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1.
Herunter von der Wand, herunter goldne Leyer,
Die Doolins Thaten
Doolin von Maynz. Ein Rittergedicht. 1787. sang! mich schreckt der Lärm der Schlacht,
Mich seufzet Zärtlichkeit in stiller Mitternacht
Nun wieder auf; vor mir ziehn Abentheuer
An Abentheuern hin. O sehet meinen Held!
Er ist allein in einer weiten Welt;
Bey seiner Wiege schon hat ihn das Glück, der Thoren
Verpflegerinn, auf ewig abgeschworen.
2.
Doch statt des falschen Glückes stand
Die Liebe da: sie hob die Strahlenhand
Zum Segen auf, sie trocknete dem Kinde
Mit ihrem Busentuch die ersten Thränen ab,
Sie schenkt ihm Muth und Treu zu einem Angebinde,
Sie zog ihn groß, sie schnitzt' ihm einen Wanderstab,
Aus ihren heilgen Myrthenbäumen
Und ließ ihm Blumen oft in öden Wüsten keimen.
[6]
3.
Wenn er in Mitte der Gefahr,
Umringt von Feinden, stets der Feinde Schrecken war;
Wiewohl nebst seinen äußerlichen
Ein innrer Feind, der Schmerz, als Mitverschworner focht,
Der, wenn der Edle gleich die ersteren bejocht,
Von seiner Seele nie gewichen;
Wenn er, wo selbst die Tapferkeit erstarrt,
Hinein gestürzet, ausgeharrt.
4.
O Liebe, so hast du zu diesen Heldenmühen
Von deiner Götterkraft dem Zöglinge geliehen:
Steh nun auch seinem Sänger bey,
Und daß mein Lied des Edlen würdig sey,
Geuß deine bittersten und süßesten Gefühle
Mit eigner Hand hinein, führ' itzt auch mich zum Ziele,
So wie du ihn geführt, und thu durch meinen Mund
Der froh erstaunten Welt all seine Thaten kund.
5.
Die Dichtkunst zog mich weg von jenen eitlen Freuden,
Woran sich kleine Große weiden,
Und räumte mir dafür ein sonnig Gärtchen ein.
Die Rosen, welche dort im Abendschimmer glühen,
Hab' ich gepflanzt: sie warten sehnlich dein;
Komm, hauche sanft sie an, damit sie ewig blühen,
Ein süßer Duft, geschenkt der späten Enkelwelt,
Wann ihren Pflanzer längst das Grab gefesselt hält!
[7]
6.
Acht Meilen weit von Turnays hohen Mauern,
Der Herrscherstadt des großen Pharamund,
Deß Ruhm so lange blüht, als dieses Erdenrund
Und als des Himmels Sonnen dauern,
Erheben sich in stolzer Pracht und ganz
Beströmet von dem Abendglanz
Sechs golddurchwirkte Zelt' in einem fruchtbarn Felde
Am blumenreichen Fuß der Schelde.
7.
Zwey hohe Wanderer, für die der Knappen Hand
Den seidenen Pallast gespannt,
Entsteigen stolz geschmückten Rossen;
Man lies't in ihrem Angesicht,
Daß sie von Einem Stamme sprossen,
Und dennoch gleichen sie sich nicht –
Doch jeder prangt mit größrer Würd' und Schöne,
Als die gemeinen Menschensöhne.
8.
Bliomberis, ein Jüngling, welchem Geist
Aus dunkelbraunen Augen strahlet,
Dem Heldenkraft in jeder Ader fleußt
Und sich in jeder Miene mahlet,
Wünscht rühmliche Gefahr herbey,
Und dennoch ist sein Antlitz nicht verwildert,
Den Trotz des jungen Kriegers mildert
Ein Zug um seinen Mund, ein Zug von Schwärmerey.
[8]
9.
Doch Lyonel trägt klug gemäßigt Mißvergnügen
Auf seiner breiten Stirn, ein schöner, edler Mann!
Wer nicht im Leiden selbst geübet ward, der kann
An seiner Miene sich betrügen,
Und hält vielleicht für Ruh den langen stillen Harm,
Der zwar die Sehnen nicht an seinem tapfren Arm,
Doch die der Seel' allmählich abgespannet
Und jedes Hochgefühl der Freude draus verbannet.
10.
Er fasset des Gefährten Hand
Mit Vaterszärtlichkeit, und führt ihn nach dem Zelte,
Wo schon ein Hirsch zum Mahl bereitet stand,
Ein Hirsch; den heute früh der Pfeil des Jünglings fällte.
Vier Knaben bringen Wein im goldenen Pokal.
Nach bald genoßnem Abendmahl
Winkt ihnen Lyonel, daß sie, der Ruh zu pflegen,
Sich in ihr Zelt zurücke ziehen mögen.
11.
Bliomberis, wir sind allein,
Beginnet er, ich muß nun einen Stein
Von dieser schwer gedrückten Seele wälzen
Und dir, der du mein Neff' und einst mein Erbe bist,
Erzählen, wie das Glück mit uns verfahren ist.
Zwar wird mein Herz dabey in neuen Jammer schmelzen,
Allein schon längst schwebt dieses Herz
Nur zwischen stechendem, und zwischen stumpfen Schmerz.
[9]
12.
