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Die Günstlinge

Achtes Kapitel

I.
Im Banne Gregor Orloffs

Man ist in Rußland so sehr an das Günstlingswesen gewöhnt,« schrieb Graf Solms an Friedrich den Großen, »daß man sich durchaus nicht über eine rasche Rangerhebung eines Mannes wundert, ja sogar die Wahl eines jungen, sanften, höflichen Mannes, der weder Ehrgeiz noch Eitelkeit zeigt, sehr billigt.« Dieser »höfliche, sanfte junge Mann« war der Graf Gregor Orloff! Sicher war aber der Gesandte Friedrichs am russischen Hofe ein schlechter Menschenkenner, denn Gregor war alles andere als sanft. Aus angeborener Trägheit beschäftigte er sich allerdings nicht gern mit den Arbeiten, die ihm Katharina auftrug, aber sein Ehrgeiz war groß genug, um lange Zeit den Gedanken und die Hoffnung zu nähren, mit der Geliebten den Thron zu teilen. Sein ganzes Streben ging darauf hin. Sein Anteil an der Erhebung Katharinas auf den russischen Thron hatte nur dieses Ziel. Als diese Aussicht für ihn endgültig vorüber war, glaubte er nur bei seltenen Gelegenheiten Ehrgeiz zeigen zu müssen. Aber er war nicht der Mann, der sich mit der bescheidenen Rolle des »persönlichen Adjutanten«, die ihn auf die inneren Gemächer der Kaiserin beschränkte, zufrieden gab. Katharina selbst hatte nicht die Absicht, ihren ersten öffentlichen Geliebten im Dunkel des Schlafzimmers verkümmern zu lassen. Je größer ihre Leidenschaft für Gregor Orloff wurde, desto mehr war sie bestrebt, ihr Verhältnis zu ihm an die Öffentlichkeit zu bringen, von ihm reden zu machen. Es lag ein großer Teil Eitelkeit darin, daß sie sich mehr und mehr öffentlich mit diesem schönen Mann, den »die Natur mit den verschwenderischsten Gaben ausgestattet hatte«, sehen ließ. Auf Spazierfahrten saß er stets in ihrem Wagen ihr zur Seite. Schließlich vereinigte er in seiner Person alle Ehren, alle Macht, die später nur noch Patiomkin und Zubow erlangten. Außer dem üblichen Jahrgehalt von 150 000 Rubeln wurde er von Katharina buchstäblich mit Reichtümern überschüttet. Dazu schöpfte er aus den Staatskassen so viel er wollte; die Millionen, die durch Orloffs Hände flossen, sind ungezählt. Er war auch einer von den Wenigen, die das Bildnis der Kaiserin offen auf der Brust tragen durften. In einem ungeheuren Diamant, Tafelstein genannt, trug er es jahrelang im Knopfloch.

Als Gregor Orloff die Günstlingswürde offiziell antrat, erhielt er zuerst den Kammerherrnschlüssel und den Alexander-Newskiorden. Darauf wurden er und seine fünf Brüder in den Grafenstand erhoben. Binnen kurzem wurde er Generaladjutant Katharinas, dann Generaldirektor aller Befestigungen, Chef der Chevaliergarde, Oberstleutnant der Garde zu Pferd, Generalfeldzeugmeister, Ritter des blauen Bandes von Rußland, schließlich Reichsfürst. Die schönsten Schlösser nannte er sein eigen. Katharina schenkte ihm den Stegelmannschen Palast an der Moika in Petersburg, die kaiserlichen Kammergüter Ropscha und Gatschina, verschiedene Besitzungen in Liv- und Estland und anderen Gegenden von Rußland. Das prächtigste Schloß von allen war der berühmte Marmorpalast, über dessen Eingangspforte sie die vielgedeutete Inschrift graben ließ: Aus dankbarer Freundschaft!

Katharina war ihm wirklich zu Danke verpflichtet. Zum Teil aus seiner Hand hatte sie ihre Krone empfangen. Er hatte sein Leben für sie eingesetzt, alles gewagt, um sie aus der Gefahr zu retten, in der sie sich nach dem Tode Elisabeths befand. Sie liebte ihn leidenschaftlich wegen seiner männlichen Eigenschaften, seiner Schönheit, seiner raschen Auffassungsgabe und seines kühnen freien Wesens. Wenige Monate vor der Katastrophe, im April 1762, zu einer Zeit, da sie sich in der gefährlichsten Lage ihres Lebens befand, gebar sie Orloff einen Sohn. Er hieß ursprünglich Alexis Romanow, wurde aber später Wasil Gregorewitsch Bobrinski genannt. Katharina ließ ihn im Kadettenkorps erziehen und gab ihm den Admiral Ribas zum Hofmeister. Dieses Kind interessierte sie weit mehr als der Thronfolger. Man sah sie oft tief verschleiert, ganz im geheimen in einem schlichten Wagen ohne Wappen und Lakaien nach dem Kadettenkorps fahren, um sich selbst von dem Wohlbefinden ihres Sohnes zu überzeugen. Sie erlebte indes keine Freude an diesem Kinde. Als Zwanzigjähriger führte der junge Bobrinski bereits ein sehr lockeres Leben im Ausland. Er ließ sich in allerhand Abenteuer ein und machte die unsinnigsten Schulden, die der gute Souffre-Douleur Grimm in Katharinas Auftrag regeln mußte. Ihren verschwenderischen Sohn aber ließ sie unter Kuratel stellen und in Reval internieren. Auch zwei Töchter sind aus der Vereinigung Katharinas mit Orloff hervorgegangen. Sie wurden jedoch nicht öffentlich anerkannt, sondern von der ersten Kammerfrau Protassow als deren Nichten vollkommen inkognito erzogen. Später wurden sie zu Ehrenfräulein ihrer eigenen Mutter ernannt, und dann verheiratet.

Je größer Katharinas Ansehen und Macht wurden, desto freier gab sie sich in ihren Gefühlen zu Orloff, der selbst höchst indiskret war. Zu jeder Stunde, jeder Tageszeit trat er bei ihr ein. In der Öffentlichkeit behandelte er die Kaiserin dermaßen vertraulich, daß sogar seine intimsten Freunde einigermaßen erschrocken darüber waren. Besonders wenn er getrunken hatte – was er gern und oft tat – prahlte und lärmte er ungeniert von Katharinas Gunst, von der Rolle, die er bei ihrer Thronbesteigung gespielt. Er rühmte sich, daß er der mächtigste Mann in ganz Rußland sei, der mit einem Schlage diese Herrlichkeit Katharinas zunichte machen könne, wenn er nur wolle. Es waren freilich alles nur Phrasen, denn er selbst würde ja den größten Nachteil gehabt haben.

Katharina kamen diese Prahlereien fast immer zu Ohren. Sie lachte, und Orloff stieg von Tag zu Tag mehr in ihrer Gunst. Er aber benutzte seine bevorzugte Stellung zum Nachteil anderer. Sein stolzes hochmütiges Wesen gegen alle, die ihn umgaben, wurde immer unerträglicher. Auf der schwindelhaften Höhe in dieser berauschenden Atmosphäre eines glänzenden Hofes, an dem er die erste Rolle nach der Kaiserin spielte, geliebt von einer schönen, überaus sinnlichen Frau, einer genialen Herrscherin, lebte Orloff wie in einem Traum. Katharina vermochte nicht ohne ihn zu sein. War er abwesend, so litt sie wahrhaft unter der Trennung. Dieses Bewußtsein seiner Unentbehrlichkeit verlieh ihm schließlich so große Sicherheit, daß er bald alle Rücksicht gegen die Geliebte, gegen die Kaiserin, außer den Augen ließ und sein ausschweifendes Leben von früher begann, als er noch Gardeoffizier war. In Petersburg hielt er sich mehrere Mätressen, ohne besonderes Geheimnis daraus zu machen. Wochenlang war er auf der Bärenjagd, wo er sich die kühnsten Extravaganzen erlaubte und immer eine oder mehrere Frauen bei sich hatte. Und immer zeigte Katharina sich schwach gegen Orloff. Bisweilen rächte sie sich indes ebenfalls durch eine Untreue, um ihm zu zeigen, daß sein Einfluß nicht ganz so unerschütterlich sei, wie er glaubte. Bei diesen kleinen Seitensprüngen war ihr Nikita Panin behilflich, der den arroganten Günstling gern aus dem Felde geschlagen hätte. Seinen Bemühungen gelang es auch, daß Katharina eines Tages, als Orloff abwesend war, einen jungen hübschen Offizier, namens Wisocki, empfing, den sie schon längere Zeit mit Wohlgefallen betrachtet hatte. So entschädigte sich Katharina für die Vernachlässigung, die ihr Orloff zuteil werden ließ.

Ihr leicht entzündbares Herz war drauf und dran, ganz in Flammen in dieser neuen Leidenschaft aufzugehen, als Orloff wieder erschien und seinen ganzen brutalen Einfluß aufwandte, um sich die Gunst der Geliebten von neuem zu erobern. Es fiel ihm nicht schwer. Er wußte sich unentbehrlich zu machen, und Katharina liebte ihn trotz allem leidenschaftlich. Der neue »Vremienschtschik« (Mann des Augenblicks) wurde mit reichen Geschenken verabschiedet und erhielt irgendeinen hohen Posten, der ihn in einer fernen Provinz festhielt.

Aufs neue in der Gunst seiner Herrin, war Gregor Orloff nicht im geringsten darauf bedacht, sein rücksichtsloses Benehmen zu ändern. Und wenige Frauen würden so große Geduld mit ihm gehabt haben wie Katharina. Bereits im Jahre 1765 schrieb Bérenger an den Herzog von Praslin aus Petersburg über Orloff: »Dieser Russe verletzt öffentlich die Gesetze der Liebe gegen die Kaiserin. Er hat in Petersburg verschiedene Mätressen. Anstatt daß diese Damen jedoch infolge ihres Entgegenkommens gegen Orloff den Zorn der Kaiserin auf sich ziehen, haben sie nur Vorteile davon. Als der Senator Murawieff seine Frau in den Armen Gregor Orloffs überraschte und einen öffentlichen Skandal herbeiführte, weil er sich von ihr scheiden lassen wollte, beschwichtigte ihn die Kaiserin dadurch, daß sie ihm große Besitzungen in Livland schenkte.«

Es ist nicht erstaunlich, wie fügsam die große Katharina in der Liebe war, wie nachsichtig sie sich gegen Männer zeigte, die geistig tief unter ihr standen. Sie war in diesen Stunden nur die sinnliche Frau. Ihre politischen Handlungen, ihre Tatkraft, ihre Arbeitsliebe in den Staatsgeschäften hatten damit nichts zu tun. Es amüsierte sie sogar, daß der Mann, den sie liebte, kaum ein Verständnis für ihr Genie hatte und von Natur aus träge war. Gregor Orloff hatte nie ein Wort der Anerkennung für ihre genialen Leistungen als Herrscherin. Sie indes ist immer des Lobes voll, sei es hinsichtlich seiner körperlichen Vorzüge oder seines Geistes – den er übrigens nicht besaß. Als sie ihn als Friedensunterhändler nach Focsani zu den Türken schickte, die Rumiantsoff besiegt hatte, schrieb sie an Frau von Bielke: »Graf Orloff, der ohne Frage der schönste Mann seiner Zeit ist, muß jenen Flegeln wie ein Friedensengel erscheinen. Sein Gefolge ist glänzend und ausgewählt … aber ich wette, er stellt mit seiner Person seine ganze Umgebung in den Schatten. Er ist eine so eigenartige Persönlichkeit, dieser Friedensgesandte! Die Natur hat ihn außerordentlich bevorzugt, sowohl was das Gesicht als auch den Geist und das Herz betrifft.« Und an Madame Geoffrin schrieb sie ein andermal von dem Geliebten, als er ihr zum erstenmal, wie es scheint, ein Lob erteilt hatte, ganz entzückt: »Als Ihr letzter Brief eintraf, befand sich der Graf Orloff in meinem Zimmer. Sie schreiben, daß ich außerordentlich tätig sei, weil ich gleichzeitig an dem Gesetzbuch arbeite und Handarbeiten mache. Er, der ein notorischer Faulpelz ist, obwohl er viel Geist und natürlich auch viele Fähigkeiten besitzt, rief dabei aus: ›Ja, das ist wahr!‹ Und das ist das erste Mal, daß ich ein Lob aus seinem Munde höre. Und Ihnen, Madame, verdanke ich es.« Man sieht, Katharina ist ganz Weib. Ein kleines lobendes Wort aus dem Munde des geliebten Mannes beglückte sie ohnegleichen, sie, die von der ganzen Welt in den höchsten Tönen gepriesen und gefeiert wurde!

Orloff liebte Katharina nicht. Anfangs waren es Ehrgeiz und Leidenschaft gewesen, später nur noch die Eitelkeit, die ihn bei ihr festhielt, und nicht zum wenigsten Berechnung. Denn die Kaiserin bewies, wie schon erwähnt, ihre Zuneigung nicht nur durch begeistertes Entzücken über seine herrliche Gestalt und seinen Engelskopf, sondern durch reelle Werte. Orloff war ein grenzenloser Verschwender und bekam nie genug. Er verbrauchte Millionen. Als Generalinspektor der Artillerie erhielt er allein jährlich zwei Millionen Rubel zur Verbesserung der Truppe. Er tat indes nicht das geringste in dieser Beziehung, aber die Millionen verschwanden dennoch unter seinen Händen. Katharina verlangte von ihm nie eine Abrechnung über dieses Geld. Es ist, als wenn sie vor dem Geliebten, der sie auf den Thron erhoben, eine gewisse Scheu gehabt hätte, als wenn sie sich fürchtete, ihm auch nur den geringsten Vorwurf machen zu müssen. Orloff und seine vier Brüder waren ja eine Partei. Sie konnten nicht so ohne weiteres achtlos beiseite geschoben werden. Dieses unsichere Gefühl und ihre grenzenlose Leidenschaft für Gregor, ließen Katharina ihm gegenüber oft schwach sein. Leistet er ihr aber wirklich mal einen Dienst, so weiß sie sich vor Dankbarkeit und Anerkennung kaum zu fassen.

Mit der Zeit aber kam doch die Erleuchtung über sie. Sie, die geistig Hohe, fühlte die Leere, die dieser Mann um sie her verbreitete, der nichts im Sinn hatte als Prunk und Feste, wo seine eigene eitle Person im strahlendsten Lichte physischer Kraft und Schönheit leuchtete, der nur darauf bedacht war, sich im Glanze seiner berühmten Gebieterin zu sonnen, Reichtümer auf Reichtümer anzuhäufen und fast als Herrscher selbst aufzutreten. Zehn Jahre lang hatte ihre Sinnlichkeit im gleichen Feuer, in gleicher Begeisterung alles ertragen, selbst die zahlreichen Untreuen. Jetzt war es genug. Ihr Gefühl schwächte sich mehr und mehr ab. Ihr Herz und ihre Sinne verlangten nach einer neuen Liebe, nach neuen Genüssen.

