftlich nahm man das Abendessen ein, worauf sich der Großfürst mit seiner Geliebten meist lachend entfernte und sagte: »Gute Nacht, Kinder, jetzt braucht ihr mich nicht mehr.« Und Stanislaus blieb bei Katharina, solange er wollte.

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Stanislaus August Poniatokski
Nach einem Gemälde von Angelika Kaufmann

Katharina war schon lange nicht mehr die von allen Seiten Bewachte, Eingeschlossene. Sie hatte es verstanden, sich sogar aus ihren Wächtern Freunde zu bilden. Auf alle, die sie umgaben, übte sie ihren bestrickenden Einfluß aus. Die Männer zog sie wegen ihrer großen Sinnlichkeit oder auch ihrer geistigen Fähigkeiten an; die Frauen gewann sie durch ihre unaussprechliche Güte und Liebenswürdigkeit. Ferner lag etwas in ihrem Wesen, das die höchste Ehrfurcht und Achtung, ja vielleicht sogar eine scheue Furcht einflößte. Der Chevalier d'Eon sagte von ihr: »Die Großfürstin ist romantisch, kühn, leidenschaftlich. Sie hat glänzende Augen, einen fesselnden, durchdringenden Blick, fast den Blick eines wilden Tieres. Ihre Stirn ist hoch … Sie ist liebenswürdig und entgegenkommend. Wenn sie sich mir aber nähert, weiche ich unwillkürlich einen Schritt zurück – sie flößt mir Furcht ein.«

Katharina faszinierte unstreitbar ihre ganze Umgebung. Selbst auf Peter war sie nicht ganz ohne Einfluß. In der richtigen Erkenntnis hatte er ihr schon früher die Handhabung seiner holsteinischen Angelegenheiten übergeben, seit Bestuschews Verhaftung jedoch war ihr dieser Anteil an den politischen Angelegenheiten ihres Mannes entgangen. Man hatte Peter zu verstehen gegeben, es sei der Kaiserin nicht angenehm, wenn sich Katharina in diese Sachen mische, und da er ein schwacher furchtsamer Charakter war, ließ er sich bestimmen. Trotz allem aber brauchte er Katharina als Ratgeberin. Bei jeder Gelegenheit kam er zu ihr, um von ihr, die alles wußte, Rat zu holen. Sonst freilich suchte er ihre Gesellschaft nicht. Nicht die Frau in Katharina wirkte auf ihn sondern die Überlegenheit ihres Wesens. Es hatte jedoch keinerlei Einfluß auf seinen eigenen Charakter. Mit der Zeit nahmen seine bizarren Gewohnheiten, seine Laster immer mehr zu. Er betrank sich oft in so unsinniger Weise, daß er nicht mehr aufrecht stehen konnte, die rohesten Reden führte und Katharina, die mit ihm das Schlafzimmer teilen mußte, aufs widerwärtigste belästigte. Im Rausch, mit rotunterlaufenen Augen, erzählte er ihr oft die ganze Nacht von seinen Erfolgen bei der verwachsenen häßlichen Prinzessin von Kurland oder der blatternarbigen Gräfin Woronzoff oder von sonst einer Schönen. Tat Katharina, als wenn sie schliefe, so stieß er sie roh in die Seite, knuffte und schrie solange, bis sie endlich die Augen öffnete und zuhörte. Es kam Katharina jedoch gar nicht in den Sinn unter irgend einem Vorwand ihren greulichen Mann so weit zu bringen, daß er sein Schlafgemach von dem ihrigen trennte. Sie schliefen sogar in einem Bett; es war die Tradition. Katharina war die Frau des Großfürsten und mußte es äußerlich bleiben. Elisabeth hätte sich dieser Änderung der ehelichen Gewohnheiten zu sehr widersetzt.