Auch war es, theurer Neff', auch war es nicht aus feiger
Verschonung meiner selbst, daß ich, ein langer Schweiger,
Dir dein Geheimniß vorenthielt:
Doch solltest du von einem Vater sagen,
Daß er nicht Recht, nicht Menschlichkeit gefühlt,
So würden wohl auch deine Lippen zagen,
Denn leichter ists ein eigenes Vergehn,
Als eine Missethat der Unsern zu gestehn.
13.
Seit einem Jahr beschließ' ich jeden Morgen:
Heut redest du; und dennoch redt' ich nie.
Doch länger darf ich mir nicht borgen,
Da ich mit dir zu Pharamunden zieh,
Zu ihm, der alles weiß und leicht den Argwohn hegte,
Daß Mangel an Vertraun, an Seelenharmonie
Mir dieses Schweigen auferlegte:
Drum red' ich; schaden kann dein Lyonel dir nie.
14.
O deß, erwiedert ihm beweget
Der zärtliche Bliomberis,
Großmüth'ger Ohm, bin ich nur zu gewiß.
Denn wer hat mich ernährt, gebildet und gepfleget?
Wo fand ich Trost, wo wuchs ich groß?
Als Kind in euerm Arm, als Knab' auf euerm Schooß.
O könnt' ich Jüngling euch nun etwas Bessers geben,
Als meinen Dank und dieses Leben!
[10]
15.
Du hast, sprach Lyonel, dein Herz mir aufgethan;
Ich nütze dieß und fodre dein Versprechen,
Was immer Bosheit oder Wahn
An euch gesündigt, nie mit strengem Arm zu rächen.
Erscheint der Vater als Barbar,
So wende die erzürnten Blicke
Auf den gebeugten Sohn, auf deinen Freund zurücke,
Der gut gemacht, was gut zu machen möglich war.
16.
Bey diesen Worten deckt der Wehmuth finstrer Schleyer,
Benetzt mit Thränen, sein Gesicht;
Weint, ruft Bliomberis, o Theurer, weinet nicht!
Denn jede Thräne fällt wie Feuer
Auf dieses Herz; ich habe keine Pflicht
Als kindlich euern weisen Willen,
Mein Lehrer und mein Ohm! in Allem zu erfüllen,
Ich schwör' es euch: nur weinet nicht,
17.
Er sagt es und entküßt die Ströme seinen Wangen:
Das Antlitz Lyonels ist wie das Firmament
An einem Herbsttag; immer hangen,
Von schwächrer Sonne nie getrennt,
Die Wolken schwer zur Erde nieder.
Der Regen zwar hört unterweilen auf,
Doch einen Augenblick darauf
Fällt er in dichtern Tropfen wieder.
[11]
18.
Du weißt, beginnet nun der Held,
Mein Vater Bort beherrschet die Bretonen,
Doch alle, die das Meer umwohnen,
Sind dein, Bliomberis! Als in die beßre Welt
Sein Bruder Ormund ging, ward er dem einz'gen Kinde
Des Hingeschiedenen, man nannte sie Arlinde,
Zum Vormund aufgestellt. Es ruft ein altes Recht
Zu diesem Amte stets den Nächsten im Geschlecht.
19.
Sie, Erbinn eines Reichs, in voller Jugendblüthe,
Mit himmlischer Gestalt und himmlischerm Gemüthe,
Erschien an unserm Hof, gleich einem neuen Stern:
Der König nahm sie auf mit väterlicher Güte,
Allein den Freyerschwarm von Rittern und von Herr'n,
Der hoffnungsvoll ihr nachfloß, hielt er fern,
Weil er Arlinden mir bestimmte,
In dessen Busen auch schon Liebe für sie glimmte.
20.
Doch glimmte sie nur kurze Zeit;
Sie ward zur Flamme bald, die meine Ruh verzehret,
Zur Flamme, die noch jetzt nach achtzehn Jahren währet
Und währen wird in Ewigkeit.
Von eitler Hoffnung süß betrogen,
Glaubt ich zuerst Arlinden mir gewogen,
Weil sie, die alle Männer mied,
Doch mich allein voll Achtung unterschied.
[12]
21.
Zwar schmeichelte sie mir mit keiner Gegenliebe,
Sie schalt vielmehr oft bitter auf die Qual
Der Zärtlichkeit, und rühmet' und empfahl
Der edlen Freundschaft kältre Triebe.
Sie hoffte mich von jenem, was sie schalt,
Zu dem, was sie empfahl, allmählich hinzubringen.
Umsonst! das konnte schon nur einem Gott gelingen,
Und der bedurfte hier der ganzen Allgewalt.
22.
So bald die Edle sah, daß ich sie falsch gedeutet,
Und daß Erwartungen noch immer meinen Harm
Durchschienen, sprach sie einst, von meinem bangen Arm
Zu einer Laube hingeleitet,
Sie sprach … o Gott! noch immer hör ich sie
Mit sanft gedämpfter Stimme sprechen,
Den Engel! immer seh ich sie,
Seh noch die Mitleidsthrän' aus ihrem Auge brechen.
23.
Freund, sprach sie, mildert diesen Schmerz,
Der ewig eure Stirn umnachtet.
Betrügt euch selber nicht; kein wahrer Weiser trachtet
Unmöglichkeiten nach: ihr seht, daß dieses Herz
In euch den großen Mann, den guten Mann verehret.
