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Die Herrscherin

Siebentes Kapitel.
Semiramis

Katharina hatte gesiegt. Am 14 Juli (3.Juli) war sie feierlich in Petersburg als Alleinherrscherin eingezogen, und es galt nun, sich diese Stellung zu befestigen. Die geringste ihrer Handlungen wurde scharf beobachtet, nicht nur von den Russen, sondern von der ganzen Welt. Aber von Anfang an verstand sie es, allen Schwierigkeiten, allen Gefahren Trotz zu bieten. Ganz Europa war des Lobes von dieser kühnen Kaiserin voll, die ihre Herrschaft, vor allen Dingen mit einem so wundervollen Apparat von Glanz und Aufwand in Szene zu setzen verstanden hatte. Sie entfaltete sich sofort als prachtliebende, freigebige Herrscherin des Orients. Die reichen Schätze flossen verschwenderisch durch ihre Hände. In den ersten Monaten ihrer Regierung verteilte sie ungezählte Summen an die Freunde, die ihr zum Throne verholfen, und an solche, von denen sie wünschte, sie möchten ihr geneigt sein. Von der ersten Stunde ihres Aufenthalts in Rußland an, damals als sie noch ein Kind war, hatte sie begriffen, daß man dort mehr als anderswo Ergebenheit, Aufopferung und Zuneigung mit schimmerndem Golde erkauft, daß man mit Liebenswürdigkeit und Schmeichelei nirgends so viel erreicht als in Rußland. Kein Mensch in Katharinas Umgebung konnte sich beklagen, je ein hartes Wort aus ihrem Munde zu hören. Stets wußte sie eine Liebenswürdigkeit, ein schalkhaftes Wort, einen aufmunternden Satz an diesen oder jenen zu richten, wenn sie durch die Reihen ihrer sie bewundernden Höflinge schritt. Selbst in den ersten Tagen ihrer Regierung, als sich die Geschäfte und auch manche Unannehmlichkeiten häuften, daß sie oft nicht wußte, wo ihr der Kopf stand, zeigte sie stets ihre freundliche, liebenswürdige Miene. Ihre Persönlichkeit übte eine geradezu faszinierende Wirkung auf alle aus, die sich ihr näherten. Man merkte gleich in den ersten Tagen ihrer Regierung den gewaltigen Unterschied zwischen ihr und der indolenten, allen Einflüsterungen geneigten Kaiserin Elisabeth und der unvernünftigen, launischen, despotischen Art und Weise Peters III. Die große Geschicklichkeit, mit der sie die schwierigsten Situationen umging oder beherrschte, ihre geniale Virtuosität im Regieren erregte die größte Bewunderung.

In den ersten Tagen ihrer Herrschaft hatte sie keine Minute für sich, kaum Zeit zum Schlaf und Essen. Ministerrat, Senatssitzungen, Audienzen, öffentliche Festlichkeiten folgten unaufhörlich aufeinander. Es mußten Manifeste, Ukase, Verordnungen, neue Verfassungen erlassen, hunderte von Bittschriften am Tage unterzeichnet werden, aber keine Müdigkeit, keinerlei physische Schwäche war im Äußern dieser ehrgeizigen, großen Frau zu bemerken. Sie bezwang alles. Dabei verlangten die Truppen jeden Augenblick, auch des Nachts, daß sie sich auf dem Balkon des Schlosses zeige, denn man fürchtete einen zweiten Staatsstreich, der die Zarin »das Mütterchen« entführe.

Katharina hatte jedoch die Staatszügel bereits sehr fest in ihrer kleinen Hand. Und es war ein anderer politischer Anschlag, der vier Tage nach dem feierlichen Einzug der Kaiserin Petersburg in Aufregung hätte versetzen können, wenn die Einwohner von dem wahren Sachverhalt in Kenntnis gesetzt worden wären.

