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Noch nie hatte Petersburg eine so glänzende Hochzeitsfeier gesehen, als die, welche die Zarin Elisabeth ihrem Neffen und seiner Braut bereitete. Die Prachtentfaltung war ähnlichen Feiern in Versailles und Dresden entlehnt, von wo sich Elisabeth die Beschreibungen hatte kommen lassen. Alle Zeitgenossen sind sich darüber einig, daß sie noch nie einen prächtigeren Hochzeitszug gesehen hatten als den Katharinas und Peters zur Kirche von Kasan. Die religiöse Feier nahm allein 6 Stunden Zeit in Anspruch, und zehn Tage lang gab es Feste, Bälle, Maskeraden, Galadiners, Theater, Illuminationen, Feuerwerk und allerlei Volksbelustigungen.
Nach Ablauf der zehn Tage, während welchen Katharina und Peter kaum Zeit hatten, miteinander allein zu sein, bezogen sie mit der Kaiserin den Sommerpalast. Hier kümmerte sich Peter kaum um seine junge Frau. Er zog die Gesellschaft seiner Kammerdiener und Lakaien, mit denen er rauchen und trinken konnte, bei weitem vor. Zwanzigmal am Tage wechselte er die Uniform, um mit seinen Dienern kindische militärische Übungen vorzunehmen oder ihnen Instruktionen zu erteilen, die sie nicht nötig hatten, und die außerdem lächerlich waren. Katharina langweilte sich in ihrem Zimmer, gähnte und hatte niemand, mit dem sie sich unterhalten konnte. Mit der Zeit waren alle Personen von ihr entfernt worden, deren Gesellschaft ihr angenehm gewesen war, denn Elisabeth fing an mißtrauisch zu werden. Kurze Zeit nach der Hochzeit mußte auch Katharinas Mutter abreisen. Johanna Elisabeth war gewiß nicht das Ideal einer Mutter gewesen, aber sie war doch ihre Mutter. So sehr Katharina unter ihren Launen und ihrem unerträglichen, zu Intrigen geneigten Charakter zu leiden gehabt hatte, so bitter schmerzte sie doch jetzt die Trennung. Nun war sie, die Fremde, allein an jenem großen Hofe, wo sie nur mit Vorbehalt der Freundlichkeiten und dem Entgegenkommen begegnen konnte. Die junge Großfürstin weinte und fühlte eine grenzenlose Leere, eine große Einsamkeit in sich. Ihr Mann vermochte ihr nicht einmal die Mutter zu ersetzen, die einen so geringen Platz in ihrem Herzen eingenommen hatte. Er hatte nicht die geringste Zuneigung für seine Frau. Vierzehn Tage nach der Hochzeit machte er sie bereits wieder zur Vertrauten in seinen Liebesgeschichten. Jetzt beglückte er ein anderes Ehrenfräulein der Kaiserin, ein Fräulein Carr, spätere Fürstin Galitzin, mit seiner Liebe. Er stritt sich sogar mit dem Grafen Devierre in Gegenwart seiner Frau darüber, daß Fräulein Carr gar nicht mit der Großfürstin zu vergleichen, sondern tausendmal schöner sei. Katharina mußte sich sagen, daß sie von einem solchen Mann, der sie nicht liebte, sondern eben nur mit in den Kauf nahm, weil sie mit ihm verheiratet war, kein Glück erwarten durfte. Noch war in dieser jungen Großfürstin ein Funken von Pflichtgefühl. Vielleicht hätte sie es über sich gewonnen, ihm wenigstens aus diesem Gefühl heraus einige Jahre lang eine gute Gefährtin zu sein. Sie selbst spricht von jener Zeit oft mit Bitternis. »Ich wäre das unglücklichste Geschöpf von der Welt geworden, wenn ich mich zu Gefühlen der Zärtlichkeit gegen ihn hätte hinreißen lassen. Er hätte sie mir schlecht vergolten, und ich wäre vor Eifersucht gestorben, die keinem Menschen etwas genützt hätte. So versuchte ich es denn, es über mich zu gewinnen, nicht auf einen Mann eifersüchtig zu sein, der mich nicht liebte. Um aber nicht eifersüchtig zu sein, gab es nur ein Mittel, ihn nicht zu lieben.