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Neunter Gesang.


1.

Der edle Mongibal, den unser ganzes Land
Als seinen Held verehrt und Schmähsucht selbst nicht tadelt,
Beginnt der Alte, hat sein tapfres Schwert entadelt,
Es blitzt für Tyranney in sieggewohnter Hand,
Weil Assacar sich Leonoren
Die Tochter Mongibals zur Königinn erkoren.
Sie waren schon verlobt, doch eh man sie getraut,
Am Abende zuvor starb unversehns die Braut.

2.

Denkt euch des armen Vaters Jammer;
Sie, die sein einzig Kind, sein Trost, sein Alles war,
So schnell gesund und todt! der Wütherich sogar
Hat den Verlust gefühlt, hat sich in seine Kammer
Drey Tage lang verschlossen und geweint.
Die ganze Burg erscholl von seinen Klagen.
Ich selbst, wiewohl sein bittrer Feind,
Ich konnt' ihm dazumahl mein Mitleid nicht versagen. [271]

3.

Noch klaget er, noch ist er unverlobt
Und einzig, wie er oft dem ganzen Hof geschworen,
Aus Zärtlichkeit für Leonoren
Und weil in seiner Brust der Schmerz noch nicht vertobt,
Zwar diesen Schmerz hält jeder für erheuchelt,
Nur nicht ihr Vater, diesem schmeichelt,
Daß auch ein hartes Herz sein Kind so sehr geliebt
Und nach dem Tode noch ihr späte Thränen giebt.

4.

Er wähnt dafür sich ewig ihm verpflichtet,
Unselige, verhaßte Dankbarkeit,
Die unser Land zu Grunde richtet!
Längst hätten wir vom Joch des Wüthrichs uns befreyt,
Wenn er nicht sein Beschützer wäre.
Ein Theil der Ritterschaft, die Hälfte von dem Heere
Hat darum sich für Assacarn erklärt,
Weil Mongibal sie und sich selbst bethört.

5.

Der klügre Theil trat kühn auf unsre Seite,
Und sie versammelten sich zahlreich diese Nacht.
Heut, o mein Herz erbebt bey dem Gedanken, heute
Entscheidet eine Bürgerschlacht.
Gott weiß es, daß man uns zu diesem Gräuel zwinget!
Es ist erlaubt ein Mensch, das heißet, frey zu seyn.
Und wenn die That uns auch mißlinget,
So werd' ich sterben zwar; doch niemahls sie bereun. [272]

6.

Ja sterben, denn auf mich wird vor den andern allen
Die Ahndung Mongibals, der Grimm des Königs fallen;
Weil ich den Führern wider sie
Mein Schloß zum Sammelplatz, zum Aufenthalte lieh.
Wer aber konnt' es eher wagen,
Als ich verwittweter und kinderloser Greis?
Ich gebe gern den Rest von kummervollen Tagen
Zum Besten meines Volks dem Wüthrichsschwerte Preis.

7.

Doch weg mit Zweifeln jetzt! es tön' in unsern Ohren
Nur des Triumphs Geschrey! Denn hat nicht Glück und Sieg
Sich diese Nacht mit uns verschworen?
Und zeucht nicht Celian in den gerechten Krieg?
So sprach der Greis; indessen zeigen
Sich Fahnen in der Luft, man naht dem frohen Heer.
Die Krieger jauchzen laut den Nahenden und neigen
Bis auf die Erde hin den ehrfurchtsvollen Speer.

8.

Der Ruf versäumt nicht zu verbreiten,
Der fremde Ritter sey der tapfre Celian,
Und ihnen woll' er nun des Sieges blutge Bahn
Mit seinem Heldenschwert bereiten.
So sagt der Ruf, und bald ertönt von allen Seiten:
Es lebe Celian! es lebe Celian!
Er neiget sich und spricht mit hulderfüllten Blicken:
Gern will ich dieses Schwert für Recht und Freyheit zücken. [273]

9.

Doch besser wär es euch; wenn durch dieß schöne Land
Nicht lange mehr der Drache Zwiespalt flöge,
Und ich mit kühner, doch nicht blutbetriefter Hand
Den Wütherich vom Throne zöge.
Das ist mein höchster Wunsch, das ist mein erster Plan.
Mißlinget der, dann sey der zweyte,
Daß ich mit Mongibaln noch vor dem Treffen streite.
Sieg' ich, so findet ihr viel Arbeit schon gethan;

10.

Siegt er, so bleibt die Hoffnung, die ihr hattet,
Euch unvermindert, ja wird dadurch noch vermehrt,
Daß unser Kampf den Arm des Helden abgemattet
Und einen Theil von seiner Kraft verzehrt.
So spricht Bliomberis zu dem gerührten Volke,
Das jauchzend ihn bewundert, warm ihn liebt.
Doch sieh! wie dort der Staub die Lüfte trübt.
Er wälzet sich heran in einer dichten Wolke.

11.

Die Wolke nähert sich und blinke,
Als wäre sie mit tausend Blitzen schwanger,
Itzt schwebt sie ob dem nächsten Anger,
Itzt bleibt sie still, wird kleiner, sinkt,
Die Feinde stehen da: wie speyn im Sonnenglanze
Die Panzer Flammen aus! wie hebt sich Lanz' an Lanze!
Wie funkelt Schwert an Schwert! wie prangen furchtbar schön
Die Reihen Mongibals gedrängt, nicht abzusehn. [274]

12.

Er selber glänzt, geschmückt mit goldner Rüstung,
Im Vordertreffen; also brennt
Ein schrecklicher Comet am heitern Firmament
Und dräut dem bangen Volk Tod, Jammer und Verwüstung.
Der König ziehet feig' im Hintertruppe mit.
Schon rufen laut zum Sterben und zum Tödten
Die furchtbar schmetternden Drommeten,
Als mitten in das Feld ein heilger Herold tritt.

13.

Er wendet sich zu Mongibaln und ladet,
Bevor des Helden Schwert in Bürgerblut sich badet,
Ihn noch auf ein Gespräch zum Ritter Celian.
Der Führer staunt den Herold an.
Ist, ruft er aus, der Held hier eingetroffen,
Und dürfet ihr auf seinen Beystand hoffen?
Doch seys! bedeutet ihm, ich spräche niemand mehr,
Ihn selber nicht, als hier vor meinem Heer.

14.

Der Herold bringt die Antwort und schon reitet
Bliomberis, von zweyn der Seinigen begleitet,
Zu Mongibaln, er neigt sich ehrfurchtsvoll vor ihm
Und will, warum er kam und was er wünschet, melden;
Doch braus't des Gegners Ungestüm
Der Rede vor, er ruft: ich ehr' in euch den Helden;
Doch innigst kränkt es mich, euch, Ritter, da zu sehn,
Wo der Rebellion verhaßte Fahnen wehn. [275]

15.

Kein Nahme, Mongibal, erwiedert
Bliomberis, die That erhebet und erniedert.
Durch diesen Schild wird nie ein Thron beschirmt,
Auf den Gerechtigkeit mit heilgen Händen stürmt.
Ihr aber, dürfet ihr des Einen Königs wegen
Die böse Würgerlust bey Tausenden erregen?
Euch folgen sie, nicht ihm, all diese Heldenreihn.
Verlasset Assacarn, so stehet er allein.

16.

Schwer ist der Haß, den er auf sich geladen,
Der Unschuld Blut, der Unschuld Thränen baden
Sein Purpurkleid und ziehn wie Bley
Den Schändlichen zur Hölle nieder.
Und ihr, o Mongibal, sonst so gerecht und bider,
Seyd dieses Mahl der Menschheit ungetreu
Und wollt, statt ihren Feind zu beugen,
Ihm eure Dankbarkeit auf ihre Kosten zeigen.

17.

Doch seys! ihr thatet viel für euer Vaterland,
Und darum schenk' es euch die Strafe des Tyrannen.
Er blute nicht durch Henkershand,
Er flieh, sich selbst von hier auf ewig zu verbannen,
Er nehme noch ein Theil von seinem Raub mit sich,
Leb' unter einem Himmelsstrich,
Wohin der Sarden Fluch, von Winden und Gewässern
Verschluckt, nicht dringen kann, und suche sich zu bessern. [276]

18.

Ihr aber, edler Mongibal,
Statt euer Brudervolk für Assacarn zu würgen,
Beherrscht es selbst; fast wollt' ich mich verbürgen,
Daß bey der freyen Königswahl
Die Edlen euch die Kron' entgegen tragen.
So bitter sie den Irrthum auch beklagen,
Der euch vor des Tyrannen Joch
Als eine Wehre stellt, verehren sie euch doch.

19.