Es fühlet eure Leiden schwer,
Schwer, wie die eigenen; o Theurer, daß ihr mehr,
Als was es geben kann, begehret!
[13]
24.
Seyd, weil doch die Natur mir dieses Glück versagt,
Seyd ihr mein Bruder; keine Schwester
Hängt am geliebtesten von ihren Brüdern fester,
Als ich an euch will hangen; wagt
Nur Einen Wunsch nicht; gern, gern werd' ich jedem andern
Auf halbem Weg entgegen wandern,
Werd' ihn von ferne schon in euerm Angesicht
Erspähen; Liebe nur, nur Liebe fodert nicht.
25.
Blickt um euch her, durchblickt den Zirkel unsrer Damen!
Seht, wie bey euerm großen Nahmen,
Der Frankenland, der Albion erfüllt,
Manch schöner Mund erseufzt, manch schöner Busen schwillt.
Verschwendet nicht mit Eigensinne
An mir allein den Schatz von eurer Minne,
An mich, die darum nur euch edlen Mann betrübt,
Weil – weil sie einen andern liebt.
26.
Der Unglückselige, der alle seine Waaren
Auf Ein Schiff laden ließ und, harrend an dem Port,
(Er hörte zwar den Sturm, doch hofft er immer fort,)
Erfährt, daß sein Pilot an einen Fels gefahren,
Der fasset meinen Jammerstand,
Und der nur halb; denn häuft von allen Königreichen
Des Indus alles Gold; es ist doch nichts als Tand,
So bald wirs mit dem Glück, geliebt zu seyn, vergleichen.
[14]
27.
Dieß Glück war nun für mich dahin.
Was that Arlinde nicht, mich Elenden zu heilen!
Bald sah ich sie mich fliehn und bald als Trösterinn
Mir mitleidsvoll entgegen eilen.
Sie fühlte meine Leiden mit,
Ein Edelmuth, durch den ich zwiefach litt.
Auch sucht ich nun, um ja die Edle nicht zu quälen,
Von meinen Schmerzen ihr die Hälfte zu verhehlen,
28.
Der Ritter, der ihr Herz erobert, Palamed,
Der Menschen erster, war noch nicht am Hof erschienen.
Sein Schicksal und der Hang, wann Unschuld ihm gefleht,
Auf Kosten
seines Glücks zu retten und zu dienen,
Hielt ihn schon dreyßig Monden lang
Von der Geliebten fern; doch itzo sollt er kommen,
Wie ich aus ihrem Mund, (ich Unglückselger drang
Mich zum Vertrauten auf,) nicht ohne Müh vernommen.
29.
Ich ritt sogleich in vollem Staat
Zehn Meilen weit dem edlen Mann entgegen,
Ich glaubte, wie er sich genaht,
Es käm ein Gott in seinem Allvermögen.
So sonnenhell umstrahlt ihn seiner Thaten Schein.
Er däuchtete mir werth nicht nur des lauten Preises,
Auch der Anbetungen des ganzen Erdenkreises,
Ja werth sogar, von
ihr geliebt zu seyn.
[15]
30.
So bald er meinen Namen hörte,
(Noch näherte mich ihm kein glücklich Ungefähr,)
Erfreute sich der edle Ritter sehr,
Als, sagt er, eines Glücks, das längst sein Herz begehrte.
Ich ritt, ein liebender Gefährte,
Beynahe froh an seiner Seite her.
Wer einen großen Mann zum erstenmahl erblicket,
Vergisst auf eine Zeit des Leidens, das ihn drücket.
31.
Mit jener Offenherzigkeit,
Dem schönen Fehler schöner Seelen,
Begonnte Palamed nun selber zu erzählen,
Wo er Arlinden sah, und wie von jener Zeit,
Als er an Ormunds Hof bey einem Ritterspiele
Den Dank aus ihrer Hand empfing,
Mit gegenseitigem Gefühle
Sein Herz am ihrigen, ihr Herz an seinem hing:
32.
Wie Freundschaft, Ritterpflicht, Versprechen
Und Rodrichellos Jammerbrief
Zu des Guadalquivirs entferntem Bord ihn rief
An dem Rebellentrupp des Königs Mord zu rächen.
Wie er nicht eh den Aufruhr dort gedämpft,
Bis er mit eigner Hand zwölf ungeheuern Riesen,
Die des Erschlagnen Sohn bekämpft,
Den Weg ins Schattenreich gewiesen;
[16]
33.
Wie er nun Spanien verließ,
Zu der Geliebten flog, doch in bebüschten Wegen
Von Aquitanien auf einen Räuber stieß,
Der eine Dam' entführt; den in das Gras zu legen
Für Pflicht hielt, ob er gleich der Sohn des Königs war,
Durch manchen Umweg dann, durch manche Todsgefahr
Nach Gallien zurückekehrte
Und itzund erst den Tod des Königs Ormund hörte.
34.
Nun, rief er, bin ich hier, geliebter Lyonel,
Ich der den Himmel noch mit Bitten oder Klagen
Nie, nie belästiget; doch bäth' ich dießmahl fehl,
Und sollt er mir Arlindens Hand versagen;
Dann zeug' ich gegen ihn, daß wahre Redlichkeit
Auf Erden keinen Lohn, und keine Freuden habe,
Bereue, daß ich mich der Menschheit ganz geweiht,
Und sehne mich nach nichts, als nach dem Grabe.