« Und ein wenig sarkastisch fügt sie hinzu: »Wenn er hätte geliebt sein wollen, es wäre nichts leichter als das für mich gewesen, denn ich war von Natur aus veranlagt und gewöhnt, meine Pflichten zu erfüllen. Dazu aber hätte ich einen Mann gebraucht, der vernünftig war, das aber war er nicht.«
In Wahrheit war Katharina ja selbst noch ein Kind und hatte es nötig, geleitet und behütet zu werden. Aber gerade derjenige, der die Führung hätte übernehmen sollen, ihr Gatte, war noch ein größeres Kind als sie und außerdem sittlich nicht imstande, ihr eine Stütze, ein Halt sein zu können. Das mußte wohl auch die Kaiserin Elisabeth einsehen. Sie selbst war in keiner Beziehung ein Muster, aber sie besaß genug gesunden Menschenverstand zur Beurteilung der Dinge. Dreiviertel Jahr nach der Hochzeit Katharinas und Peters gab sie dem jungen Ehepaar zwei Hofmeister im strengsten Sinne des Wortes. Sie sollten die Erziehung der Neuvermählten übernehmen, an deren ehelichen Leben die Zarin vieles auszusetzen hatte. Ihre Wahl fiel auf Herrn und Frau Tschoglokoff, deren Ehe besonders als Muster gelten konnte, denn Frau Tschoglokoff war ihrem Mann treu und schenkte ihm Kinder. Elisabeth scheint jedoch nicht die Reife und Unabhängigkeit in Betracht gezogen haben, die Katharina trotz aller Jugend doch besaß. Die neue Erziehungsmethode artete bald in eine kleinliche Bevormundung aller Handlungen des großfürstlichen Paares aus und verfehlte ihren Zweck gänzlich. Der Kanzler Bestuschew verfaßte eigens dazu ein Schriftstück, eine Art Instruktion, die alle Fehler Peters und Katharinas aufzählte, und die die Tschoglokoffs aufs strengste rügen sollten. Peters Sündenregister bezog sich meist auf seine schlechten Manieren sowohl in der Kirche wie am Hofe, ferner auf den gänzlichen Mangel an Sinn für ernste Beschäftigungen. »Die dazu erwählte Person«, heißt es in diesem kuriosen Dokument russischer Prinzenerziehung, »die berufen ist, dem Großfürsten Gesellschaft zu leisten, soll sich bemühen, gewisse unschickliche Gewohnheiten Seiner Kaiserlichen Hoheit zu rügen, wie z. B. bei Tisch den Inhalt seines Glases auf die Köpfe der Diener auszuschütten, oder diejenigen, die die Ehre haben sich ihm zu nahen, ja sogar fremde am Hofe empfangene Persönlichkeiten mit groben Worten und unanständigen Witzen anzureden, oder in der Öffentlichkeit Fratzen zu schneiden und seine Glieder beständig in Bewegung zu haben.« Ferner wurde dem Großfürsten in diesem Aktenstück alle Vertraulichkeit mit der Dienerschaft verboten, und zuletzt hieß es, die Kaiserin Elisabeth könne es kaum fassen, daß er in den Gemächern der Großfürstin mit Soldaten und Puppen spiele.
Vergehen ganz anderer Art hatte man der jungen Großfürstin vorzuwerfen. Sie ging nicht oft genug in die Kirche, mischte sich unberufen in Staatsangelegenheiten, sowohl russische als holsteinische. Ihr Fehler jedoch sei, daß sie allzu vertraut mit den jungen Hofleuten ihrer Umgebung, den Kammerherren, den jungen Höflingen, den Pagen, ja selbst den Lakaien verkehre.