So sprach Bliomberis; ihr irret,
Erwiedert Mongibal, denn nicht aus Eigennutz,
Aus Redlichkeit bieth' ich dem Aufruhr Trutz.
Es sey, daß Assacar vordem das Reich verwirret;
Jetzt zeigt er Reu, verheißet Besserung
Und herrscht mit Recht, denn des Tyrannen Nahmen
Giebt ihm nur Meuterey sich zur Entschuldigung,
Er herrscht mit Recht, er ist aus königlichem Saamen.

20.

O ungerechtes Recht! verwünschter Saamen! schrie
Bliomberis, indem sein ganzer Zorn erwachte,
Erbt man ein freyes Volk, wie eine Herde Vieh,
Damit man ungestraft es nach Gefallen schlachte?
Der Fürst, der seiner Nation
Meineidig wird, verzeiht sich deß, was sie geschworen,
Sein Recht zu herrschen ist verloren
Und ledig der verwirkte Thron. [277]

21.

Dieß Mongibal ist Recht, und wenn ihr anders redet,
So seyd hiermit von mir vor euerm Heer befehdet!
Auch borg' ich nicht, Herr Ritter! vor der Schlacht
Seys auf der Stelle hier durch Zweykampf ausgemacht.
Wohlan! sagt Mongibal halb zürnend, halb beschämet.
Ihr aber, o Begleiter, nehmet
Das Volk in Acht: daß nichts den Zweykampf unterbricht!
Man weicht; das Ritterpaar entblößt das Schwert und ficht.

22.

Die Luft ertönt von wiederhohlten Streichen,
Die Gegner scheinen sich an Kraft und Kunst zu gleichen.
Mit der Bewunderung weit offnem Auge blickt
Das ganze Heer auf sie; ergraute Führer stehen
Im Bügel auf, den Kampf genau zu sehen.
Auch Assacar ist nah hinan gerückt.
Er sieht im Geiste schon den Fremden von dem Pferde
Hinab gestürzt und zappelnd auf der Erde.

23.

Zu kühne Hoffnung, denn ein Schlag,
Den Mongibal kaum halb zu wenden noch vermag,
Trifft schwer sein Ross: die weite Wunde rauchet,
Es stürzet hin. Bliomberis gebrauchet
Den Vortheil nicht; auch wirft mit Einem Mahl
Der Arzt des edlen Mongibal
Sich mitten unter sie; o endet eure Fehde,
So ruft er, und erlaubt, ihr Helden, daß ich rede! [278]

24.

Beschämet und gerührt, daß ihn sein tapfrer Feind
So großmuthsvoll geschont, hob Mongibal indessen
Sich von dem Boden auf; doch unser Ritter scheint
Des ganzen Zwistes zu vergessen.
Sein Blick voll Lieb' und voll Besorglichkeit
Wünscht seines Gegners Wohl auf dessen Stirn zu lesen,
Als wäre dieß kein ernster Streit,
Ein bloßes Lustgefecht mit einem Freund gewesen.

25.

Zuerst, so fährt der Arzt, nun aufgerufen, fort,
Verheißt mir Schutz auf euer Ehrenwort;
Daß wenn ich nützliche, doch kühne Wahrheit sage,
Ich nicht vielleicht mein Haupt dem Beil entgegen trage.
Groß ist der Mann, den ich beschimpfen soll,
Und Große werden dieß von Kleinern nie verschmerzen,
Denn birgt sich auch denselben Tag ihr Groll,
So bleibt und gährt er doch zu Rach' in ihrem Herzen.

26.

Ich kenn' und liebe dich, du bist ein Bidermann,
Sagt Mongibal, sprich! deiner Rede wegen,
Und klagte sie den König selber an,
Soll niemand Hand an dich, so lang' ich athme, legen.
Bliomberis tritt dem Versprechen bey,
Das Mongibal gethan; es gehn von beyden Heeren
Die Führer näher hin, dem Arzte zuzuhören;
Selbst Assacar forscht gierig, was es sey. [279]

27.

Kaum hatte den der Arzt erblicket,
Als er schon Zorn auf ihn aus beyden Augen schicket.
Wohlan, beginnt er nun, den König selber trifft
Ein schrecklicher Verdacht, das muß ich jetzt enthüllen.
Verfahrt dann, Mongibal, nach euerm eignen Willen,
Nur wisset, euer Kind Lenore starb durch Gift;
Das glaubet mir, der ich dem Grabe
Die Leiche selbst entscharrt, das Gift gefunden habe.

28.

Doch höret auch, warum ich auf das Haupt
Des bösen Assacar, Trotz seiner Königskrone,
Den schrecklichen Verdacht zu wälzen mir erlaubt,
Und seht, ob er verdient, daß ihn mein Mitleid schone.
Lenore war ihm gram, sie hat euchs nicht verhehlt,
Doch habt ihr seine Hand der Armen aufgedrungen,
Durch Ueberredung sie, durch Bitten sie gezwungen,
Ein Mittel, das des Zwecks bey Guten kaum verfehlt.

29.

Sie ließ dem König oft Haß und Verachtung blicken,
Straft' ihn mit Muth und schallt auf seine Tücken,
Doch niemahls mehr als jenen Schreckentag,
Als sie gesund mit ihm das Frühmahl eingenommen,
Krank von dem Mittagsmahl bey Hof zurück gekommen
Und Abends auf der Bahre lag.
Ich merkt' es damahls schon, doch wagt' ichs nicht zu zeigen,
Vie³mehr entschloß ich mich selbst gegen euch zu schweigen. [280]

30.

Des Morgens weintet ihr mich zum Pallast hinaus.
Ach! wer blieb damahls ungerühret?
Ich eile planlos fort, doch Gottes Schickung führet
Mich zu dem Hofarzt hin, er selbst war nicht zu Haus.
Ich harrte sein und ward, als Freund, von seinen Leuten
Allein gelassen, sah die Tiegel durch und fand
Gift in dem einen, Gift: wie er mir selbst gestand,
So zwang ihn Assacar es gestern zu bereiten,

31.

Kaum aber hatt' ich ihm vertraut,
Wie Leonore starb, so seufzt' und weint' er laut
Und schwur, er wolle tief im Höllenfeuer brennen,
Wenn ihm die Gräuelthat auch nur hat ahnden können.
Der König hätte Gift verlanget und ihm Tod
Bey seiner Weigerung gedroht,
Doch bald darauf ihm seine Königsehre
Verpfändet, daß es nur für Schuldige gehöre

32.

Ruft, Mongibal, den Arzt, verheißt ihm Sicherheit,
Vielleicht gesteht ers auf der Stelle;
Doch nun blickt wieder um nach jener Trauerzeit;
Denselben Tag empfing in unsrer Schloßcapelle
Lenoren ihrer Ahnen Grab.
Ich, den Verdacht zu fliehn, stieg in der Nacht hinab.
Schwarz fand ich ihre Leich' und schon so sehr verweset,
Daß sich das mürbe Fleisch von dem Gebein gelöset. Die schnelle Verwesung ist ein Zeichen eines sehr starken Giftes. ( Anm.d.Verf.) [281]

33.

Doch von dem Bubenstück ganz überzeugt zu seyn,
Eröffnet' ich sie auch, fand noch das Gift im Magen
Und grub sie dann mit Thränen wieder ein.
Doch wagt' ich nicht ein Wort davon zu sagen.
Geschehen bleibt geschehn, drum harre schweigend aus,
Dacht' ich; das Reden ist gefährlich und vergebens:
Lenoren redest du in das Gebieth des Lebens
Doch nicht zurück; wohl aber dich hinaus.

34.

So dacht' ich, schwieg und hätte noch geschwiegen,
Sah ich nicht euch, der mehr als väterlich
An mir gehandelt hat, für ihn, den Wütherich,
Den Mörder eures Kinds im Kampfe schon erliegen.
Nun dacht' ich nur, was euch bedroht,
Und nicht an mich, nicht an des Königs Rache,
Ich stürzte rasend durch die Wache,
Stand hier und sprach, wie mir mein Herz geboth,

35.

Er schwieg, und schon hat Mongibal befohlen,
Des Königs Arzt zu dem Verhör zu hohlen.
Er kommt, man bittet ihn um Wahrheit, er bejaht
Ins Antlitz Assacars die schwarze Frevelthat.
Als dieser nun, sich zu beschönen,
Hervortrat, und itzt bang', itzt knirschend mit den Zähnen
Kaum einen allgemeinen Satz
Herstammelte, fleugt auch sein Mundschenk auf den Platz. [282]

36.

Das also wars, rief der mit einer Stimme,
Die Anfangs unterdrückt vom Laufen und vom Grimme
Allmählich bis zum Donner sich verstärkt.
Das also wars, und ich, ich hab' es nicht gemerkt,
Warum du selbst für Leonoren
Aus deinem Cabinett mir einen Trank gebracht!
O Scheusal, das auch mich zu einem Mörder macht,
Du bist kein Mensch, dich hat kein Weib geboren.