35.
Mit vierzehn Jahren schon führt' ich dieß Ritterschwert
Und nicht umsonst; denn immer blitzt es Rache
Auf mächtge Frevler, glänzt' ein guter Stern für Schwache.
Ich fühle nun mich eines Lohnes werth
Und denke, daß ich sie, für die ich ewig brenne,
Von Gott und Menschen nicht nur wünschen, fodern könne.
Auch fodr ich sie. Hier schloß der Held und bath
Um meinen Beystand, meinen Rath.
[17]
36.
Mit blutendem, doch mit getreuem Herzen
Ergriff ich seine Hand, drückt' ihr Verheißung ein.
Und fand in jenem Hoffnungsschein,
Der seinem Aug' entstrahlt, Vermindrung meiner Schmerzen,
Ja ein Gefühl sogar, das dem Vergnügen glich.
Arbeite, Sohn, an edler Menschen Glücke
Und glaube mir, es fleußt davon auf dich
Ein nicht geringer Theil zurücke.
37.
Ich mußte jetzt, wiewohl mein Herz
Bey jedem Wort Gebährerinnenschmerz
Erlitten, dennoch mußt' ich itzt mit Palameden
Von meines Vaters Zweck und meiner Liebe reden.
Ich hatte durch die Art, wie ich von dieser sprach,
Nicht ungroßmüthig ihn betrogen;
Ich gab ihm zu verstehn, sie wäre nach und nach
Durch Zeit und Widerstand verflogen.
38.
Auch meines Vaters harten Sinn
Verhieß ich ihm nach Möglichkeit zu beugen.
Nur rieth' ich, sollt' er noch von seiner Absicht schweigen,
Bis daß die Zeit, die Allvermittlerinn,
Die günstige Minute brächte,
Wo ich dann selbst für ihn zu werben dächte.
Er dankte mir, von niederm Argwohn frey,
Und ich blieb meinem Worte treu.
[18]
39.
Acht Monden lebt er nun in Vannes, seiner Würde
Nicht ungemäß. Als meinen Freund, die Zierde
Der Ritterschaft hatt' ich den theuren Gast
Dem Vater vorgestellt, der gütig ihn empfangen,
Die schönsten Zimmer im Pallast
Mit fein gewirktem Gold' aus Indien behangen,
Mit manchem Werk der Kunst, mit manchem edlen Stein
Geschmücket, räumte man auf mein Geheiß ihm ein.
40.
Vier Knaben mußten stets an seiner Seite gehen,
Ihm jeden leisen Wunsch im Werden abzusehen.
Er ordnete Tanz, Gastmahl, Ritterspiel
An meiner Statt; schien jemand ihm willkommen,
So ward er auch von mir mit Freundschaft aufgenommen,
Doch schnöd' und kalt, wer ihm mißfiel.
Auch einen Dienst sogar hab' ich ihm nicht versaget,
Worüber doch mein Herz im Stillen oft geklaget.
41.
Ich führte selbst, daß Er dem Höflingsaug' entflieh
Und nicht auf sich des Königs Argwohn zieh,
Arlinden oft nach unsers Schlosses Garten
Und hieß den Glücklichen in dem Gebüsche warten.
So bald kein Ueberfall uns mehr bedräute, sprang
Durch die zertheilten grünen Wände
Der Held hervor, ich gab in seine Hände,
Das Kleinod, und schlich weg in einen Seitengang.
[19]
42.
Dort warf ich, während sie in Liebe sich berauschten,
Und wohl bewacht von mir die Seelen küssend tauschten,
Mich auf den Rasen hin und mehrete den Thau
Mit meinem Thränennaß; oft hings mir nebelgrau
Vor dem Gesicht, ein Fieberschauer
Durchbebte mein Gebein: der Hauch des Westes schien
Mir Luft vom Grabe her, verwelkt des Rasens Grün
Und die Natur gehüllt in Trauer.
43.
Fast immer kamen sie nach Stunden erst heraus,
Zwar nach Minuten, wie sie wähnten,
Die Glücklichen; mir aber dehnten
Sich zu Jahrhunderten selbst die Minuten aus.
Auch vor der Welt, wenn sie mit süßen Blicken,
Die sie durch Umweg oft nach ihm zu drehn gewußt,
Mit Lächeln und mit leisem Nicken
Ihm Liebe zuwarf, fuhr ein Dolch in meine Brust.
44.
Indeß erforscht' ich oft des Königs Sinn von weiten,
Ob für die Liebenden vielleicht ein Hoffnungsstrahl
Drin dämmerte, doch Nacht, Nacht fand ich allemahl.
Ermüdet nun durch diese Schwierigkeiten,
Gestand ich eines Tags ihm frey,
Daß der entworfne Plan mit mir und mit Arlinden
Uns ewig unausführbar sey,
Weil unsre Herzen sich nicht gleich gestimmet finden.
[20]
45.
Was, Herzen, rief er aus, mit Hohn und Bitterkeit!
Stimmt euer Herz nach dem, was die Vernunft gebeut.
O Thor, wie keiner noch gewesen!
Dein guter Vater wirft auf deine Lebensbahn
Dir eine Krone hin, und du, du stehest an,
Unsinniger, sie aufzulesen.
Fort! mich bethörst du nicht, umsonst ist der Versuch;
Arlinden oder meinen Fluch!
