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Ich war eigentlich niemals schön, aber ich gefiel, darin lag meine Stärke«, sagte Katharina von sich selbst. Ja, sie gefiel sogar ausnehmend, besonders den Männern. Aber auch alle anderen, die ihr nahe kamen, mit Ausnahme von wenigen, wurden von ihrer starken Individualität, ihrer reichen, mitteilenden Natur hingerissen. Und je älter sie wurde, desto mehr Freunde schaffte sich diese außerordentliche Frau, der man, wie selten einer, alle Fehler, alle Leidenschaften, alle Schwächen verzieh. Sie war eiteler und koketter wie jede andere, sie wechselte ihre Liebhaber so oft sie wollte, aber ihre Mitwelt sah in ihr nur die große, geniale Herrscherin. Die Nachwelt ist weniger nachsichtig gewesen. Voltaires Weissagung: »La postérité n'aura jamais de démêlé avec l'impératrice«, ist nicht in Erfüllung gegangen. Man hat sie scharf verurteilt, ohne ihrem Charakter objektiv gerecht zu werden. Eine der wenigen Zeitgenossen, Madame de Choiseul, die schon bei Lebzeiten der Kaiserin nicht verstehen konnte, wie man ein »Scheusal« so hoch verehrte, mußte sich im Jahre 1767 von ihrem Freunde Voltaire sagen lassen: »Es gibt eine Frau, die sich einen großen Ruf erworben hat. Das ist die Semiramis des Nordens, die 50 000 Mann marschieren läßt, um in Polen die Toleranz und Gewissenhaftigkeit herzustellen … Ich darf mich vor Ihnen wohl rühmen, daß ich ein wenig in der Kaiserin Gnade stehe; ich bin ihr Ritter gegen und wider alle. Ich weiß wohl, man wirft ihr einige Kleinigkeiten gegen ihren Mann vor. Das sind Familienangelegenheiten, in die ich mich nicht mische. Übrigens ist es auch gut, wenn man ein Übel wieder gutzumachen hat. Da wird es einem nahe gelegt, große Anstrengungen zu machen, um sich die Achtung und Bewunderung des Publikums zu erzwingen. Und sicher hätte ihr greulicher Mann nicht eins der großen Dinge vollbracht, die meine Katharina alle Tage ausführt.«
Der geistreiche Philosoph von Ferney deutete in diesen Worten nicht nur mit tiefer Wahrheit die Schwächen »seiner Katharina« an, sondern deckte ungewollt die Triebfedern auf, die sie als Weib ihren großen Handlungen zugrunde legte. Sie wollte, sie mußte gefallen, sie hatte vieles gut zu machen. Ruhmsucht, Eitelkeit und Sinnlichkeit sind ihre stärksten Leidenschaften; Liebenswürdigkeit, Frohsinn und Güte ihre schönsten Frauentugenden. Selbst ihre galanten Zerstreuungen zeichneten sich dadurch aus. Nie, nicht einmal im Alter, hat sie den Männern, die sie näher kannten, Ekel oder Abscheu eingeflößt, obschon sie später nicht mehr, wie Ninon de Lenclos oder Diane de Poitiers, geeignet war, physische Bewunderung oder nur Begehren zu erwecken.