37.

Den Engel konntest du ermorden, Wüthrich!
Und mich dazu gebrauchen, mich,
An deines Vaters Hof in Ehren
Ergrauten Mann! und dennoch weintest du,
Du weintest laut, als man zur ewgen Ruh
Dein Opfer trug, o Krokodillenzähren!
Giftmischer, Häuchler, Bösewicht!
Zurücke! duldet ihn in euerm Kreise nicht!

38.

Hier zieht der König seinen Degen,
Doch man entwaffnet ihn; Bliomberis beginnt:
Ihr ritterlichen Freund' (ich hoff' es, Freunde sind
Wir alle nun, bereun den Bürgerzwist und legen
Die Waffen ab) vielleicht mißfällt mein Vorschlag nicht?
Ihr ritterlichen Freunde haltet,
Eh der gerechte Haß in eurer Brust erkaltet,
Hier über Assacarn gemeinschaftlich Gericht. [283]

39.

Er sprachs, man jauchzt ihm zu und Aller Augen schauen
Nun auf den edlen Mongibal;
Ihm wollte man das Richteramt vertrauen.
Allein der Arme steht, versenkt in seine Qual,
Er seufzet, weint und rufet Leonoren,
Ihn dünkt, er habe jetzt aufs neue sie verloren:
Doch faßt er sich zuletzt und hört,
Was überlaut von ihm das ganze Volk begehrt.

40.

Ha! ruft er auf und zieht auf seiner Stirne Falten
Gerechten Unmuths, ich, das Richteramt verwalten,
Ich, der Beleidigte, mein eigner Rächer seyn?
Nein nimmermehr! Dein sey die Rache, dein.
Gerechter Gott! bey dir hat sie ihn selbst verklaget.
Ihr aber, wenn ihr doch um einen Rath mich fraget,
Gebt dieses Amt dem großen Celian;
Ihm hat der König nie weh oder wohl gethan.

41.

Gerechtigkeit und Güte wohnen
In seiner Brust und er ist groß genug,
Auch selber einen Feind zu schonen.
So sagte Mongibal, ein lauter Beyfall trug
Bliomberis dieß Amt auf; mit Erröthen,
Nachdem er dringend erst Verschonung sich erbethen,
Nimmt er zuletzt es an, da alle drauf bestehn
Und sehnlich ihn darum, als eine Wohlthat, flehn. [284]

42.

Er nimmt es an und setzt auf einen Stumpf sich nieder.
Die Stirn, die erst voll sanfter Güte war,
Zeigt jetzo Richterernst dem bösen Assacar.
Dem Wüthrich beben alle Glieder,
Da ihm der Held bis in die Seele schaut,
Dann hingewandt zu beyden Heeren, laut
Aufrufet: hat noch wer den Mann hier anzuklagen,
So mag er ungescheut vor mir die Wahrheit sagen.

43.

Wie wenn den kühnen Bösewicht,
Der, überreif dem göttlichen Gericht,
Sich auf das Meer in dem mit seinen Sünden
Beschwerten Schiffe wagt, die Blicke Gottes finden,
Und dessen Rächermund dem Heer der Stürme ruft.
Die Stürme dann aus aufgeschloßner Kluft,
Ergrimmt, die Fittiche beladen mit Gewittern,
Hertoben und das Schiff an einem Fels zersplittern:

44.

So tobet nun das Volk von allen Seiten her;
Es sind nicht zwey Partheyen mehr:
Denn sieh! es drängen auch die Krieger,
Die erst bethört für den gekrönten Tieger
Die Waffen trugen, sich mit Klagen zum Verhör.
Wie schnell die Rache sie mit glühnden Stacheln treibet!
Wie laut sie schreyn! schon ist des Richters Ohr betäubet,
Schon ist die Luft von Flüchen schwer. [285]

45.

Bliomberis gebiethet Schweigen
Mit hoher Hand, und Alle schweigen.
Die Würdigern und Nähern ruft er dann
Zum Reden auf. Es schleicht ein Greis heran,
Auf kränklichem Gesicht der Wehmuth helle Thräne
Stützt auf ein rostig Schwert den Arm und spricht: zwey Söhne
Ernährten mich und führten meinen Pflug;
Wir hatten wenig, doch genug.

46.

Nie, nie bestürmten wir mit ungestümer Bitte
Den lieben Gott um mehr, wir dankten ihm für dieß.
Auf Einmahl brach in unsre Hütte
Ein Räuberschwarm, gesandt von diesem Mann und riß
Mir meine Kinder aus den Armen.
Um vier Pfund Silber hatt' er sie
Zu Sclaven über Meer verkaufet, wie das Vieh; Anspielung auf die im 18. Jh. gängige Praxis des fürstlichen Soldatenhandels. So hatte der Landgrafen Friedrich II. von Hessen-Kassel 1776 sog. Subsidienverträge mit England geschlossen, das Soldaten zum Einsatz im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg benötigte; 12 000 Mann wurden zugesagt. Schon Friedrich Schiller hatte das Thema 1784 in einer Szene von »Kabale und Liebe« verarbeitet. Dort wird die Truppenvermietung mit einem Grundstückshandel verglichen. Den Erlös verwendet der Fürst zum Ankauf teuren Schmucks für seine Mätresse, obwohl in einer Stadt des Landes nach einem Brand gerade große Not herrscht. – »Bliomberis« ist voll von versteckten Bezügen auf die Missstände der zeitgenössische absoluten Monarchie; diese Stelle ist die unverbrämteste.
Ich weint', ich kniet' umsonst: denn da war kein Erbarmen.

47.

Seit dieser Zeit ging ich von Thür zu Thür
Und bettelte mein Brod und rang oft mit den Hunden
Um einen Knochen, wehe mir!
Lohnt so das Vaterland mir Wunden,
Die ich im Feld erhielt? Doch als ich jüngst gehört,
Es wollten endlich doch die Edlen sich entjochen,
Da darbt' ich mich fast todt durch sieben lange Wochen
Und kaufte mir statt Krücken dieses Schwert. [286]

48.

Jetzt trat ein Jüngling auf und zeugte:
An seinen Wald gränzt unser Acker an,
Auf welchen oft mein Schweiß umsonst hernieder rann.
Denn wie sich nur die Sonne neigte,
Brach stets ein Rudel Schwein' aus dem Gebüsch heraus
Und wühlt uns weg die Hoffnung unsers Lebens.
Wir klagtens oft dem Förster, doch vergebens;
Er trieb uns scheltend aus dem Haus.

49.

Und nun ergrimmt mein Vater, stellet
Sich auf die Lauer hin; sein sichrer Bogen fället
Ein großes Stück; man sieht, ergreifet, bindet ihn,
Am Morgen lässet der auf ihn die Schweine hetzen,
Die aber gütiger ihr Opfer nicht verletzen.
Ohnmächtig lag er da, die Jäger selbst bemühn
Sich lange Zeit, ihn wieder zu erwecken.
Was halfs, er starb den Tag darauf am Schrecken.

50.

Ein zweyter Jüngling klagt und rief,
Die Schenkel blößend: seht die Narbe hier! so tief
Hat bey der letzten Jagd sein Hylax mich gebissen.
Ihr könnet denken, ob ich schrie.
Er selber lief herzu und streichelte das Vieh,
Mich aber stieß er noch mit Füßen
Und fluchte: Bestie! was narrest du mich her
Und lärmst, als ob ein Wild hier durchgebrochen wär? [287]

51.

So bittre Klagen führten Viele;
Doch jetzo drängt sich aus dem Volksgewühle
Ein edler Mann hervor und sagt:
Verehrter Celian, erlaubt auch mir zu sprechen,
Mir, der ihn größerer Verbrechen
Und weiter greifender als Patriot verklagt.
Er hat, behaupt' ich hier, die Nation entehret
Und Niederträchtigkeit durch Strafen sie gelehret.

52.

Glaubt ihr, daß lange da die Ehre wohnen wird,
Wo stets der Henker droht, wo stets die Geißel schwirrt,
Wo kein Gesetz besteht, als toller Eigenwille;
Wo die Religion für nichts als eine Grille
Milzsüchtiger Matronen gilt,
Und jeder Bube laut auf ihre Diener schilt;
Wo edle Männer sich vor Metzen bücken müssen,
Daß die sie nicht um Amt und Leben küssen;

53.

Wo solch ein feiles Schandgezücht
Nicht seine Nächte nur um ungeheure Summen
Verpachtet, Ämter auch vertheilet, vor Gericht
Gesetz' und Billigkeit verstummen
Und nur Parteylichkeit, nur Willkür sprechen heißt;
Wo man den Fleiß erstickt, die Kunst, den Handlungsgeist,
Und wo das letzte Korn des Armuths in den Speichern
Der Wuchrer liegt, die prahlend sich bereichern; [288]

54.