Und in dieser Beziehung hatte das Aktenstück Bestuschews nicht unrecht. In Peters Umgebung lebten eine Menge junger hübscher lebenslustiger Offiziere, die nicht alle nur Sinn für die Kindereien, die läppische Soldatenspielerei und die Gelage ihres Gebieters hatten. Manche unter ihnen besaßen sogar Geist, Witz und poetischen Sinn und waren einem Flirt selbst mit der anmutigen Großfürstin nicht abgeneigt. Schon ehe Katharina verheiratet war, hatte sich zwischen ihr, den zwei Brüdern Tschernitscheff und einem ihrer Vettern ein sehr vertrauter Verkehr entwickelt. Alle drei waren »groß und wohlgebaut«, besonders der älteste. Das war der Vetter der beiden Brüder, Andreas mit Namen, der eleganteste und schönste Kavalier in der Umgebung Katharinas. Er stand sehr in Gunst beim Großfürsten und wurde bald mehr als ein bloßer Freund der Großfürstin. Die Gleichgültigkeit oder Blödigkeit Peters verhinderten ihn, in der Vertraulichkeit seiner Braut mit seinem Kammerherrn etwas anderes als Neckerei zu sehen, im Gegenteil, er ermutigte Tschernitscheff noch, sich gewisse Zärtlichkeiten und Kosenamen gegen die Prinzessin zu gestatten. Dabei überschritt er zuweilen die Grenze des Erlaubten, denn er hatte überhaupt nicht den Sinn für das, was schicklich oder unschicklich war. Schließlich mußte Tschernitscheff dem großfürstlichen Bräutigam selbst ins Gedächtnis zurückrufen, daß die Prinzessin von Anhalt-Zerbst einst Großfürstin von Rußland werden sollte und nicht Madame Tschernitscheff. Diese Bemerkung machte Peter ungeheueren Spaß; er lachte aus vollem Halse und nannte von da an den jungen Offizier nie anders als den Bräutigam Katharinas. Wenn er mit ihm über die Prinzessin sprach, nannte er sie: »Ihre Verlobte.«
Als Katharina verheiratet war, spann sich der Flirt weiter. Man gab sich zärtliche Namen, nannte sich »Matuschka« (Mütterchen) und »Snok moi« (mein Sohn), um der Sache eine harmlose Wendung zu geben. In Wahrheit aber hegten weder Katharina mütterliche noch Andreas Tschernitscheff kindliche Gefühle. Da sie beide jung waren, konnten sie auch das gegenseitige Interesse schlecht verbergen. Die Umgebung und Dienerschaft der Großfürstin hatte bald das Geheimnis erraten. Ihr Kammerdiener Timofei Jewreinoff, der mit ihr auf sehr vertrautem Fuße stand, erlaubte sich eines Tages die Bemerkung, daß sie sich mit Tschernitscheff bloßstelle. Die Sache schien sogar bereits so großes Gerede hervorgerufen zu haben, daß Timofei dem unvorsichtigen Tschernitscheff riet, er solle sich eine Zeitlang krankstellen und ins Bett legen. Andreas befolgte seinen Rat, und Katharina amüsierte sich köstlich, mit welcher Einfalt ihr Gemahl an diesen »malade malgré lui« glaubte, und wie leicht die Kaiserin Elisabeth zu täuschen war. Bald jedoch hielt es Tschernitscheff nicht mehr in dieser Verbannung aus; er glaubte lange genug krank gewesen zu sein, und es begann derselbe Verkehr wie früher mit der Großfürstin. Der Großfürst verhalf ihnen sogar unbewußter Weise dazu. Er schickte Andreas oft mit irgendeinem Auftrag zu seiner Frau, und Tschernitscheff, der nichts lieber tat als das, vermehrte diese angenehmen Gänge dadurch, daß er den Großfürsten so und so oft am Tage auf den Gedanken brachte, Katharina etwas mitzuteilen. Da Peter von Natur aus träge war und nur ungern seine eigenen Zimmer und Spielereien verließ, so war ihm der geschäftige Tschernitscheff äußerst willkommen.