Auch ihr wurde übrigens der Skandal mit Poniatowski ein wenig zu bunt, obgleich sie selbst starke Dosen in dieser Beziehung vertragen konnte. Katharina jedoch machte, was sie wollte. Der junge Hof lebte in einer Unordnung der Verhältnisse, die unbeschreiblich war, und die wohl nur unter russischen Umständen möglich ist. Ende des Jahres 1758 brachte die Großfürstin ein Mädchen, die kleine Großfürstin Anna zur Welt. Jedermann wußte und machte gar kein Geheimnis daraus, daß Poniatowski der Vater war. In seiner dummkomischen Art platzte der Großfürst bei dieser Gelegenheit eines Tages vor vollbesetzter Tafel in die Worte heraus: »Weiß der Himmel, wo sie die Kinder hernimmt. Ich habe keine Ahnung, daß dieses Kind das meinige ist.« Natürlich wurde diese Rede prompt von Leo Narischkin der Großfürstin hinterbracht, die noch zu Bett lag. Katharina lachte und schickte Narischkin sogleich wieder zum Großfürsten mit dem Auftrage, er möchte ihm unter Eid versichern, daß die Großfürstin Anna sein Kind sei. Dann solle Narischkin mit dieser Nachricht zum »Großinquisitor des Reichs« gehen, damit er beruhigt sei. Damit meinte sie den Grafen Alexander Schuwaloff, den Leiter der Geheimen Kanzlei Elisabeths. Auf diese Weise verstand Katharina es, sich Respekt zu verschaffen und ihren guten Ruf wenigstens äußerlich zu wahren. Die kleine Prinzessin Anna starb übrigens im April 1759, wenige Monate nach der Geburt. Als sie zur Welt kam, hatte der Großfürst sich auch noch in anderer Weise in seiner ganzen Seltsamkeit gezeigt. In der Nacht gegen ½ 2 Uhr fühlte Katharina die ersten Wehen. Sofort zog Peter seine holsteinische Galauniform, hohe Reitstiefel mit Sporen an. Die Schärpe um den Leib und einen ungeheuren Säbel an der Seite, erschien er nach einiger Zeit am Bett Katharinas. Als sie ihn fragte, was das zu bedeuten habe, sagte er, und dabei konnte er sich vor Betrunkenheit kaum auf den Füßen halten, nur in solchen Gelegenheiten erkenne man seine wahren Freunde. In dieser Kleidung sei er bereit, nach seiner Pflicht zu handeln, und die Pflicht eines holsteinischen Offiziers sei gemäß seines Eides, das großfürstliche Haus gegen alle seine Feinde zu verteidigen. Und da er seine Frau allein glaubte, wäre er zu ihrer Hilfe herbeigeeilt.

Nach Katharinas Niederkunft fing das tolle Leben von neuem an. Jetzt aber genügten ihr nicht mehr die Nächte, sondern es wurden auch die Tage dazu genommen. Sie war dermaßen kühn geworden, daß sie nicht einmal mehr die Kaiserin fürchtete. Ihre intime und auch politische Partei wurde von Tag zu Tag größer. Es gelang ihr sogar die Liebhaber und Günstlinge Elisabeths auf ihre Seite zu ziehen. Der neue Favorit Iwan Schuwaloff machte der koketten Großfürstin auffallend den Hof. Elisabeth hatte Grund, Katharina zu fürchten. Es schien auch so, denn sie sagte immer weniger und ließ dem jungen Hof immer größere Freiheit. Übrigens gab es keine Frau, die es besser verstanden hätte, wie Katharina, stets neue Streiche zu erfinden, um ihre Aufpasser zu täuschen.