Wo man die Wissenschaften höhnt,
Wo ihnen Üppigkeit und Wollust alle Schüler
Verlocket, wo der Hof den, so der Lorber krönt,
Nicht höher schätzt, als einen Taschenspieler;
Mit Einem Wort, wo Tyranney,
Was immer groß und edel ist und frey,
Aus unsrer Brust zu reuten sich bemühet,
Wo jede Tugend weint, und Glück und Weisheit fliehet.

55.

Wie dieß der edle Mann mit vieler Würde sprach,
So tönte rings umher ihm laut der Beyfall nach.
Verwirrt steht Assacar und suchet die Geberde
Kaltblütiger Verachtung, eitler Thor!
Er zwang den scheuen Blick, den Furcht und Scham zur Erde
Geworfen hat, mit aller Macht empor,
Er stämmt die Hand in seine Seite,
Als ob ihm nur ein Schwarm ohnmächtger Frevler dräure,

56.

Bald pochet er auf Kron' und fürstliches Geschlecht
Und führet an: sie hätten nicht das Recht,
Ihn, der ihr König ist, zur Rechenschaft zu ziehen.
Bald mit geschmeidigerm Bemühen
Beschönt er sich und sucht des Volkes Haß
Auf seine Diener hinzukehren:
Doch ungestüm, rachheischend murret das
Und scheint den Urtheilsspruch vom Richter zu begehren. [289]

57.

Doch stille! seht zur Rechten hin! was schleicht
Sich für ein zitternd Paar herzu? erschrocken weicht
Das ganze Volk, so dicht es steht, zurücke.
Genett ists und sein Ohm, Furcht in dem starren Blicke
Hüllt in des Greises Kleid Genett sein Haupt und bebt
Voll Schweiß ist sein Gesicht und mehr als sonst verzerret,
Halb offen ist sein Mund, wo schwarz und ausgedörret
Die Zung' am blauen Gaumen klebt.

58.

Mit thränennassem Angesichte
Erzählt der Greis dem Volk die klägliche Geschichte,
Schlägt dann das Kleid zurück, zeigt ihnen das Gespenst
Und ruft zu Assacarn sich kehrend: Wüthrich kennst
Du diesen? Assacar erblasset
Er bebt zurück und ruft: Schließt Gräber euern Schooß!
Gnug sind der lebenden Ankläger, schließt ihn, lasset
Nicht auch die Todten auf mich los!

59.

Genett vernahm kaum diese Stimme,
So wacht er auf zu fürchterlichem Grimme:
Ein grelles Scharlachroth umzieht
Sein Angesicht, sein Auge rollt und glüht.
Die Zähne knirrschen laut, in alle seine Glieder
Kehrt Festigkeit und Stärke wieder.
Er schauet stolz und frey um sich,
Sieht Assacarn und wirft sich auf den Wütherich. [290]

60.

Er fasset ihn mit starken Händen
An beyden Schultern an, dort wo des Purpurs Enden
Ein goldner Ring zusammenhält;
Er bricht den Ring, der reiche Mantel fällt
Herunter: außer sich mit weiß beschäumtem Munde
Schlägt itzt Genett gleich einem tollen Hunde
Die Zähn' ins Fleisch des Wüthrichs, der verzagt
Da steht und nicht einmahl ihn abzutreiben wagt.

61.

Auch konnt ers nicht allein; drey starke Männer reißen
Mit aller Kraft ihn kaum zurück.
Er will auf sie und selbst auf seinen Oheim beißen,
Doch bald erlischt die Wuth im wieder matten Blick,
Er sinket hin, man eilt zu einer nahen Quelle,
Begießt sein Haupt, das auf der Schulter liegt,
Mit her gehohlter Fluth; er zuckt, noch Einmahl fliegt
Das Leben, wie ein Blitz, zurück, er ruft Faselle.

62.

Rufts, stirbt. – Als starben alle mit,
So schweigt das ganze Feld; Bliomberis erstehet
Und Alles harrt, und Todesschauer wehet
Den Wüthrich an; Würgengeln ähnlich tritt
Der Held vor ihn und rufet laut: im Nahmen
Des ganzen Volks, das euch, weil ihr aus Herrschersaamen
Gezeuget seyd, die Herrscherkrone gab,
Nehm' ich euch feyerlichst die Krone wieder ab. [291]

63.

Hier greift der Held darnach und legt sie auf ein Küssen;
Worauf er sich nun wieder zu ihm kehrt;
Doch weil du auch mit Vorsatz und mit Wissen
Ein Mörder bist, verdamm' ich dich zum Schwert,
So spricht Bliomberis und siehe!
Der Henker eilet schon mit seinen Knechten her.
Der Wüthrich weint nun, heult, umfaßt des Helden Kniee,
Doch dieser würdigt ihn nicht einer Sylbe mehr.

64.

Trotz später Reu, trotz feiger Klagen
Wird Assacarn das Haupt vom Henker abgeschlagen.
Sein schwarzes Blut spritzt auf die Krone hin,
Die er entehrt, mit festem Sinn,
Nicht wie das schwache Volk betäubet und erschrecket,
Sieht unser Held das Trauerspiel,
Und bethet dann zu Gott, voll heiligem Gefühl,
Indem er himmelwärts die reinen Hände strecket.

65.

So spritze jedes Wüthrichs Blut
Auf seine Krone hin, so bald ihn Übermuth
Vergessen macht, daß alle Menschen Brüder,
Er nur der ältere, du aber Vater bist
Und Gott und Herr: o siehe gnädig nieder
Auf dieses Volk, das nun entjochet ist!
Dank, Dank dir, daß dein Rath als Werkzeug mich gebrauchet,
Wodurch dir Wüthrichblut, ein süßes Opfer, rauchet. [292]

66.

Der edle Mongibal staunt unsern Ritter an.
Auf einmahl ruft er aus: der neue König lebe!
Es lebe König Celian!
Das ganze Volk ruft jauchzend nach: er lebe!
Allein Bliomberis ergreift
Die Krone, welcher noch das schwarze Blut enttreuft,
Setzt Mongibaln sie auf und ruft mit einem Tone,
Der Beyfall heischt: nur der verdient die Krone.

67.

Der wird von ihr des bösen Mannes Blut
Mit euern Dankesthränen waschen.
Hier schweigt Bliomberis und läßt, durch Edelmuth
Den tapfern Mongibal noch mehr zu überraschen,
Sich auf ein Knie, sagt dann dem Volke zugekehrt:
Nach dem Vertraun, womit ihr mich beehrt,
Bin ich nicht mehr ein Fremder, bin entschuldigt,
Daß ich zuerst dem Könige gehuldigt.

68.

So spricht der Held und alles beugt
Das Knie zur Huldigung, so wie nach Zephyrs Willen
Der Ähren Haupt sich sanft zur Erde neigt.
Ein fröhliches Geschrey und Segenwünsche füllen
Des neu gekrönten Königs Ohr;
Doch dieser, unberauscht, hebt seinen Blick empor.
Gott weiß es, rufet er, das Volk nur zu beglücken,
Lass' ich mein müdes Haupt von einer Krone drücken. [293]

69.

All meine Hoffnungen verschlang Lenorens Grab;
Ich sehne mich zu ihr hinab;
Unheilbar krank an dieser Seelenwunde,
Nehm' ich die Krone darum an,
Daß ich für jene Welt mir Früchte sammeln kann.
Dann Freunde, wird die Todesstunde
Mir doppelt süß und dadurch nur getrübt,
Daß sie von euch mich trennt, die kindlich mich geliebt.

70.

Nun schaffet man die Leiche des Tyrannen
Und die Genetts mit allem Überrest
Der Schmerzen und des Gräuls von dannen.
Man küsset sich; der neue König läßt
Der Abendsonn' ein Zelt entgegen spannen
Und giebt ein großes Freudenfest,
Der Ohm Genetts so gar bemüht sich, sich zu freuen,
Der König sitzt zu ihm und sucht ihn zu zerstreuen.

71.

Der erste Platz blieb für Bliomberis.
Er nimmt ihn ein nach vielen Weigerungen.
Schon hat sein Ruf ein Theil des Lands durchdrungen
Und aus den nächsten Städten riß
Sich vieles Volk herbey, den seltnen Mann zu sehen,
Der Tugend übt und keinen andern Preis
Als das Bewußtseyn wünscht, der Kronen zu verschmähen,
Zu geben und zu nehmen weiß. [294]

72.

Die Ritter hatten, alle wieder
Vereiniger und Einer Kette Glieder,
Mit ihrem Könige die Nacht
Halb in Berathungen, halb bey dem Mahl durchwacht.
Bliomberis fleht itzt für jeden Bürger Gnade
Den Assacar vom heilgen Tugendpfade
Hinweg gedroht und, was die Königsstadt
Noch öfters sah, durch Gold hinweg geblendet hat.