46.
Ein unverdienter Fluch glitscht ab, von meinem Haupte,
So sagt ich zu mir selbst, und wenig Tage drauf
Stand ich an einem Fest beym großen Gastmahl auf
Und bath ihn, daß er laut zu sprechen mir erlaubte,
Er gönnt es mir, ich sprach, und alles ward Ein Ohr,
Die Gäste richteten sich todtenstill empor.
Ich sah, wie Neugier und Erwarten
Weitäugig auf mich hin mit offnem Munde starrten.
47.
Herr, fing ich an, Verläumdung nagt
An Lyonels bisher noch unbeflecktem Ruhme.
Zwar ehrt wie einen Gott in seinem Heiligthume
Mich hier der Höfling, doch der kühnre Bürger wagt
Ein Urtheil wider mich, das ich zu widerlegen
Mir selber schuldig bin; denn nur ein Wüthrich lacht,
Wenn wider ihn den niedrigsten Verdacht
Die Menschen, seine Brüder, hegen.
[21]
48.
Man flistert sich ins Ohr, daß mehr der schnöde Geiz
Nach einer Kron' als der Prinzessinn Reiz,
Wie groß auch dieser sey, mein Herz dahin gerissen.
Selbst eure heilige Person,
O Herr, wird nicht gescheut, denn schützet wohl ein Thron
Vor frecher Schmähsucht Natterbissen?
Am häufigsten, am liebsten fällt ihr Zahn,
Der Bauernkittel schont, des Königs Purpur an.
49.
Doch um mit Einem Mahl die Niedrigen zu schweigen,
Die sich so sehr an mir geirrt,
So hört, was jetzt mein Mund vom Fürsten flehen wird,
Und seyd mir alle deß vor Erd' und Himmel Zeugen!
Ich will, hier hatt' ich tief mich gegen ihn gebückt,
Itzt um Arlindens Hand für Palameden werben.
Denn seinem glänzenden Verdienste hats geglückt,
Sich ihre Liebe zu erwerben.
50.
Gewiss, wir sind beneidenswerth,
Wenn jener Held, den man in allen Landen
Als Schutzgeist der Bedrängten ehrt,
Der jedes Abentheur und jeden Feind bestanden,
Wenn der an unser Haus nun auch mit heilgen Banden
Des Bluts geknüpft, uns näher angehört.
Drum laßt uns, Herr, da sie sich beyde lieben,
Nicht lang' ihr Glück und unser Glück verschieben.
[22]
51.
Der König kneipete vor Wuth,
Indem ich sprach, am Tafeltuche,
Auf dem Gesichte siedend Blut,
Den Mund verzerrt zu einem Fluche,
So saß er da und blickte Dolch auf mich;
Doch fühlt er wohl, er könne der Beschämung
Durch nichts entgehn, als nur durch Selbstbezähmung;
Es ward ihm schwer, doch halb bezähmt er sich.
52.
Er sprach zwar von des Freyers Thaten
Mit lautem Lob, allein er fand
Zu wichtig diesen Gegenstand,
Um unter Bechern sich hierüber zu berathen,
Es könne, fügt er bey, allein der Aberwitz
Solch einen Augenblick, davon zu sprechen, wählen.
Hier stand er auf von seinem Sitz
Und ging erboßt aus den Gesellschaftssälen;
53.
Ihm folgte nur der Marschall Menigor,
Der lange schon sein ganz Vertraun genossen,
Doch unwerth deß sein Herz und Ohr
Dem Ruf der Tugend fest verschlossen,
Bey allem, was der Fürst nur immer sprach und that,
Bewundrung ihm gezollt und knechtisch ihm gehäuchelt,
Bald als Spion gedient, bald als gefällger Rath
Der Leidenschaft des Herrn zum Weh des Lands geschmeichelt.
[23]
54.
Auch itzt entwarf er einen Plan,
Der Satans werth gewesen wäre,
Und both, daß ja das Laster nichts verlöre,
Sich selber zur Vollführung an.
Er reiset in Geheim nach Aire
In Aquitanien zum König' Ostroman,
Der Palameden tödlich haßte,
Seitdem sein böser Sohn durch dessen Faust erblaßte.
55.
Mit diesem Könige, dem schlau'sten Bösewicht,
Der jemahls einen Thron geschändet,
Hat er das Bubenstück begonnen und vollendet.
Denn bald verstreute man bey Hofe das Gerücht;
Der König Ostroman droh Einfall unserm Lande;
Sein Feldherr, wider uns geschickt,
Sey durch Austrasien bis zu der Loire Strande
Des Reiches Gränzen vorgerückt.
56.
Man rechnete darauf, daß Palamed die Bürde,
Der Führer unsers Volks zu seyn,
Für seine Schultern fodern würde.
Man hatte nicht geirrt. Bort willigte darein
Mit Lächeln, das ich falsch für Beyfall ausgedeutet
Und das den Held die Gunst des Königs hoffen ließ.
Ach! dieses falsche Lächeln hieß:
Geh in den Untergang, den ich dir zubereitet!
[24]
57.
Doch itzo sahn sie erst die größte Schwierigkeit,
Mich, den sie als den Freund des edlen Mann's gescheut,
Mich, dessen Worte viel bey Pharamunden galten,
Nicht zu entfernen bloß, auch lang' entfernt zu halten.