Am 18. Juli (7. Juli), als Katharina eben den Senat verlassen hatte und sich in ihrem Zimmer zur abendlichen Hofkur ankleidete, stürzte plötzlich Alexis Orloff in großer Aufregung herein und meldete ihr, Peter sei tot. Katharina erbleichte. Das Lächeln auf ihrem Gesicht verschwand. Zwischen den Augen erschien jene energische Falte, die sich stets bei ihr zeigte, wenn sie zornig oder wenn ihr etwas unangenehm war. Sie ahnte, daß es kein natürlicher Tod sein konnte, der ihren Gatten so schnell dahin gerafft hatte. Alexis Orloff versicherte ihr zwar ernstlich, Peter sei an »komplizierter Hämorrhoidalkolik« gestorben, die sich auf das Gehirn geschlagen hätte. Daß weder Katharina, noch Orloff, noch ihre weitere Umgebung an dieses Märchen glaubten, beweist der Umstand, daß die Kaiserin in einem in aller Eile zusammenberufenen geheimen Rate beschloß, das Ereignis noch 24 Stunden lang vor dem Publikum geheim zu halten.

Auch hierbei zeigte sie sich als vollendete Schauspielerin. Kurze Zeit, nachdem Alexis Orloff ihr die fürchterliche Nachricht überbracht hatte, erschien sie wie gewöhnlich vor versammelten Hofe mit lächelnder, liebenswürdiger Miene, zum Scherzen aufgelegt, in bester geistiger Verfassung und ohne die geringste Erregung zu verraten. Erst als am nächsten Tag ein Manifest den Tod Peters öffentlich bekannt machte, weinte Katharina heiße öffentliche Tränen und erschien nicht bei Hofe. Sie spielte die vom Schmerz gebeugte Frau. So verlangte es der Anstand, die Hofsitte. Und Katharina hielt jederzeit streng auf äußere Etikette an ihrem Hofe. Das hinderte sie jedoch nicht, dem toten Peter nicht die Ehren zu erweisen, die ihm als Zaren bei seiner Bestattung zukamen. Ohne Prunk wurde der Leichnam in der holsteinischen Paradeuniform drei Tage ausgestellt. Seine Hände waren mit weißen Handschuhen bekleidet, an denen Augenzeugen Blutspuren gesehen haben wollen. Der Kopf war ganz verbunden und vollkommen unkenntlich. Nachdem wurde der Leichnam nicht wie die der übrigen russischen Herrscher in der Festung beigesetzt, sondern in das Alexander-Newskikloster überführt, wo sein Grab vollständig in Vergessenheit geriet. Erst der Sohn, der furchtbarste Hasser seiner eigenen Mutter, zog nach 35 Jahren, bei Katharinas Tode, wie eine schreckliche Anklage gegen sie selbst, die Gebeine seines Vaters wieder ans Tageslicht. Er ließ den toten Kaiser krönen und ihm die gleichen Ehren erweisen wie der eben verstorbenen Kaiserin. Und, gleichsam wie zum Hohne, ließ er beide Seite an Seite in der Gruft ruhen, als habe sie niemals etwas im Leben getrennt.

Katharina war groß. Aber auf ihrem Ruhme hätten die Zweifel an ihrer Unschuld am Tode des Gatten nicht wie brennende Flecken der Schande leuchten dürfen. Noch heute sind diese Zweifel nicht ganz gehoben. Sie selbst tat nichts, sie ganz aus der Welt zu schaffen, denn keiner der Beteiligten wurde von ihr verfolgt oder bestraft. Im Gegenteil, alle, die die letzten Stunden Peters geteilt hatten, kamen zu Ehren und Würden. Damit erklärte sie sich, wenn nicht mit der Absicht selbst, so doch mit dem fait accompli einverstanden.