73.

Indessen breitete die schöne Morgenröthe
Den Mantel übers Firmament;
Der Hauch erwachter Lüfte wehte;
Die Helden trennen sich, der neue König brennt
Den edlen Celian in seine Stadt zu führen.
Umsonst! denn dieser will zurück
Zu dem verlaßnen Schiff und keinen Augenblick
In wohl verdienter Ruh verlieren.

74.

Der Fürst, die ganze Ritterschaft,
Ein Theil des Volks, das um sein Roß wie Wogen
Herbraus'te, folgten ihm und zogen
Bis zu dem Hafen mit: auch Greise fühlten Kraft
Zum langen Weg' und zarte Kinder liefen
An ihrer Mütter Hand einher.
Die Mütter hoben sie oft in die Höh und riefen:
Der auf dem Rappen sitzt, der Schöne, das ist Er. [295]

75.

Mit frohem Ungestüme drängte
Die Jugend sich zu ihm hervor und jauchzt und hängte
Sich an den Bügel an und drückte manchen Kuß
Auf seinen, ja so gar auf seines Pferdes Fuß.
Mit Blumen deckten ihm die Weiber
Den ganzen Weg; ja, manche Schwärmerinn
Hielt andachtsvoll, wie man an heilge Leiber
Den Gürtel hält, an ihn den Gürtel hin.

76.

Spät, aber unermüdet langen
Sie in dem Hafen an, die stillen Fluthen prangen
Schon in dem Wiederschein von Hespers Purpurkleid.
Nun ist sie da die bittre Trennungszeit.
Vom ganzen Volk ist keiner, der nicht gerne
Mit ihm ins Schiff gestiegen wär
Und den nicht dünkt, so wie der Held dem Meer
Sich nähert, daß ein Sohn, ein Bruder sich entferne.

77.

Herr Ritter, nimmt zuletzt der gute Fürst das Wort,
Trotz unsrer Wünsch' und Bitten eilt ihr fort.
Es sey! denn was vermag die Sonne zu verweilen?
Kein frommer Wunsch, kein Flehen hält sie auf.
Vollenden muß sie ihren Lauf,
Um allen Völkern Licht und Wärme zu ertheilen.
Doch hoff' ich werdet ihr der Freundschaft letztes Flehn
Beym Abschiedskusse nicht verschmähn. [296]

78.

Ich will in dauernd Erz und festen Marmor hauen
Was ihr für mich gethan, für mich und dieses Reich.
Doch soll der Enkel nicht zugleich
Das holde Bild des edlen Thäters schauen.
Versprecht mir euer Bild zu senden und dann zieht,
Wiewohl mein Herz mit euch durch diese Wellen flieht.
Ja, sagt Bliomberis mit einer Dankeszähre,
Ich wills, so bald ich nur mir selber angehöre.

79.

Ich bin empfindlich für den Ruhm.
Schön strahlt auf einem Fels sein lichtes Heiligthum
Durch Wolken her, und nur der Träge
Schilt, zagend in dem Thal, die steilen Felsenwege.
Doch wenn ich, Mongibal, des Ruhms nicht unwerth bin,
So lasset meine That von diesem edlen Weisen
(Hier zeigt er auf den Dichter hin,
Der nahe stand,) mit goldnem Spiele preisen.

80.

Die Nahmen sind in Erz und Marmorstein
So gut nicht auf bewahrt, als in der Dichter Liede.
Noch lebet im Homer der große Peleide,
Riß gleich die Zeit das Denkmahl ein,
Das ihm Silanion, das Scopas ihm gesetzet.
Auch ist der Edle hier wohl werth, daß ihr ihn schätzet
Und durch getreue Pfleg' im Alter ihn belohnt.
Er hat den Wütherich so gut, als wir, entthront. [297]

81.

Sein männlich Lied, das nie herabgesunken
Zu schalem Witz, zum Preise niedrer Lust,
Drang wie Alcäens Lied an der Bejochten Brust
Und schlug daraus des edlen Unmuths Funken.
Drum ehrt ihn; nicht allein wer heilger Freyheit Schwert
Mit kühner Hand zum Sturz der Tyranney ergriffen,
Auch jener ist verehrungswerth,
Der dieses Schwert mit kühner Hand geschliffen;

82.

Doch Er that beydes: nun Herr König, lebet wohl
Und ihr mein theurer Wirth, und ihr, geliebter Sänger!
Das Schicksal gönnet mir nicht länger
Die Wollust, euch zu sehn: doch mags von Pol zu Pol
Durch alle Meere hin mein schwankes Fahrzeug jagen,
Stets werd' ich euer Bild mit in dem Busen tragen.
Er sprachs, umarmte sie, und sprang hinab ins Schiff,
Durch dessen Tauwerk schon der laute Nordwind pfiff.

83.

Er steht auf dem Verdeck und wirft mit beyden Händen
Dem König und dem Volk die letzten Grüße zu.
Man lichtet jetzt die Anker und im Nu
Entweicht das Schiff, auf allen Felsenwänden
Steht eine Menge Volks, die nach dem Helden sieht;
Bis er den Blicken ganz entflieht;
Dann mehret sie die See mit Thränen und erhebet
Ein solch Geschrey, als wär ihr Wüthrich aufgelebet. [298]

84.

Der Held indeß fleugt über Wellen fort.
Am dritten Tag empfängt der Mauritaner Port
Sein schnelles Schiff, das nur beschweret
Mit seinem Segenwunsch, so bald der Wind sich dreht,
Den Küsten Africas entweht,
Zur Königsstadt Palmyrens wiederkehret.
Der Ritter aber stieg ans Land
Und forschte nach dem Sitz des Königs Garamant.

85.

So mehrt auch ihr die Zahl der vorwitzvollen Schauer!
Sagt ihm ein Ackersmann und weis't hin auf die Mauer.
Er reitet in die Stadt; still ist sie, menschenleer,
Als ob der Tod hier eingemiethet wär.
Er eilt zum hochgethürmeten Pallaste.
Ein alter Diener saß laut weinend an dem Thor,
Betäubt von Schmerz, worein er sich so sehr verlor,
Daß er den Held nicht sah, bis der die Hand ihm faßte.

86.

Er kannt' ihn von Palmyrens Schloß
Und fragt ihn, welch ein Gram so tief ihn niederbeuge.
Weh! rief der Diener aus, und immer stärker floß
Sein Thränenquell, weh ihr, dem letzten Zweige
Des königlichen Stamms! weh dir, du armer Greis!
Was hilft dir jetzt dein Thron? dein Kind wird ihn nicht erben.
Im Circus giebt man sie dem grimmen Löwen Preis,
Und ohne Schuld! auf dieses will ich sterben. [299]

87.

Was sagst du alter Mann, ruft hier Bliomberis,
Gesene? sie? unmöglich! – – »ach gewiß!
Vielleicht schlägt schon der Löwe seine Klauen
In ihren zarten Leib: und dieß noch anzuschauen!
O pfuy, abscheulich Volk!« Bliomberis gebeut
Den Weinenden, ja nicht die theure Zeit
Mit unfruchtbarer Klag' und Jammern zu verlieren
Und augenblicklich ihn zum Circus hinzuführen.

88.

Er führet ihn zum Circus und erzählt,
Wiewohl der Athem oft dem siechen Sprecher fehlt.
Ein alt Gesetz, erzählt er, und auf Erden
Das grausamste, verdammt das Mädchen, so die Frucht
Der Wollust außerm Bett geweihter Eh versucht,
Der Löwen Beut' in Schauspielhaus zu werden.
Unmenschlich! zwar so lang' ich denke, sah dieß Land
Solch eine Strafe nicht, weil sich kein Kläger fand.

89.

Und jetzo muß die elende Gesene
Das Opfer seyn! wir kamen aus dem Krieg,
Als unser Fürst dem Schiff entstieg,
Stand sie am Ufer schon; mit einer Vaterthräne
Umarmt er sie, winkt Lysidorn herbey,
Um eilend ihre Hand in seine Hand zu fügen,
Und sagt zu ihm: ich will, o Mann von seltner Treu,
Um keinen Augenblick die Liebe mehr betrügen. [300]

90.

O hättet ihr gesehn, mit welcher Innigkeit
Und doch wie sittsam sich die Glückliche gefreut.
Es stand und weinte nur das liebetrunkne Pärchen.
Und sie wär eine Buhlerinn?
Sie gäbe sonder Scham sich fremden Küssen hin!
Nein, nimmermehr! dann wär die Tugend selbst ein Märchen,
Die Treu ein Hirngespinnst, die Wahrheit ein Gedicht,
Gott ungerecht und ihr ein feiger Bösewicht.

91.