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Graf Gregor Orloff

Sobald jedoch Orloff die beginnende Gleichgültigkeit der Geliebten bemerkte, raffte er sich auf, um wiederum in ihren Augen als der Kraftvolle, Unentbehrliche zu erscheinen. Im Oktober 1771 bot sich ihm eine Gelegenheit, sich für immer die Dankbarkeit der Kaiserin zu sichern. Seit zwei Monaten wütete in Moskau die Pest und hatte die furchtbarsten Verheerungen unter der Bevölkerung angerichtet. Die Verwaltung und sanitären Maßnahmen waren so schlecht, daß das wütende Volk sich erhob, den Metropoliten ermordete und auch den Gouverneur niedergemacht haben würde, wenn er nicht rechtzeitig das Weite gesucht hätte. Es mußte ein energischer einflußreicher Mann hingeschickt werden, der Ordnung schaffte. Wer hätte sich besser dazu geeignet als der kraftvolle Orloff? Er erbot sich im Bewußtsein, Katharina keinen größeren Dienst leisten zu können als diesen und sich für immer seine Stellung zu sichern. Zum erstenmal aber ließ die Kaiserin ihn ohne Bedauern gehen, zum erstenmal gab es keine Tränen bei seinem Abschied. Dachte sie daran, seine Entfernung zu benutzen, ihm einen Nachfolger zu geben? Gregors Stern war sichtbar im Sinken begriffen. Man merkte es am ganzen Gebaren der Kaiserin. Ihr Auge schweifte im Kreise ihrer Höflinge umher und blieb mitunter länger als es die Sitte gestattete auf diesem oder jenem jungen Leutnantsgesicht, auf der schlanken eleganten Gestalt eines jungen Diplomaten ihres Hofes haften.

Da aber trafen wahre Wundernachrichten von Gregors energischen Maßnahmen aus Moskau ein. Seiner wilden rücksichtslosen Kraft gelang es binnen kurzem in der Stadt die Ordnung wieder herzustellen, dem aufgebrachten Volk Fesseln anzulegen und durch hygienische Maßregeln auch der furchtbaren Seuche Herr zu werden. Sie hatte bereits 100 000 Einwohnern das Leben gekostet, als Orloff wie ein Retter erschien. Er machte sich sogleich die hervorragenden Kenntnisse der Hygiene und Medizin des Chirurgen Todte und des Geheimrats Wolkow zunutze, erntete jedoch ganz allein die Früchte und den Beifall. Wie ein wahrer Triumphator kehrte Orloff nach Petersburg zurück und fand in der Geliebten eine dankbare Bewunderin. In Zarskoje-Selo hatte sie ihm einen Triumphbogen errichten lassen mit der Inschrift: »Dem, der Moskau von der Pest errettete.« Sie ließ auch eine Münze prägen, die Orloffs Bildnis mit dem des Curtius vereinigte. Auf ihr stand geschrieben: »Auch Rußland hat solche Söhne.«

Aufs neue war Gregor Orloff der Herrliche, der ganz Unvergleichliche; er »glich den alten Römern der schönen Zeit der Republik«, er war »einzig, unerreichbar«. Sie findet nicht Worte genug, um ihn zu loben, kein Fest prachtvoll genug, um ihm zu feiern, kein Geschenk zu kostbar, um ihn damit eine Freude zu machen. Und doch war es nicht mehr die gleiche Leidenschaft, das gleiche Feuer, das Katharina für diesen Mann des Glücks begeisterte. Wenige Monate später entfernte sie ihn wiederum aus ihrer Nähe. Diesmal schickte sie ihn zu den Türken nach Focsani als Friedensunterhändler. Im Bewußtsein seiner Selbstherrlichkeit und unumschränkten Macht handelte Orloff jedoch den Wünschen der Kaiserin und des Ersten Ministers Panin ganz entgegengesetzt. Er dachte überhaupt nicht daran, Friedensverhandlungen anzuknüpfen, sondern im Gegenteil, den Krieg noch zu schüren und sich selbst an die Spitze der Armee in der Türkei zu setzen, um über Rumiantsoff, den Sieger, aus Eitelkeit noch einen glänzenderen Erfolg davonzutragen. Eines Tages stritt er sich in öffentlicher Versammlung vor allen diplomatischen Gesandten mit Rumiantsoff herum und schrie dem alten General schließlich roh ins Gesicht, er werde ihn hängen lassen. Darauf kümmerte er sich überhaupt nicht mehr um die Geschäfte, sondern hielt in Jassy glänzenden Hof, gab täglich die prunkvollsten, verschwenderischsten Feste, bei denen er selbst in einem Kostüm erschien, das buchstäblich mit Diamanten übersät war und eine Million Rubel gekostet hatte. Er hatte es aus der Hand seiner freigebigen Geliebten für die Mühe empfangen, die Friedensverhandlungen so günstig wie möglich abzuschließen. Vielleicht wollte Katharina ihn auch dadurch um so länger von sich fernhalten und ihn glauben machen, er besäße noch immer ihre ganze Liebe. Aber es war schon längst ein neuer Kandidat für das Amt des Generaladjutanten der Kaiserin in Aussicht. Panin hatte auch diesmal dafür gesorgt und nichts unversucht gelassen, den ihm verhaßten Günstling zu verdrängen.

Mitten in den rauschenden Festen in Jassy erfuhr Orloff, daß Katharina ihm bereits vierzehn Tage nach seiner Abreise aus Petersburg einen Nachfolger gegeben habe und dermaßen von dem neuen Geliebten eingenommen sei, dass sie sogar ihre Regierungsgeschäfte vernachlässigte, was sie sonst nie tat, mochte sie noch so sehr von einer neuen Leidenschaft gefesselt sein. Diesmal aber war es wirklich so. Sie verbrachte stundenlang mit dem neuen Günstling, einem jungen liebenswürdigen aber unbedeutenden Menschen, in ihren Zimmern und schien alles um sich her vergessen zu haben. Orloff begriff: hier tat Eile not. Seine Anwesenheit in Petersburg konnte allein noch weiteres Unheil für ihn vermeiden. Es galt, alles aufs Spiel zu setzen, um entweder alles zu gewinnen oder alles zu verlieren. Er ließ Feste Feste sein, vergaß alle Friedensunterhandlungen, warf sich in eine Kibitka und reiste in diesem leichten, offenen Gefährt Tag und Nacht in rasendem Tempo über die endlosen russischen Steppen der Hauptstadt zu, kaum sich die nötige Rast und Nahrung gönnend.

Welche Enttäuschung erwartete ihn! Einige Werst von Petersburg ereilte ihn ein Befehl der Kaiserin, mit seinen Begleitern eine vierwöchentliche Quarantäne durchzumachen, denn sie kamen aus dem Süden, wo noch immer einige Fälle von Pest zu verzeichnen waren. Das hatte er nicht erwartet! Er sah darin die schlaue Vorsicht Katharinas und gleichzeitig die mächtige Hand der Geliebten, die nur einen Befehl zu erteilen brauchte, um ihn fühlen zu lassen, daß sie die Herrscherin und er nichts als ihr Untertan war. Aber mit welcher Rücksicht und Schonung brachte sie ihm diese Überraschung bei. Liebenswürdig schlug sie ihm vor, er möge diese langweilige Quarantäne, die jedoch unbedingt notwendig sei, auf seinem Schloß Gatschina verbringen, jenem herrlichen Ort, von dem er selbst einst an Rousseau geschrieben »friedlich und zur Träumerei geeignet.« Hier konnte nun Gregor Orloff von der Vergangenheit, von versunkener Größe, erloschenem Glänze, vergessener Liebe träumen. Er mußte sich fügen. Der junge Wasiltschikoff erfreute sich jetzt aller Vorteile und Huld, die er einst selbst genossen. Er hatte es verstanden, den schönen, vergötterten Orloff zu verdrängen und wenigstens eine Zeitlang Katharina zu fesseln. Es war eine harte Niederlage für den eitlen stolzen Günstling, sich so ohne Form verabschiedet zu sehen. Aber er verzagte nicht. Sein ungeheures Selbstbewußtsein war noch nicht erloschen. Und wiederum begegnen wir in Katharinas eigenem Verhalten jener heimlichen Furcht vor dem rücksichtslosen Mann, dem alles zuzutrauen gewesen wäre. Konnte er nicht eines Nachts plötzlich im Schlosse in den Gemächern des neuen Günstlings erscheinen und sich durch einen Gewaltakt seines ehemaligen Postens von neuem bemächtigen? Katharina mußte wohl an solche Dinge gedacht haben, denn sie ließ vorsichtshalber überall doppelte Wachtposten um das Schloß aufstellen und alle Schlösser und Riegel der Türen der Günstlingswohnung verändern. Auch die von Gatschina nach Petersburg führende Straße war aufs schärfste bewacht. Katharina schwebte in beständiger Angst und hatte nicht den Mut, ein Machtwort zu sprechen, das den unbequemen Geliebten auf immer von ihr entfernte. Mit unendlicher Zartheit und Rücksicht gab sie dem Entlassenen zu verstehen, er möge sich auch von seinen übrigen Ämtern zurückziehen. Orloff weigerte sich stolz, seine Entlassung zu geben. Umsonst versuchte sie ihm fast zaghaft die Notwendigkeit dieser Maßnahme verständlich zu machen. Orloff achtete ihrer nicht. Schließlich sah es aus, als müsse die Kaiserin sich bei ihm entschuldigen, daß sie ihm untreu geworden wäre, bei ihm, der ihr hundertmal auf die zynischste Weise die Treue gebrochen hatte.

Katharina fürchtete sich jedoch vor einem Wiedersehen mit ihm. Er bat, er flehte, er drohte sogar. Vergebens. Noch fühlte sie sich nicht ganz gleichgültig gegen die Verführung dieses gefährlichen Mannes, der so starken Einfluß auf sie als Weib hatte. Ängstlich vermied sie jedes wenn auch noch so flüchtige Zusammentreffen mit ihm. Als sich eines Tages bei einem Maskenball am Hofe die Nachricht verbreitete, Graf Orloff sei plötzlich in den Schloßhof eingefahren, entfloh die Kaiserin, die scherzend und lachend am Arme Wassiltschikoffs im Festsaale promenierte, eiligst in die Gemächer Panins, ihres besten Beschützers in diesem Falle. Es war jedoch nur ein falsches Gerücht, und nach einiger Zeit konnte sie wieder zurückkehren. Aber der Schreck war ihr dermaßen in die Glieder gefahren, daß sie an diesem Abend nicht mehr heiter und unbefangen sein konnte.

Es ist begreiflich, daß sie den Mann, der zehn Jahre lang in engster Gemeinschaft mit ihr gelebt hatte, nicht mit einemmale aus ihrem Leben ausscheiden konnte. An Stelle der Liebe trat eine fast mütterliche Freundschaft und Fürsorge. Sie schrieb ihm oft und viel. Wie eine Mutter sorgte sie sich um sein leibliches Wohl, kümmerte sich um die geringsten Kleinigkeiten seines persönlichen Lebens in Gatschina; ihre Fürsorge erstreckte sich sogar bis auf die Wäsche, die er nötig hatte. Eine bürgerliche Hausfrau hätte nicht fürsorglicher sein können wie diese große Kaiserin. Andere Fürstinnen, die weniger mächtig als Katharina waren, entledigten sich ihrer entlassenen Liebhaber entweder durch Verbannung oder durch das Schwert. Katharina aber unterhandelte mit ihnen, machte ihnen Vorschläge, wie sie am besten die Trennung ertragen, wie sie ihr Leben einrichten könnten. Sie tröstete sogar Orloff, es sei nur eine vorläufige Entfernung, vielleicht auf ein Jahr. Währenddem möchte er in Moskau oder auf seinen Gütern leben, oder wo er sonst wolle. Sie hatte nicht den Mut, den Mann, dem sie so vieles verdankte, endgültig zu verabschieden. Sein Gehalt als »persönlicher Adjutant« wird ihm weiter bezahlt, – es sind 150 000 Rubel! – damit er sich in Moskau ein Haus einrichten kann. Bis es fertig ist, darf er alle ihre Lustschlösser in der Umgebung von Moskau bewohnen, sich der Hofequipagen bedienen, die Lakaien beibehalten usw. Ferner schenkt sie ihm 4000 Seelen, die sie ihm einst für den Sieg von Tschesme versprochen, an dem er übrigens gar nicht teilgenommen hat. Sie fügt diesen 4000 Leibeigenen noch 6000 hinzu. Die Geschenke, die sie Orloff macht, sind wahrhaft fürstlich. Mehrere silberne Tafelgeschirre für den täglichen Gebrauch, die kostbarsten Möbel, alle Kunstgegenstände, die seine einstige Wohnung im Schlosse schmückten, ein Haus in der Troitskaia Pristagne, weil er gar so arm an Schlössern und Häusern war, in denen er hätte wohnen können. Alles das tat sie für den verabschiedeten Geliebten; nur nach Petersburg durfte er nicht kommen.

Dort lebte sie den ersten Rausch der neuen Leidenschaft. Wassiltschikoff war jung und kräftig und ihr sehr ergeben. Er war stets an Katharinas Seite, saß mit ihr am Spieltisch, begleitete sie auf ihren Spazierfahrten und hatte ungehinderten Eintritt in ihre Privatgemächer. Aber er hatte nicht den geringsten Einfluß auf die Staatsgeschäfte. Die Kaiserin schien sich auch mit ihm in dieser Hinsicht nicht die Mühe geben zu wollen wie mit Orloff, dessen geistige Erziehung sie anfangs geleitet hatte. Ihm hatte sie oft während ihrer Ausfahrten der ersten Jahre aus guten Büchern vorgelesen, ihn über manches der Staatskunst, Philosophie, Literatur und Kunst aufgeklärt, denn er hatte nur eine ganz minderwertige Bildung genossen. Mit Wassiltschikoff war es anders. Er war nicht gebildeter als Orloff, vielleicht noch weniger klug und geistreich, aber Katharina schien es müde, die intellektuelle Erziehung aller ihrer Liebhaber leiten zu müssen. Wassiltschikoff war für sie nur das Werkzeug ihrer Lüste. Er verstand jedoch nicht, sich Einfluß zu verschaffen, obgleich ihn die Kaiserin in der Öffentlichkeit mit großer Vertraulichkeit behandelte und ihn, wo sie konnte, auszeichnete. Auch fehlte es ihm nicht an guten und einflußreichen Ratgebern. Fürst Bariatinski und Nikita Panin versäumten nichts, ihn in die Intrigen des Hofes einzuführen. Wassiltschikoff wußte sich seine Stellung nicht zunutze zu machen. Das einzige, das er aus seiner bevorzugten Stellung zog, war, daß ihn die Kaiserin für seine Dienste und Anhänglichkeit königlich bezahlte.