Es ist hier nicht der Ort, auf historische Untersuchungen über die Mitschuld Katharinas an diesem bedauerlichen Ereignis einzugehen oder zu ermitteln, auf welche Weise Peter den Tod fand. Man kann nur annehmen, daß die wahren Urheber des Verbrechens die Orloffs waren. Alexis Orloff, Tepplow und die anderen Offiziere, die mit der Überwachung des gefangenen Zaren betraut waren, sollen ihn bei der Abendmahlzeit, betrunken gemacht und vergiftet haben. Andere wieder nehmen, auf Grund eines vorgefundenen Briefes Alexis Orloffs an die Kaiserin, an, Alexis habe den Zaren mit eigener Hand während eines Gelages, bei dem alle, und Peter am meisten, betrunken waren, erdrosselt. Sicher ist, daß die Orloffs das größte Interesse hatten, ihn ganz von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Dann war Katharina auch von der ehelichen Kette frei und konnte sich wieder verheiraten mit einem Manne, der mit ihr die Macht teilte. Gregor Orloff hatte genug Einbildungskraft, sich bereits an der Seite Katharinas auf dem Throne zu sehen. Es wäre indes von schwerwiegendem Nachteil für ihn gewesen, hätte er sich selbst zum Hauptschuldigen an dem Morde Peters gemacht. Daher übernahm diese Rolle sein Bruder Alexis.

So sehr Katharina vielleicht auch eine Zeitlang gewünscht hatte, Orloff durch die festeren Bande der Ehe an sich zu fesseln, beschränkte sich ihre Sinnlichkeit doch meist nur auf ihr Schlafzimmer. Ihre Liebe ging zwar oft mit der Politik Hand in Hand, niemals aber gewann sie die Oberhand über die Staatsgeschäfte. Katharina war jetzt Selbstherrscherin; einen Gatten brauchte sie nicht auf dem Throne. Hingegen führte sie das Günstlingswesen öffentlich ein, und zwar in einer Weise, wie man es bis dahin an keinem weiblichen Hofe gesehen hatte. Sie errichtete zu diesem Zwecke ein Hofamt, mit dem ein hohes Gehalt, Ehren, Würden, Titel und eine luxuriöse Wohnung in der nächsten Nähe ihrer eigenen Gemächer verbunden waren. Und von allen Ämtern wurde dieses von Katharina am gewissenhaftesten besetzt und von seinen Inhabern am sorgfältigsten verwaltet. Es blieb, mit seltenen Ausnahmen, kaum 24 Stunden lang unbesetzt. Eine kurze Krankheit des jeweiligen Günstlings, eine vorübergehende Abwesenheit genügten oft, um ihn durch einen anderen zu ersetzen. Und Katharina sorgte dafür, daß dieses Amt stets von den am besten dazu geeigneten Männern ausgefüllt wurde. Hatte sie sonst nicht viel Geschick in der Wahl ihrer Staatsmänner, so besaß sie doch hinsichtlich ihres »persönlichen Adjutanten« – das war der offizielle Titel des Günstlings – einen vorzüglichen Kennerblick.

Mehr als 12 offizielle Günstlinge folgten aufeinander während der Regierung dieser wollüstigen Frau. Bis ins hohe Alter frönte sie der Leidenschaft für den Mann. Und doch war sie weder hysterisch noch pervers. Es beherrschte sie eine ganz gesunde Sinnlichkeit, die später allerdings in Lasterhaftigkeit ausartete. Einige ihrer Liebhaber, wie Orloff, Patiomkin, Lanskoi, Zubow, besaßen Ehrgeiz, Kühnheit, Kenntnisse, bisweilen Geist und Gefühl. Ihr Einfluß erstreckte sich entweder bis aufs Herz oder bis auf die Politik Katharinas. Andere hingegen regierten nur in den vertrautesten Stunden in ihrem Ankleide- oder Schlafzimmer. Mancher behielt bis an sein Ende die Freundschaft der Kaiserin, nachdem er längst aufgehört hatte, ihr als Geliebter zu gefallen. Er wurde der treue Kamerad ihrer intimsten Freuden und Schmerzen. So schrieb sie Poniatowski noch lange Zeit über alle Einzelheiten ihrer neuen Liebeseroberungen, wie sie dann auch später den so heißgeliebten Patiomkin zum Vertrauten ihrer jeweiligen Leidenschaften machte. Fast jedem, der eine Zeitlang ihr Leben in engster Gemeinschaft mit ihr geteilt, blieb sie in dankbarer Freundlichkeit gewogen, nachdem sie ihn aus ihrem persönlichen Dienste verabschiedet hatte. Er konnte sicher sein, die höchsten Ämter und Würden zu erlangen, und von ihr mit Reichtümern und Wohltaten überhäuft zu werden.