Berauscht von seinem nahen Glücke,
Kommt Lysidor nach Haus und theilt, als guter Sohn,
Es seinem Vater mit; sein Bruder Vasaon
Erfährt es auch und stößt in diesem Augenblicke
Das Schwert sich wüthend in die Brust.
Er ruft noch, eh er stirbt, die Seinen und beschwöret,
Daß er in frecher Nacht den Kelch verliebter Lust
Mit der Prinzessinn ganz geleeret.

92.

Er flehet Lysidorn, daß dieß verströmte Blut
Der deutlichste Beweis von ihrem Wankelmuth,
Ihn warne, sich vor ihr, der Schändlichen, zu hüten,
Die sich jetzt dem, jetzt einem andern Mann
Zu buhlrischem Genuß, gleich einer Waare, bieten
Und so mit Zärtlichkeit mit Ehre spielen kann.
Er sagt, wie er, bestellt, sie in der Nacht besuchet
Und stirbt, indem er weint und der Verräthrinn fluchet. [301]

93.

Der arme Lysidor erbebt;
Der Bruder, welcher stets als Bidermann gelebt,
Wie konnt' ihn der mit bösen Lügen,
Und warum sollt' er ihn im Tode noch betriegen?
Tief fühlt er diese Gründ' und fliehet aus der Stadt,
Wahrscheinlich ists, daß er des Lebens
Zu schwere Last selbst abgeschüttelt hat;
Denn alles Suchen war vergebens,

94.

Des kinderlos gewordnen Vaters Wuth
Beschreibt sich nicht; er dürstete nach Blut,
Verklagte vor dem Rath die elende Gesene
Als eine Buhlerinn, die seine mit dem Netz
Der Liebe schlau gefangnen Söhne
Gemordet, und rief wach das schlummernde Gesetz.
Zeit, Umständ', Ort und Zeugniß trafen
Genau zusammen; auch war man geneigt zu strafen.

95.

Verabscheut wird der König von dem Rath,
Weil er die Ritterschaft zum letzten Krieg vermochte,
Und nicht, wie er bezeugt, aus Eifer für den Staat,
Nur weil sein altes Herz von später Liebe pochte.
Halb also vom Gesetz berechtigt, halb entflammt
Von Rachbegier, hat man sein Kind verdammt;
Zwar würde sie noch frey, wenn sich ein Kämpfer fände,
Der, welche Foderung! den Löwen überwände. [302]

96.

Der König, denn was hofft die Vaterliebe nicht?
Ließ durch die Stadt bey Paukenschall verkünden,
Daß er den ganzen Schatz dem kühnen Mann verspricht,
Ders unternimmt; doch keiner war zu finden;
Ja was noch mehr den Muth und selbst das Mitleid schwächt,
Ist, daß man glaubt, sie dulde das mit Recht:
Und doch ist sie, dafür verbürg' ich meine Seele,
Unschuldig, frey und rein von diesem groben Fehle.

97.

Unschuldig oder nicht, ruft hier Bliomberis,
Dieß strenge, thörichte Gesetz muß aufgehoben
Und sie trotz aller Gegenproben
Befreyet werden! dieß behaupt' ich, Alter, dieß
Bin ich bereit mit meinem Eisen
Dem Rath, dem Löwen selbst handgreiflich zu beweisen.
Hier standen sie schon bey des Circus Thor;
Sie gehn hinein, der Held drängt eilig sich hervor.

98.

Gesene stand, an eine Säule
Gebunden, ohne Laut und ohne Regung da,
Wie auf des Nicias Gemähld' Andromeda!
Man zieht dem Löwen schon die Falle, doch in Eile,
Und eh Bliomberis zum Kampf sich biethen kann,
Stürzt auf den Platz ein unbekannter Mann;
Der Kühne will für die Beklagte fechten,
Geschlossen war sein Helm, das Schwert in seiner Rechten. [303]

99.

Er flieget durch den Plan und stellet sich vor sie,
Das Unthier tritt heraus und eilet nach dem Platze
Wo es sein Opfer sieht; er kämpfet, eitle Müh!
Der Löwe wirft ihn nieder, setzt die Tatze
Auf seine Brust und blicket dann
Als Sieger um sich her; so macht es ein Tyrann,
Der langsam würgen will; nun schüttelt er die Mähne,
Und bleckt die Doppelreih der scharf gespitzten Zähne. Ich habe eine ähnliche Szene mit einer Löwinn und anderen Thieren mehr als Einmahl gesehen. Wienerische Hetze also hat doch auch ihre guten Seite und kann wenigstens Beyträge zur Naturgeschichte liefern. ( Anm.d.Verf.)

100.

Die Borsten seines Bartes stehn
Wie Eisendrath vom Rachen weg, er locket
Mit scharfer Zunge dran, die weit hinaus sich strecket.
Die flammenvollen Augen drehn
Sich hin und her, der Schweif schlägt an die Weichen.
Entsetzen faßt das Volk, es heulet laut,
Doch Garamant erstarrt, erblasset, schaut
Mit offnem Mund' und giebt kein Lebenszeichen.

101.

Bliomberis, allein noch seiner mächtig, springt
Hinunter auf den Platz, faßt seine Lanze, schwingt
Und wirft sie nach des Löwen Seite;
Doch da er eben sich verwendet, so durchsticht
Sie nur die Haut, das Leben trifft sie nicht.
Der Löwe wüthend nun läßt ab von seiner Beute,
Krümmt seinen Rückgrad, brüllt und schießet auf den Held,
Der furchtlos wie ein Gott zur Gegenwehr sich stellt. [304]

102.

Er wirft den breiten Schild dem grimmen Thier entgegen;
Es schlägt die Klauen drein, die dichte Mähne sträubt
Sich bis hinauf ans Kinn des Ritters, dessen Degen
Den Kopf des Unthiers trifft, daß es vom Streich betäubt
Hintaumelt und im Sande lieget.
Doch brach bey diesem Hieb des Ritters Kling' entzwey
Und wehrlos ist er; laut tönt Garamants Geschrey,
Das bis zum Ohr des Allerbarmers flieget.

103.

Der Ritter wirft den Schild und seines Schwertes Rest
Weit von sich weg und eilt des Löwen Hals zu packen,
Bevor er sich erhohlt; er schlägt ihn um den Nacken
Die starken Arm' und drosselt ihn und preßt
Mit seinem Fersenpaar ihm beyde Hinterfüße,
Mit seinem Bauch den Rücken auf den Grund.
Des Löwen Aug' umwallen Finsternisse,
Nicht brüllen, röcheln nur kann sein gedrückter Schlund.

104.

Bald aber starren ihm wie Auswüchs' an den Bäumen
Die Augen aus dem Kopf hervor,
Die weite Nase dampft, die dicken Lippen schäumen:
Kaum siehts Bliomberis, so hebt er ihn empor
Und drückt ihn abermahl mit allen Kräften nieder.
Der Löwe zuckt noch matt das Augenlied,
Er strecket Füß' und Schweif; sein Herz steht und es flieht
Der letzte Lebensgeist die ungeheuren Glieder. [305]

105.

Der ganze Circus tönt von jubelndem Geschrey.
Bliomberis hört nichts; er flieget voll Erbarmen
Dem halb Entseelten zu, hält ihn in seinen Armen
Und untersuchet ihn und findt ihn wundenfrey.
Ja rechts so gar, wo doch des Löwen Kralle,
Da sie ihn hielt, ein wenig tiefer fuhr,
Sieht man nur eine leichte Spur
In seines Harnisches verbogenem Metalle.

106.

Der König Garamant, die Ritterschaft, der Rath
Eilt nun herbey, Gesene selber naht.
Sie küßt die Hände deß, der kühn für sie gesieget,
Doch zärtlich auch besorgt für den, ders unternahm,
Und an des Helden Brust noch stets in Ohnmacht lieget,
Lös't sie des Armen Helm mit jungfräulicher Scham.
Doch großer Gott' welch Angesicht erscheinet!
Die Fürstinn schreyet auf, und Alles steht versteinet.

107.

Er selber ists, ihr todt geglaubter Lysidor;
Er hebt nun matt sein schweres Haupt empor,
Erblickt sie, bebt und ruft: Du konntest mich verrathen?
Vergebens schwöret sie, daß sie nicht schuldig sey;
Er rufet wiederum: du konntest mich verrathen?
Gesene! du mir ungetreu!
Ihr, Freund' erhaltet sie, mir eilt den Tod zu geben.
Ich kann nicht ohne sie, ich kann nicht mit ihr leben. [306]

108.

So rufet er und weint; bald küßt er ihre Hand
Mit Liebeswuth, bald wieder weggewandt
Verfluchet er den Tag, an dem er nur zu Qualen
Geboren ward; sie aber, mit dem Blick
Gen Himmel, schwört sich rein zu wiederhohlten Mahlen.
Den Löwen wünschet sie zurück
Und sich in dessen Schlund, wenn jener sie verdammet,
Für welchen stets allein ihr Busen Liebe flammet.