Katharinas beinahe männliche Sinnlichkeit ist nicht ganz allein einer Naturanlage zuzuschreiben, sondern auch teilweise die Folge der Verhältnisse und Umstände gewesen, die sie umgaben. Vielleicht wäre sie in moralischer Hinsicht eine ganz andere Frau geworden, wenn sie gleich anfangs eine Liebe kennen gelernt hätte, die sie vollkommen erfüllte und ihrem reichen, allen guten Einflüssen zugänglichen Gemüt entsprach. Sie war ganz die Frau, die sich von einer wahrhaft großen und reinen Liebe hätte leiten lassen können, ehe die Leichtfertigkeit sie auf Bahnen brachte, wo sie in anderen Lebensverhältnissen zur Dirne hinabgesunken wäre. Aber sie war Kaiserin, Selbstherrscherin mit unumschränkter Gewalt in ihrem Reiche und an ihrem Hofe. Das rechtfertigt zwar das moralische Leben Katharinas als Frau nicht, es entschuldigt jedoch vieles. Man denke sich, ein vierzehnjähriges deutsches Prinzeßchen, ein Kind, in den strengsten sittlichen und religiösen Grundsätzen, ja in fast bürgerlich bescheidenen Verhältnissen erzogen, wird plötzlich an den halbasiatischen Hof der Zarin Elisabeth versetzt! Verschwenderischer, barbarischer Luxus, wüsteste Sitten, Intrigen aller Art, Wollust, Sinnlichkeit, geheime und öffentliche Liebschaften, das alles spielte sich vor den erstaunten Augen des unerfahrenen Kindes wie in einem Kaleidoskop ab. Die Sitten der Kaiserin Elisabeth, vor der sich die Menge und die Höflinge wie vor einer Göttin in höchster Verehrung bis zur Erde beugten, waren locker. Sie machte aus ihren nicht immer würdigen Liebschaften kein Hehl und befand sich fast immer im Zustand halber Berauschtheit von ihren Gelagen. Ihre Hofdamen machten es nicht besser. Und das kleine Mädchen aus Deutschland, die Prinzessin Sophie Friederike Auguste von Anhalt-Zerbst, stand mitten drin. Dazu sollte sie einem kaum dem Knabenalter entwachsenen Bräutigam angetraut werden, der schon vor der Zeit verdorben war. Er erzählte ihr gleich alle seine Liebesabenteuer. Als sie seine Frau wurde, setzte er seine Liebschaften fort, war immer betrunken, brutal und kindisch zugleich, spielte mit Puppen und Soldaten und hielt im gemeinsamen Schlafzimmer eine Meute großer Jagdhunde. »Es gibt nichts schlimmeres als ein Kind zum Manne zu haben,« schrieb Katharina später an Frau von Bielke; »ich gehöre zu den Frauen, die glauben, daß es stets die Schuld des Mannes ist, wenn er nicht geliebt wird; denn wahrhaftig, ich hätte meinen sehr geliebt, wenn er nur die Güte gehabt hätte, es zu wollen.«
Ihre Ansicht ist vielleicht nicht ganz und für alle Fälle zutreffend, aber sie schließt eine gewisse Wahrheit nicht aus. So ging Katharina denn ihren eigenen Weg. Der Hof bot ihr wenig geistige Anregung. Die Frauen, die sie umgaben, waren weniger als durchschnittlich gebildet und besaßen ebenso wenig Seelenadel. Die einzige, die ihr geistig nahestand, die junge Fürstin Daschkoff, lernte Katharina erst später kennen. Es blieben ihrem regen Geiste nur die Männer, die vielleicht auch nicht viel klüger waren als die Frauen, bei deren Unterhaltung jedoch für Katharina der Reiz des andern Geschlechts hinzu kam. »Von meinem 15. bis zu meinem 33. Jahre«, schrieb sie 1766 an dieselbe Frau von Bielke, »gab es in meiner Umgebung keine Frauen, mit denen ich mich hätte unterhalten können. Ich hatte nur Zofen um mich. Wollte ich mich unterhalten, so war ich auf Männer angewiesen. So ist es gekommen, daß ich aus Gewohnheit und Neigung, es viel besser verstehe, mit Männern zu reden.