Diese verabschiedeten Günstlinge lebten dann meist einige Jahre im Ausland, wo sie ihren asiatischen Reichtum vor den erstaunten Augen der Welt entfalteten und ihre Schätze als wahre Fürsten des Orients verschwendeten. Dann erst genossen sie ihr Leben in vollen Zügen. Kehrten sie auf den Wunsch der einstigen Geliebten nach Rußland zurück, so lebten sie entweder ruhig auf den ausgedehnten Gütern, die die freigebige Hand Katharinas ihnen gespendet, oder sie hatten an ihrem Hofe irgend ein hohes Amt inne und fuhren fort, in freundschaftlichem Verkehr mit ihr zu stehen, geehrt und geachtet von aller Welt – wenigstens so lange Katharina lebte. Nie hat sie einen verabschiedeten »persönlichen Adjutanten« bestraft oder mit ihrem Hasse verfolgt, und doch war es nicht immer sie, die ihre Günstlinge von sich entfernte. Es gab auch einige – wie Mamonoff – die ihrer Liebe überdrüssig waren oder sie überhaupt verschmähten. Und selbst sie hatten nie unter Katharinas Rache zu leiden. Einen einzigen ihrer Geliebten nur demütigte sie, nachdem sie ihn auf die höchste Stufe des Glanzes und der Macht, auf einen Thron erhoben hatte. Poniatowski, der zärtliche Geliebte ihrer Jugend, an dessen ritterliche, leidenschaftliche, bewundernde Liebe sich für Katharina die schönsten Erinnerungen knüpften, er allein fühlte die Schmach, von der mächtigen Geliebten erniedrigt zu werden. Sie hatte ihn als König schwach und feige gesehen. Katharina aber verachtete die Schwächlinge und Feiglinge sowohl im Leben als in der Politik. Sie war nachsichtig und versöhnlich in der Liebe, aber unerbittlich und streng in allen politischen Angelegenheiten. Sie ließ den einstigen Geliebten nach Petersburg kommen und seine entthronte Größe vor aller Welt zur Schau tragen. Stolz, Ruhmessucht, Ehrgeiz und Eitelkeit waren ihre stärksten Leidenschaften; Sinnlichkeit und Liebe traten bei ihr erst an zweite Stelle, obwohl ihr Leben anscheinend das Gegenteil beweist. Sie ließ sich nie vom Gefühl beherrschen. Ihr Genie, ihr Geist, ihre staatsmännischen Fähigkeiten standen über den Leidenschaften ihrer Veranlagung und ihres intimen Lebens.

Trotzdem sie mehr wie jede andere Frau sich dem Genüsse hingab, regierte sie ihr ungeheures Reich mit bewundernswerter Geschicklichkeit. Vieles in ihrem Leben war nur Schein, aber sie wußte diesen Schein als Echtheit wirken zu lassen. Sie verstand in allem zu imponieren. Man wußte nicht, was man mehr bewundern sollte, ihre Eigenschaften als Staatsmann oder als Frau. Man war in beständiger Begeisterung über ihre grenzenlose Güte, ihre gewinnende Liebenswürdigkeit und ihre physische Schönheit. Könige, Staatsmänner, Gelehrte, Philosophen und Dichter, alle sahen in Katharina ihresgleichen. Voltaire wußte nicht, was er mehr hervorheben sollte, ihre großen politischen Handlungen oder ihre literarischen Arbeiten. In lyrische Ekstase und Bewunderung gerät Diderot. »Große Fürstin«, schreibt er, »ich werfe mich Ihnen zu Füßen; ich breite meine Arme aus, ich möchte sprechen, aber mein Herz krampft sich zusammen, mein Kopf schwindelt, meine Gedanken verwirren sich, ich bin gerührt wie ein Kind. Wie von selbst gleiten meine Finger über eine alte Leier, und ich muß singen:

Vous qui de la divinité«
nous montrez, sur le trône, une image fidèle …

Selbst Friedrich der Große, der im allgemeinen nicht viel von weiblichen Herrschern hielt, erkannte das Genie der großen Katharina. Alle, alle waren hingerissen entweder von ihren äußeren Vorzügen, ihrem Wesen oder ihren hervorragenden Fähigkeiten, ihrer gewaltigen geistigen Überlegenheit, ihrem starken Willen, der Selbständigkeit und Klarheit ihres Urteils und ihrer unermüdlichen Arbeitskraft. Ihr Genie prägte sich auch in ihrem Äußern aus. Obgleich klein von Gestalt, erschien sie allen groß, imponierend, majestätisch, wenn sie als Herrscherin an ihrem Hofe erschien. Die Malerin Vigée-Lebrun konnte sich über dieses Phänomen nicht genug wundern. Graf Ségur fand zwar, als er Katharina bei einer Audienz zum erstenmal in der Nähe sah, manches an ihr etwas theatralisch, vieles in Szene gesetzt, aber auch er wurde bald gepackt von der Erscheinung dieser merkwürdigen Frau. Ganz selten begegnen wir in der Geschichte Katharinas tadelnden Urteilen ihrer Zeitgenossen. Man warf ihr einen zu großen, zu hochmütigen Optimismus vor. Sie war überzeugt, daß ihr alles gelingen müsse, daß sie alle Hindernisse beseitigen werde.

Sie dachte nicht daran, in ihrem Reiche so radikale Reformen einzuführen, wie Peter der Große. Mit ihrem gesunden Menschenverstand begriff sie sofort, daß es zu großer und weitgreifender Veränderungen bedürfe, um etwas ganz Neues aus diesem unermeßlichen Staate zu schaffen. Deshalb war ihre Regierung eine der klügsten, die Rußland je gehabt; sie ging vollkommen mit den Ideen ihrer Zeit und ihres Landes Hand in Hand. Zwar besaß Katharina nicht die Gabe, sich bedeutende Staatsmänner und Helfer auszusuchen – ihr erster Minister Panin war ein sehr durchschnittlicher Mann – aber sie verstand es wundervoll, ihre Leute auszunützen und den größten Vorteil aus ihren Diensten zu ziehen. Und das gelang ihr allein durch ihr gewinnendes Wesen, ihre Schmeicheleien und die wahrhaft fabelhafte Art, die geleisteten Dienste mit Reichtümern und Auszeichnungen zu belohnen. In dieser Freigebigkeit liegt gewiß ein Zug der Verschwendung auf Kosten des Staates, aber sie schuf sich damit die ergebensten Freunde und Stützen ihrer Macht und Volkstümlichkeit. Ihre Generale, von denen einige wahrhaft genial und unternehmend waren, gingen für sie mit Begeisterung in den Tod und riskierten die kühnsten Wagnisse. Niemals tadelte sie eine Niederlage oder eine unkluge diplomatische Handlung. Im Gegenteil, sie munterte sie zu neuen Taten auf, versicherte sie einer baldigen glänzenden Rehabilitierung. Die Betreffenden fühlten sich dadurch doppelt verpflichtet, alles daran zu setzen, um ihren Fehler wieder gut zu machen. Schließlich erfaßte ihr unverwüstlicher Optimismus in allem auch ihre Feldherrn, ihre Staatsmänner. Erleidet sie irgendeine militärische Niederlage, so ist es in ihren Augen stets nur ein »unbedeutender Zwischenfall«, ein Nichts, das nicht in Betracht kommt. Aber der geringste Erfolg ihrer Waffen wird zum größten, herrlichsten Siege, und nie verfehlt sie, ihn lauttönend der Welt zu verkünden und das Lob ihrer unvergleichlichen Feldherrn und Soldaten zu singen.