Für Orloff war ein solcher Rivale nicht gefährlich. Seiner Hartnäckigkeit und gewalttätigen Kühnheit gelang es schließlich wieder in Petersburg am Hofe zu erscheinen. Plötzlich war er da, tauchte wieder auf, man wußte nicht wie und woher, oder ob er überhaupt die Erlaubnis der Kaiserin dazu erhalten habe. Er erschien mit einem neuen Glorienschein, denn die Kaiserin hatte ihn am 4. Oktober 1772 zum Fürsten gemacht. Dieser Titel sollte ihn für den anderen, intimeren, eines Geliebten entschädigen. Die Liebe Katharinas war in Freundschaft übergegangen. Orloff verlangte nicht mehr. Seiner Eitelkeit genügte es, auch in dieser Form am Hofe der einstigen Geliebten eine Rolle spielen zu können. Bald war er wieder ebenso einflußreich wie ehedem, nur daß er keinen Eindruck mehr auf ihr Herz machte. Sie überhäufte ihn dafür von neuem mit Geschenken und schmeichelte seinen Anhängern und Freunden; er war für sie noch immer eine gefährliche Macht.

Orloff hingegen hatte sich in seine neue Rolle besser gefunden, als man hätte annehmen sollen. Er, der Arrogante, Stolze, Eitle, der, während er die Macht hatte, alle Welt mit Verachtung behandelte, war jetzt einer der eifrigsten Verehrer des neuen Favoriten. Man sah ihn stets an der Seite des jungen Wassiltschikoffs, ohne daß er bedachte, wie lächerlich er sich dadurch machte. Er schien es jedoch darauf abgesehen zu haben, Aufsehen zu erregen. Seine Verschwendungssucht kannte keine Grenzen mehr. Er war brutaler, prachtliebender, prahlender wie früher. Seine Rücksichtslosigkeit ging soweit, daß er sich in ganz betrunkenem Zustande in der Nähe des Schlosses ungeniert mit Dirnen sehen ließ. Die ganze Stadt sprach von seinen Skandalgeschichten und der unerhörten Dreistigkeit, mit der er die Kaiserin kompromittierte. Nichtsdestoweniger bevorzugte sie ihn sichtlich. Abends zog sie ihn zu ihrem Spiel heran, ließ ihn an ihren vertrauten Gesellschaften teilnehmen und zeichnete ihn, wo sie konnte, öffentlich mit ihrem Wohlwollen aus. Ihre Schwäche für diesen Mann entsprang aus ihrem Charakter. Sie wollte die Welt davon überzeugen, daß ihre Dankbarkeit noch über ihre Leidenschaft hinausgehe. Sie selbst bemerkte in dem »modus vivendi«, in dem sie mit der größten Sorgfalt für das materielle Wohl Gregor Orloffs bedacht war, daß die Verdienste, die die Familie der Orloffs sich um sie erworben habe, ihr unvergeßlich sein würden.

Im Jahre 1773 verschwand Orloff für einige Zeit nach Reval. Dort gab er die glänzendsten Feste und trat ganz wie ehedem als der offizielle Günstling der Kaiserin auf, teilte Orden aus, versprach Ämter und Würden und schwelgte in der eigenen Huld. Schon im nächsten Frühjahr war er wieder in Petersburg am Hofe, von neuem mit allen Ämtern betraut, die er früher innehatte, ausgenommen der Würde des Günstlings. Katharinas Herz und Sinne waren nicht mehr im Spiele. Die Liebe hatte keinen Anteil an diesem Sichnähern der ehemaligen Geliebten. Die Politik allein veranlaßte sie, einen Mann wie Orloff nicht unbeschäftigt, sondern in ihren Diensten zu lassen. Ihre Beziehungen waren rein freundschaftliche, denn vorläufig saß Wassiltschikoff noch im warmen Nest. Aber es gab doch Bande zwischen Orloff und Katharina, die nie ganz zerrissen. »Ich habe mich immer sehr geneigt gefühlt«, schrieb sie 1776 an Grimm, »mich von Leuten leiten zu lassen, die etwas besser verstehen als ich; nur dürfen sie es mich nicht merken lassen, daß sie es absichtlich tun, denn dann laufe ich schleunigst davon. Von allen Männern kenne ich nur den Fürsten Orloff, der der geeignetste war, dieser Schwäche in mir zu Hilfe zu kommen. Er hat einen natürlichen Geist, der seinen Weg geht, und der meinige folgt ihm«.

Von allen ihren Geliebten sprach sie später mit einer Gleichgültigkeit, die beinahe verletzt. In bezug auf Orloff hingegen tat sie es nicht. Er blieb für sie immer der edelste, beste und geistreichste Mann auf der Welt. Als er sich mit 43 Jahren in ein reizendes neunzehnjähriges Ehrenfräulein Katharinas, seine Kusine, Fräulein Zinowieff verliebte, und zwar nicht nur oberflächlich, wie man das sonst bei ihm gewöhnt war, sondern mit einem echten, tiefen Gefühl, das ihn zum erstenmal in seinem Leben ergriff, da mußte Katharina sich sagen, daß sie eine solche reine Liebe und Anbetung von ihm nie gekannt hatte. Orloff ward ein ganz anderer. Er lebte nur noch für seine reizende Braut, ging ganz in dieser großen echten Leidenschaft auf und heiratete das junge Mädchen ohne der religiösen Gesetze der griechisch-katholischen Kirche zu achten. Der Senat befahl die Trennung der jungen Leute. In diesem Augenblick zeigte die Kaiserin, die diesen Mann einst geliebt, sich wahrhaft groß und edel. Eine intrigante, eine rachsüchtige Frau würde alles getan haben, um selbst dem von ihr verabschiedeten Geliebten ein solches Glück nicht zu gönnen. Nicht so Katharina. Sie erklärte den Senatsbeschluß für nichtig, und Orloff konnte überglücklich mit seiner jungen Frau, die zur Palastdame ernannt worden war, in die Schweiz reisen. Unendlich traurig war das Ende dieses Liebesglücks. Die junge Fürstin starb fünf Jahre später, im Jahre 1782, an Lungentuberkulose in Lausanne, nachdem sie mit ihrem Manne jahrelang alle Ärzte des Auslandes zur Heilung herangezogen hatte.

Als Orloff wieder allein in Petersburg erschien, war er ganz verändert. Er konnte den Tod seiner Frau nicht überwinden. Der Schmerz darüber und die Folgen seines früheren wüsten Lebens bewirkten eine Gehirnkrankheit, die er seit zwei Jahren mit sich herumschleppte. Orloff, der glänzende Orloff wurde wahnsinnig. In seinem verwirrten Geiste lebte die Vergangenheit wieder auf. Er hatte Augenblicke des Schreckens, in denen er in der Umnachtung seines Geistes den Schatten des toten Zaren vor sich sah. Dann schrie er angstvoll auf, verkroch sich und besudelte sein Gesicht mit dem eigenen Kote, um sich vor dem anklagenden Geisterbild unkenntlich zu machen. Endlich, am 13. April 1783, erlöste auch ihn der Tod in Moskau von diesem entsetzlichen Geschick. Die Legende behauptet, Patiomkin, der wahre Nachfolger Orloffs in Katharinas Gunst, habe ihn mit einem Kraute vergiftet, das man Pianaia trawa nennt und das die Eigenschaft besitzen soll, denjenigen, der es genießt, des Verstandes zu berauben.

Katharina war von diesem Ereignis erschüttert. Eine tiefe Bewegung ergriff sie, als sie erfuhr, daß Orloff tot sei. Ein Rest von Zärtlichkeit für den einstigen Geliebten war noch in ihr vorhanden, obgleich schon zehn Jahre zwischen dieser Liebe lagen, und sie ihm mehrere Nachfolger gegeben hatte. Sie bekam ein heftiges Fieber, so daß sie sich zu Bett legen mußte, und während der ganzen Nacht phantasierte sie so stark, daß man ihr zur Ader lassen mußte. »Obgleich ich auf dieses schmerzliche Ereignis vollkommen vorbereitet war«, schrieb sie an Grimm, »so gestehe ich Ihnen, daß ich aufs tiefste davon erschüttert bin. Man hat mir gut zureden, und ich sage mir selbst alles, was man bei solchen Gelegenheiten sagen kann – nur schluchzende Tränen sind meine Antwort; ich leide entsetzlich.« Und viele Jahre später kam sie in ihrem zahlreichen Briefwechsel mit den verschiedensten Personen immer wieder auf den einstigen Geliebten zurück, der schließlich als wahrhaftes Genie in ihrer Erinnerung lebte. Sie pries seine hervorragenden Geistesgaben, seine Entschlossenheit, seine Beredsamkeit, seinen Freimut, sein ritterliches Wesen, und zog Vergleiche mit ihm und dem Grafen Nikita Panin, der ebenfalls um dieselbe Zeit starb wie Orloff. Der Vergleich fiel stets zugunsten des Geliebten aus.

Trotz aller Bewunderung, trotz aller Zärtlichkeit und Liebe für diesen Mann vermochte diese seltsame Frau gleichzeitig auch seinem Bruder Alexis die intimsten Vertraulichkeiten zu gestatten, ohne dieselbe Leidenschaft wie für Gregor zu empfinden. Aber ihr Körper gehörte ihm ebenso gut wie diesem. Auch dem Alexis gebar Katharina einen Sohn. Er trug den Namen Tschesmenski – Kind des Siegers von Tschesme. Die Nachwelt erfuhr wenig von diesem Sohne Katharinas, denn sie kümmerte sich kaum um ihn; das Muttergefühl war in dieser Frau des Genusses nur sehr schwach entwickelt.

II.
Patiomkin und die kleineren Liebesgestirne

Nicht alle Günstlinge Katharinas genossen die gleiche Freiheit und Macht wie Orloff. Keiner durfte sich so viel gestatten wie er. Ihr Leben im Schlosse war den strengsten Regeln unterworfen. Katharina hatte auch darin Ordnung geschaffen und ein gewisses System eingeführt, das sie vor einer allzu großen Herrschergewalt des Bevorzugten bewahrte und sie über seine unbedingte Treue in Sicherheit ließ. Nach Orloff gelang es nur Patiomkin, Lanskoi und Zubow sich von diesen Fesseln zu befreien, die mit den Ketten der Liebe oder Sinnlichkeit geschmiedet waren. Wenige Liebhaber Katharinas wagten es, über ihre Funktionen hinaus ehrgeizige Wünsche zu haben. Sie wurden so sehr mit Reichtümern überschüttet, und der Titel des offiziellen Günstlings allein verband so viele Ehren und Würden, daß der Auserwählte zu diesem beneideten Posten gern seine persönliche Freiheit dafür verkaufte. Es fehlte daher Katharina nie an Bewerbern um dieses Amt. Gewöhnlich geschah die Besetzung auf folgende, sehr realistische Weise.

Abends, nach der Tafel, wenn die Kaiserin ihren Hof um sich versammelte, bemerkte man plötzlich, daß sich Ihre Majestät intensiv für irgendeinen hübschen jungen Gardeleutnant interessierte. Besonders mußte er schöne Beine haben und gut gewachsen sein. Sie liebte große, kräftige Männer. Selten wählte sie unter den zarten, feinen. Gefiel ihr ein junger Offizier, so wurde er, nachdem sie Erkundigungen über sein Wesen, sein Leben, seinen Charakter eingezogen hatte, am nächsten Tage unter irgendeinem Vorwand zur Kaiserin befohlen. Die meisten wußten, was das zu bedeuten hatte, oder waren durch gute Freunde auf das große Glück vorbereitet worden, das ihrer harrte. Sie wußten auch, daß am Tage der ersten Audienz der Leibarzt Ihrer Majestät im Zimmer anwesend war und die Aufgabe hatte, nach einer kurzen Vorstellung des Neuangekommenen bei der Kaiserin, mit ihm in einem Nebengemach zu verschwinden und ihn auf seinen Gesundheitszustand hin zu untersuchen. Dann wurde er der ersten Kammerfrau Ihrer Majestät übergeben, deren heikles Amt am besten in dem Titel ausgedrückt ist, den ihm der Hofklatsch verliehen. Sowohl die hübsche Gräfin Bruce als auch das nicht mehr junge Fräulein Protassoff, die spätere Ehrendame Katharinas, hießen im vertrauten Kreise der Höflinge »les eprouveuses« oder »les essayeuses«. Hatte der Bevorzugte diese Prüfungen bestanden, so wurde ihm die offizielle Wohnung des Günstlings, unterhalb der Privatgemächer der Kaiserin übergeben. Beide Wohnungen waren durch eine geheime Treppe miteinander verbunden. In den Gemächern des Günstlings herrschten der verschwenderischste Luxus und die größte Bequemlichkeit; man hätte meinen können, sie seien für die verwöhnte Mätresse eines französischen Königs bestimmt gewesen. Ein Troß von Dienern erwartete den neuen Besitzer all dieses Reichtums. Er trug von nun an den Titel »persönlicher Adjutant der Kaiserin«, und die höchsten Würdenträger des Hofes beugten sich vor ihm. Und doch war der Träger dieses mächtigen Titels oft nur ein junger Mann von 24 Jahren, der noch tags zuvor stundenlang in den Vorzimmern der alten Generale und Diplomaten gewartet hatte, bis man ihn empfing. Die Zeiten ändern sich. Gestern noch arm und unbedeutend, war er heute reich und mächtig. In dem Sekretär seines Salons lagen 100 000 Rubel in Gold, als erstes Geschenk seiner kaiserlichen Geliebten für die notwendigsten Ausgaben, denn er mußte sich ja auch persönlich auf fürstlichem Fuß ausstatten. Selten wählte Katharina ihre Liebhaber aus der hohen Aristokratie, die selbst große Schätze besaßen.

Gleich am ersten Abend seiner Ernennung erschien der neue Günstling am Arme Ihrer Majestät vor versammeltem Hofe. Er trug die neue Uniform des Generaladjutanten. Alle Blicke waren auf den Glücklichen gerichtet, der vielleicht in den ersten Stunden dieser offiziellen Preisgabe seiner Bestimmung nicht immer Wohlbehagen empfand. Glücklicherweise währte diese Art von Parade nicht lange. Die Kaiserin zog sich an solchen Abenden noch vor zehn Uhr in ihr Schlafgemach zurück, wohin ihr der neue »Wremientschik« folgte.