« Ebenso weiblich erzählt sie in ihren Memoiren, wie sie als Großfürstin den Versuchungen unterlag. »Ich gefiel, und folglich war der halbe Weg zur Verführung schon zurückgelegt. In solchem Falle liegt es in der menschlichen Natur selbst, daß die andere Hälfte folgt. Denn Verführen und Verführtwerden liegen gar nahe beieinander. Trotz der schönsten moralischen Grundsätze, die man sich im Geiste vornimmt, ist man schon unendlich viel weiter als man glaubt, sobald Gefühl und Sinne sprechen, und ich weiß bis jetzt noch nicht – (als Fünfzigjährige!) –, wie man es verhindern kann, daß es nicht geschieht. Vielleicht wäre die Flucht das einzige Mittel, aber es gibt Fälle, Lagen, Umstände, wo die Flucht unmöglich ist. Denn wie soll man an einem Hofe fliehen, ausweichen, den Rücken wenden? Auch das würde das Gerede der Leute herausfordern. Wenn man aber nicht flieht, gibt es meiner Meinung nach nichts Schwereres als dem zu entgehen, das einem im Grunde außerordentlich gefällt. Alles, was man dagegen einwendet, ist nur prüdes Geschwätz, das keine Rücksicht auf das menschliche Herz nimmt. Niemand hält sein Herz in der Hand, und drückt es zu oder öffnet es nach Belieben.«
Das ist freimütig gesprochen. Wenige Frauen haben den Mut sich so zu analysieren und ihre Schwächen einzugestehen. Auch das ist eine Tugend Katharinas, daß sie ihre natürliche Veranlagung nie zu bemänteln sucht, daß sie nicht hypokritisch ist. Sie war kokett, leichtsinnig, ausschweifend, unersättlich in der Liebe, aber niemals heuchlerisch. Sie blieb nie halben Weges stehen. Die Befriedigung ihrer Sinnlichkeit wurde ihr schließlich zur Gewohnheit. Und da sie als Kaiserin auch darin nur zu befehlen brauchte, so wußte sie am Ende weder die Grenzen des Alters noch die Grenzen ihrer Begierde zu ziehen. Bald war sie ebenso wenig wählerisch, wie es in dieser Hinsicht meist nur Männer sind, für die die Liebe kein Erleben, sondern nur eine Episode ist. Der Unterschied der Anschauung über derartige Dinge liegt nicht in der Verschiedenheit der Naturen beider Geschlechter, sondern in der Erziehung, dem Milieu, den Sitten und Gewohnheiten, den verderblichen Einflüssen. Eine Frau, die einmal die Schranken durchbrochen hat, eine Frau, die keine äußere Rücksicht auf ihr Geschlecht mehr für nötig hält, eine solche Frau wird in den meisten Fällen ganz so handeln wie die Männer. Es hat Herrscherinnen und Fürstinnen gegeben, die das Günstlingswesen öffentlicher, schamloser und ausgedehnter betrieben als der in dieser Beziehung berüchtigste Monarch. Und es waren nicht immer Autokratinnen wie Katharina, die niemand, nicht einmal die öffentliche Meinung, über sich hatte. Rußland war das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Katharina war bestrebt, diesen Ruf ihres Landes nicht zu schmälern. Ihr Tun und Handeln kannte keine Grenzen. Vor ihr beugte sich ganz Europa und war des Lobes voll. Inmitten ihres Volkes und ihres glänzenden prachtliebenden Hofes thronte sie wie eine Göttin, wie ein höheres Wesen, dem Millionen von Untertanen täglich huldigten.
Und dennoch war diese große geniale Herrscherin früher nichts weiter als eine kleine unbedeutende Prinzessin, die der Zufall in das unermeßliche Zarenreich rief und ein Gewaltakt, der ebenso gut hätte mißglücken können, auf den Thron erhob.
Wie um alle großen Menschen, so webte die Legende auch um Katharinas Kindheitsgeschichte später ihre geheimnisvollen Fäden. Es wurden die absurdesten Geschichten über ihre Abstammung aufgetischt und weiter verbreitet. Man sprach von einem Vater, der sich zu dieser Rolle nur inkognito bekannte und niemand anders sei als Friedrich der Große. Ein Genie wie Katharina mußte doch ein Genie zum Vater haben! Friedrich, der, als Katharina geboren wurde, noch die harte Faust des Vaters kannte und durchaus nicht wie ein Mann behandelt wurde, war bei der Geburt Katharinas noch nicht 17 Jahre alt! Ferner nennt man einen jungen Russen, Iwan Betzki, den außerehelichen Sohn des Fürsten Trubetzkoi und Günstling Elisabeths, den Katharinas Mutter in Paris kennen lernte und der später im Alter an Katharinas Hofe lebte und ihre Wohltaten genoß.