Nicht immer war die Großfürstin von ihren Damen umgeben, wenn Andreas in ihrem Zimmer erschien. Zum mindesten gab es Augenblicke, in denen die Augen mehr verhießen als Worte. Vielleicht hatte sie ihm an jenem Abend als sie vom Grafen Devierre überrascht wurden, ein trautes Tête-à-Tête versprochen. Katharina erzählt uns die Geschichte so harmlos wie möglich, obwohl Grund genug vorhanden ist, daran zu zweifeln. Es war während einem der Konzerte, die der Großfürst zu geben liebte. Katharina, die stets zugegen sein mußte, langweilte sich entsetzlich, nicht nur weil die musikalischen Leistungen minderwertig waren, sondern weil sie überhaupt kein Verständnis für Musik hatte. Sie entfernte sich daher unbemerkt und zog sich in ihr Zimmer zurück. Alle ihre Damen befanden sich im Konzert des Großfürsten, ihre erste Kammerfrau, Madame Kruse, war bei ihrer Tochter zu Besuch, und die Kaiserin, die sonst jeden Augenblick zur Großfürstin schickte, um sie zu kontrollieren, war an diesem Abend abwesend. Also hatte das Mäuschen freien Lauf. Katharinas Zimmer stieß an einen großen Salon. »Aus Langeweile«, erzählt sie, »öffnete ich meine Tür und bemerkte am andern Ende des Salons Andreas Tschernitscheff«. Wie aber kam er, der doch im Konzert des Großfürsten sein sollte, plötzlich in den Salon neben dem Zimmer Katharinas? Was hatte er dort zu suchen? Ein gewiß eigenartiger Zufall. Anstatt nun aber ihre Türe zu schließen, winkte sie Tschernitscheff zu sich heran, wie sie behauptete, um ihn zu fragen, ob die Kaiserin schon zurück sei. Tschernitscheff brauchte die Ausrede, er könne mit ihr so nicht plaudern, da jeden Augenblick jemand kommen, und sie sehen könne. Sie solle ihn in ihr Zimmer eintreten lassen. Vielleicht wünschte die junge abenteuerliche Katharina nichts lieber als das, aber in diesem Augenblick öffnete sich die gegenüberliegende Tür des Salons, und Graf Devierre, der Kammerherr und Hausspion der Kaiserin, erschien mit der Meldung, der Großfürst wünsche seine Gemahlin zu sprechen. Für diesmal war das Stelldichein vereitelt.
Am nächsten Tag trat die sittenstrenge Madame Tschoglokoff ihren Dienst bei Katharina an, und das großfürstliche Paar erfuhr, daß die drei Tschernitscheffs vom Hofe entfernt und zu ihren Regimentern in der Nähe von Orenburg (Sibirien) geschickt worden seien. Das war eine halbe Verbannung. Der Flirt Andreas' kam ihnen teuer zu stehen. Der Schuldige verbrachte sogar eine Zeitlang im Gefängnis.
Katharina war keine sentimentale Frau. Sie wußte, daß sie bald Ersatz haben würde, wenn sie nur wollte. Immerhin fand sie Mittel, den Aufpassern der Kaiserin zu entgehen und mit Andreas einen kleinen Briefaustausch zu unterhalten, der ihr während ihres Aufenthaltes in Oranienbaum, wohin der Hof sich bald darauf begab, ein angenehmer Zeitvertreib der Langenweile war.
Das Aktenstück Bestuschews hatte jedoch noch andere Zwecke als rein pädagogische. Die erste Pflicht eines prinzlichen Ehepaars ist die Thronfolge zu sichern. In Katharinas Ehe waren jedoch noch keinerlei Aussichten auf einen Thronerben vorhanden. Weder der Großfürst noch die Großfürstin hatten sich diesen Punkt ihres Ehelebens besonders angelegen sein lassen. Man fühlte sich daher verpflichtet die beiden »Kinder« darauf aufmerksam zu machen. Der Hofmeisterin wurde eindringlich empfohlen, »die Großherzogin zu ermahnen, den Wünschen ihres Mannes gehorsamer als bisher entgegenzukommen, sich gefällig, angenehm, verliebt, ja sogar, wenn nötig, leidenschaftlich zu zeigen, kurz auf alle mögliche Weise die Zärtlichkeit ihres Gatten zu erlangen und ihre Pflicht zu erfüllen«.
Die Kinderlosigkeit der ersten Jahre der Ehe Katharinas hat zu vielen Vermutungen Veranlassung gegeben. Sogar moderne Schriftsteller sind noch der Ansicht, daß Peter ein physisches Hemmnis gehindert habe, eine Familie zu gründen. Es ist jedoch erwiesen, daß er eine ganze Menge Mätressen gehabt hat und nicht nur platonische Beziehungen zu ihnen unterhielt. Die einzig richtige Hypothese für die Kinderlosigkeit der ersten Ehejahre Katharinas wird die sein, daß sie sich beide so gleichgültig waren, daß überhaupt keine Annäherung zwischen ihnen bestand. Katharina selbst läßt in ihren Memoiren durchblicken, daß Paul nicht der Sohn Peters ist. Von jener Zeit sind wir jedoch noch weit entfernt. Vorläufig dachte Katharina noch nicht an Mutterschaft, ein Gefühl, das für sie auch später, als sie Kinder von Männern hatte, die sie geliebt, kein beglückendes war, so sehr war sie ganz die Frau des Genusses.