Unter dem Vorwande, daß sie nachts in ihrem Zimmer friere, hatte sie sich mit Hilfe von mehreren Wandschirmen eine Art intimes Kabinett geschaffen. Es war ein kleiner Raum in der Nähe ihres großen, mit seidenen Vorhängen garnierten Bettes. Dorthin hatte sie bequeme Sessel und Tische schaffen lassen und empfing die Gäste, die von andern nicht gesehen werden sollten. Von außen sah diese Verbarrikadierung wirklich aus, als wolle man damit die Zugluft von dem Bett der Großfürstin abhalten, denn sie verdeckte das Fenster vollständig. Trat jemand ins Zimmer und fragte, was das bedeute, so sagte sie, der Nachtstuhl stehe dahinter, eine Antwort, die eben nur Katharina geben konnte. In diesem kleinen Raum veranstaltete sie die lustigen »Gesellschaften«. Graf Poniatowski kam meist mit einer blonden Perücke zu ihr. Hielt ihn irgend ein Aufpasser der Kaiserin an und fragte, wer er sei, was er wolle, so antwortete er: »Der Musiker des Großfürsten«. Und man ließ ihn gehen. Dann erschien der unvermeidliche Narischkin, seine Schwägerin, Madame Sieniawin, Ismailof und mancher andere, der geneigt war, einige tolle Stunden zu verbringen. Denn nirgends amüsierte man sich besser als bei der Großfürstin. Sie lag meist im Bett, konnte aber durch einen zurückgezogenen Vorhang und einen beiseite geschobenen Wandschirm von ihrem Lager aus die ganze Gesellschaft ausgezeichnet unterhalten. Wurde der Graf Schuwaloff oder ein anderer gemeldet, der im Auftrage der Kaiserin kam, um irgend etwas auszurichten, im Grunde aber nur spionieren wollte, so wurde schnell der Vorhang zugezogen, die Wand vorgeschoben, und der Betreffende verließ die Großfürstin in der festen Überzeugung, daß er sie allein gefunden habe. Sobald er aber fort war, ging das Lachen, Schmausen und Feiern los. Katharina läutete – natürlich bei geschlossenem Vorhang und Wandschirm – ihrem Diener und erklärte, sie habe einen Hunger für vier. Sie ließ sich ungeheure Platten Fleisch, Früchte und allerlei Leckerbissen bringen. Die Diener staunten über den gesegneten Appetit ihrer Herrin, und Katharina weidete sich an ihren vor Erstaunen immer größer werdenden Augen.

Natürlich war ihre nächste Umgebung nicht besser als sie selbst. Die Ehren- und Hoffräulein waren gelehrige Schülerinnen sowohl Elisabeths wie der Großfürstin. Auch sie empfingen öfters tägliche wie nächtliche Besucher. Zwar mußten ihre Ritter immer erst eine gewisse Prüfung bestehen, ehe sie zu den Schönen gelangten, aber sie war verhältnismäßig leicht zu überwinden. Die Gemächer der jungen Ehrenfräulein waren entweder von der Hofmeisterin Madame Schmidt oder der Prinzessin von Kurland bewacht, das heißt, man mußte erst die Zimmer dieser Damen durchschreiten, ehe man zu denen der Hoffräulein gelangte. Madame Schmidt war kein allzu furchtbarer Zerberus. Sie hatte nachts fast immer Magenbeschwerden, weil sie am Tage den Freuden der Tafel zu sehr huldigte. Sie war also nicht gefährlich, weil sie fast nie in ihrem Zimmer war. Für die Prinzessin von Kurland genügte es, wenn der Betreffende ihr selbst einige Galanterien erwies, um den Weg frei zu bekommen.

So war der junge Hof Rußlands zur Zeit als Poniatowskis Stern leuchtete.

Aber auch für ihn, den Zärtlichen, Leidenschaftlichen, kam eine Zeit, da er Katharina gleichgültiger wurde. Als er schließlich doch den Hof verlassen mußte, weil die Vertraulichkeiten mit der Großfürstin zu öffentlich geschahen, sah ihn Katharina vielleicht nicht einmal ungern scheiden. Sie liebte das Neue. Poniatowski tat alles, um in der Nähe der Geliebten zu bleiben. Er stellte sich krank, legte sich ins Bett, ging tagsüber keinen Schritt aus seinem Hause, nachts aber war er bei der Großfürstin. Lange Zeit gelang ihm diese Verstellung der Kaiserin Elisabeth und ihren Ratgebern gegenüber. Endlich aber schlug auch für ihn die Stunde. Er wurde an den Hof von Warschau zurückgeschickt und sollte erst wieder nach Rußland zurückkehren mit einer. Königskrone auf dem Haupte, die er der einstigen Geliebten verdankte. Diese Krone aber brachte ihm mehr Unglück als Glück.

