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Gottfried August Bürger
Hoch klingt das Lied vom braven Mann
Wie Orgelton und Glockenklang.
Wer hohen Muts sich rühmen kann,
Den lohnt nicht Gold, den lohnt Gesang.
Gottlob! daß ich singen und preisen kann,
Zu singen und preisen den braven Mann!
Der Tauwind kam vom Mittagsmeer
Und schnob durch Welschland trüb und feucht.
Die Wolken flogen vor ihm her,
Wie wann der Wolf die Herde scheucht.
Er fegte die Felder, zerbrach den Forst,
Auf Seen und Strömen das Grundeis borst.
Am Hochgebirge schmolz der Schnee,
Der Sturz von tausend Wassern scholl,
Das Wiesental begrub ein See,
Des Landes Heerstrom wuchs und schwoll;
Hoch rollten die Wogen entlang ihr Gleis
Und rollten gewaltige Felsen Eis.
Auf Pfeilern und auf Bogen schwer,
Aus Quaderstein von unten auf,
Lag eine Brücke drüber her,
Und mitten stand ein Häuschen drauf.
Hier wohnte der Zöllner mit Weib und Kind.
»O Zöllner! o Zöllner! Entfleuch geschwind!«
Es dröhnt' und dröhnte dumpf heran,
Laut heulten Sturm und Wog ums Haus.
Der Zöllner sprang zum Dach hinan
Und blickt' in den Tumult hinaus.
»Barmherziger Himmel! Erbarme dich!
Verloren! Verloren! Wer rettet mich?«
Die Schollen rollten Schuß auf Schuß;
Von beiden Ufern, hier und dort,
Von beiden Ufern riß der Fluß
Die Pfeiler samt den Bogen fort.
Der bebende Zöllner mit Weib und Kind,
Er heulte noch lauter als Strom und Wind.
Die Schollen rollten Stoß auf Stoß;
An beiden Enden, hier und dort,
Zerborsten und zertrümmert schoß
Ein Pfeiler nach dem andern fort.
Bald nahte der Mitte der Umsturz sich.
»Barmherziger Himmel! Erbarme dich!« –
Hoch auf dem fernen Ufer stand
Ein Schwarm von Gaffern, groß und klein,
Und jeder schrie und rang die Hand,
Doch mochte niemand Retter sein.
Der bebende Zöllner mit Weib und Kind
Durchheulte nach Rettung den Strom und Wind.
Rasch galoppiert' ein Graf hervor,
Auf hohem Roß ein edler Graf.
Was hielt des Grafen Hand empor?
Ein Beutel war es, voll und straff.
»Zweihundert Pistolen sind zugesagt
Dem, welcher die Rettung der Armen wagt!«
Und immer höher schwoll die Flut,
Und immer lauter schnob der Wind,
Und immer tiefer sank der Mut. –
O Retter! Retter! komm geschwind! –
Stets Pfeiler bei Pfeiler zerborst und brach.
Laut krachten und stürzten die Bogen nach.
»Hallo! Hallo! Frisch auf gewagt!«
Hoch hielt der Graf den Preis empor.
Ein jeder hörts, doch jeder zagt,
Aus Tausenden tritt keiner vor.
Vergebens durchheulte mit Weib und Kind
Der Zöllner nach Rettung den Strom und Wind. –
Sieh! schlecht und recht ein Bauersmann
Am Wanderstabe schritt daher,
Mit grobem Kittel angetan,
An Wuchs und Antlitz hoch und hehr.
Er hörte den Grafen, vernahm sein Wort
Und schaute das nahe Verderben dort.
Und kühn, in Gottes Namen, sprang
Er in den nächsten Fischerkahn.
Trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang
Kam der Erretter glücklich an.
Doch wehe! Der Nachen war allzu klein,
Der Retter von allen zugleich zu sein.
Und dreimal zwang er seinen Kahn,
Trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang,
Und dreimal kam er glücklich an,
Bis ihm die Rettung ganz gelang.
Kaum kamen die letzten in sichern Port,
So rollte das letzte Getrümmer fort. –
»Hier«, rief der Graf, »mein wackrer Freund!
Hier ist dein Preis! Komm her! Nimm hin!«
Sag an, war das nicht brav gemeint?
Bei Gott! Der Graf trug hohen Sinn.
Doch höher und himmlischer wahrlich! schlug
Das Herz, das der Bauer im Kittel trug.
»Mein Leben ist für Gold nicht feil.
Arm bin ich zwar, doch eß ich satt.
Dem Zöllner werd Eur Gold zuteil,
Der Hab und Gut verloren hat.«
So rief er mit herzlichem Biederton
Und wandte den Rücken und ging davon. –
Hoch klingst du, Lied vom braven Mann,
Wie Orgelton und Glockenklang!
Wer solches Muts sich rühmen kann,
Den lohnt kein Gold, den lohnt Gesang.
Gottlob! daß ich singen und preisen kann,
Unsterblich zu preisen den braven Mann!