In der Einförmigkeit des Lebens in Oranienbaum erwachte in Katharina von neuem das Interesse für die Bücher, und es ist wirklich erstaunlich, wie diese junge Frau sich an einem Hofe, wo neben dem raffiniertesten Luxus die rohesten Sitten und das wüsteste Leben herrschten, ihre geistigen und literarischen Neigungen in ihr intimes Leben hat hinüberretten können. Weder ihr Gatte noch Elisabeth gaben ihr ein Beispiel in dieser Beziehung. Elisabeth war eine vollkommen ungebildete Person, die außer der Bibel nie ein Buch zur Hand nahm oder sonst sich belehrte. Sie hatte nur die Gabe, in der Wahl ihrer Minister glücklich zu sein. Von Natur aus war sie faul und bequem, liebte sehr eine gute Tafel, vor allen den Wein, betrank sich bis in die Nacht mit ihren Offizieren oder den Unteroffizieren der Garde, war eitel, putzsüchtig und oberflächlich, aber ungeheuer fromm. Es fehlte ihr nicht an Güte, aber sie war äußerst cholerisch und launisch. Ihre Regierung war nicht frei von Verbrechen. Der Chevalier d'Eon machte in bezug auf sie die Bemerkung: ›Bei ihrer Thronbesteigung schwur sie allerdings beim verehrten Bilde des Heiligen Nikolaus, daß, so lange sie regiere, niemand die Todesstrafe erleiden solle. Sie hat Wort gehalten, nach dem Buchstaben. Kein Haupt fiel, aber 2000 Zungen und 2000 Ohren sind abgeschnitten worden!«
Elisabeth war außerdem eine sehr galante Frau, und in der Eifersucht konnte sie zur Furie werden. Die arme Fürstin Labukhin mußte ihre Schönheit dadurch büßen, daß man ihr auf Befehl der Kaiserin die Zunge ausschnitt und zwanzig Knutenhiebe auf den bloßen Körper verabreichte. Darauf schickte man sie nach Sibirien.
Der Großfürst war nicht grausam, aber er hatte ebenso wenig Sinn für das Geistige wie seine Tante. Im Laufe der Jahre nahm die Trunksucht bei ihm derart zu, daß er selten nüchterne Augenblicke hatte. Dann packte ihn der Alkoholrausch so, daß er alles um sich herum zerschlug und seine Frau nicht immer wie ein Mensch, noch viel weniger wie eine Fürstin behandelte. Und doch erkannte er ihre geistige Überlegenheit an und nannte sie, wenn auch spöttisch, ›Madame la Ressource‹, die alles wisse.
Blutjung war Katharina in diese Verhältnisse gekommen. Ihre Erziehung war nur sehr unvollständig gewesen; sie hatte niemand, der ihr einen Rat erteilen konnte; sie war vollständig auf sich selbst angewiesen. Gewiß war sie nicht die Frau, die an einem solch leichtfertigen Hofe ein keusches zurückgezogenes Leben zu führen gedachte. Schon ihre natürliche Veranlagung sprach dagegen. Aber sie ging nicht unter in ihren Sinnen. Ihr grenzenloser Ehrgeiz und der Instinkt für die Rolle, die sie einst an der Seite eines solchen Mannes wie Peter zu spielen hatte, hielten sie aufrecht. Sie wurde sich klar, daß das Schicksal sie mit diesem Schwächling nur äußerlich zusammengeführt hatte, und ihr persönliches ehrgeiziges Interesse, ihr tiefgehendes Streben nach allem Geistigen trieben sie vorwärts und schrieben ihr die Bahn vor, die sie einzuschlagen hatte. So arbeitete sie mit bewunderungswürdiger Energie an der Erziehung und Vollendung ihres eigenen Menschen, um so mehr, da sie täglich beobachten konnte, daß die russische Gesellschaft, noch nicht einmal den Firnis abendländischer Geistesbildung besaß.