Von nun führte er das Leben eines Fürsten. Jeden Monat fand er 12-15 000 Rubel Taschengeld auf seinem Toilettentisch. Der Hofmarschall war beauftragt, für seine Umgebung täglich eine Tafel von 24 Gedecken zu halten und für alle Ausgaben seines Haushaltes zu sorgen. Der Günstling selbst speiste an der Tafel der Kaiserin, meist allein mit ihr oder in engem Kreise. Er genoß die höchsten Ehren und war nach Ihrer Majestät die gefeiertste und gefürchtetste Persönlichkeit am Hofe. Aber er war ein schöner gefangener Vogel. Der Käfig war golden und glänzend, aber ängstlich gehütet. Katharina hatte zu schlimme Erfahrungen mit dem untreuen Orloff gemacht. Die unbedeutenderen Günstlinge verließen daher das Schloß nur an der Seite der Kaiserin oder in Begleitung vertrauenswürdiger Personen, die sie selbst auswählte. Sie mußten sich die peinlichste Bewachung gefallen lassen und durften keine Besuche empfangen, bei denen Katharina nicht zugegen war, oder von denen sie nichts wußte. Ebenso durften sie keine Einladung ohne ihre Erlaubnis annehmen. Eifersüchtig wachte sie über jede Bewegung, jede Handlung des »Mannes des Augenblicks«. Einmal erlaubte Mamonoff sich etwas freier zu bewegen. Er hatte Katharina zu ihrem Namenstage ein Paar kostbare Ohrringe geschenkt, die die Großfürstin Paul sehr bewunderte. Sofort schenkte Katharina ihr den Schmuck. Am Abend trug die junge Großfürstin die Ohrgehänge, die, nebenbei erwähnt, einen Wert von 30 000 Rubeln hatten. Da sie wußte, daß Mamonoff sie der Kaiserin geschenkt hatte, ließ sie ihn am nächsten Tag zu sich rufen, um ihn für die indirekte Beteiligung an diesem Geschenk ein paar liebenswürdige Worte zu sagen. Mamonoff war im Begriff, dem Befehl der Großfürstin nachzukommen, als Katharina davon erfuhr und ihm die schrecklichsten Vorwürfe machte. Der Besuch unterblieb. Einige Zeit darauf revanchierte sich der Großfürst Paul mit einer diamantengeschmückten Tabaksdose bei dem Günstling. Jetzt erlaubte Katharina zwar, daß sich ihr Geliebter bei ihrem Sohne für diese Aufmerksamkeit bedankte, aber sie gab ihm einen Vertrauensmann zur Begleitung mit. Der Großfürst nahm den Besuch nicht an.

Unter solchen Bedingungen der Freiheitsbeschränkung lebte Orloffs Nachfolger Wassiltschikoff zwei Jahre lang, von 1772-1774. Er war einer der Wenigen, die die Gunst Katharinas nicht mißbrauchten. Er bereicherte sich nicht am Staatsschatz, suchte niemand zu schaden, verwickelte sich nicht in Hofintrigen, hatte daher weder Feinde noch Neider. Katharina lobte stets seine große Bescheidenheit und schien ihn um dieser, bei einem Höfling seltenen Eigenschaft sehr zu schätzen. Aber plötzlich hatte sie ihn satt. Sie langweilte sich mit ihm, weil er nicht nur ein Durchschnittsmensch, sondern ein sich immer gleichbleibender Charakter war, der keinen Willen hatte als den seiner Gebieterin. »Ich war nichts mehr als eine ausgehaltene Frau,« sagte Wassiltschikoff von sich selbst. »Und man behandelte mich auch so. Ich durfte weder jemand empfangen noch ausgehen. Verlangte ich etwas für andere, so erhielt ich keine Antwort. Sprach ich für mich selbst, so war es dasselbe. Als ich den Annenorden haben wollte, sprach ich mit der Kaiserin davon. Am nächsten Tag fand ich für 30 000 Rubel Banknoten in meiner Tasche. Auf diese Weise stopfte man mir stets den Mund und schickte mich in meine Zimmer.«

Eines Tages erhielt dieser Willenlose den Befehl, sich nach Moskau zu begeben. Warum, das wußte er nicht. Aber ohne Widerrede, ohne eine Erklärung zu verlangen, gehorchte er. Reiche Geschenke, wie sie Katharina den verabschiedeten Favoriten zu geben pflegte, folgten ihm als Trost und Entschädigung für die verlorene Gunst in die Verbannung.

Ein Stärkerer, ein Willenskräftigerer, ein Herren- und Gewaltmensch machte Wassiltschikoff den Rang streitig. Einer, dessen ganze Veranlagung, dessen Energie und Genie wie geschaffen waren, einer Frau wie Katharina zu imponieren: Patiomkin! Er stand in der Blüte des Mannesalters, in der Vollkraft seiner Geistesfähigkeiten und Tätigkeit. Er war 34 Jahre alt.

An jenem denkwürdigen, für Katharina unvergeßlichen Tage des 28. Juni 1762, als sie in der Uniform des Semienoffskischen Regiments ihrer neuen Bestimmung entgegenritt, kreuzte Patiomkin zum erstenmal ihren Weg. Der Offizier, der ihr seine Uniform geliehen, hatte vergessen, ihr die silberne Degenquaste zu geben. Sie bemerkte es erst, als sie zu Pferd saß. Da stand ein junger Unteroffizier in ihrer Nähe, ein adliger Fahnenjunker, der schnell das Portepee von seinem Säbel löste und es der Kaiserin reichte. Es war der damals 22jährige Gregor Alexandrowitsch Patiomkin, der Sohn eines armen russischen Adligen aus Smolensk. Er hatte an der Universität in Moskau ein Stipendium gehabt und einige Semester studiert, war jedoch wegen »Faulheit und öfteren Nichtbesuchen der Vorlesungen« geschaßt worden. Da er durch seinen Vater Beziehungen am Hofe Elisabeths hatte, gelang es ihm, in das Semienoffskische Regiment einzutreten und die Offizierskarriere einzuschlagen. Der Zufall stellte ihn in den Weg der Orloffs und der Ereignisse des 28. Juni von 1762. Katharina schien sich des gefälligen Junkers wohl zu erinnern, obwohl er ihr durch seine äußere Erscheinung nicht besonders aufgefallen war. Aber am 1. August beförderte sie ihn zum Leutnant. Einen Monat später wurde er bereits am Hofe empfangen und im Dezember zum Kammerjunker ernannt. Diese rasche Beförderung verdankte er den Orloffs. Sie hatten der Kaiserin von seinen unvergleichlichen gesellschaftlichen Talenten erzählt, vor allem hatten sie seine Lustigkeit und die amüsante Gabe gepriesen, jeden Menschen bis auf die Stimme täuschend nachahmen zu können. Katharina liebte nichts mehr als einen fröhlichen Gesellschaftskreis. Lustige unterhaltende Menschen waren ihr jederzeit willkommen. Und so wurde der junge Patiomkin in ihren intimen Kreis eingeführt. Die Kaiserin war von seiner unbezahlbaren Mimik, seinem sprudelnden Witz entzückt und unterhielt sich köstlich mit ihm. Sie lachte Tränen, wenn es ihm gelang, ihre eigene Art zu sprechen und ihre Stimme nachzuahmen. Und Patiomkin genierte sich durchaus nicht, seine erhabene Herrscherin ganz getreu zu kopieren. Katharina war im vertrauten Kreise äußerst menschlich und eine viel zu gute Kameradin, als daß sie selbst eine spöttelnde Kritik übel genommen hätte.

Aber es schien, als wenn ihr durchdringendes Auge diesmal weiter schaute als bei den anderen von ihr auf diese Art bevorzugten Männern. Es schien, als wenn sie Patiomkins reiche Fähigkeiten und sein Genie, das noch im Keime schlummerte, ahnte, als wenn sie fühlte, daß dieser junge Mann geeignet sein würde, einst jegliche Rollen zu spielen, die sie von ihm verlangte. Von diesem Augenblick an nahm sie Anteil an seiner weiteren Entwickelung und Erziehung. Durch einen Ukas empfahl sie im Jahre 1763 den Senatoren, ihren »jungen Schüler« Gregor Alexandrowitsch Patiomkin in alle Angelegenheiten der Staatskunst einzuweihen und ihn zu diesem Zwecke in eine der Senatskanzleien aufzunehmen. Als Lehrer und Ratgeber gab sie ihm den Grafen du Vivarais, der später dem großen einflußreichen Günstling als Sekretär diente.

Persönlich machte Gregor Patiomkin jedoch damals keine Fortschritte in der Gunst seiner liebenswürdigen Gönnerin. Noch war Orloff einige Jahre lang der Alleinherrscher, und der junge Hitzkopf Patiomkin war töricht genug, sich mit den beiden Brüdern zu verfeinden. Eines Tages gab es heftigen Streit mit Alexis beim Billardspiel. Es blieb nicht nur bei Worten, sondern es kam zu Tätlichkeiten. Der riesenhafte Orloff stach dem jungen Patiomkin ein Auge aus.

Auf diese Weise noch mehr entstellt als es sein schlechtgewachsener Körper von Natur aus war, glaubte Patiomkin sich nicht mehr am Hofe zeigen zu können. Er nahm am Kriege gegen die Türken teil und nicht zu seinem Schaden. Er machte ungeheuer schnell Karriere und war bereits mit dreiunddreißig Jahren Generalleutnant. Katharina hatte ihren Schützling also nicht vergessen.

Zehn Jahre waren seit ihrer ersten Begegnung mit Patiomkin vergangen. Im Herzen des jungen Offiziers wurde der Wunsch, bis zur höchsten Gunst seiner Herrscherin zu gelangen, immer lauter. Immer mehr befestigte sich der Gedanke in ihm, den schönen Orloff zu verdrängen. Es schien ihm indes nicht gelingen zu wollen. Ein anderer hatte inzwischen die Bevorzugung Katharinas genossen. Sie schien mit Patiomkin keine andere Absicht zu haben, als aus ihm einen brauchbaren Mitarbeiter und Feldherrn zu machen.

Patiomkin aber gab das Spiel nicht auf. Er kannte Katharinas größte weibliche Schwäche, ihre Eitelkeit. Er wußte, daß man ihr nicht mehr schmeicheln konnte, als wenn man ihr zu verstehen gab, man sei sterblich in sie verliebt; aus Bescheidenheit aber, seine Augen so hoch erhoben zu haben, zöge man sich mit tiefem Liebesschmerz im Herzen resigniert zurück, um auf dem Felde der Ehre zu sterben oder – ihre Gunst zu verdienen. Patiomkin, der Phantastische, ging noch weiter in seiner gewollten Sentimentalität. Er sprach davon, ganz abseits von der Welt als Mönch leben zu wollen, um an sie, die erhabene Geliebte seines unglücklichen Herzens ungestört und in andächtiger Verehrung denken zu können.

Katharina war eine leichtgläubige Frau in der Liebe. Ihr ganzes Leben lang ließ sie sich von Männern betören, die ihr von Liebe sprachen. Sie war fest überzeugt, Gregor Patiomkin werde sich ihretwegen ins Kloster zurückziehen, wie er es zu seinen Freunden geäußert hatte. Übrigens war es für sie ein ganz neuer Zug des Mannes, der aus unerfüllter Liebe dem weltlichen Leben entsagen wollte. Die vierundvierzigjährige Frau reizte diese sentimentale Note in Patiomkins Liebe. Seit Zachar Tschernitscheff und Poniatowski war sie nicht mehr an ein zartes Gefühl gewöhnt. Und dann – war Patiomkin nicht ein ihr ebenbürtiger Geist? Der Name des Siegers von Silistria war bald in aller Munde. Man sprach nur noch von ihm und seinem Genie als Held und Feldherr. Was war Wassiltschikoff dagegen? Eine Null, ein gefügiges Werkzeug ihrer Lust. Katharina sehnte sich förmlich danach, einmal einen Mann näher kennen zu lernen, der mit der körperlichen Kraft und Leidenschaft auch Genie, Geist, Eigenart und eine gewisse Gemütswärme verband. Sie war endlich des unbedeutenden Wassiltschikoffs müde. Ende 1773 schrieb sie in einer spontanen Anwandlung an Patiomkin:

»Sie sind, wie mir scheint, dermaßen damit beschäftigt, Ihre Augen auf Silistria zu richten, daß Sie keine Zeit haben, Briefe zu lesen. Bis jetzt weiß ich nicht, ob Ihre Beschießung Erfolg gehabt hat. Nichtsdestoweniger bin ich überzeugt, daß alles, was Sie unternehmen, nur Ihrem kühnen Eifer für meine Person und das teure Land entspringt, dem Sie so gern dienen. Da mir jedoch anderseits daran gelegen ist, mir strebsame, mutige, intelligente und geschickte Männer zu erhalten, so bitte ich Sie, sich nicht unnützerweise der Gefahr auszusetzen.

Wenn Sie diesen Brief lesen, fragen Sie sich vielleicht, warum er geschrieben wurde. Darauf will ich Ihnen folgendes antworten: Sie sollen eine Bestätigung darin sehen, wie sehr ich an Sie denke, denn ich wünsche Ihnen immer viel Gutes.«

Einer deutlicheren Sprache bedurfte es nicht. Patiomkin verstand. Seine Zeit war gekommen. Er reiste aus dem Süden ab und war im Januar 1774 in Petersburg am Hofe Katharinas. Aber sechs Wochen vergingen noch, ehe er ganz festen Boden gewann. Patiomkin wollte keine Niederlage erleiden. Er sondierte das Gebiet und fand es für seine Operationen günstig. Am 27. Februar wagte er den Schritt. Ohne Umschweife ging er direkt auf sein Ziel los. Er schrieb einfach der Kaiserin, ob sie ihn für würdig halte, ihn zu ihrem »persönlichen Adjutanten« zu ernennen. Die Antwort fiel zu seinen Gunsten aus. Am nächsten Tag zog er wie ein wahrer Usurpator in die Günstlingsgemächer ein und bemächtigte sich auf diese Weise des Schlachtfeldes, das man ihm so lange streitig gemacht hatte.

Katharina selbst war äußerst entzückt über diese neue Erwerbung. Patiomkin war häßlich, entstellt – die Orloffs nannten ihn den »Zyklopen« – aber in seiner Liebe war etwas, was sie noch nicht kannte: sentimentale Leidenschaft. Weder Orloff noch Wassiltschikoff besaßen sie. Patiomkin, obgleich kein Jüngling mehr, konnte schwärmend in sinnlicher Ekstase vor ihr auf den Knien liegen, ihre Frauenschönheit bewundern, ihr die zärtlichsten Liebesworte zuflüstern in wirklich empfundenem und genossenem Glück. Seine maßlose Leidenschaft, sein riesiger Wuchs, seine Kühnheit in dem neuen Liebesspiel bezauberten die sinnliche Frau aufs höchste. Er war der erste Mann seit langer Zeit, der es gewagt hatte, ihr als erster seine Liebe zu gestehen. Er hatte sich dieses Recht selbst bei einer Kaiserin nicht streitig machen lassen. Katharina war stolz und glücklich, so geliebt zu werden. Denn Patiomkin war in seiner romantischen Art wirklich verliebt in sie. Bisher war sie es stets gewesen, die ihre Liebhaber mit Aufmerksamkeiten und Geschenken überhäuft hatte. Dieser Geliebte aber fühlte sich auch einer kaiserlichen Mätresse gegenüber nicht nur als Nehmender. Nichts war ihm gut und schön, selten und kostbar genug, um es Katharina zu Füßen zu legen. In seiner Umgebung lebte ein Offizier namens Bauer, der beständig für ihn unterwegs war, um aus allen möglichen Gegenden der Welt Seltenheiten herbeizuschaffen, mit denen Patiomkin die Kaiserin überraschte. Bald schickte er Bauer nach Paris, bald nach Astrachan, bald nach Polen, in die Krim oder sonstwohin, um entweder einen Tänzer, Wassermelonen, die seltensten Weintrauben oder auch nur Blumen zu holen. Wie ein anderer Verliebter seinen Diener in der Stadt herumschickt, um für die Geliebte irgendeine kostbare Kleinigkeit zu holen, so ließ dieser phantastische Mann seinen Ergebenen fortwährend in der Welt herumreisen.