* * *

Nicht umsonst hat Katharina einst zum Marquis de l'Hôpital gesagt: »Ich bin die kühnste Frau in Rußland!« Sie war auch die abenteuerlichste. Ihr ganzes Leben lang liebte sie Abenteuer und verschmähte auch nicht die Abenteurer. Sie mußten es nur auf irgendeine originelle oder auch nur schlaue Weise verstehen, sich ihr zu nähern. Stanislaus Poniatowski wurde vergessen wie Andreas und Zachar Tschernitscheff, wie Sergius Saltikoff und andere. Manche Lücke war auch in ihrer sonstigen Umgebung entstanden, und durch ihre Teilnahme an den politischen Angelegenheiten mit Bestuschew, Apraxin, usw. hatte das Damoklesschwert dicht über ihrem Haupte geschwebt. Es hätte nicht viel gefehlt, so wäre auch sie eines Tages wie der allmächtige Kanzler vom russischen Hofe verschwunden und wenn auch nicht nach Sibirien, so doch nach Deutschland geschickt worden. Aber Katharina wußte sich bereits ihre Stellung zu wahren. Ihre Klugheit und Geschicklichkeit, die Festigkeit mit der sie auftrat, machten nicht allein ihre Lage erträglicher, sondern halfen ihr aus allen Intrigen als Siegerin hervorzugehen. Sie war es, die bereits am Hofe zu herrschen begann. »Die Furcht, die alle Gemüter dieser vom Despotismus befallenen Nation beherrscht«, schrieb der Marquis de l'Hôpital, »verschaffte der Großfürstin als Stütze und Halt alle Großen des Reichs und die vertrautesten Damen der Kaiserin; sie kabalieren zu ihren Gunsten. Der Günstling und Kammerherr Schuwaloff stellt sich mit seinem Vetter Peter Schuwaloff an die Spitze dieser Partei. Nur der Graf Woronzoff und Herr Alsufief bleiben ihrer Herrscherin treu. Alle übrigen sind eingeschüchtert, feige und gemein und verdecken ihre Falschheit mit der Achtung, die sie der Großfürstin schuldig sind. Sie geben sich dazu her, allen ihren Wünschen nachzukommen und sie von allem zu unterrichten, was Ihre Majestät die Kaiserin denkt, tut und beabsichtigt.

Peter hatte die meiste Angst vor seiner klugen Frau. Ihm wäre nichts lieber gewesen, als wenn man Katharina vom Hofe entfernt hätte. Bei jeder Gelegenheit suchte er sie bei Elisabeth zu verklagen und zu verklatschen. Und obgleich die Kaiserin auf die Großfürstin nicht gut zu sprechen war, trug Katharina doch immer den Sieg über sie und ihren Mann davon, sei es durch Tränen und Demut, oder durch ihre stolze unnahbare Haltung. Elisabeth war von Natur aus zaghaft. Es kostete sie stets eine gewisse Überwindung, eine Szene herbeizuführen. Oft vergingen Wochen, ehe sie sich dazu entschloß und ihr ganzer Zorn ausbrach. Sobald sie aber vor Katharina stand, wurde sie verlegen; man merkte es ihr an, sie mußte große Anstrengungen machen, um die richtigen Worte zu finden. Seit der Affäre mit Bestuschew und Apraxin waren viele Wochen vergangen, daß die Großfürstin nicht vor ihr erscheinen durfte. Katharina hatte ihr in einem Briefe ihre ganze Lage auseinandergesetzt und sie demütig gebeten, sie nach Deutschland zu ihren Verwandten zurückzusenden. Es ist jedoch stark zu bezweifeln, daß sie ihre Entfernung für möglich hielt. Sie kannte Elisabeth und wußte, daß wenn sie es selbst verlangte, die Kaiserin es gewiß nicht tun würde. Die Unterredung, um die sie Elisabeth gebeten, wurde ihr aber erst lange Zeit später gewährt.