Katharinas Mutter, die Fürstin Johanna Elisabeth von Anhalt-Zerbst, war zwar im hohen Maße leichtfertig und nahm es mit der ehelichen Treue nicht so genau, da sie jedoch erst 17 Jahre alt und erst ein Jahr verheiratet war, als sie Katharina gebar, so kann man wohl behaupten, daß in diesem Falle alle Mutmaßungen eben nur Mutmaßungen sind, und Katharina die echte Tochter des Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst ist. Wie ein Brief des Vaters vom 2. Mai 1729 beweist, wurde sie an diesem Tage und in diesem Jahre in Stettin um ½3 Uhr morgens geboren.
Die Geburt der kleinen Prinzessin war kein großes Ereignis. Die prinzliche Familie gehörte weder zu den begüterten noch zu den großen deutschen Fürstenhäusern. Das Haus Anhalt-Zerbst bildete einen Nebenzweig der fürstlichen Linie von Anhalt, die deren acht zählte. Im Jahre 1793 erlosch sie ganz. Katharinas Vater war zur Zeit ihrer Geburt Gouverneur unter dem König von Preußen, und so verbrachte die kleine Prinzessin Sophie den größten Teil ihrer Kindheit in Stettin in der Einförmigkeit des Garnisonlebens. In scherzender Weise gedachte die spätere Kaiserin oft der bescheidenen Verhältnisse, in denen sie aufwuchs. Als der Baron Grimm, ihr eifrigster Briefschreiber und Ratgeber, viele Jahre später einmal den Gedanken faßte, die Stätte der Kindheit seiner verehrten Herrscherin zu besuchen, schrieb sie ihm sarkastisch: »Was wollen Sie dort? Sie werden dort niemand mehr vorfinden … Bestehen Sie aber unbedingt darauf, so erfahren Sie, daß ich in Greiffenheims Hause auf dem Marienkirchhof geboren bin, im linken Flügel des Schlosses gewohnt habe und erzogen wurde; ich hatte drei gewölbte Zimmer neben der Kirche inne, und der Glockenturm stieß an meine Schlafstube. Dort unterrichtete mich Mademoiselle Cardel und hielt Herr Wagner seine Prüfungen mit mir ab. Von dort aus hatte ich täglich zwei- oder dreimal in lustigen Sprüngen zu meiner Mutter zu eilen, die am andern Ende des Schlosses wohnte. Alles das bietet durchaus kein Interesse, wenn Sie nicht etwa auf den Einfall geraten, daß der Ort einen gewissen Einfluß auf die Hervorbringung leidlicher Kaiserinnen habe. In diesem Falle müßten Sie dem König von Preußen empfehlen, dort eine Art Pflanzschule (für Prinzessinnen) anzulegen.«
Nichts schien also die kleine Prinzessin Sophie auf ihre große Zukunft vorzubereiten, die niemand, am allerwenigsten ihre Eltern, auch nur ahnen konnten. Wohl verband das bescheidene Fürstenhaus von Anhalt-Zerbst eine gewisse Verwandtschaft mit dem mächtigen Reiche des Nordens; man dachte jedoch gar nicht daran, daß diese Verwandtschaft einst ausschlaggebend für die Geschichte der Familie werden könnte. Sophies Mutter war eine geborene Holstein-Gottorp. Ein Fürst von Holstein-Gottorp hatte die Tochter Peters des Großen, Anna, die Schwester der nachherigen Kaiserin Elisabeth geheiratet, und ein anderer Holstein, Karl August, der Bruder der Fürstin Johanna Elisabeth von Anhalt-Zerbst, also Sophies leiblicher Onkel, war vor 20 Jahren mit der damaligen Großfürstin Elisabeth von Rußland verlobt gewesen. Er war jedoch kurz vor der Heirat an den Pocken gestorben.