Allein wo zagt die Höflingspolitik?
Mein Vater, der den Groll tief in der Brust verborgen,
Tritt einst, als wie gedrückt von schweren Herrschersorgen,
In mein Gemach und spricht mit holdem Blick.
58.
Seit dem ein Nervenschlag die Kräfte mir gelähmet,
Und um die Ehre, selbst zu kämpfen, mich gebracht,
Hast du, mein Sohn, stets siegreich in der Schlacht,
Die Feinde dieses Reichs an meiner Statt bezähmet:
Und dir mißfiel wohl nicht, daß ich den Feldherrnstab
Jüngst in die Hand des Helden gab,
Der von gerechter Rach' entzündet,
Sein Glück und Heil im Sturz des Aquitaners findet?
59.
Auch warbest du für ihn um der Prinzessinn Hand;
Drum dulde, daß er dieses Land,
Worin er herrschen soll, für uns und sich beschütze.
Du hast, das weiß die Welt, der Lorber so genug,
Bist tapfer, bist noch mehr als tapfer, du bist klug.
Drum wünsch' ich, daß uns jetzt auch deine Weisheit nütze:
Sie ists, worauf dein Fürst, worauf dein Vater baut,
Und dornig das Geschäft, das er dir anvertraut.
[25]
60.
Zeuch hin zum Sohne deß, der unsern Thron entehret,
Indem er mit Tribut dieß freye Land beschweret,
Zu Clodwigs Sohn, dem stolzen Pharamund.
Er denke nun an unsern Bund,
Er denke, wenn wir Gold zu unsrer Schmach ihm spenden,
O dürften wir doch dieses nicht!
Doch da wirs thun, so sey es seine Pflicht,
In jeden Krieg Mitkämpfer uns zu senden.
61.
Ich nehme, süß betrogen von dem Wahn,
Daß mit des Krieges Ziel Arlinde
Das Ziel all ihrer Wünsch', all ihrer Leiden finde,
Den Auftrag gern und dankbar an.
Und da ich selbst nicht zaudern wollte,
So setzt der König fest, daß wann sich aus dem Meer
Die dritte Sonn' erhebt, Held Palamed zum Heer
Und ich nach Turnay ziehen sollte.
62.
Auch zogen wir dahin; am Abende zuvor
Geleit' ich noch Arlinden nach dem Garten,
Zum Platze, welchen sie und Palamed sich kohr.
Sie ließen lange mich, bis in die Nacht mich warten,
Doch endlich, endlich kamen sie
Mit leisem Schritt und fürchtenden Geberden;
Arlinden bebten Arm und Knie,
Sie mußte fast gezogen werden.
[26]
63.
Auch merkt' ich Ungeduld, Zwang und Verlegenheit
Zum ersten Mahl an Palameden,
Erst schwieg er lange, lange Zeit,
Dann nöthigt er auf einmahl sich zum Reden;
Und wie sie schieden, sah ich einen Thränenguß
Arlindens schwer gepreßten Busen füllen,
Doch sträubte sie sich gegen seinen Kuß,
Was sie noch nie gethan; mit wahrem Widerwillen.
64.
Ich wähnte, daß der Schmerz der Trennung diesem Paar
So bittere Minuten brächte:
Allein nicht Schmerz der Trennung, ach! es war
Vergessne Tugend, die sich rächte.
Sie hörten nicht ihr warnendes Geschrey,
Als Liebe sie von Schwärmerey
Zur minder edlen Lust allmächtig hingerissen,
Du, Neffe, warst die Frucht von dieses Abends Küssen.
65.
Wie viele Fodrungen hat nicht die Welt an dich!
Denn theuer kommst du ihr zu stehen,
Das Weib, auf welches sie als ihren Stolz gesehen,
Das Weib, der keines gleicht, noch gleichen wird, noch glich,
Arlinden kostest du und volle sechzehn Jahre
Vom Leben eines Palamed.
O mache, daß sie nicht zu spät
Vom lauten Ruf: du seyst es werth, erfahre.
[27]
66.
Drey Tage war ich erst am Hofe Pharamunds,
Der mich als Freund und Ritter ehrte
Und, eingedenk des alten Bund's,
Fünf tausend Reisige, die ich von ihm begehrte,
Am andern Morgen ziehen hieß.
Da ich mit diesem Volk die Mauern schon verließ,
So schießet mit verhängtem Zügel
Ein Eilboth' auf mich zu so schnell, als hätt' er Flügel.
67.
Der Frieden, rief er aus, ist wieder hergestellt:
Wie? frag ich, also hat der Held,
So hat mein Palamed schon in den ersten Tagen
Den stolzen Feind aufs Haupt geschlagen?
Ihr irret Prinz, erwiedert er,
O zürnet nicht auf mich! o trauert nicht zu sehr!
In finstrer Nacht gelangs zerstreuten Feindeshorden
Den großen Mann auf einem Schloß zu morden.
68.
Der Knappe sagte mir, was durch ein falsch Gerücht
Auf ihn gekommen war; die Wahrheit wußt' er nicht.
Du höre sie! schnell war des Helden Reise
Und er auch schon dem Heere nah;
Doch weil er von der Nacht sich überfallen sah,
Hielt er im nächsten Dorf, wo ihn nach Höflingsweise
Gefälligkeit im Mund' und in der Brust Verrath,
Der Marschall auf dem Schloß zu übernachten bath.