Er betete Katharina gleichzeitig als Herrscherin und Geliebte an. Er liebte sie wie seinen Ruhm. Sie wiederum hegte die tiefste Bewunderung für seine ungewöhnlichen Gaben, seine merkwürdige Vielseitigkeit. Als Grimm ihr einen leisen Vorwurf machte, daß sie so oft ihre Günstlinge wechsele, antwortete sie ihm: »Warum? Weil ich mich von einem gewiß ausgezeichneten aber sehr langweiligen Bürger (Wassiltschikoff) entfernt habe, der sofort, ehe ich es mich versah, durch eins der größten, der komischsten und amüsantesten Originale dieses eisernen Jahrhunderts ersetzt worden ist?« Und als Patiomkin im Jahre 1774 den Frieden von Kutschuk-Kainardsche mit den Türken abschloß, schrieb sie an ihren »souffre douleur«: »Ah! que c'est une bonne tête que cet homme-là! Il a plus de part que personne à cette paix, et cette bonne tête est amusante comme le diable«. Ein andermal aber ist sie überzeugt, daß er weit mehr Geist als sie besitzt und daß alles, was er tut, mit tiefer Überlegung geschieht. In Wahrheit jedoch übertraf Katharina ihren Geliebten durchaus an geistiger Willenskraft.

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Sie paßten nichtsdestoweniger wundervoll zueinander, diese beiden seltsamen, genialen Menschen. Patiomkin war ein reiner Dämon an Doppelseitigkeit. Er schuf und zerstörte und erfüllte alles mit neuem Leben. Mit seiner Prachtliebe, seiner Verschwendungssucht stellte er die Orloffs weit in den Schatten. Ihm standen ungeheure Mittel zu Gebote. Er verfügte über die Machtquellen des Reichs; er schöpfte ungehindert in den Staatskassen, aber er tat von diesem Gelde auch viel für das Reich selbst. Seine Persönlichkeit hatte etwas so Wuchtiges, so Gewaltiges, so Faszinierendes, daß man nur ihn sah und nur von ihm sprach, wenn er abwesend war. Ein seltsames Gemisch von Genialität, zynischer Roheit, europäischer Bildung und Verfeinerung, asiatischer Unkultur, Egoismus und Menschlichkeit, Energie und Schlaffheit, Arbeitskraft und Trägheit, der echte Typus slawischer Intelligenz. Fürst von Ligne sagte von ihm, man könne hundert Menschen von gewöhnlichem Geist und Gemüt aus diesem einen universellen Charakter machen. Alle, sogar seine Feinde, beugten sich vor ihm. Er verstand es wunderbar, alles an sich zu reißen, so daß er später, als Ehrgeiz und Freundschaft an Stelle der Liebe und Leidenschaft getreten waren, noch denselben Einfluß an Katharinas Hofe genoß und alles ihm untergeordnet war, sogar die jeweiligen Liebhaber der Kaiserin.

»Sie ist wahnsinnig in Patiomkin verliebt«, sagte der Senator Jellagin zu Durand; »sie müssen sich sehr lieben, denn sie ähneln sich vollkommen«. In der Tat bezeugen die Briefe Katharinas an ihren Geliebten eine Zärtlichkeit, die weit über die Gewohnheit der Herrscherinnen, an ihre Günstlinge, zu schreiben, hinausgeht. Solcher Liebesworte wie an Patiomkin hatte sie sich nie gegen einen anderen ihrer Liebhaber bedient. Da gibt es Kosenamen wie Galubtschik (Täubchen), teure Seele, Goldfasan, mein Herzlicher, Geliebtester, liebes Herz usw. Wie in bürgerlichen Liebesverhältnissen kommen auch zwischen dieser liebenden Kaiserin und ihrem Geliebten kleine Streitigkeiten und Eifersüchteleien vor. Patiomkin war kein leicht verträglicher Charakter. Er trotzte, schmollte, war Choleriker und zerschlug und zertrümmerte alles im Zorn. Manchmal sprach er tagelang nicht mit ihr. Dann saß Katharina mit verweinten Augen schweigend mit ihm am Tisch. Oder sie schrieb ihm wohl auch: »Wenn Du Dich heute nicht liebenswürdiger zeigst als gestern, ich … ich … ich … ja, wahrhaftig, dann esse ich nicht« … Aber er versöhnte sie immer wieder, und wenn der Zank noch so ernst gewesen war, durch seinen unerschütterlichen Glauben an ihre gegenseitige, unzertrennliche Liebe. »Erlaube, teure Seele«, schrieb er ihr einmal nach einem solchen Streit, »daß ich Dir als Letztes sage, wie ich glaube, daß unser Streit enden wird. Denke nicht, daß ich mir über unsere Liebe Sorgen mache. Außer den unzähligen Wohltaten, mit denen Du mich überschüttet hast, hast Du mir auch einen Platz in Deinem Herzen gewährt. Ich will allein darin sein und über allen stehen, die mir vorangegangen sind, weil keiner Dich so geliebt hat, wie ich Dich liebe. Und da ich das Werk Deiner Hände bin, so wünsche ich Dich noch ausruhen zu sehen. Ich wünsche, daß Du Freude an den Wohltaten hast, mit denen Du mich überhäufst, daß Du einmal eine Erleichterung in den ernsten Arbeiten findest, die Dir durch Deine hohe Stellung auferlegt sind«.

Das war freilich eine andere, tiefere Sprache, als wie sie Orloff führte, den Katharina fast zu jeder Arbeit und Handlung zwingen mußte. Patiomkin aber wußte, daß die Leidenschaft und Sinnlichkeit bei ihr ein vergängliches Geschenk waren. Schon morgen konnte er aus den intimen Gemächern verdrängt sein. Aber seine Tatkraft, seine Kenntnisse als Staatsmann, als Feldherr, als Organisator, kurz als unentbehrlicher Ratgeber, als Stütze und Freund in allen Lagen, das war es, was ihn allein in seiner bevorzugten Stellung befestigen konnte. Gleichzeitig verstand er es, zu Katharinas Herzen zu sprechen, der glühende, zärtliche Liebhaber zu sein, der das Weib und die Herrscherin zugleich in ihr verehrte. Nie vergaß er, was er der Kaiserin an Respekt schuldig war. Für sie veranstaltete er die glänzendsten Feste, die der russische Hof je gesehen, denn sein Privatvermögen war unermeßlich. Er lebte wie ein Satrap in seinen Palästen zu Krementschug und Cherson. Der taurische Palast war der Schauplatz ungeheuerer Verschwendung und Pracht. Patiomkin liebte die Genüsse der Tafel wie den Wein in hohem Maße. Auf seinem Tisch in Petersburg, Kiew und Jassy gab es die auserlesensten Gerichte. Aber er war kein Gourmet im wahren Sinne des Wortes. Er liebte nur gut und viel zu essen und zu trinken, wenn er es haben konnte, unter Umständen begnügte er sich jedoch auch mit einem Stück Knoblauch und ein wenig Brot. Dutzende Flaschen von Kwas trank er am Tage. Und wenn er kaum von der Tafel der Kaiserin aufgestanden war, konnte er mit dem größten Appetit eine rohe Rübe verzehren.

Ebenso bizarr wie in seinen Gewohnheiten war er in seiner Kleidung. Sein gewöhnlicher Anzug war ein weiter Schlafrock, den er auch nicht gegen ein anderes, korrekteres Gewand vertauschte, wenn er Damenbesuch empfing. Er trug ihn sogar auf den Reisen durch seine Provinzen, wenn er dort Diners und Empfänge gab. Unter diesem bequemen Kleidungsstück trug er weder Hemd noch Beinkleider. Seine Besucher sahen ihn oft halbnackt in seinem Zimmer auf der Ottomane liegen, anscheinend müßig träumend. Und man hatte unwillkürlich den Eindruck, daß er ein träger, fauler Mensch sei. Aber die zahllosen Handschreiben an Beamte, deren Arbeiten er überwachte, die Menge Briefe und Geschäftspapiere sind der beste Beweis für seine organisatorische Tätigkeit und seine ungewöhnliche Arbeitskraft.

Oft erschien er in den Gemächern Katharinas schmutzig, mit nackten Füßen, kaum bekleidet. Seine langen Haare waren selten gekämmt, seine Nägel weder sauber noch beschnitten, sondern höchst unappetitlich abgebissen, eine Gewohnheit, deren er ungehindert in Gesellschaft der Kaiserin und des Hofes pflegte. Eine Vorschrift der »Eremitage«, der intimen Gesellschaft Katharinas, wo alles gestattet und manches verboten war, betraf ganz besonders Gregor Patiomkin. Sie hieß: »Man wird gebeten, lustig zu sein, aber ohne etwas zu zerstören, zu zerbrechen oder zu zerbeißen«.

Nur bei hohen Festlichkeiten bequemte Patiomkin sich, seinen Allerweltsschlafrock abzulegen. Dann aber verfiel er in das andere Extrem und erschien über und über mit Gold und Diamanten beladen in den phantastischsten Uniformen, die sein theatralischer Geschmack selbst entworfen hatte. Ungeheure Federbüsche wehten von seinem Haupte, und seine Brust war buchstäblich mit Orden und Auszeichnungen behangen.

Katharina kannte alle Schwächen, alle Fehler dieses Mannes, und doch bewunderte sie ihn wahrhaft. Vielleicht hat sie manchen zärtlicher geliebt als Patiomkin, aber keinen mit solcher Freundschaft, mit solcher Verehrung. Keiner hatte seinen Willen so geltend gemacht wie er. Und doch war Katharina die Überlegene. Wie Orloff so strebte auch Patiomkin nach dem Throne, und mit mehr Berechtigung als dieser. Er hoffte, Katharina werde ihre Verbindung durch die Kirche bestätigen. Er irrte. Ihre Liebe ging nicht so weit, daß sie dadurch ihre Selbständigkeit aufgab.

Das physische Interesse Katharinas für Patiomkin dauerte nur zwei Jahre. Als der Geliebte sich im Jahre 1776 auf einer Reise nach Nowgorod befand, setzte sie den jungen Peter Zavadowski in den goldenen Käfig neben ihren Gemächern. Er war ihr Sekretär gewesen. Seine kräftige, wohlgebaute Gestalt, hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Zavadowski hingegen strebte nach Höherem. Er hatte nichts Geringeres im Sinn, als den mächtigen Patiomkin ganz aus dem Felde als Ersten Minister zu schlagen.

Weder er noch Katharina, die sich sonst mit so großer Leichtigkeit der »verblichenen Bilder zu entledigen« wußte, hatten mit dem harten Kopfe Patiomkins gerechnet. Er war kein Orloff, der gute Miene zum bösen Spiele machte und auf Umwegen wieder zu allen äußeren Ehren und Ämtern gelangte, die ihm die Laune der Geliebten genommen. Patiomkin kam zurück und trat als Gebieter auf. Er war nicht der Mann, der sich so einfach beiseite schieben ließ wie ein abgelegtes Kleidungsstück oder ein ausgelesenes Buch. Es gab eine aufgeregte Szene zwischen ihm und der Kaiserin. Er brüllte wie ein Löwe und zertrümmerte alles. Katharina zog, wie oft bei solchen Gelegenheiten, den Kürzeren; sie ordnete sich seinem Willen unter.

Aber den Platz in den intimen Gemächern, dessen sich ein anderer während seiner Abwesenheit bemächtigt hatte, suchte Patiomkin nicht wiederzuerobern. Er konnte nicht der Nachfolger eines Zavadowski sein. Der Ratgeber, der Staatsminister, der Feldherr jedoch wollte er bleiben. Den Einfluß und die Macht auf die Staatsgeschäfte ließ er sich nicht entreißen. Sein Ehrgeiz, seine Eitelkeit und Ruhmesliebe hätten das nicht zugegeben. Seine Blicke strebten noch höher. Er dachte an die Krone von Kurland als Entschädigung für die verschmähte Liebe. Aber Katharina war nicht mehr in der Lage, Kronen zu verleihen. Sie begriff jedoch, daß dieser vom Schicksal verwöhnte, von ihr selbst vergötterte und verhätschelte Mann nicht die geringste Schmälerung seines Glücks, nicht die geringste Verminderung ihres Vertrauens vertragen würde. Diesem seltsamen Charakter, der »etwas von einem Riesen, einem Romanhelden und einem Barbaren« an sich hatte, vermochte sie die Macht in ihrem Staate nicht zu entziehen. Sie selbst brauchte ihn. Und so blieb Patiomkin der Pseudozar, wie ihn das Volk nannte.

Und wie im äußeren Leben, so behielt er auch die Macht im Innern. Kein neuer Günstling betrat von nun an mehr das Allerheiligste ohne Patiomkins Einwilligung. Er war der »maître de plaisir« seiner Herrin. Da er selbst nicht mehr der Bevorzugte war, wollte er wenigstens, daß die Leute, die die Zerstreuungen Katharinas teilten, an denen er keinen Anteil mehr hatte, ihm völlig untergeordnet waren. Zavadowski hatte nicht das Glück, dem Mächtigen zu gefallen. Vielleicht machte sich auch Katharina nicht besonders viel aus ihm, denn ihr Temperament stieg mit den Jahren ins Ungeheuerliche. Zavadowski vergaß bisweilen seine eigentliche Bestimmung und dachte an ehrgeizige Zukunftspläne. Kurz, er mißfiel und erhielt seinen Abschied. Er verdankte seiner 18monatigen Günstlingsherrschaft jedoch sehr bemerkenswerte Vorteile. Seltsamerweise bekleidete er noch nach seiner Abdankung aus dem persönlichen Dienste der Kaiserin die höchsten Staatsämter. Katharina überhäufte ihn mit Wohltaten und Reichtümern. Lange nach ihrem Tode spürte er noch die glücklichen Rückwirkungen einer so hohen Auszeichnung. Im Jahre 1794 erhob Kaiser Franz II. ihn und seine zwei Brüder in den Reichsfürstenstand, und drei Jahre später ernannte ihn Katharinas Sohn, der Kaiser Paul, zum russischen Grafen. Unter der Regierung Alexanders I. war Zavadowski Minister des öffentlichen Unterrichts.