Unergründlich sind die Wege des Schicksals! Figchen, wie Sophie in ihrer Familie genannt wurde, stand Großes bevor. Vorläufig jedoch hatte es nicht den Anschein, als wenn dieses Kind etwas Besonderes verspräche. Sie lernte zwar gut, aber ihre Erziehung war die Durchschnittserziehung aller Prinzessinnen der kleinen Fürstenhäuser, und Sophie war ein »Querkopf und Konfusionsrat,« wie sie sich selbst ausdrückte, der dem armen Fräulein Cardel manche schwere Stunde bereitete. Sophies Mutter war jung, leichtfertig und leidenschaftlich. Sie war nicht in der Lage, ihr Kind zu erziehen; von ihr erhielt die kleine Prinzessin mehr Schläge als Liebe. Sie verstand es nicht, die guten Anlagen und Fähigkeiten ihrer Tochter zu vervollkommnen. Die Baronin von Printzen, Sophies späteres Kammerfräulein, zögerte nicht, ganz offen zu erklären, daß sie in der jungen Prinzessin nur einen ganz durchschnittlichen Charakter beobachtet habe, der sich weder durch besondere Eigenschaften noch Talente auszeichnete. Nur einen äußerst ernsten, kalten, berechnenden Verstand habe sie wahrgenommen. Ihre eigentliche Erziehung besorgte Katharina selbst, als sie in Rußland war. Später sagte sie nicht ohne einen gewissen Stolz auf ihre Selbsterziehung: »Ich wurde erzogen, um einst irgendeinen kleinen Fürsten unserer Nachbarschaft zu heiraten. Man lehrte mich gerade, was ich brauchte. Ich und Mademoiselle Cardel hätten uns nicht träumen lassen, welches Geschick mir einmal bevorstand«.
Und dieses Geschick brach plötzlich, unversehens, wie ein Blitz aus heiterem Himmel über die kleine Sophie herein. Ganz unerwartet verbreitete sich am 9. Dezember 1741 die Nachricht über ganz Europa, daß die Tochter Peters des Großen, die Großfürstin Elisabeth von Rußland, durch einen Staatsstreich, wie sie dort an der Tagesordnung waren, der Regierung des jungen Iwan von Braunschweig und der Regentschaft seiner Mutter ein Ende gemacht und sich selbst zur Zarin erhoben habe. Aus Pietät für ihren verstorbenen Verlobten hatte sie stets dem Hause Holstein-Gottorp eine gewisse Anhänglichkeit bewahrt. Dennoch erstaunte die Welt nicht wenig, als sie ein Jahr nach ihrer Thronbesteigung ihren 14jährigen Neffen, den Prinzen Karl Peter Ulrich von Holstein-Gottorp, den Sohn ihrer Schwester Anna Petrowna nach Rußland rief und ihn feierlich zu ihrem Thronerben ernannte. Figchens Mutter war außerordentlich stolz auf diese Auszeichnung eines so nahen Verwandten, um so mehr, da auch für die eigene Familie ein Brocken Glanz mit abfiel. Friedrich der Große ernannte nämlich im Jahre 1749 den Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst zum Feldmarschall, ohne Frage, um der Kaiserin Elisabeth dadurch angenehm zu sein.