Da sie jedoch sehr jung war und niemand hatte, der ihr Führer in ihrem geistigen Leben hätte sein können, so las sie im ersten Jahre ihrer freudlosen Ehe ausschließlich Romane, und nicht immer die besten. Die meistgelesensten Schriftsteller ihrer Zeit waren die Scudéri und La Calprenède. Beide Autoren schrieben hauptsächlich pikante Geschichten, in denen Sinnlichkeit und Lasterhaftigkeit vorherrschend waren. Vielleicht fand sie in diesen Büchern manches ihr nachahmungswertes Beispiel. Das erste Buch von wirklichem Wert für ihr Leben waren die reizenden Briefe der Madame de Sévigné. Katharina verschlang sie förmlich und wurde später eine gewandte Jüngerin dieser geistreichen Briefschreiberin. Die Briefe der Kaiserin an Voltaire, an Grimm, an Diderot zeigen am deutlichsten, zu welch gewaltiger Persönlichkeit sie sich entwickelte, und wie sehr sie es liebte, Briefe zu schreiben. Ihre Briefe füllen ganze Bücher.
Nach der Lektüre der Sévigné verfiel sie auf Voltaires Werke, dessen gelehrigste und begeistertste Schülerin sie wurde. Trotz Montesquieu, trotz Tacitus, Plato und vielen anderen Großen blieb Voltaire stets ihr Meister, ihr Abgott, ihr Orakel. Sie hegte eine unbegrenzte Verehrung für den Philosophen von Ferney; mit unnachahmlichem Eifer studierte sie alles, was von ihm kam. Sie, die nicht besonders empfindsam war, strömte über in Bewunderung des Ausdrucks, wenn sie später von dem Manne sprach, dem sie ihr geistiges Leben verdankte, ohne ihn je persönlich gekannt zu haben. »Hören Sie«, schrieb sie später einmal an Grimm, der ihren Briefstil gelobt hatte, »wenn wirklich Kraft, Tiefe und Anmut in meinen Briefen und meiner Ausdrucksweise sind, so danke ich alles Voltaire. Denn lange lasen, studierten und lasen wir von neuem alles, was aus seiner Feder kam. Ich kann wohl sagen, ich habe ein so feines Gefühl erlangt, daß ich mich nie über das getäuscht habe, was von ihm war oder nicht. Die Klaue des Löwen hat eine Weise, alles anzupacken, die noch kein Mensch bis jetzt nachahmen konnte«. Und nach diesem bedeutenden Ebenbilde entwickelte sich Katharina langsam zu der größten und freiesten Realistin, die je auf einem Throne gesessen. Immer eifriger widmete sie sich dem Studium philosophischer, historischer und staatswissenschaftlicher Werke, gleichsam als wolle sie sich für ihre künftige Regierungstätigkeit vorbereiten. Zu jener Zeit ihrer Entwickelung legte sie auch tagebuchartige Notizen an, in denen sich bereits jene optimistische Weltanschauung kund tut, der sie bis an ihr Ende treu blieb. In diesen Tagebuchblättern finden wir auch die ersten Probleme ihrer Rechtspflege, ihrer Gesetzgebung und aller ihrer Regierungsprinzipien.
Neben so ernster Beschäftigung interessierte sie freilich auch Brantômes ›Vie des dames galantes«. Man möchte glauben, daß Katharina seine Ideen am meisten verwirklichte und sich sein Ideal von der Königin Johanna II. von Neapel sehr zum Vorbild nahm. Auch Heinrich IV. war ein Vorbild für sie, nicht nur, weil er ein volkstümlicher König gewesen war, sondern hinsichtlich seiner galanten Abenteuer. Es gelang ihr sogar später, ihn noch in bezug auf die Zahl ihrer Liebhaber zu übertreffen. Heinrich IV., der doch ein sehr galanter Mann war, hatte weniger Mätressen gehabt, als Katharina Günstlinge.