Patiomkin ließ es sich angelegen sein, die Inhaber der Günstlingsgemächer so oft wie möglich zu wechseln. Damit kam er vielleicht dem Geschmack und Verlangen seiner Gebieterin am meisten entgegen. Auf Zavadowski folgte Zoritsch, auf Zoritsch Korsakoff und auf diesen Lanskoi, Jermeloff und Mamonoff. Er aber, Patiomkin, lebte fortan als unzertrennlicher Gefährte, als bewunderter Freund und Ratgeber, bisweilen auch als gebieterischer Herr, vor dessen Willen sich selbst eine Katharina die Große beugte. »J'ai un ami très capable et très digne de l'être«, pflegte sie zu sagen.

Die meisten der Nachfolger Patiomkins waren völlig in seiner Hand, ganz seine Geschöpfe. Zoritsch, ein Serbe von Geburt, hätte vielleicht einigen Einfluß auf Katharinas Staatsgeschäfte gewinnen können. Er war jedoch zu jung. Sein intelligenter Geist besaß noch nicht die nötige Reife, um die außerordentliche Lage, in der er sich plötzlich befand, ganz zu erfassen oder so auszunützen, daß sie ihn zum höchsten Vorteil gedieh. Es war alles wie ein Traum über ihn gekommen. Er war den Türken aus dem Bagno in Konstantinopel entflohen. Als er zum erstenmal an Katharinas Hofe in der knappen anliegenden Husarenuniform erschien, machte seine faszinierende Schönheit den mächtigsten Eindruck. Die Kaiserin war hingerissen von seiner prächtigen Gestalt. Er stand in der Blüte seiner Mannesjugend und besaß die unverfälschte Natürlichkeit seiner damals noch unverdorbenen Bauernrasse. Gleich am ersten Tage erhielt er von Katharina, außer dem üblichen Geschenk von 100 000 Rubeln, eine Besitzung im Werte von 120 000 Rubeln. Patiomkin war sein Schutzpatron. Ehe er Zoritsch bei der Kaiserin einführte, hatte er ihm ein Hauptmannspatent verschafft. Ein Zeichen von ihm genügte, um alles Glück und allen Glanz über den jungen Serben auszuschütten. Aber ein ebenso gebieterischer Herrscherwink des Gewaltigen konnte auch die schimmernden Sterne von heute in gewesene Größen verwandeln.

Zoritsch glänzte nicht lange am Liebeshimmel der alternden Katharina. Er war so töricht gewesen, sich mit seinem Protektor zu verfeinden und ihn zum Zweikampf herauszufordern. Er mußte gehen, wie die andern gegangen waren; nur die Erinnerung an die so hohe kaiserliche Auszeichnung blieb ihm.

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Zoritsch

Übrigens konnte er zufrieden sein, seine Freiheit unter so glänzenden Bedingungen wiedererlangt zu haben. Seine freigebige Geliebte machte ihm die Stadt Sschklow zum Geschenk und erhob sie zu einer Art souveräner Herrschaft. Dort lebte Zoritsch wie ein wahrer Fürst an einem kleinen, aber zahlreichen und verschwenderischen Hofe. Keiner der Liebhaber Katharinas hatte bei ihr sparen gelernt oder war von Natur aus zum Sparen veranlagt. Sie selbst liebte die verschwenderischen, reichen, gebenden Naturen und erzog sie dazu, wenn sie diese Eigenschaften noch nicht besaßen. Mancher, der in ihre gefährliche Schule gegangen war, richtete sich später, als er nicht mehr aus den immer vollen kaiserlichen Kassen schöpfen konnte, zugrunde. So Zoritsch. Er bewies wahre sardanapalische Neigungen im Spiel und Vergnügen, besaß jedoch nicht den großen Reichtum wie Patiomkin, der es sich gestatten konnte, Feste zu geben, die Millionen kosteten, der von Sieg zu Sieg stürmte und immer neue Schätze anhäufte.

III.
Liebesglück und Liebesleid

Die Günstlingsgemächer blieben nach der Verabschiedung Peter Zoritschs kaum einen Tag unbewohnt. Weder der Kaiserin noch Patiomkin machte es viel Kopfzerbrechen, den freigewordenen Platz des »Wremientschiks« zu besetzen. Am Hofe bewarben sich die schönsten, jüngsten und kühnsten Männer um diesen Posten. Man brauchte nur zu wählen. Aber diesmal fiel der Liebesblick Katharinas auf einen ihrer einfachsten Untertanen. Als sie eines Tages, im Jahre 1778, ausfuhr, bemerkte sie unter ihrer Schloßwache einen wunderschönen Sergeanten, ein Meisterwerk physischer Kraft und vollendeter Schönheit. Sie erkundigte sich, wer der schöne Mann sei und erfuhr, daß er Rimski Korsakoff heiße. Katharina zögerte nicht, ihn bis zu ihrem kaiserlichen Lager zu erheben. Am nächsten Tag nach der Begegnung, war er Generaladjutant. Wie sie es liebte, fast allen ihren Geliebten und Freunden einen Spitznamen zu geben, so nannte sie auch Korsakoff wegen seiner Schönheit und der Helle, die er um die fünfzigjährige Liebende verbreitete, Pyrrhus, den König von Epirus. In anbetender Liebesglut verehrte sie ihn wie einen jungen Gott. Es war alles schön, edel, erhaben an ihm, der noch kurz vorher in den Kasernenstuben getobt, geflucht, gebrüllt und getrunken hatte, der weder Wissen noch Bildung besaß, der erst lernen mußte, wie man mit einer hochgestellten Dame umzugehen hatte. Aber Katharina war verliebt, rasend verliebt in den jungen Menschen; sie sah seine Fehler nicht, nur seine Vorzüge. Grimm konnte ihren Geschmack nicht begreifen und nahm diese neue Liebe seiner verehrten Kaiserin für eine vorübergehende Laune, eine einfache »Eingenommenheit«. Aber wie entrüstet war da Katharina über diese Ansicht ihres »souffre-douleur«! Der gute Grimm mußte sich zum erstenmal eine Lektion aus der kaiserlichen Feder gefallen lassen.

»Engoué! engoué!« schreibt sie ihm; »wissen Sie auch, daß dieser Ausdruck durchaus nicht geeignet ist, wenn man von Pyrrhos, dem König von Epirus spricht? Von dieser Klippe der Maler, der Verzweiflung der Bildhauer! Die Meisterwerke der Natur flößen Bewunderung, Begeisterung ein, mein Herr. Des belles choses tombent et se fracassent comme des idoles devant l'arche du Seigneur, devant le caractère du grand. Niemals machte Pyrrhos eine Geste, eine Bewegung, die nicht vornehm oder anmutig war. Er ist strahlend wie die Sonne. Er verbreitet Helle um sich. Und das alles ist durchaus nicht weibisch, sondern ganz männlich, und wie Sie möchten, daß jemand sei. Mit einem Wort: es ist Pyrrhos, König von Epirus! Alles ist bei ihm harmonisch; nichts in seinem Äußern noch Wesen ist mangelhaft. Es ist die schönste Wirkung kostbarer Gaben, die die verschwenderische Natur auf ihn gehäuft. Von Kunst keine Spur und alles Gesuchte ist himmelweit von ihm entfernt …«

Dieser herrliche, von ihr vergötterte Mann war jedoch nichts weniger als klug. Er übertraf an Unwissenheit alle seine Vorgänger. Kurz nach seiner Erhebung zur höchsten Gnade wollte er sich in seinem Hause in Wasielitschikoff, das ihm die Kaiserin geschenkt hatte, eine Bibliothek einrichten lassen. Er fand es wohl für gut, sich durch Bücher wenigstens den Anschein eines gebildeten Menschen zu geben. Jedenfalls ließ er einen bekannten Petersburger Buchhändler kommen und befahl ihm eine »schöne Bibliothek« aufzustellen. Als der Buchhändler ihn fragte, welche Art Bücher er bevorzuge, antwortete der neugebackene kaiserliche Günstling mit viel Würde: »Nun, das werden Sie am besten wissen. Große Bücher in die unteren Reihen, kleine in die oberen. Wie bei der Kaiserin.«

Er war auch weder treu noch dankbar. Freilich war er nicht undankbarer wie Orloff, aber er genoß nicht dasselbe Ansehen wie dieser, durfte sich daher nicht so viel gestatten, wie er. Er tat es dennoch und verscherzte sich dadurch die Gunst Katharinas für immer. Eines Tages überraschte sie ihren schönen Pyrrhos in den Armen einer Jüngeren, und zwar in ihrem eigenen Schlafzimmer, dem Tusculum, das ihr großes Glück zwei Jahre lang gekannt hatte. Ihre Ehrendame und Vertraute; die hübsche Gräfin Bruce, hatte es gewagt, sich mit ihrer Herrscherin in die Liebe Korsakoffs zu teilen. Aufs höchste bestürzt, zog sich Katharina zurück. Ihre ganze Rache bestand darin, die Hofdame sowohl wie den Günstling von ihrem Hofe zu entfernen. Die Bruce wurde nach Moskau und der ungetreue Korsakoff ins Ausland geschickt. Er hätte noch lange bei der Kaiserin bleiben können, denn er gefiel ihr immer mehr. Er war es, der zuerst ihrer müde wurde. Und da sie weder Politik noch geistige Bande an diesen Mann fesselten, wurde er wie ein treuloser Bedienter fortgeschickt.

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So hatte Katharina unter all den schönen Männern, mit denen sie die vertrautesten Stunden ihres Lebens verbrachte, keinen, der ihre Seele, ihren Geist besaß oder ihrem Herzen besonders nahestand. Ein einziger, Patiomkin, machte eine Ausnahme. Er hatte die glücklichen Stunden nie vergessen, da er Katharina wie eine Göttin verehrte. Er blieb ihr der getreueste Freund im Herzen; er war nicht käuflich. Katharina wußte das und bewahrte ihm bis ans Ende die größte Anhänglichkeit und Zärtlichkeit. Nie hat sie ihre günstige Meinung über diesen genialen Freund geändert. »Es gibt nichts Zärtliches auf der Welt, mein Freund, was ich Ihnen nicht sagen möchte,« schreibt sie ihm bei Gelegenheit der Einnahme von Bender und sandte ihm einen aus Diamanten und Smaragden geflochtenen Lorbeerkranz. Gleichzeitig fügt sie hinzu, Patiomkin möchte aber ja nicht eingebildet werden. Und da er sich wegen dieser Voraussetzung beleidigt fühlt, schreibt sie ihm im nächsten Brief: »Das kommt davon, wenn man tausend Werst voneinander entfernt ist und sich schreiben muß. Mein Herz ist voller Freude und hat Sie nur einen Augenblick gewarnt, weil ich wünschte, Ihnen das Einzige zu ersparen, was Ihre Seelengröße vermindern könne.« Alle ihre Briefe an den einstigen Geliebten sind voll von zarter Fürsorge, zärtlicher aufrichtiger Freundschaft. Hin und wieder wendet sie auch das vertrauliche »Du« an. »Ich nehme Dich bei den Ohren und küsse Dich,« schreibt sie ihm bei der Einnahme von Otschakow. Kaum merkt man in den Beziehungen dieser beiden großen eigenartigen Menschen, daß mit den Jahren ein Unterschied eingetreten ist. Katharina läßt Patiomkin regieren, ihre Heere und Flotten befehligen, ihre Provinzen verwalten, überschüttet ihn mit Reichtümern und Auszeichnungen und hat für ihn die größte Zärtlichkeit übrig, obgleich er längst aus dem Allerheiligsten verbannt ist. Sie nennt ihn ihren Schüler, ihren Freund, ihren Gott. Sie lobt seinen Geist, seinen Seelenadel, seine Großmut, sein Herz und sieht in ihm einen der größten und bedeutendsten Menschen ihres Jahrhunderts. Sie verzeiht ihm, wenn er sie vernachlässigt. Oft läßt er sie monatelang ohne Nachricht oder antwortet nicht auf ihre Fragen, besonders als er in der Krim wie ein Herrscher befehligte. Endlich erhält sie einen Brief von ihm! Da antwortet sie ihm in wahrer Verzweiflung um sein Leben, seine Gesundheit:

»Ich habe alle die Zeit, da ich ohne Nachricht von Dir war, zwischen Leben und Tod geschwebt … Um Gottes und meinetwillen schone Dich mehr, als Du es bis jetzt getan! Nichts fürchte ich mehr, als Dich krank zu wissen … Sie sind jetzt, mein lieber Freund, kein kleiner Privatmann mehr, der leben kann, wie er will, und tun kann, was er will: Sie gehören dem Staate, Sie gehören mir.«

Ja, er gehörte Rußland, er gehörte Katharina. Er war ihr ein Freund, dessen Bedeutung sie nicht gering einschätzen durfte Sie hatte ihn zum Feldmarschall, zum ersten Minister, zum Fürsten gemacht. Er besaß alle Würden, alle Ehren, vereinigte alle Macht in sich. Als die Krim während des zweiten Türkenkrieges an Rußland kam, befehligte Patiomkin dort vollkommen nach seinem Willen. Er war als Administrator und Gesetzgeber, als Feldherr und Diplomat tätig. Katharina ließ sein vielseitiges Genie walten. Sie nannte ihn stolz den »Taurier« und überhäufte ihn mit noch größerem Ruhme, mit Millionen und Palästen, mit einer fast souveränen fürstlichen Stellung über ein großes Reich im Süden.

So oft die Verhältnisse es gestatteten, kam Patiomkin nach Petersburg, und die Freundschaft zwischen beiden wurde nie erschüttert. Nur vergaß Katharina in den Armen so vieler Unwürdiger, daß dieser geniale Mann von allen ihren Liebhabern ihr am ebenbürtigsten war. Eine einzige Ausnahme bildete Lanskoi, der ihrem Herzen nach Patiomkin am nächsten gestanden hat. Mit ihm lebte sie vier Jahre lang im höchsten Glück, obgleich er erst 22 Jahre alt war und sie 51.