109.

Getrösteter hört Lysidor ihr zu.
Mit ihrem Thränenstrom fleußt eine kurze Ruh!
In seine Brust: er suchet sich zu täuschen.
Unglücklicher! wie leicht erwacht
Der fressendste der Geyer, der Verdacht.
Und doppelt wird er dann dein zärtlich Herz zerfleischen.
Der Held beklaget ihn, doch plötzlich bittet er
Den Rath, die Ritterschaft, den König um Gehör.

110.

Ihr Edlen merkt auf mich; ich muß es nicht vergessen,
So spricht er, jetzo noch, da ihr versammelt seyd,
Euch Worte der Gerechtigkeit
Zu sagen; dürfet ihr hartherzig und vermessen
Aus schönen Augen Thränen pressen?
Schämt ihr euch nicht, Dracone dieser Zeit,
Das allermenschlichste Verbrechen
Unmenschlich und mit Tod, was Leben schenkt, zu rächen? [307]

111.

Nachdrücklich sprach er dieß und blickt umher; da trat
Ein Greis auf; kinderlos war der, geehrt vom Rath,
Gefürchtet von dem Volk, weil er den Cato spielte,
Das Mitleid rauh verwarf, auch wenn er selbst es fühlte.
Und durch ein Microscop der Bürger Fehler sah.
Stets pflegt er das Gesetz buchstäblich auszulegen,
Als wär der Staat bloß der Gesetze wegen,
Nicht das Gesetz des Staates wegen da.

112.

Der trat nun auf und sagte bitter:
Den Löwen zwar habt ihr erwürgt, Herr Ritter;
Doch das Gesetz, verzeiht! muß nicht erwürgbar seyn.
Streng ist es, dieses räum' ich ein,
Doch ungerecht ists nicht: denn wenn ihr wißt: es stehet
Der Tod auf diesen Fehl, ihr dennoch ihn begehet
Und so euch selbst ein blutig Urtheil sprecht,
Ich Richter es vollzieh, was ist hier ungerecht?

113.

Dieß heilige Gesetz schien tugendholdern Ahnen
Ein fester Damm für unser Land zu seyn,
Als Sittenlosigkeit gleich einem Strom herein
Gebrochen war; doch jetzt will man die Fahnen
Der Kuppeley, der Unzucht aufgesteckt;
Man will das Weib, das sich erkeckt,
Die Ehrbarkeit mit buhlerischen Füßen
Zu treten, frank und frey von aller Strafe wissen. [308]

114.

Allein das ist nun schon der lieben Jugend Art,
Daß sie mit Hohn auf einen grauen Bart
Hernieder sieht und mächtig klug sich dünket;
Auch gar zu gern der Ausgelassenheit,
Die der Poëtentroß zu einer Göttinn weiht
Und Venus nennt, mit beyden Händen winket.
Ich aber werde nie mitwinken, daß ihrs wißt!
Eh führe man von hier mich auf das Blutgerüst!

115.

So sprach der alte Mann, mit Geifer
Den Bart beschäumt, und viele murrten laut,
Daß er Bliomberis zu schmähen sich getraut.
Doch dieser mäßigt sich und sagt: Gerechten Eifer
Ertrag' ich gern, gerechter Eifer bleibt
Werth der Entschuldigung, auch wenn er übertreibt.
Doch ihr zürnt ungerecht: ich will, Trotz euerm greisen,
Trotz meinem schwarzen Haar, euchs sonnenklar beweisen.

116.

O sagt, der ihr den Stab verführter Unschuld brecht,
Wie straft ihr denn erst die Verführer? sprecht!
Ihr schweigt? ihr straft sie nicht? o pfuy! Trotz euern Falten
Kann ich euch nicht für weis' und nicht für menschlich halten,
Wenn euer Eigensinn noch fortfährt, ein Gesetz
Bethörter Ahnen gut zu heißen,
Das kleine Mücken fängt gleich einem Spinnennetz,
Und das gleich dem die Brämsen leicht zerreißen. [309]

117.

So sprach Bliomberis; der Alte schwieg und ging,
Obgleich auf seinen Augenbraunen
Ein ganzes Zorngewitter hing.
Der Fürst, der Rath, die Ritterschaft erstaunen,
Daß sich der Greis nicht mehr zu sagen unterfing,
Ja nicht einmahl dem Ohr des Nachbars zuzuraunen:
Es sey nicht Recht! sie waren dran gewohnt,
Daß er die Meinungen und Meinenden nicht schont.

118.

Bliomberis reißt jetzo von der Rechte
Den Eisenhandschuh ab, an welchem noch das Haar
Des Löwen klebt, und ruft, ihn vor die Ritterschaar
Hinschleudernd: jeder komm' und fechte,
Der wünscht, daß ein Gesetz, das wider Klugheit fehlt
Und wider Billigkeit, ja, das mit Menschenleben
Frech spielet, noch besteh; hier ist mein Handschuh! Wählt!
Entweder das Gesetz, wo nicht, ihn aufzuheben.

119.

Man hebet das Gesetz und nicht den Handschuh auf.
Bliomberis dankt Allen, ruft darauf
Des Königs Ehrenhold und läßt den Schwachheitssünden
Für alle Folgezeit Begnadigung verkünden.
Er geußt dadurch in tausend Herzen Ruh.
Ihn preis't der Ältern Schaar, ihm jauchzt der Jüngling zu,
Ihm weinen Dank so gar die keuschen Schönen,
Doch mädchenhaft verbergen sie die Thränen; [310]

120.

Und weinend mit zerstreutem Haar
Drängt Blonda sich herzu, Gesenens erste Zofe,
Die allgemein geschätzt, erzogen an dem Hofe
Und ihrer Frau vertraute Freundinn war.
Sie dränget sich herzu und sagt nicht ohne Beben
Dem starrenden Bliomberis,
Sein Knie umfassend: Herr ich kann das Hinderniß,
So die Verliebten trennt, ich kann allein es heben.

121.

Doch erst verheißet mir, o Mann voll Gütigkeit,
Daß die Gebietherinn den Fehler mir verzeiht,
Denn nichts entschuldiget, als das, was alle Fehler
Entschuldiget, die Liebe. Wollt ihr mir
Ein Vorwort wenigstens versprechen? Wollet ihr?
Mein Busen soll dann nicht mehr der Verhehler
Von dem Geheimniß seyn, das in ein helles Licht
Gesenens Unschuld setzt. Sie schwieg; die Fürstinn spricht:

122.

Und hättest du, von blinder Wuth ergriffen,
Den Mörderdolch schon wider mich geschliffen,
So rede, gieb das Herz des theuren Lysidor,
Das ich so unverdient verlor,
O gieb mirs wieder und nimm alles, Gold, Juwelen,
Selbst meinen Rang! ich sey die ärmste Bettlerinn,
Der Obdach, Brod und Kleider fehlen,
Wenn ich nur ohne Schuld in seinen Augen bin. [311]

123.

Hier weinet sie vor Schmerz, den Blonda mitempfindet;
Die Schuldige beginnt: mein Herz verdammt mich schon,
Wenn auch der Fürstinn Huld Verzeihung mir verkündet.
Der schöne, der in sie entbrannte Vasaon,
Der Bruder Lysidors, hat dieses Herz entzündet;
Er hofft umsonst von ihr der Liebe Gegenlohn.
Doch liebt er immer fort; für ihn gabs keine Schöne
Auf Gottes Welt als nur die grausame Gesene.

124.

Sein Bruder zog indeß in den Ligurerkrieg.
Zwar sollte Vasaon, der Erstgeborne ziehen,
Doch durch der Fürstinn Bitt' und eifriges Bemühen
Ward Lysidor ernannt; er ging, um sich durch Sieg
Ein Recht auf ihre Hand vor Allen zu verdienen.
Indeß blieb Vasaon in unsrer Stadt zurück,
Kam täglich, sie zu sehn, und fand in ihren Mienen
Nie eine Spur von dem erwünschten Glück.

125.

Ein Kaltsinn, welcher oft bis zu Beleidigungen
Gestiegen, war der Lohn, den er von ihr erzwungen.
Mir hat er seine Qual und mir allein vertraut,
Er saß so oft bey mir und seufzt und weinte laut,
Der Schmerz in seiner Brust, vergleichbar dem Gewühle
Von Dolchen, wie er oft mit vieler Wehmuth sprach,
Erregt zuerst mein Mitleid, nach und nach
Verkehrt das Mitleid sich in zärtlichre Gefühle. [312]

126.