Währenddessen ging das Leben ihrer Ehe in vollkommener Banalität hin. Immer unerträglicher wurde ihr die Gesellschaft Peters. Glücklicherweise brachte er einen großen Teil seiner Zeit außerhalb mit seinen Liebschaften zu und war oft stundenlang mit allem möglichen Mummenschanz und Trinkereien beschäftigt. Von Zeit zu Zeit, wenn er es satt hatte, kam er jedoch zu Katharina zurück, um sie über seine neuen Abenteuer oder Einfälle zu unterhalten, oder ihr auf seiner Geige vorzukratzen, mit der er spielend von einem Zimmer ins andere raste und ihr die jämmerlichsten Töne entlockte. Einen ganzen Winter lang plagte er seine Frau einmal mit dem Plane, sich in der Nähe von Oranienbaum ein Lustschloß zu bauen, das eher einem Kapuzinerkloster ähnelte. Sämtliche Insassen sollten dort wie Mönche gekleidet sein, aus dem einfachen Grunde, weil er Maskeraden sehr liebte. Aus Gefälligkeit zeichnete Katharina ihm wohl hundertmal einen Plan zu diesem Schloß, der immer wieder verändert wurde und nie zur Ausführung kam.
Das war jedoch nicht das Schlimmste, das sie zu erdulden hatte. Um sich in dem langweiligen Oranienbaum zu zerstreuen, hatte er sich zehn Jagdhunde angeschafft, von deren Existenz seine Tante, die Kaiserin, natürlich nichts wissen durfte. Die Hunde hielten sich den ganzen Tag in den Wohnräumen des großfürstlichen Paares auf und teilten in der Nacht das gemeinschaftliche Schlafzimmer, wo sie nicht allein einen bestialischen Geruch verbreiteten, sondern durch ihr Gebell und ihr Schnaufen die Großfürstin in ihrer Ruhe störten, während ihr Herr Gemahl meist vom Weine betäubt an ihrer Seite fest schnarchte. Es gab auch Nächte, in denen Peter sich amüsierte und mit seinen Puppen und allem möglichen Spielkram spielte. Das gemeinschaftliche Bett war damit über und über bedeckt. Manchmal nahm Katharina daran teil und lachte mit über seine närrischen Einfälle. Es kam auch vor, daß sie dabei von Madame Tschoglokoff überrascht wurden und die Tür nicht eher öffnen konnten, als bis das ganze Spielzeug unter der Bettdecke verschwunden war. Dann erschien die gestrenge Hofmeisterin im Auftrage der Kaiserin und teilte ihnen mit, Ihre Majestät sei sehr ärgerlich, daß Ihre Kaiserlichen Hoheiten noch nicht schliefen. War sie wieder fort, so wurde das Spielzeug von neuem unter großer Heiterkeit hervorgeholt, und der Großfürst unterhielt sich damit, bis er gegen Morgen endlich einschlief. Hatte er nicht die Puppen, so war es sein Marionettentheater, das ihm den größten Spaß machte. An den Vorstellungen, die er damit gab, mußte seine ganze Umgebung, die Großfürstin und seine Mätressen inbegriffen, teilnehmen. An andern Tagen wieder dressierte er seine Hunde und mißhandelte sie dabei auf die roheste Art, oder er steckte alle seine Diener in Uniformen und hielt mit ihnen irgend einen unsinnigen Kriegsrat ab. Eines Tages, als Katharina das eine der beiden Zimmer betrat, die sie in Oranienbaum gemeinsam bewohnten, fand sie Peter in großer Uniform, gestiefelt und gespornt. Seine Offiziere und Diener standen schweigend und ernst um ihn herum. Katharina glaubte, es sei irgend eine Zeremonie am Hofe, von der sie keine Kenntnis hatte. Es handelte sich jedoch um weiter nichts als um die militärische Hinrichtung – einer Ratte! Das arme Tier hatte sich erlaubt, die Schildwache aus Teig aufzufressen, die vor einer der Pappfestungen stand, mit denen Peter zu spielen liebte. Aus seinen Offizieren und Dienern hatte er einen ganz regelrechten Kriegsrat gebildet, und die Ratte, die mitten im Zimmer aufgehängt war, war zum Tode durch den Strang verurteilt worden.