Noch am selben Tage als Korsakoff verabschiedet wurde, ernannte Katharina den jungen Lanskoi zu ihrem persönlichen Adjutanten. Er war ein sehr armer Offizier der Chevaliergarde und hatte sich, wie die meisten Freunde der Kaiserin, durch seine Schönheit bemerkbar gemacht. Aber er besaß nicht, wie Korsakoff, nur äußere Schönheit, sondern auch eine edle Seele und einen gebildeten Geist. Er war sanften Charakters und gegen jedermann liebenswürdig, hatte nichts von der hochmütigen brutalen Rücksichtslosigkeit seiner Vorgänger an sich, die ihre hohe Gunst bei der Kaiserin dazu benutzten, um sich als Tyrannen aufzuspielen. Lanskoi war gütig und menschlich. Er war auch kein Nichtstuer, sondern beschäftigte sich gern und liebte die Künste. In seinem Benehmen gegen die Kaiserin lag große Natürlichkeit und so viel zarte Ritterlichkeit, daß Katharina wohl annehmen konnte, er liebe sie. Er verehrte in ihr besonders das Menschliche, ihre vielen guten und anziehenden Eigenschaften, die sie in der Tat besaß. Das Schicksal schien für diese Frau die Liebe in der verschiedensten Form bestimmt zu haben. Alle Stadien des Gefühls und der Leidenschaft erlebte sie in ihrem reichen Liebesleben. Jeden der Männer, die ihr nahestanden, liebte sie auf eine andere Art, und jeder verschaffte ihr ein anderes, ein neues Glück. Lanskoi verbreitete mit seiner Jugend und Liebenswürdigkeit strahlende Sonne und Wärme um sie. Nie gab er ihr Anlaß zur Unzufriedenheit. Alle ihre Gedanken gehörten ihm, dem Einzigen. An ihn verschwendete sie alles, was Frauenzärtlichkeit und Sorgfalt geben kann. Er war der Erste, den sie nicht nur mit den Sinnen liebte. Ihm gehörte auch ihr Herz, und es hätte wenig gefehlt, so wäre dieser junge Mensch dem mächtigen Patiomkin gefährlich geworden. Aber die Zeit, da der zärtlichste Geliebte Katharinas in ihrer Nähe lebte, war zu kurz, um dem Gewaltigen den Einfluß zu schmälern. Es lag auch nicht in der Absicht des sanften Lanskoi. Er war nicht ehrgeizig. Seine geistigen Fähigkeiten würden ihn wohl zu den höchsten Ämtern befähigt und seine schöne Menschlichkeit ihm die meisten Freunde und Anhänger erworben haben, aber es war Katharina nicht beschieden, in ihm, wie sie sich ausdrückte, »die Stütze ihres Alters« zu sehen. Der Tod entriß ihr den Geliebten auf eine plötzliche, unerklärliche Weise.

Am 19. Juni 1784 erkrankte Lanskoi. Er legte sich mit hohem Fieber zu Bett, als er sich mit Katharina in Zarskoje-Selo befand. In größter Eile ließ sie den deutschen Arzt Weikard aus Petersburg kommen, einen derben aber ausgezeichneten Mediziner, der keine Ausflüchte gebrauchte, um die Kranken oder ihre Umgebung mit falschen Aussagen zu trösten. Die Kaiserin, die nicht von dem Bett des Kranken wich, war in fieberhafter Aufregung und Sorge um ihren Liebling. Ängstlich fragte sie den Arzt, was er denke. »Ein sehr böses Fieber, Madame,« antwortete Weikard; »er wird daran sterben.« Katharina war außer sich vor Schmerz. Man wollte sie von dem Bett des Kranken entfernen, weil die Angina, die er vermutlich hatte, ansteckend war. Sie aber verließ ihn nicht eine Minute, wechselte die Kleider nicht, nahm fast keine Nahrung zu sich und leistete alle Dienste einer Krankenwärterin. Aber die stärkste Liebe, die zärtlichsten Liebkosungen vermochten Lanskoi nicht am Leben zu erhalten. Er starb zehn Tage später in ihren Armen, kaum 26 Jahre alt.

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Alexander Lanskoi

Der Schmerz der Kaiserin war herzzerreißend. Sie schloss sich mehrere Tage lang ein, wollte in ihrer furchtbaren Verzweiflung keinen Menschen um sich sehen und weinte, weinte, weinte. Nur einer Schwester des verstorbenen Geliebten gestattete sie, daß sie bei ihr weilte, weil sie ihm sehr ähnlich war.

Nachdem eine Woche nach dem Tode Lanskois verstrichen war, richtete Katharina sich ein wenig aus ihrer tiefen Melancholie auf und versuchte an ihren guten alten Grimm zu schreiben. Sie holte einen seit mehreren Wochen begonnenen Brief an ihm aus ihrem Schreibtisch und schrieb am 2. Juli:

»Als ich diesen Brief an Sie begann, war ich in Glück und Freude, und meine Gedanken folgten so schnell aufeinander, daß ich kaum wußte, wohin sie entschwunden. Heute ist es anders. Ich bin im tiefsten Leid. Mein Glück ist nicht mehr. Ich glaubte diesen unersetzlichen Verlust, den ich vor acht Tagen erlitten, nicht zu überleben. Mein liebster Freund ist nicht mehr! Ich hoffte, er würde die Stütze meines Alters werden. Er schickte sich in alles, er lernte, er hatte meine Neigungen und meine Anschauungen. Ich habe ihn erzogen. Er war dankbar, sanft, ehrenhaft; er teilte meinen Kummer und meine Sorgen, wenn ich solche hatte, und freute sich mit mir, wenn ich vergnügt war. Kurz, ich muß Ihnen schluchzend sagen – der General Lanskoi ist nicht mehr … Mein Zimmer, das mir vorher so lieb war, ist mir wie eine leere Höhle, in dem ich wie ein Schatten mühsam dahinschleiche. Eine Halsentzündung ergriff mich am Tage vor seinem Tode, und ich hatte fürchterliches Fieber. Seit gestern bin ich jedoch wieder außer Bett, aber so schwach, so schmerzlich niedergedrückt, daß ich keinen Menschen sehen kann, ohne in Tränen auszubrechen. Ich kann weder schlafen noch essen. Das Lesen langweilt mich, das Schreiben strengt mich an. Ich weiß nicht, was aus mir werden soll. Aber das weiß ich, daß ich in meinem ganzen Leben nicht so unglücklich war, als seit mich mein bester und liebenswürdigster Freund verlassen hat. Ich habe meine Schublade geöffnet und fand dieses angefangene Blatt an Sie; ich schrieb diese Zeilen – aber ich kann nicht mehr …«

Erst zwei Monate später war sie imstande, diesen schmerzlichen Brief an Grimm fortzusetzen.

»Ich muß Ihnen gestehen«, schrieb sie, »all die Zeit war ich außer stande, Ihnen zu schreiben, weil ich wußte, daß wir beide schmerzlich darunter leiden würden. Acht Tage, nachdem ich Ihnen meinen Brief vom Juli geschrieben hatte, besuchten mich der Graf Fedor Orloff und Fürst Patiomkin. Bis dahin konnte ich kein menschliches Wesen vertragen. Diese beiden jedoch verstanden es, sich mir auf eine gute Art zu nähern. Sie heulten mit mir, und da fühlte ich mich wohl unter ihnen. Aber es dauerte lange, bis ich überwand. Und über all dieser Empfindsamkeit bin ich ein gegen alles unempfindliches Wesen geworden, ausgenommen den einzigen großen Schmerz. Dieser vergrößerte und verstärkte sich bei jedem Schritt, jedem Wort.

Glauben Sie indes nicht, daß ich trotz dieses schrecklichen Seelenzustands auch nur das Geringste vernachlässigt habe, wo meine Aufmerksamkeit nötig war. In den furchtbarsten Augenblicken fragte man mich nach allen möglichen Befehlen. Und ich erteilte sie, und zwar ordentlich und mit Klugheit. Das erstaunte besonders den General Saltikoff. Mehr als zwei Monate sind vergangen, ohne daß mein Zustand sich geändert hätte. Endlich wurde ich ruhiger; anfangs waren es Stunden, dann wurden es Tage … Gestern habe ich zum erstenmal die Messe in Petersburg besucht und folglich auch zum erstenmal alle Welt gesehen, und man hat mich gesehen. Aber es war wahrhaftig zu viel für mich. Als ich wieder in meinem Zimmer war, fühlte ich eine so große Niedergeschlagenheit, daß eine andere Frau wie ich in Ohnmacht gefallen wäre … Ich sollte eigentlich Ihre drei Briefe nochmals lesen, aber wirklich, – ich kann nicht … Ich bin ein so trauriges Wesen geworden, das nur noch in einsilbigen Worten spricht … Und alles stimmt mich traurig … und ich liebte es doch nie, Mitleid zu erregen …«

Einer Frau, die solche Worte des Leids und tiefen Gefühls findet, darf man gewiß vieles in ihrem Leben verzeihen, das die Richter der Moral mit unerbittlicher Strenge kritisiert haben. Auch das ist kein Zeichen einer verrohten Natur, daß sie dem verstorbenen Geliebten in Zarskoje-Selo ein herrliches Grabmal errichtete und diese Stätte, die stumme Erinnerung an ihr vergangenes, einziges Glück, täglich aufsuchte, um dort schmerzliche Tränen der Trauer zu weinen.

Katharina hat spät lieben gelernt, aber einmal in ihrem Leben hat sie doch dieses echte Gefühl empfunden. Freilich war sie mehr als 50 Jahre alt, als sie die wirkliche Liebe kennen lernte. Vorher waren ihre tieferen Gefühle in der Frivolität des Hoflebens untergegangen oder im Keime erstickt worden. Erst im Alter fand sie den Mann, der ihrem Herzen näher stand als ihren Sinnen. Vielleicht mischte sich in diese Liebe zu dem Jüngling auch jenes Muttergefühl, das sie den eigenen Kindern niemals bewiesen hat. Vielleicht hätte sie gewünscht, daß der Sohn so gewesen wäre wie dieser junge liebenswürdige Mann, den sie zu ihrem Geliebten machte. Kurze Zeit nach seinem Tode ging das Gerücht, Katharina habe sich mit Patiomkin in geheimer Ehe verbunden. Waren es Dankbarkeit, Anhänglichkeit oder Verlassenheit, die sie zu diesem Schritt veranlaßte?

IV.
Patiomkins Ungnade und Tod

Ein ganzes Jahr verging, ehe Katharina die intimen Gemächer einem anderen öffnete. Niemals hatten sie so lange Zeit leer gestanden. Aber leider war es ein wenig würdiger Nachfolger des schönen, edlen Lanskoi, der sie betrat. Der blonde Jermeloff war einer der häßlichsten, ungestaltetsten und unliebenswürdigsten Menschen, auf die Katharinas Blick je gefallen war. Sie hatte die Wahl zwischen ihm und dem jungen Fürsten Daschkoff, dem schönen Sohn ihrer Freundin aus den Tagen der Revolution gehabt. Vielleicht wählte sie absichtlich Jermeloff, um der Fürstin willen, die ihren noch nicht zwanzigjährigen Sohn für einen solchen Posten zu gut und zu jung fand. Als die Kaiserin Jermeloff zu ihrem Generaladjutanten ernannte, sprachen weder Sinnlichkeit noch Interesse mit, sondern einzig und allein die Macht der Gewohnheit. Und es ist sehr merkwürdig, daß er dennoch zwei Jahre lang die Gunst Katharinas behielt. Vielleicht hätte er sogar noch länger ihre Bevorzugung genossen, wenn er nicht das Mißfallen des ersten Ministers erregt haben würde. Wo er konnte suchte Jermeloff gegen Patiomkin zu intrigieren, so daß sogar die Kaiserin dadurch gegen ihren großen Freund und, wie man sagte, heimlichen Gatten beeinflußt wurde. Patiomkin machte in solchen Fällen nicht viele Worte. Er verlangte die Entlassung dieses unbequemen Favoriten. »Entweder«, sagte er zur Kaiserin, »Sie verabschieden ihn oder mich. So lange Sie diesen weißen Neger bei sich behalten, werde ich nie wieder meinen Fuß an Ihren Hof setzen«. Die Freundschaft zu Patiomkin war doch größer als ihre Sinnlichkeit. Jermeloff mußte noch am gleichen Tage den Hof verlassen. Er schied mit einer Million Rubel in der Tasche und dem Titel eines Generalmajors.

Sicher ist, daß diese eigenartige, aus so großen Gegensätzen zusammengesetzte Frau eine ungeheure Schamlosigkeit damit bewies, daß sie ihre Günstlinge so häufig und ganz öffentlich wechselte. Sie berücksichtigte weder die Achtung vor ihrer hohen Stellung noch ihre Frauenwürde. Es ist nicht zu verwundern, daß die Einzelheiten solcher Veränderungen einen willkommenen Gesprächsstoff für ihre Umgebung und Zeitgenossen bildete. Die Persönlichkeit der Kaiserin wurde dadurch in ein schlechtes Licht gesetzt, und dieser dunkle Schatten auf ihrem Bilde verhinderte manchen ihrer Biographen, den vielen Fähigkeiten und Vorzügen ihres Wesens ganz gerecht zu werden. Zucht und Sitte wurden ganz öffentlich verletzt, niemand kann es leugnen. Aber eine so groß angelegte Natur wie Katharina, der alle Macht in die Hände gegeben war, mochte leicht dazu gelangen, von dem Hergebrachten bürgerlicher Moral abzuweichen. Und merkwürdigerweise lag ihrer Handlungsweise weder Zynismus, noch Gefühlsroheit zugrunde, noch beabsichtigte sie, der Moral einen Faustschlag ins Gesicht zu geben. Auch seelisch verdorben war Katharina nicht. Ihre persönliche Veranlagung schien so zu sein, daß sie es sehr natürlich fand, wenn jedermann die genaueste Kenntnis von ihrem intimen Leben hatte. Schloß sie doch sogar ihre Enkelkinder nicht davon aus. Die reizende junge Alexandrine und der idealveranlagte Alexander waren oft Zeugen, wenn ihre Großmutter abends nach der Cour mit dem Günstling in ihrem Schlafzimmer verschwand.

In ihrem sonstigen Sichgeben war Katharina eher ernst und sittlich, als frivol. Bei gewissen Gelegenheiten entbehrte sie sogar noch im Alter, trotz aller Geradheit und Derbheit ihres Charakters, nicht eines weiblichen Schamgefühls, ohne prüde und hypokritisch zu sein. So geschah es eines Tages, daß der Graf Ségur, ein sehr geistvoller und witziger Gesellschafter, auf der Reise nach Kiew im Wagen Ihrer Majestät ein etwas freies Gedicht rezitierte, das jedoch durchaus nicht so anstößig war, das Feingefühl einer Frau wie Katharina zu verletzen. Sie war in der Eremitage weit derbere Kost gewöhnt. Das wußte Ségur. Dennoch fand die Kaiserin in diesem Augenblick den Scherz unangebracht, denn sie krauste unmutig die Stirn und brachte das Gespräch sofort auf einen andern Gegenstand.

Viele ihrer Hofleute entfernte sie, weil sie sich gegen Damen ihrer Umgebung Freiheiten erlaubt hatten, die sie für unmoralisch und unschicklich hielt. Anderseits wieder fand sie gar nichts darunter, daß sie selbst auf ihrer Reise in die Krim, im Jahre 1787, überall in den Häusern, wo sie abstieg, ihr Schlafzimmer so hatte einrichten lassen, daß sich neben ihrem Bett ein ungeheurer Spiegel befand. Drückte man auf eine Feder, so schob sich der Spiegel zurück, und es erschien ein zweites Bett. Damals war es Mamonoff, der die 59jährige Kaiserin begleitete und keinen Augenblick von ihr fern sein durfte. Jedermann wußte das Geheimnis.