Prinzessin Sophie begleitete in diesem Jahre ihre Mutter nach Berlin, wo der berühmte Pesne ihr Bild malte, ebenfalls auf Veranlassung Friedrichs, der es für die russische Kaiserin bestimmte. Es verging jedoch noch ein ganzes Jahr, ehe sich Sophies Geschick entschied. Inzwischen war das Fürstentum Zerbst an den Bruder Christian August, den Fürsten Johann Ludwig, übergegangen, und die ganze Familie fand sich Weihnachten 1743 dort versammelt. Man feierte fröhlich den neuen Wohlstand. Das neue Jahr wurde ebenso heiter begangen und eröffnete sich für die Familie unter einem guten Stern. Nach dem Morgengottesdienst in der Schloßkapelle kam das ganze kleine Fürstentum in die größte Aufregung, denn es traf eine Staffette von Berlin ein, die der Mutter der Prinzessin Sophie einen Brief des großfürstlichen Oberhofmarschalls von Brümmer überreichte. Der Brief enthielt eine Einladung der Zarin Elisabeth für Mutter und Tochter an den russischen Hof. Sie sollten sich sofort reisefertig machen und sich auf dem kürzesten Wege zuerst nach Petersburg, dann nach Moskau begeben, wo sich Elisabeth und ihr Hof befanden. Für die Kosten der Reise hatte ihnen die russische Kaiserin 10 000 Rubel auf ein Berliner Bankhaus überschrieben. Diese Summe brauchte jedoch nur bis an die Grenze zu reichen. In Rußland selbst würde es den Damen und ihrer Begleitung an nichts fehlen. Übrigens sollten sie ihr Gefolge so sehr wie möglich einschränken. In Riga würde die junge Prinzessin eine Eskorte finden, die sie bis zur Residenz der Kaiserin geleiten solle. Brümmer gebot der Fürstin Johanna Elisabeth das strengste Geheimnis über diese Reise; selbst der Fürst, ihr Gemahl, durfte sie nicht begleiten. Nur mit Friedrich dem Großen war ihr erlaubt, über alles zu sprechen. Er war auf dem Laufenden, denn wenige Stunden später langte auch ein Schreiben von ihm an, worin er auf die Möglichkeit einer Heirat der jungen Sophie mit dem Großfürsten Peter hinwies. Friedrich schreibt sich übrigens selbst den größten Anteil zu, die Prinzessin von Anhalt-Zerbst für die russische Heirat vorgeschlagen zu haben. Es lag ganz in seinem Interesse, lieber sie auf dem russischen Throne zu sehen als die Prinzessin Marianne von Sachsen, die Tochter des polnischen Königs August III. Friedrich hätte allerdings auch seine eigene Schwester mit dem Großfürsten verheiraten können, denn dieser Vereinigung wäre Elisabeth nicht abgeneigt gewesen; aber der Gedanke erschien dem preußischen König so absurd, daß er sich nicht enthalten konnte zu äußern: »Nichts wäre unnatürlicher, als diese Prinzessin auf eine solche Weise zu opfern.« Seine geliebte Schwester war ihm für das barbarische Rußland zu gut. Irgendeine kleine unbedeutende Fürstin, die froh sein konnte, eine so glänzende Partie zu machen, und die vor allem politisch nicht zu fürchten war, mußte das Opferlamm werden. Und so verdankte die große Katharina dem genialsten und größten ihrer Zeitgenossen und Rivalen indirekt ihre Bestimmung.
Es war jedoch keine Zeit zu verlieren. Ein Wunsch der mächtigen Kaiserin von Rußland war wie ein Befehl. Brief auf Brief kam von Berlin, von Friedrich und von Brümmer, um Mutter und Tochter zur eiligsten Abreise zu veranlassen. Wäre es nach Figchens genußsüchtiger Mutter gegangen, so hätte sie am liebsten Flügel gehabt, um so schnell wie möglich an den glänzenden russischen Hof zu gelangen. Sie erlebte schon im voraus alle Feste, Huldigungen, allen Reichtum und Glanz, die sie an Elisabeths Hofe erwarteten. Immerhin mußten doch einige Reisevorbereitungen getroffen werden, wenn auch keine Zeit blieb, um Sophie so auszustatten, daß sie standesgemäß in Petersburg oder Moskau auftreten konnte. Drei Kleider, ein Dutzend Hemden und ebenso viele Strümpfe und Taschentücher war alles, was die junge Prinzessin mitnahm. Da die Kaiserin versprochen hatte, für alles zu sorgen, sobald die Prinzessin russischen Boden betreten hätte, zerbrach man sich auch den Kopf nicht weiter darüber, am allerwenigsten Sophies Mutter. Sie dachte nur an sich und den Erfolg, den sie am russischen Hofe haben würde, zumal sie es sich auch vorgenommen hatte, politisch tätig zu sein und zwar aus Dankbarkeit zugunsten Friedrichs des Großen.