Katharina war jedoch eine viel zu gute Diplomatin als daß sie nicht sofort begriffen hätte, daß eine wenigstens äußerliche Versöhnung mit der Kaiserin so schnell wie möglich vonnöten wäre. Ihr Beichtvater gab ihr den Rat, sich gefährlich krank zu stellen. Sie war eine so vorzügliche Schauspielerin, daß ihr das nicht schwer fiel. Alexander Schuwaloff ließ sofort die Ärzte rufen. Aber die Großfürstin schien so schwach, daß sie nur noch nach geistlicher Hilfe verlangte. Stets wußte Katharina durch die Religion auf die fromme Elisabeth zu wirken. Der Beichtvater, der mit ihr im Bunde war, kam und blieb eine Weile allein mit ihr. Dann begab er sich zur Kaiserin und sagte ihr, Kummer und Leid hätten die Großfürstin so krank gemacht, daß sie daran zugrunde gehen würde, wenn man nicht bald ein Mittel fände, sie aus diesem furchtbaren Zustande zu befreien.

Schon in derselben Nacht gewährte Elisabeth ihr eine Unterredung im Beisein Peters und Alexander Schuwaloffs. Der Großfürst hatte bereits gefrohlockt, daß seine Gemahlin lebensgefährlich krank sei. Er hatte die Absicht ausgedrückt, daß er, wenn sie sterben würde, die Gräfin Woronzoff heiraten wolle. Aber er machte die Rechnung ohne den Wirt, obgleich es im Anfang der Unterredung mit der Zarin so aussah, als solle er triumphieren. Katharina warf sich der Kaiserin zu Füßen und bat sie, sie möge sie nach Deutschland zurückkehren lassen, da sie doch nicht mehr ihr Vertrauen besitze. Vor den Tränen, der Bescheidenheit und Würde Katharinas war Elisabeth machtlos. Sie hieß sie sich erheben und sagte: »Gott ist mein Zeuge, wie viel ich geweint habe, als Sie nach Ihrer Ankunft in Rußland todkrank waren. Hätte ich Sie nicht geliebt, ich würde Sie nicht hier behalten haben.« In Katharinas Augen blitzte es auf; sie merkte, sie hatte gewonnen. Als Elisabeth ihr den Vorwurf machte, sie sei ungeheuer stolz, ihr Hals sei so steif, daß sie abends bei Hofe kaum grüßen könne, spielte Katharina die Bescheidene, Unschuldige und sagte, sie sei ohne Frage viel zu dumm, um die Ehre zu begreifen, wenn die Kaiserin geruhe, den Blick auf ihre unbedeutende Persönlichkeit zu richten. Elisabeth merkte die Ironie nicht, aber sie sah den Tigerblick in Katharinas Augen, jenen Blick, vor dem schon manche gezittert hatten, sogar Männer. Die Kaiserin wich unwillkürlich einen Schritt zurück und ging in die andere Ecke des Saales, um mit dem Großfürsten zu sprechen, der alles mögliche Schlechte von seiner Frau berichtete. Aber Elisabeth hatte noch immer den Blick Katharinas in Erinnerung. Sie verabschiedete beide so schnell wie möglich und schenkte den Klagen des Großfürsten gar kein Gehör. Schließlich kam es eines Tages so weit, daß sie an ihrem Neffen größere Fehler entdeckte als an Katharina, und daß Peter verlangte, nach Deutschland zurückzukehren. Aber auch er blieb. Sein Schicksal sollte sich in Rußland erfüllen.

