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Volkslied
Es wollt ein Herr ausreiten,
Er ritt wohl in die Weite.
Er ritt wohl übern geweihten Kirchhof,
Da schrien ihm die Toten nach:
»Reit sachte, o lieber Herre mein,
Du reitest mir über mein Gräbelein.
's ist des heutigen Tags ein Jahr,
Daß du mich erschlagen hast.« –
»Hab ich dich gleich erschlagen,
Die Sünde muß ich tragen.
Ich hab mir genommen dein Wittfräulein,
Ich erziehe deine Waiselein.« –
»Mit was ziehst du meine Kindlein groß?«
»Mit Beten, Schlägen und scharfer Not.«
»Hättst du mich lieber am Leben gelan,
Ich hätt mir sie wöllen schon selber schlan.
Ich laß meiner Frau mitte sagen,
Sie soll nicht so weinen und weheklagen,
Sie soll nicht so weinen und traurig tun,
Sie stört mir meine ganze Ruh.
Sie soll auf den Abend kommen zu mir,
Wenn alle die Leute schlafen gehn,
Wenn alle die Türen verschlossen sein
Und alle die Gräber weit offen sein.
Sie soll mir mitte bringen
Von weißer Leinwand ein Hemde;
Das erst ist mir geworden so naß:
Was weint sie immer? was tut sie das?« –
Und wie der Herr zu Hofe einritt,
Die Frau ihm schon entgegenschritt:
»Sei mir willkommen, lieber Herre mein!
Warum tust du denn so lange sein?« –
»Warum soll ich denn nicht lange sein,
Wenn mich die Toten aus den Gräbern anschrein?
Dein voriger Mann läßt dir mitte sagen,
Du sollst nicht so weinen und weheklagen,
Du sollst nicht so weinen und traurig tun,
Du verstörst ihm seine ganze Ruh.
Du sollst auf den Abend kommen zu ihm,
Wenn alle die Leute schlafen gehn,
Wenn alle die Türen verschlossen sein
Und alle Gräber weit offen sein.
Du sollst ihm mitte bringen
Von weißer Leinwand ein Hemde.
Warum hast du gemacht ihm den Kittel so naß?
Ach, lieber Gott, warum tust du das?« –
»Ich will ihm ein Hemde lassen schneiden
Von Sammet und von Seiden;
Von Sammet, Seiden, von rotem Gold,
Weil ich an seinem Tode bin schuld.«
Der Herr der war nicht faule,
Er schlug die Frau ins Maule,
Er schlug die Frau ins Angesicht:
»Ist dir dein vor'ger Mann lieber als ich?« –
Die Frau die nahm einen Stecken
Und ging auf den Kirchhof wecken:
»Tu dich auf, tu dich auf, du Erdenkloß!
Und nimm mich 'nein in deinen Schoß!« –
»Was willst du denn hier unten tun?
Hier unten hast du keine Ruh.
Hier unten hörst du keinen Glockenklang,
Hier unten hörst du keinen Priestergesang,
Hier unten hörst du kein Hähnlein krähn,
Hier unten hörst du kein Windlein wehn.
Geh du nur wieder heime
Und erzieh dir deine Kindlein kleine.
Erzieh dir sie alle groß und klein,
Daß sie ein wenig erzogen sein!
Es reuet mich nichts so sehre,
Als wie nur des gar Klein' in der Wiege,
Das da weder reden noch sprechen kann:
Wenn ich dran denk, geht michs Jammern an.« –
»Schließt euch, ihr Gräbelein, feste!
Die erste Treue die beste.
Schließt euch, ihr Gräbelein, feste zu,
Auf dieser Welt hab ich keine Ruh!«