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Die Erhaltenden


Jean Moréas

Stanzen

Sagt nicht: das Leben ist ein frohes Spiel,
so spräche Torheit und der niedrig denke,
und niemals sagt: Leid sei es ohne Ziel,
das wäre schlechter Mut, der eilig sänke.

Lacht so wie Ruder, die mit Wasser scherzen,
weint wie der Wind, wie Flut des Wellenschaums,
schmeckt alle Freuden, leidet alle Schmerzen,
und nennt es: viel – und Schatten eines Traums.

 

Nur Tote hör'n mich und ich leb im Grabe,
mir selbst verfeindet, kann ich niemals ruhn,
Danklosen ist mein Ruhm, mein Korn den Raben,
nie ernte ich mein Säen und mein Tun.

Ich klage nicht. Wie kann der Adler spüren,
ob Spott und Schande und Beleidigung höhnt,
solange ich Apollons Leier rühre
und jedesmal sie schöner, reiner tönt.

 

Wann kann ich mich nutzloser Qual entbinden,
der kleinen Dinge dieser schlimmen Stadt,
im frischen Waldesheim mich wiederfinden,
am Rand des stillen Sees, der Sonne hat!

Doch lieber soll dein Strand den Traum betören,
du Meer, du meiner Tage selige Wiege,
damit ich wilde Möven girren höre,
fühlen, daß Flutschaum auf den Lidern liege.

Frühreifer Winter, hast du nichts zu geben? –
Maigaben hab ich schenkend hingestreut,
vom Herbste pflückt ich nicht den Wein der Reben
und Andere mähn, was mir die Flur gebeut.

 

Willst mir am Regenabend weissagen,
bist du geheimes Zeichen,
du Blatt, das ich fühle in sanftem Anschlagen
über mein Antlitz streichen?

Dich pflückte der Herbst und nun fällst du hernieder,
weil ein Tautropfen schwer auf dir liegt,
du fällst auf mein Haupt, das zum Grabe nieder
die Bürde der Tage biegt.

Schwermütiges Blatt, flieg fort mit dem Wind,
der deinen Schatten auf Rasen beschwor. –
Der Traum, in dem heute mein Herz sich besinnt,
öffnet des Schicksals Tor.

Deine Hände

Deine Hände, die wie aus Tapisserien sich heben
aus alten, wo Goldbraun und Silber sich weben,
wo zwischen dem seltsamen Wirrwarr von Zweigen
Ränder von Bildern reliefgleich sich zeigen,
von Raubzügen sprechen, von Königsgelagen,
von Turnieren, um die meine Sehnsüchte klagen, –

Deine Hände mit Nägeln, die Schnäbeln gleichen,
hätten sollen einst Harfe und Geige streichen
unterm Baldachin des Spitzbogenportals,
das sein Goldgitter öffnet der Frische des Tals, –
hätten mit feinen Chrysopasenreifen
sollen durch Hugenottenblut streifen.

Deine Hände mit bleichen Fingern sind einer Heiligengestalt,
die Giotto erträumte und fromm gemalt
im Basilika-Winkel, aus dessen Dunkeln
Reliquien, Goldhang und Kerzen funkeln,
wo ich im Tode am Bischofsstab
wohl schlummern möchte in gemeißeltem Grab.

(Les Syrtes)


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