In Wirklichkeit war es nur ein Scheinfriede, der zwischen dem großen und kleinen Hofe zustande kam. Die Kaiserin Elisabeth war weder mehr dem Großfürsten noch der Großfürstin geneigt und hatte in den letzten drei Jahren vor ihrem Tode fast gar keinen Umgang mit beiden. Sie hielt Katharina für eine Intrigantin und Peter für einen Einfaltspinsel. Für die Großfürstin war diese äußerliche Aussöhnung mit der Kaiserin immerhin ein Sieg, denn die Hauptgefahr war von ihr abgewendet. Mehr verlangte sie vorläufig nicht. Sie gewann neues Leben, neuen Mut.

Katharina stand in der höchsten Blüte ihres Alters. Sie war 29 Jahre alt und hatte sich als Frau und als Mensch herrlich entwickelt. Aber auch ihre sinnliche Veranlagung hatte einen Grad erreicht, der bei Frauen zur verderblichsten aller Leidenschaften werden kann. Im Frühjahr 1759 entflammte sie aufs neue für einen schönen, beinahe riesenhaften Mann.

Am 25. August 1758 war der Graf Schwerin, der Adjutant des Königs von Preußen, in der Schlacht bei Zorndorf gefangen genommen und nach Petersburg gebracht worden. Mit seiner Bewachung waren zwei russische Offiziere beauftragt, von denen besonders der eine sich bei Zorndorf ausgezeichnet hatte. Er war kühn, wagemutig, brutal und Fatalist wie die Orientalen. Er hieß Gregor Orloff. Ein Hüne von Gestalt, mit herkulischer Kraft begabt, war er schöner wie Poniatowski, schöner wie Saltikoff, schöner wie alle, die am Hofe lebten. Auf diesem großen kräftigen, sehnigen Körper saß ein wundervoll feingeschnittener Kopf, ein wahres Engelsgesicht – übrigens das einzig Engelhafte, was Orloff an sich hatte. In ihm sah Katharina ihr Ideal vom Manne verwirklicht. Sie vergötterte ihn später buchstäblich wegen seiner Kraft.

Orloff hatte noch fünf Brüder, die alle, wie er, Gardeoffiziere waren. Sein Bruder Alexis kam ihm an Schönheit und Stärke gleich, nur daß er noch größer als Gregor war. Später erfreuten sich beide der Gunst der unersättlichen Frau. Aber Gregor war und blieb der Erwählte, der Geliebteste. Geistig war er Katharina durchaus nicht ebenbürtig. Er war wenig intelligent, hatte fast gar keine geistige Erziehung genossen, lebte das Leben der Garnisonen mit Spiel, Trunk, wüsten Gelagen, Frauen und betrieb alles im Übermaß. Er war äußerst genußsüchtig, ausschweifend, verschwenderisch, obwohl er nichts hatte, rauflustig, roh, kurz ein halber Barbar, ein Wüstling ohne verfeinerte Lebensgenüsse. Er war der Nachkomme eines Strelitzen, den Peter der Große begnadigt hatte. Und dieser Mann sollte zwölf Jahre lang neben der Politik den ersten Platz in Katharinas Herz einnehmen, nicht weil er klug, nicht weil er besonders zärtlich war oder ihr ein geistiger Ratgeber hätte sein können, sondern weil er stark und kräftig war. Seine Natur war unverwüstlich. Er war die Gesundheit, die Kraft, aber auch die Roheit selbst.