Mamonoff war von Patiomkin an Stelle des in Mißkredit geratenen Jermeloff ernannt worden, der Kaiserin zu dienen. Auch er stand in der Blüte der Jugend und war ein schöner liebenswürdiger Mann. Seine Herrschaft in den intimen Gemächern Katharinas währte drei Jahre. Er selbst machte ihr ein Ende, denn er besaß mehr Menschenwürde als seine Vorgänger. Nie hatte er der nun zweiundsechzigjährigen Katharina etwas anderes als Ehrerbietung entgegengebracht. Fast vom ersten Tage seines Eintritts in den näheren Dienst der Kaiserin liebte er die junge und schöne Fürstin Tscherbatoff, die als Ehrenfräulein am Hofe lebte. Mamonoff war ehrlich genug, es schließlich seiner mächtigen Gebieterin zu gestehen und um ihre Einwilligung zur Heirat mit der Geliebten zu bitten.

Katharina hatte Mamonoff seiner vielen guten menschlichen Eigenschaften wirklich gern. Er war nach Patiomkin sicher der begabteste von ihren Günstlingen. Alle die mit ihm in Berührung kamen, schildern ihn als geistreich, vielseitig gebildet, sehr unterhaltend und scharfsinnig. Er war eine künstlerisch veranlagte Natur und besaß viele Talente, die die Kaiserin ganz besonders schätzte. Sie nannte ihn einen »unschätzbaren Menschen«, einen »Engel«, der von Tag zu Tag liebenswürdiger würde. Es ist sicher, daß sie einen solchen Mann nicht gern gehen sah. Außerdem war sie sehr eifersüchtig, und es kränkte sie bitter, daß Mamonoff ihr eine andere vorgezogen hatte. Seit Monaten ahnte sie die Neigung des Geliebten zu ihrem Hoffräulein. Sie litt ungeheuer darunter und wollte Gewißheit haben. So griff sie zu einer List. In einem Schreiben und dann auch in einer mündlichen Unterhaltung eröffnete sie ihm, daß sie seine Zukunft sicher gestellt wissen wolle, denn sie werde alt. Sie gedächte ihn mit einem sehr reichen jungen Mädchen, Fräulein Bruce, zu verheiraten. Mamonoff befand sich in großer Verlegenheit. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als ihr seine Liebe zur Gräfin Tscherbatoff zu gestehen. »Also ist es doch wahr«, rief Katharina tief erschüttert und wandte sich traurig von ihm ab. Später bemerkte sie zu ihren Vertrauten »es ist nicht zu sagen, was ich gelitten habe«. Sie konnte es nicht fassen, daß er so lange geschwiegen und sie in seinen Gefühlen betrogen hatte.

Und wiederum zeigte sich diese stolze Frau großmütig und edel. »Gott mit ihnen«, meinte sie zu Patiomkin, »ich habe ihnen die Heirat gestattet; mögen sie glücklich sein«. Aber wie schwer litt sie unter dieser Episode! In den Hofkreisen erzählte man sogar, die Erregung über die Untreue Mamonoffs habe bei der Kaiserin »eine gewisse Verwirrung des Verstandes« bewirkt. Sie selbst sagte, daß sie bei dieser Gelegenheit eine bittere Lehre erhalten, aber so schnell wie möglich dieser »Farce« ein Ende gemacht habe. Sie richtete die Hochzeit des Geliebten mit ihrer Hofdame auf das Prachtvollste aus, und dann zogen zwei glückliche Menschen, mit Reichtümern überhäuft, nach Moskau. Mamonoff erhielt als Hochzeitsgeschenk 100 000 Rubel, einen Diamantring im Werte von 5000 Rubel und 2700 Bauern in der Statthalterschaft Nishnij-Nowgorod.

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Es hatte sich keiner der Freunde Katharinas über Geiz bei ihr zu beklagen. Nach genauen Berechnungen unterrichteter Männer, wie des englischen Gesandten Harris und später des Historikers Castera, hat Katharina für ihre Günstlinge die ungeheure Summe von etwa 350 Millionen Mark in barem Gelde verausgabt, abgesehen von den kostbaren Geschenken an Schlössern, Brillanten, Kunstgegenständen und Bauern. Zur Rechtfertigung dieser fabelhaften fast an Zynismus grenzenden Verschwendung sagte sie einst sehr sophistisch zum Fürsten von Ligne: »Meine Verschwendung ist Sparsamkeit. Alles das bleibt im Lande und kommt eines Tages wieder an mich zurück.« Wie sehr irrte sie sich. Viele ihrer Günstlinge lebten nach ihrer Verabschiedung jahrelang im Ausland und verschwendeten ihre Schätze in königlicher Weise wie Orloff und Zubow.

Mamonoff war der letzte Günstling von Patiomkins Gnaden. Als dieser sich im Jahre 1789 im Kampfe mit den Türken befand, war ein neuer, sehr junger Stern am Favoritenhimmel aufgegangen: der 25jährige Plato Zubow! Und wirklich schien dieser junge Mensch ein gefährlicher Rivale selbst für die unerschütterliche Freundschaft zu sein, die Katharina bis jetzt ihrem lieben »Väterchen« Patiomkin entgegengebracht hatte. Das geistige Band, das sie mit ihrem Ersten Minister und Feldherrn jahrelang verknüpfte, lief Gefahr, von der Hand eines kaum zum Manne Erwachsenen zerrissen zu werden. Patiomkin fühlte diese Gefahr. Zum erstenmal nach Zavadowski hatte die Kaiserin ihren Freund nicht um seine Meinung bei der Wahl des neuen Geliebten gefragt. Er war weit, weit entfernt. Patiomkin schäumte vor Wut in seinen Briefen. Er drohte, er werde bald nach Petersburg zurückkehren, um sich »einen Zahn ziehen zu lassen«, der ihm weh täte. Es war ein ironisches Wortspiel, das sich auf die erste Silbe des Namens Zubow bezog. »Zub« heißt im Russischen Zahn. Aber es nützte Patiomkin nichts, daß er wie ein Löwe brüllte. Die Reise war lang. Und als der Gewaltige eintraf, hatte Plato Zubow bereits den glänzendsten Sieg davongetragen.

Katharina hatte sich die größte Mühe gegeben, ihrem neuen Schützling die Gnade und Gewogenheit ihres älteren Freundes zu verschaffen. Ihre Briefe an Patiomkin aus jener Zeit sind voll von Liebenswürdigkeiten und Schmeicheleien. Ja, sie geht sogar so weit, ihm die größten Schmeicheleien von Seiten des siegreichen Geliebten, »des Kindes«, des »kleinen schwarzen Jungen« wie sie Zubow nennt, zu sagen. »Das Kind«, schreibt sie einmal, »findet, Sie hätten viel mehr Geist, wären viel amüsanter und liebenswürdiger als Ihre ganze Umgebung zusammen. Aber bewahren Sie darüber Stillschweigen, denn er hat keine Ahnung, daß ich davon unterrichtet bin …«

Patiomkin ließ sich jedoch nicht betören. Er wußte woran er war. Er fühlte, daß dieses »Kind« mehr Macht in seinen Händen haben würde als alle Günstlinge zusammen und sich nicht nur mit dem trauten Winkel in Katharinas Privatgemächern begnügen würde. Nein, auch die Freundschaft, das Heiligtum, das er, Patiomkin, für immer zu besitzen und durch heilige Schwüre besiegelt zu wissen glaubte, würde Zubow an sich reißen. Aber der Verlust von Katharinas Freundschaft bedeutete für Patiomkin gleichzeitig den Verlust allen Einflusses auf ihre Staatsgeschäfte. Seine Anwesenheit in Petersburg war daher unbedingt nötig, um nicht alles zu verlieren. Im Frühjahr 1791 erschien der Sieger von Ismaïl und Otschakoff am Hofe seiner Herrscherin und Freundin, von Ruhm und Glanz umgeben, mit dem er glaubte, den jungen Eindringling leichten Kaufs aus dem Felde zu schlagen. Er gab sogleich die herrlichsten Feste zu Ehren der Kaiserin. Aller Prachtaufwand orientalischen Reichtums kam hier zur Entfaltung; Patiomkin selbst strahlte in dem ganzen Zauber seiner phantastischen Persönlichkeit. Katharina wurde auf diesen Festen nicht mehr als Herrscherin, sondern als wahre Göttin gefeiert und verehrt. Patiomkin wollte ihr durch seinen ungeheuren Reichtum, seine verschwenderische Freigebigkeit die Augen öffnen über den Tausch, den sie gegen ihn mit dem jungen Fant einging.

Aber Patiomkin hatte sich diesmal in ihr getäuscht. Katharina war wohl entzückt über die Prachtentfaltung ihres großen Freundes, aber seine Anwesenheit in Petersburg schien ihr in diesem Augenblick nicht angenehm. Am folgenden Tag eines dieser glänzenden Feste, gab sie Patiomkin zu verstehen, daß seine Anwesenheit im Süden wohl unbedingt notwendig sei. Das Fest, das er veranstaltete, habe sie als Abschiedsfest angesehen. Es war nicht der Fall. Patiomkin hatte im Fürsten Repnin einen tüchtigen Vertreter bei der Armee. Mit Bitternis mußte er jedoch einsehen, daß er diesmal seine Karte verspielt hatte. Er ging – er ging dem Tode entgegen.

In seiner Abwesenheit hatte Fürst Repnin die Türken gezwungen, um Frieden zu bitten. Zu jeder anderen Zeit wäre das Patiomkin vielleicht angenehm gewesen. Jetzt, da er in Petersburg überflüssig war, wollte er den Krieg weiter führen. So reiste er wutschnaubend nicht nur über seinen persönlichen Mißerfolg in Petersburg, sondern auch gegen Repnin nach Jassy, das seit langer Zeit sein Hauptquartier und Hoflager war. Als er dort ankam, war er trübsinnig und von Unruhe verzehrt. Ihn, der nie krank war, überfiel ein großes körperliches Unbehagen. Es ärgerte und reizte diesen kräftigen Menschen, einer Krankheit zu unterliegen. Er wäre lieber auf dem Schlachtfelde gestorben. Seine Ungeduld kannte keine Grenzen. Im heftigsten Fieber aß er, seinen Ärzten zum Trotz, eine Menge Pökelfleisch und rohe Rüben, eine Gans und drei oder vier Hühner. Dazu trank er Kwas, Klukwa, Honigwasser und alle Arten von Weinen in großen Mengen. Er wollte, daß seine eiserne Natur den Sieg davontrüge. Er verweigerte alle Medikamente, ließ sich in den heftigsten Fieberanfällen den ganzen Körper mit Eau de Cologne und eiskaltem Wasser übergießen, öffnete bei der strengsten Kälte alle Fenster seiner Wohnung und setzte sich Wind und Wetter aus, bis schließlich seine Kräfte ganz versagten.

Sein Tod war ebenso seltsam und merkwürdig wie sein Leben. Auf der Landstraße, die von Jassy nach Nikolaieff führt, auf dem Weg nach Otschakoff, wohin er sich trotz seiner Krankheit begeben wollte, starb Patiomkin, Katharinas größter und genialster Freund. Er fühlte sich plötzlich so unwohl, daß man ihn aus dem Wagen heben mußte, damit er Luft bekam. Am Wege breiteten seine Diener seinen Mantel aus. Darauf legte man den Kranken. Die Gräfin Branicka, seine Nichte, die ihn auf allen seinen Reisen begleitete, war bei ihm. In ihren Armen starb Patiomkin.

Sein Tod riß in Katharinas Leben eine gewaltige Lücke trotz des neuen Sterns, der an ihrem späten Liebeshimmel aufgegangen war. Ihr Schmerz war groß und tief. Sie ging viele Tage nicht aus und vermochte auch nicht ihren intimen Kreis in der Eremitage zu empfangen. Sie war ganz krank vor innerer Aufregung. »Wie soll ich«, sagte sie zu ihrem Sekretär Chrapowski, »einen solchen Mann ersetzen!« Jetzt habe sie niemand mehr, der ihr eine Stütze sein könne, klagte sie. Und an Grimm schrieb sie im ersten Schmerz über diesen unersetzlichen Verlust: »Ein furchtbarer Hammerschlag hat gestern von neuem mein Haupt getroffen … Mein Schüler, mein Freund und beinahe mein Gott, der Fürst Patiomkin, der Taurier, ist tot! … Ach, mein Gott! Jetzt bin ich wirklich Madame la ressource. Von neuem bin ich darauf angewiesen, mir Leute heranzubilden … Seine schönste Eigenschaft war die Größe seines Herzens, seines Geistes und seiner Seele. Dadurch unterschied er sich gewaltig von allen anderen Menschen, und das gerade war es, warum wir uns so gut verstanden und diejenigen reden ließen, die am wenigsten davon begriffen. Ich betrachte den Fürsten Patiomkin als einen sehr großen Mann, der nicht die Hälfte von dem hat tun können, was er imstande gewesen wäre.«

Wie grenzenlos schwach jedoch diese große geniale Frau in der Liebe war, geht daraus hervor, daß sie trotz aller Verehrung für den verstorbenen Freund sich ganz in den Händen Zubows befand. Er gestattete nicht, daß des vielgeliebten und so schmerzlich beklagten Patiomkins offiziell im Reichsanzeiger gedacht wurde. Kein Denkmal, nicht einmal ein schlichtes Grabmal durfte die Hand der einstigen Geliebten und langjährigen Freundin für den Dahingeschiedenen errichten. Zubow verbot es, und Katharina gehorchte. Die Legende berichtet ferner, der Leichnam Patiomkins sei aus der Katharinenkirche in Cherson aus seiner Kruft gestohlen und auf Befehl des Günstlings in eine Grube geworfen worden. Es verhält sich jedoch anders. Paul I. ließ das Mausoleum in Cherson, das die Gräfin Branicka dem Andenken Patiomkins errichtet hatte, zerstören und die Gebeine wegschaffen, damit keine Spur von dem Manne übrig bliebe, der ihn im Leben so sehr mißachtet hatte.

Aber schon viel früher, schon zu Lebzeiten Katharinas, war der tote Patiomkin vergessen. Bereits wenige Wochen nach der Katastrophe schrieb Graf Rastopschin: »Was das Seltsamste ist, man hat ihn (Patiomkin) vollkommen vergessen. Die kommenden Generationen werden sein Andenken nicht segnen. Er besaß im höchsten Grade die Kunst Schlechtes und gleichzeitig Gutes zu tun und Haß gegen sich einzuflößen, währenddem er mit nachlässig leichter Hand seine Wohltaten ausstreute. Man hätte glauben können, er habe es sich vorgenommen, jeden Menschen zu erniedrigen, um sich über ihn zu erheben.«

In den kurzen Monaten seiner letzten Anwesenheit in Petersburg hatte Patiomkin 850 000 Rubel verbraucht, also nahezu zweieinhalb Millionen Mark. Die Kaiserin mußte sie bezahlen. Trotz seiner ungeheuren Reichtümer hinterließ er noch Schulden. Und der mächtige, prunkhafte, gold- und diamantenstrotzende Eroberer Tauriens, der Erbauer so vieler Städte und Dörfer, dieser Mann, der alle Macht in seiner Person vereinigte, endigte sein reiches Leben auf einer Landstraße, fern von Katharina, die ihn groß und mächtig gemacht hatte! Die Regierung eines jungen, unbedeutenden Menschen von 25 Jahren begann.


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