[28]
69.
Das Schloß war sein. Man setzet sich zu Tische,
Der Mundschenk, welchem dieß der böse Wirth befahl,
Verfälschete den Wein in Palameds Bocal
Mit Schlummer bringendem Gemische,
Da nun der Held wie todt in seinem Bette schlief,
Erreichte seinen Zweck der Bösewicht und rief
Die Aquitaner her, die keine Zeit verlieren,
Ihn fesseln und mit sich nach ihrer Hauptstadt führen.
70.
Doch daß die Schandthat von der Nacht,
Worin man sie verübt, die Dunkelheit behielte,
Hat nur der halbe Trupp den Helden weggebracht.
Die andre Hälfte lauscht' im nahen Busche, spielte
Den Ueberfall und drang ins offne Schloß.
Das Blut von Palameds beherzten Dienern floß,
Die Burg ward angesteckt, man hofft es würde glücken,
In diesem Rauch den Argwohn zu ersticken.
71.
Auch glückt es mir zu wohl! ins zweymahl achte Jahr
Beweint' ich ihn für todt, mit Recht! sein Leben war
Ein langer Tod: er hat es hingeschmachtet
In einem öden Thurm, der König Ostroman,
Der seinem Leben erst so gierig nachgetrachtet,
Veränderte nun plötzlich seinen Plan
Und hatte seinem Sohn das Opfer nicht geschlachtet.
Sey's, daß er selbst es für zu groß geachtet;
[29]
72.
Sey's, daß der Vorsicht Huld dies theure Blut gespart
Und unserm Erdkreis einen Helden,
Dir einen Vater aufbewahrt:
Nach funfzehn Jahren erst ließ Palamed mir melden,
Daß Ostroman nun todt, Carlitus Herrscher sey,
Des Todten zweyter Sohn, und dieser lass' ihn frey,
Allein der Lösepreis, den er dafür gefodert,
Beweise, daß in ihm noch Zorn des Vaters lodert.
73.
Denn er entzog nicht nur durch aufgetragnen Eid
Sich selbst und seinen Stamm auf alle Folgezeit
Der Rache Palameds; er mußt ihm auch verheißen
Das heilige Gefäß, worein das Wundenblut
Des Heilands quoll, allein und nur von seinem Muth
Begleitet, aus der Hand Ungläubiger zu reißen
Und ohne Zeitverlust, so wie der König ihn
Befreyt hat, nach dem Ost zu diesem Werk zu ziehn.
74.
Carlitus dachte so dem Helden nach dem Leben
Mit beßrer Art, als Ostroman, zu stehn,
Europens Tadel zu entgehn,
Ja Schein der Gottesfurcht um diesen Mord zu weben.
Doch kehret nun der Held durch Africa zurück
Und bringt die Beute; Gott entriß ihn dem Verderben:
Mir wird der letzte Trost in meinem Mißgeschick,
Der Trost, ihn noch einmahl zu sehn und dann zu sterben.
[30]
75.
Doch laß uns itzt nach jener Zeit,
Die voll der Gräuel ist, die Blicke wieder kehren,
Bereite dich des Oheims Grausamkeit
Und deiner Mutter Tod zu hören!
Der Bothe, welchen man an mich zur Herrscherstadt
Der Franken sandte, gab mir in Geheim ein Blatt
Von ihrer Hand, sie schrieb es zitternd, doch in Eile;
Von Thränen unverwischt ist keine halbe Zeile.
76.
Hier ist es, dieses Blatt, das Einzige von der Welt,
Was Lyonel noch sein zu nennen würdig hält.
Es kam, seit ich's erhalten habe,
Noch nie von mir, und geh' mit mir zu Grabe!
»O einziger, o allzuedler Freund,«
So schreibt sie, »kommet, daß Arlinde
Noch ihre fleh'nden Arm' um eure Kniee winde,
Eh sie ihr Leben ausgeweint.
77.
Ach, wenn ihr sie von diesen Knieen stießet;
Wenn ihr, nicht gütig, nur gerecht,
Sie ihrem Schicksal überließet!
Doch nein! verehrter Mann, fürs schwächere Geschlecht
Wird stets ein großes Herz von Mitleid überfließen,
O lasset dessen mich genießen;
Denn ich bedarfs; kein Schmerz ist meinen Schmerzen gleich,
Und nirgends Hülf', als nur bey Gott und euch.«
[31]
78.
Die Schrecken, welche mich bey diesem Brief durchdrangen,
Beschreib' ich nicht; ich ritt, als brüllt' ein Geisterheer,
Um für die Hölle mich zu fangen,
Herauf gesandt, dicht hinter mir daher;
Die kleine Ruhezeit, die ich dem armen Pferde,
Nicht mir gegönnt, war für mein Herz
Die schrecklichste; denn jeder Seelenschmerz
Wächst durch die Ruh, nimmt ab bey Arbeit und Beschwerde.
79.
Ich kam nun an, und, Gott! sich selber nicht mehr gleich
Fand ich Arlinden, trüb' und hohl die schönen Augen,
Das Wangenpaar vom steten Thränen Saugen
Verwelket, eingedrückt und bleich.
Mit einer Reu, die selbst ein Laster tilgen würde,
Gestand sie mir, daß sie nicht schwachheitsfrey
Und unterm Herzen ihr, ach! eine schwere Bürde,
Die Frucht verstohlner Küsse sey.