Der jungen Prinzessin selbst war über den Zweck ihrer russischen Reise nichts Bestimmteres mitgeteilt worden, als daß es eine einfache Einladung sei, wie sie unter Verwandten üblich wäre. In fürstlichen Kreisen sind derartige Reisen indes stets auf ganz besonderen Voraussetzungen begründet: auch Sophie wird sich leicht die wahre Ursache haben denken können. Alles deutete übrigens auf eine lange Abwesenheit, als sie am 12. Januar 1744 Zerbst verließ. Ihr Onkel, der regierende Fürst Johann, schenkte ihr zum Abschied mit vieler Bewegung einen wundervollen silberdurchwirkten Seidenstoff zu einem Hofkleid, und ihr Vater, ein strenger Protestant, drückte ihr mit Tränen in den Augen ein dickes Buch in die Hand, mit der geheimnisvollen Andeutung, sie werde es später wohl brauchen können. Es war eine Abhandlung von Heineccius über die griechische Religion. Christian August glaubte seiner Tochter keinen besseren Schutz gegen alle Einflüsterungen mitgeben zu können. »Der Vater war etwas halsstarrig«, schrieb Friedrich der Große später an die große Landgräfin; »ich hatte viele Mühe, seine Skrupel zu besiegen; auf alle meine Vorstellungen antwortete er: ›Meine Tochter nicht griechisch werden.‹ Aber ein Pfarrer, den ich zu gewinnen wußte, war gefällig genug, ihn zu überreden, daß der griechische Ritus dem Lutherischen gleich wäre, und so wiederholte er nun unausgesetzt: Lutherisch-griechisch, griechisch-lutherisch, das geht an.« Christian Augusts Tochter erwies sich später jedoch nicht nur als eine dem äußeren Scheine nach sehr devote Orthodoxe, sondern ihre Bekehrung war so vollständig, daß aus der kleinen Lutheranerin eine der größten Heidinnen wurde, die je eine Krone getragen.
Sophies Vater hielt es außerdem noch für geeignet, ihr einige gute und wohlgemeinte Lehren mit auf den Weg zu geben, zumal er wenig Vertrauen zu der eigenen Frau hatte, die viel weniger Bedenken zeigte und unglaublich glücklich war, von der russischen Kaiserin so ausgezeichnet zu werden. Er hatte daher ein langes Schriftstück verfaßt, das er »Pro Memoria« nannte. Die junge Prinzessin sollte es lesen, sobald der Zeitpunkt gekommen sei. Er ermahnte sie darin, den größten Respekt und Gehorsam den Personen zu erweisen, von denen ihr künftiges Glück abhinge. Das Glück ihres zukünftigen Gatten solle ihr stets das höchste auf der Welt sein. Stets sollte sie es vermeiden, mit den Personen ihrer Umgebung, sei es wer es sei, in zu vertrauten Verkehr zu treten. Ihr Taschengeld solle sie für sich behalten, um nicht etwa von irgendeiner Hofmeisterin abhängig zu sein. Ferner dürfe sie sich nicht in Regierungsangelegenheiten mischen, oder, wie sich Christian August in dem Kauderwelsch, das sich damals die deutsche Sprache nannte, ausdrückte: Nicht in Familiarité oder badinage zu entriren, sondern allezeit einigen égard sich möglichst conserviren. In keine Regierungssachen zu entriren, um den Senat nicht zu aigriren.« Wie sich das junge Prinzeßchen diese väterlichen Ratschläge zu Herzen nahm und sie befolgte, werden wir bald sehen. Im Hinblick auf Katharinas spätere politische Rolle nimmt sich diese väterliche Warnung wunderlich genug aus.