Jeden Tag erfand dieser würdige zukünftige Herrscher etwas Neues dieser Art. Und alles spielte sich in den inneren Gemächern der Großfürstin ab, weil die Kaiserin nichts von alledem wissen durfte. Auch an Hinterlist mangelte es ihm nicht. Einmal lud er Katharina und alle ihre Damen ein, sie möchten in sein Zimmer kommen, er habe eine großartige Überraschung für sie. Die Herren seiner Umgebung waren bereits bei ihm versammelt. Einer nach dem andern mußte auf einen Stuhl steigen, der an der einen der Wände des Zimmers stand. Oberhalb des Stuhles hatte der Großfürst ein Loch in die Holzwand gebohrt, durch das nun alle schauen mußten. Zum nicht geringen Erstaunen sahen sie hinter der Wand ein kleines Zimmer, wo die Kaiserin Elisabeth im intimen Kreise ein sehr intimes Gelage feierte, ein Anblick, der sonst eben nur den Beteiligten zuteil wurde, denn der Günstling und die Kaiserin waren im leichtesten Negligé. Katharina zog daraus, wenn auch keine moralische, so doch die Lehre, daß sie ihr Leben später so einzurichten wußte, daß man sie und ihre Liebhaber nicht durch Löcher in den Wänden beobachten konnte.
Katharinas Jugend und ihr lebhaftes Temperament ließen sie jedoch auch während der Jahre ihrer geistigen Verinnerlichung nicht nur über Büchern hocken. Es fehlte ihr nicht an Jugendfrische und der Lust zu allerlei Scherz und Streichen. Sie war eine gesunde Natur voller Leichtigkeit; der Gram über ihre traurige Ehe verzehrte sie nicht. Sie war gern in lustiger Gesellschaft und amüsierte sich wo sie konnte. Scherz und Ernst, Arbeit und Genuß konnte sie gleichzeitig in ihrem reichen Charakter vereinigen, ohne dem einen oder dem andern zu schaden. Was die Gunst des Augenblicks ihr bot, daß wußte sie zu erfassen. Auf dem Lande konnte sie ebenfalls ganz Kind sein, nur in anderer Weise wie der Großfürst. Ihre Spiele waren wirklich kindlicher nicht kindischer Art. Blindekuh war ihr Lieblingsspiel, noch als Greisin beteiligte sie sich an diesem Spiel ihrer Enkel. Oder die Großfürstin lief mit ihren Damen, die ebenfalls jung wie sie waren, um die Wette. Aber sie war immer die Flinkste und Gewandteste. Sie tanzte für ihr Leben gern, und verfehlte nie die Gelegenheit dazu. Am meisten Vergnügen aber fand sie am Reitsport. Gleich nach ihrer Ankunft in Rußland lernte sie reiten und betrieb es nachher mit wahrer Leidenschaft. Am liebsten ritt sie im Herrensattel. Da das jedoch die Kaiserin Elisabeth, die selbst eine vorzügliche Reiterin war, nicht gern sah, weil sie glaubte, es sei der Grund, warum Katharina keine Kinder bekomme, so hatte die junge Großfürstin einen besonderen Trick erfunden. Sie hatte sich einen Sattel machen lassen, den man auf beide Art benutzen konnte. Sie trug stets praktische, dauerhafte Reitkleider, meist einen geteilten Rock, der ihr den Herrensitz gestattete. War die Kaiserin an ihrer Seite, so ritt Katharina ganz züchtig als Dame, sobald sie aber allein war, sprang sie vom Pferde, ließ den Stallmeister den Sattel verändern und jagte wenige Augenblicke später in toller Lust wie einer der besten Reiter davon. Es ging ihr nie wild genug dabei zu. Wurde sie abgeworfen und lief ihr Pferd fort, so eilte sie ihm nach und brachte es zurück. Oft stand sie in Oranienbaum nachts um drei Uhr auf, zog sich einen Herrenanzug an und ging, mit der Flinte über der Schulter, in Begleitung eines Dieners und eines alten Jägers ins Rohr auf die Entenjagd. In allem war sie selbständig. Sie schien gehorsam und unterwürfig gegen die Personen, die ihr zu gebieten hatten, aber im Innern war sie frei, unabhängig, eine Herrennatur und dem ganzen Hofe in allem überlegen. Vor ihr lag eine reiche Zukunft, Sinnengenuß, Ruhm und Glanz, die volle Befriedigung ihrer wahren Herrschernatur.