Orloff machte anfangs, ehe er Katharina kennen lernte, als Geliebter der schönen Fürstin Kurakin in Petersburg von sich reden. Er war Adjutant des Grafen P. I. Schuwaloff, eines Vetters des Günstlings der Kaiserin Elisabeth. Dieser Graf Schuwaloff war Generalinspektor der Artillerie, ein von den Offizieren der Garde viel beneideter Posten. Noch mehr aber beneidete man ihn um seine schöne Geliebte, die Fürstin Kurakin. Sein Adjutant, Gregor Orloff machte sie ihm streitig. Seine kraftvolle Männergestalt siegte auch bei dieser Frau. Aber Orloff war der indiskreteste Mensch von der Welt. Bald sprach nicht nur der Hof sondern ganz Petersburg von diesem Verhältnis. In den Kasernen der Garden erzählte man sich die intimsten Geschichten darüber. Zum Glück für Orloff starb der Graf Schuwaloff, denn gewiß hätte er sich diese Beleidigung seines Adjutanten nicht so ohne weiteres gefallen lassen. Jedenfalls wurde Orloff durch diese Geschichte bemerkt. Vielleicht hätte ihn Katharinas Auge auch ohne diese Liebesangelegenheit erspäht, denn Orloff war nicht nur schön sondern auch unternehmend. Diesmal jedoch – zum erstenmal – mußte Katharina den ersten Schritt tun. Ihre Kammerfrau Iwanowna Scheregorodskaja verschaffte ihr das erste Stelldichein mit Orloff. Er erfaßte sofort die Situation und sah, welcher Glücksstern für ihn blinkte. Die wunderschöne Fürstin Kurakin wurde jetzt ganz beiseite geschoben, denn die Großfürstin duldete keine anderen Götter neben sich.

Auch Katharina war eine hübsche Frau, wenn sie auch nicht mit der Schönheit der Fürstin konkurrieren konnte. Dafür aber war sie Großfürstin, vielleicht bald Kaiserin, denn Elisabeths Gesundheit verschlechterte sich täglich. Das alles sah Orloff voraus. Und auch Katharina führte nicht nur die Leidenschaft zu dem schönen, kraftvollen Mann. Auch in dieser Liebe spielte die Politik eine Rolle. Orloff und seine vier Brüder gehörten den vier Garderegimentern an, die in Petersburg von jeher eine Macht besaßen. Alle vier Brüder waren wegen ihrer Kraft und Wildheit bei den Soldaten ungemein beliebt und würden im gegebenen Falle den größten Einfluß gehabt haben. Katharina zog ihren Kreis und ihre Pläne immer weiter; vielleicht hatte sie diese vier Garderegimenter einmal nötig.

Orloff war bald der anerkannte und verwöhnte Liebling der Großfürstin. Er machte auch durchaus kein Hehl aus dieser Gunst. Wie er die Geheimnisse seiner Liebe zur Fürstin Kurakin an den Spieltischen, beim Wein und in den Kasernen preisgegeben, so prahlte er jetzt erst recht mit der Huld Katharinas. Und ihr gefiel es anscheinend sehr, daß man von ihrem galanten Leben sprach. Auch darin besaß sie eine unbegreifliche Eitelkeit. Noch seltsamer aber mutet es an, daß sie mit Poniatowski beständig im vertrautesten Briefwechsel stand und dem einstigen Geliebten ganz offen, ja mit einem gewissen Stolze von dieser neuen Liebe zu Orloff sprach. Noch viele Jahre später kam sie in ihren Briefen auf diese Zeit ihres Lebens zurück. Unter anderem schrieb sie ihm einmal: »Osten erinnert sich genau noch, wie Orloff mir überall hin folgte und tausend Torheiten für mich beging. Seine Leidenschaft für mich war bekannt.«

In Gesellschaft dieses brutal-gesunden Menschen fühlte sie sich sehr wohl. Sie haßte alle Kopfhängerei oder Sentimentalität. Nie ließ sie die Traurigkeit in ihrem Herzen die Oberhand gewinnen oder in ihrer Umgebung aufkommen. Litt sie irgendwie seelisch, so schloß sie sich einen oder zwei Tage von allen Menschen ab, weinte sich aus, dann aber war sie die gleiche wie vorher, fröhlich und heiter. Die traurigen Augenblicke waren selten in ihrem Leben. Von Natur aus war Katharina ein sehr verträglicher Mensch, ein guter Kamerad. Ihr Geist war eher männlich als weiblich, was nicht hinderte, daß sie eine sehr begehrenswerte Frau sein konnte. Denn Geist und Liebe waren bei ihr fast immer getrennt. Wenige ihrer Liebhaber waren ihr geistig gleichgestellt. Für den Geist hatte sie ihre Philosophen, Voltaire, Diderot, d'Alembert, Grimm. Und mit ihnen war ihre Unterhaltung ganz männlich, so daß sogar diese Männer manchmal vergaßen, daß sie mit einer Frau, mit einer Fürstin sprachen. Als Diderot sie einst in seiner Lebhaftigkeit während der Unterhaltung ziemlich derb und immer wieder aufs Knie schlug, endlich aber doch über seine Ungeniertheit erschrak, sagte Katharina: »Ach, unter Männern ist alles erlaubt.«