Vorläufig befand sich jedoch Sophie erst noch auf dem Wege zu ihrem Glück. Ihre Reise ging über Berlin, wo sie zum letzten Mal den König sah, dann über Stargard, Memel, Mitau nach Riga. Es war eine beschwerliche, lange Fahrt mitten im Winter. Sie reisten unter dem angenommenen Namen zweier Gräfinnen Reinbeck. Figchens Mutter ertrug die Anstrengungen der Reise nur sehr schwer, während die junge kräftige Prinzessin kaum die Beschwerden fühlte und von dem Neuen, das sie zu sehen bekam, ganz in Anspruch genommen zu sein schien. Endlich erreichten sie Riga und wurden für alle Anstrengungen reichlich durch den glänzendsten Empfang entschädigt, den man ihnen bereitete. Sie reisten von nun an als wirkliche Fürsten. Johanna Elisabeth findet in ihren Briefen an ihren Gemahl kaum Worte der Begeisterung genug, um den Aufwand, die Pracht, die ehrenvollen Huldigungen zu beschreiben, die man ihnen erwies. Inmitten eines ungeheuren Reichtums, der ihr einen Vorgeschmack von dem Luxus des Zarenhofes gab, befand sie sich wie in einem Rausch. Kostbar ausgestattete Gemächer, an allen Türen Lakaien, auf allen Treppen Kuriere und Diener, in den hellerleuchteten und reichgeschmückten Salons die ausgewählteste Gesellschaft des russischen und kurländischen Adels, der ganze Apparat eines glänzenden Hofes, bunte Uniformen, kostbare Kleider, diamantengeschmückte, schöne und liebenswürdige Frauen, vollendete Kavaliere, die sich vor Johanna und Sophie, zwei so nahen Verwandten der Zarin, tief beugten und ihnen die ritterlichsten Aufmerksamkeiten erwiesen. Wie im Traume schrieb die Fürstin an Christian August: »Es ist mir, als befände ich mich im Gefolge Ihrer Majestät der Kaiserin oder einer hohen Fürstlichkeit. Daß das alles für mich armes Ding, für das man anderorts kaum die Trommel oder überhaupt nichts rührt, sein soll, kommt mir nicht in den Sinn.«
In Mitau schon hatte Elisabeth für ein besseres Reisegefolge der beiden Fürstinnen gesorgt. Sie hatte ihnen herrlich bequeme Schlitten gesandt, die von sechs Pferden gezogen wurden. Mit Windeseile flog man über die weiten Schneeebenen Rußlands bis nach Petersburg. Hier hielten sich Mutter und Tochter nur drei Tage auf, eben nur die nötige Zeit, um Figchen mit einigen Hoftoiletten zu versehen, damit sie anständig vor Elisabeth erscheinen konnte, die selbst 15 000 Seidenkleider und 5000 Paar Schuhe besaß. Immerhin waren die Tage in Petersburg eine Kette von Festen, Glanz und Aufwand. Johanna Elisabeth schwamm in Wonne und Begeisterung. Auf die junge Sophie hingegen schien alle diese verschwenderische Pracht wenig Eindruck zu machen. Bereits als Fünfzehnjährige sind bei ihr Anzeichen eines gesunden Menschenverstandes und jenes klaren Blicks bemerkbar, der später die große Kaiserin so sehr auszeichnete. »Figchen southenirt die Fatige besser als ich,« schrieb die Mutter an den Gatten; »Die Größe von allem, was sie umgibt, hält ihren Mut aufrecht.« Vor Katharinas Kinderaugen lag das unermeßliche russische Reich mit seinen Mysterien, das sie später als die genialste seiner Beherrscherinnen zu ihren Füßen liegen sehen sollte.