Für Freundschaft nahm er die, wofür ich sie ihm gab,
Liebkos'te mich als Freund und sah nicht, daß ich trunken
Von seinem Kuß, zuletzt als wie in einem Meer,
In Liebe ganz und gar versunken.
Und nun vergaß ich Recht und Pflicht,
Euch selbst, Gebietherinn! und meine Hand zerbricht
Des heilgen Wohlstands letzte Schranke.
Besitz, Besitz war jetzt mein bleibender Gedanke.

127.

Ich sann auf Mittel. Was zum Ziel
Am sichersten am schnellsten führet,
Sonst dacht ich nichts; so gar dem feineren Gefühl,
Das selten sich beym wohl erzognen Weib verlieret,
Auch diesem sprach die Wuth der Liebe Hohn.
Und als einmahl der arme Vasaon
Noch rührender als sonst mir seine Leiden klagte,
Zwang ich mir selber schlau ein Lächeln ab und sagte:

128.

O guter Ritter, ihr versteht
Euch besser aufs Turnier als auf den Kampf mit Schönen.
Wozu denn alle diese Thränen?
Beglückter Mann, beglückt, so wenig ihr es seht!
Ihr solltet in den Krieg; die Fürstinn, die euch liebet,
Verhindert dieß, behält euch hier und schiebet
Den armen Lysidor von sich.
Ihr seufzt; dieß Seufzen heißt: sie flicht, sie meidet mich. [313]

129.

Das thut sie oder läßt doch nie allein sich finden,
Aus lauter Haß, wie ihr, Selbstpeiniger, euch sagt;
Doch wenn ihr mich, mich Unbefangne, fragt,
Aus andern, schmeichelhaften Gründen,
Höchst schmeichelhaft für euch; sie flieht aus Zärtlichkeit,
Sie meidet euch, weil ihr gefährlich seyd.
Doch liebet sie von euch, von euch allein zu sprechen
Und möchte manchmahl gern des Herzens Siegel brechen.

130.

Kurz Vasaon, verlangt ihr meinen Rath,
(Zwar ich begeh hier einen Hochverrath
An meiner Fürstinn, doch er ist ja wohl gemeinet,
Für beyde wohl;) verlangt ihr meinen Rath, so scheinet
Von diesem Augenblick gleichgültig, frey und kalt,
Bezähmet euer Herz mit männlicher Gewalt;
Und wird das ihre nicht in sichtbarn Flammen brennen,
So mögt ihr ungescheut mich eine Thörinn nennen.

131.

Ha! darum rief Gesene hier
Und unterbrach die Zofe, riethst du mir,
Ihn, der die Liebe nun in Freundschaft zu verwandeln
Entschlossen sey, freundschaftlich zu behandeln.
Und ich Betrogne glaubte dir!
Ja leider! so begann nun Blonda fortzusprechen,
Denn euer unbegränzt Vertrauen bahnte mir
Den Weg zu größeren Verbrechen. [314]

132.

Bis ich zuletzt tollkühn dadurch gemacht,
In euer Cabinett, wo jede dritte Nacht
Mein Dienst zu schlafen mich verbunden,
In euerm Nahmen ihn bestellt'
Und ihm die Schlüssel gab: der argwohnlose Held!
Er kam, er wähnte sich von euerm Arm umwunden:
Die Nacht, der Ort, sein Fliehn, noch vor der Dämmerung,
Mein Schweigen, alles war des Trugs Begünstigung.

133.

O konnt' ich mir ein solches Ende denken?
Konnt' ich befürchten, Vasaon
Werd' in sein zärtlich Herz den eignen Dolch sich senken,
Und ein Gesetz, das Jahre schon
Geschlummert hat, werd' itzt mit einem Mahl erwachen
Und meines Fürsten einzig Kind,
Das mehr, als Edelstein' in seiner Krone sind,
Von Tugenden besitzt, zur Löwenbeute machen?

134.

Den ganzen Himmel ruf' ich hier zum Zeugen an,
Ich wollte mich schon vorher schuldig geben.
Doch wie ich sah, ein fremder Rittersmann
Tret' auf den Platz, hofft' ich für euer Leben
Und für das meinige zugleich.
Und nun verzeihet mir, was ich mir nicht verziehen,
Ja nie verzeihen kann; ich will aus Stadt und Reich,
Ich will aus diesem Welttheil fliehen. [315]

135.

Mit holder Sanftmuth, die allein
Ein Engel und ein Weib in einem solchen Grade
Besitzen, reicht Gesen' ihr willig Hand und Gnade.
Ich weiß, setzt sie hinzu, du wirst getreu mir seyn.
Nun aber Lysidor, bin ich es nicht gewesen?
Der Schein war wider mich, der Schein
Rechtfertigt Kläger, Rath und Richter, euch allein
Euch nicht; sie ließ ich nie in meinem Herzen lesen.

136.

Grausamer Mann, ein schimpflicher Verdacht
Von euch ist schmerzender als aller Löwen Zähne;
Und dennoch tratet ihr … Undankbare Gesene!
Hat er sein Leben nicht zum Opfer mir gebracht?
Sah ich den Löwen nicht um seinen Busen wüthen?
O wie vergelt' ich dirs? Was soll ich thun für dich?
O Seele meiner Seel', o Freund, o Abgott sprich!
Das Leben ist zu kurz, dir dieses zu vergüten.

137.

Hier sank sie an das Herz des edlen Lysidor.
Sein Vater und ein Theil des Rathes trat hervor
Und beugt das Knie, der Fürstinn abzubitten,
Was sie durch das Gesetz erlitten.
Das war der Flehnden Wort: den Schein der Grausamkeit
Sucht jeder von sich abzulehnen,
Sucht sich nicht nur von ihr, die alles gern verzeiht,
Auch vor sich selber zu beschönen. [316]

138.

Bliomberis wird wie ein Gott verehrt
Und von dem ganzen Volk in den Pallast begleitet.
Das schönste Zimmer wird dem hohen Gast bereitet;
Gesen' empfängt ihn da, in ihrer Hand ein Schwert,
Und überreichet auf den Knieen
Dem Retter dieß Geschenk von unermessnem Werth,
Der Griff ist Gold, Rubinen glühen
Wie Nelken dran, die in der Sonne blühen.

139.

Die Scheid' ist Silber und der Zank
Achills darein von weiser Hand geätzet,
Und, was Bliomberis am allerhöchsten schätzet,
Die ausgezackte Klinge blank
Und fest, daß sie vielleicht an Härte des Metalles
Die Syrerklingen übertrifft.
Auch steht auf beyden Seiten: Alles
Um Liebe!
drauf mit großer, goldner Schrift.

140.

Er lies't die Schrift und lies't sie wieder
Und abermahl: des Helden Seele spinnt
Erinnerungen draus, und eine Thräne rinnt
Von seinem Aug' aufs Gold der Lettern nieder.
Geadelt ist es nun und prangt,
Benetzt von diesem Heiligthume,
Gedoppelt schön, wie eine Dotterblume,
Woran der Thau des Himmels hangt. [317]

141.

Gesen' und Lysidor empfangen am Altare
Der Treue Lohn. Der Held wünscht diesem edlen Paare
Zu dem erlaufnen Ziele Glück.
Und zwingt, damit er ihre Freuden
Nicht trübe, sein Gefühl von unnennbarem Leiden
In seine Heldenbrust zurück.
Bald aber wird der Raum darin zu enge,
Er eilt, ihm Luft zu machen, aus der Menge.

142.

Ihm folget nur der Eine, dessen Hand
Er freundlich angefaßt, der König Garamant.
Bald aber sieht man den allein zurücke kehren.
Man fragt und schluchzend giebt er Antwort: ach! so bald
Entfernt' er sich, der Gott in menschlicher Gestalt!
Doch was sollt' er noch hier? Er braucht nicht Dankeszähren,
Ihn lohnt genug sein Herz und darum wollt er ziehn.
Nicht hindern, nein! anbethen muß man ihn.

143.

Anbethen werd' ich ihn, so lang' in meiner Seele
Bewußtseyn wohnt; er zaubert Glück um sich,
Wohin er kommt, und dennoch dünket mich,
Daß es ihm selbst an innrer Ruhe fehle.
Ach Freunde! wie er Abschied nahm,
Umwölkten sein Gesicht nicht bloß der Trennung Schmerzen;
Es nagt' ein andrer, tiefer Gram,
So sehr er ihn verbirgt, an seinem kranken Herzen. [318]

144.

Er sprachs, und Alles schwieg und jedes Haupt sinkt matt
Herunter; diese Rede hat
Der Freude Licht urplötzlich ausgelöschet.
Man eilet fort, man läßt die Liebenden allein.
Die Stunde schlägt, so die erlittne Pein
Mit Wonnethränen weg von ihrer Seele wäschet.
Schon winkt das Lager weich und warm
Den Glücklichen, schon ruhn sie Arm in Arm.


[319]


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