Katharina sagte von sich selbst, sie triebe ihre Politik stückweise, ohne Zusammenhang. Ist jedoch in den äußeren politischen Angelegenheiten nicht immer alles gut ausgedacht, so fehlt doch nie der gesunde Menschenverstand. Sie schickt ihre Truppen nur gegen Staaten, die sich im Verfall befinden und trägt immer den Sieg davon. Ihr Ruhm, ihr Reich, ihre Schätze wachsen zu ungeheurer Größe an; die nordische Semiramis steht auf dem Gipfel ihrer Macht. Sie besucht ihre ausgedehnten Staaten wie eine wahre Herrscherin aus einem Feenreiche. Überall sehen ihre Augen nur Glanz, Pracht, Fortschritt, Wohlstand. Nicht alles ist Wahrheit, vieles Schein. Patiomkin, der große »Arrangeur«, bereitet die Reisen seiner Gebieterin vor. Das Schiff, das Katharina den Dniepr hinabträgt, hat die höchsten Persönlichkeiten, die Größen der Wissenschaft und Staatskunst an Bord, damit sich die Herrscherin überzeugen kann, welche Intelligenz, welche weisen Männer Rußland hervorbringt. An den Ufern des Flusses sind wie auf Zauberwort neue Städte, Dörfer und Flecken entstanden. Eine Unmasse von Einwohnern drängt sich an den Ufern, um jubelnd das Schiff zu begrüßen, das Katharina, das »Mütterchen von Rußland«, vorüberträgt. Die Felder sind alle wohlbestellt; es ist eine Freude sie anzuschauen. Auf den Wiesen weiden ungeheure Herden – alles Schein, alles Szenerie! Patiomkin, der phantastische Taurier hat das alles für ein paar Tage hergezaubert. Aus den bevölkerten Bezirken Kleinrußlands, aus den Orten, wo die Kaiserin auf ihrer Reise nicht hinkam, hatte man mit Gewalt die Einwohner an die einsamen Ufer des Dniepr gebracht. Tausende von Dörfern wurden auf diese Weise in Kleinrußland auf eine gewisse Zeit entvölkert und die Bauern mit ihren Herden in die verschiedenen Gegenden geschleppt, an denen Katharina vorüberreiste. Es wurden Scheindörfer und -städte von leichtgebauten Holzhäusern errichtet, denen man ein nettes Äußere des Augenblicks verlieh. Als die Reise der Kaiserin zu Ende war, trieb man die unglückliche Bevölkerung wieder in ihre Heimat zurück. Viele von ihnen gingen durch diesen Wechsel zugrunde. Katharina aber hatte die Genugtuung gehabt, sich selbst zu überzeugen, daß ihr Land und Volk glücklich und reich seien.

Wiederum war es eine sehr kluge Politik von Katharina, daß sie ihre Regierung, ihren Thron mit so ungeheurem Glanze umgab. Er verbarg sehr geschickt den noch ziemlich wilden Hintergrund des Landes und seiner Bewohner. Mit außerordentlichem Geschick verstand sie es, den Fremden an ihrem Hofe in die Illusion zu versetzen, daß er sich in der zivilisiertesten Stadt, an dem schöngeistigsten Hofe, in einem vollkommen gebildeten Staate befände. Ohnedem wäre schwerlich die Vereinigung Rußlands mit Europa zustande gekommen, und niemand kann der genialen Frau den Beinamen »die Große« versagen.


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