Übrigens hatte sie später einige, wenn auch wenige Frauen, die sie wegen ihres Geistes schätzte. Um jene Zeit, als des schönen Gregors Stern aufging, schloß sie sich, gleichsam als Ersatz für das Geistige, das sie weder bei Gregor noch bei Alexis Orloff fand, an die kluge und noch ganz junge Fürstin Katharina Romanowna Daschkoff an, die ihr später bei der Thronbesteigung so große Dienste leistete. Sie war die Schwester der Geliebten Peters, jedoch ein vollkommen anders gearteter Charakter als diese. Auch eine dritte Schwester war Ehrenfräulein bei der Kaiserin Elisabeth, und alle drei waren die Töchter des Generals Grafen Roman Woronzoff, die Nichten des Kanzlers. Die junge Fürstin Daschkoff war die einzige Frau, die am russischen Hofe mit der Großfürstin geistig rivalisieren konnte. Katharina lernte sie bereits kennen, als die Fürstin 15 Jahre alt war, verlor sie jedoch einige Jahre aus den Augen und sah sie erst als achtzehnjährige Fürstin Daschkoff wieder. Außer dieser jungen Frau schloß sich Katharina in jener Zeit besonders eng an den Erzieher ihres Sohnes, den Grafen Nikita Panin an. Er mußte ihr den verbannten Bestuschew als Ratgeber in allen politischen Angelegenheiten ersetzen. Ihre Partei wuchs von Tag zu Tag.

Inzwischen aber ging das Leben am Hofe ungeregelter und wüster weiter als zu Zeiten Poniatowskis. Die Orloffs, Leo Narischkin und andere hatten ungehinderten Zutritt zu den Gemächern der Großfürstin. Man benahm sich dort wie man wollte. Narischkin besonders zeigte nicht die geringste Rücksicht auf den Rang seiner Gebieterin. Er kannte sie wohl zu gut. Eines Tages fand Katharina ihn auf ihrem Sofa liegen. Als sie ins Zimmer trat, sang er ein schlüpfriges Lied, stand aber weder auf, noch hielt er in seinem Gesang inne, als er sie bemerkte. Katharina kehrte sofort wieder um, nicht aber weil sie empört oder beleidigt war, sondern weil sie ihm einen Streich spielen wollte. Rasch schloß sie die Tür hinter sich ab, damit er nicht entwischte. Dann eilte sie zu ihrer Vertrauten, der Schwägerin Leos, die sich stets zu allen Dummheiten, deren Anstifterin immer die Großfürstin war, bereit fand. Beide Frauen ließen sich je eine Rute von Nesseln bringen. Damit bewaffnet, betraten sie in Begleitung einer Kammerfrau das Zimmer, in dem noch immer Leo auf dem Sofa lag und sein zweideutiges Lied lauter wie vorher sang. Auch die Kammerfrau war mit einer Nesselrute bewaffnet. Der Missetäter konnte den dreien nicht entgehen. Sie schlugen ihn mit ihren Ruten dermaßen, daß er drei Tage lang Gesicht, Hände und Beine mit Beulen bedeckt hatte. Er konnte in dieser Zeit nicht am Hofe erscheinen, so schlimm hatten sie ihn zugerichtet. Auf diese Weise unterhielt man sich bisweilen in den Gemächern der Großfürstin.


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