80.
Ich tröstete die tief Gebeugte,
Indem ich Sicherheit vor aller Schmach ihr zeigte.
Mein Drohn erschütterte, mein häufig Gold gewann
Die Zofen, daß sie stumm zu bleiben mir geschworen.
Es rückte nun die Zeit heran;
Du wurdest in Geheim geboren:
Ich opferte dich wenig Stunden drauf
In diesen Armen, Gott, und bethete hinauf:
[32]
81.
O Herr, erreicht dein Ohr, was Freundschaft hier auf Erden
Inbrünstig fleht, so sieh auf meines Freundes Kind!
Laß tapferer, als mich, es werden,
Und glücklicher, als beyde sind!
Daß, wenn er dieses Land durch eine lange Reihe
Von Jahren wohl beherrscht, der Mächt'gen Frevel wehrt,
Und aus gerechter Schlacht siegprangend wiederkehrt,
Sich seine gute Mutter freue.
82.
Der letzte Wunsch blieb unerfüllt:
Arlinde wird mit heiligem Entzücken
Dich, deines Vaters Ebenbild,
Dich ihren Stolz, und meinen nicht erblicken.
Allein was red' ich, sie erblicket uns auch jetzt.
Sie sieht herab von einer lichten Sphäre
Und zählet dankbar jede Zähre,
Die unsre frommen Augen netzt.
83.
Ich hatte schon ein Schloß zum Wohnort dir ersehen,
Es war mir dort der alte Castellan
Und sein ehrwürdig Weib mit Liebe zugethan.
Der Wachsamkeit des Hofes zu entgehen,
Schien uns nicht schwer: du wardst von einer Magd
In seidne Teppiche geschlagen,
Und Morgens, als es kaum getagt,
Aus dem Gemach Arlindens weggetragen.
[33]
84.
Mein Vater, (wars Verrätherey,
Wars Zufall?) trat der Zofe, mit der Frage:
Was sie so früh aus dieser Kammer trage?
Auf einmahl in den Weg; sie schweigt und bebt dabey;
Er fühlet unsanft, was es sey;
Und nun, o schrecklicher, o nie vergeßner Morgen!
Verräth dich, armes Kind, dein eigenes Geschrey.
Er siehet, was wir ihm verborgen.
85.
Der harte König wüthet, ballt
Die starke Faust und schlägt die Unglücksel'ge nieder.
Ihr lauter Ruf um Hülfe schallt
Durch alle Marmorgänge wieder.
Ich fliege hin, und sieh! Arlinde stürzt zugleich
Mit weh'ndem Haar herbey, in wilder Eile
Die Arm' erhoben, bloß die Brust, ihr Antlitz bleich,
Wie einer Alabastersäule.
86.
Gleich einer Löwinn kämpft sie um dein Leben. Bort
Keicht dumpfe Flüche, lechzt nach Mord.
Auch rann gewiß an dieses Ganges Wänden
Dein zartes Hirn herab, hätt ich mit stärkern Händen
Des Vaters Hände nicht gefaßt.
Laßt, bey dem Gott des Himmels! laßt
Das Kind mir los, Barbar, rief ich im Donnertone,
Hier, wenn ihr tödten wollt, fangt an bey eurem Sohne.
[34]
87.
Arlinde warf vor mir mit wildem Ungestüm
Sich auf die Knie und kreischt': Erbarmen,
Erbarmen, Lyonel! Fort aus dem Schloß mit ihm,
Um Gotteswillen fort! ich flog, dich in den Armen,
Nach meinem Stalle, sprang aufs Ross,
Eh man den Sattel aufgebunden.
Und nun im Fluge fort, bis das verfluchte Schloß
Aus meinen Blicken weggeschwunden.
88.
Nun da ich uns in Sicherheit
Und unverfolget sah, hatt' ich mein leinen Kleid,
Worin ich dich zu schützen hergeeilet,
Mit diesem Schwert auf meiner Brust getheilet
Und dich, o Liebling, drein gehüllt; von Zeit zu Zeit
Haucht' ich dich wärmend an, und aus Besorglichkeit,
Dein Athem dürfte sich verlieren,
Ließ ich mein Pferd langsamer galopieren.
89.
Doch hatt' ich dich noch vor der Nacht
Auf das bestimmte Schloß zum Castellan gebracht;
Ich selber schlief, an Seel und Leib ermattet;
Zur Zeit, wo frühes Licht und Finsterniß sich gattet,
Entrüttelt mich dem Schlaf mein treuer Knapp' Alpin,
Der Mitvertrauter war; was soll es? frag ich ihn.
Er keicht und murmelt dumpfe Töne,
Doch plötzlich bricht er aus in Schluchzen und Gestöne.
[35]
90.
Was solls? um Gotteswillen! sprich!
»Sie ist nicht mehr! der Wütherich
Hat in den Brunnen sie gestürzet!« Hier verließen
Mich meine Sinn'. Ohnmächtig lag ich da.
Als ich das Licht nach Stunden wieder sah,
Schien neue Kraft in mich zu fließen;
Die Wuth trieb mich zum Bett' heraus,
Warf mich aufs Pferd, und stürmte mich nach Haus.
91.
Ich kam zur Nachtzeit an; schon in dem ersten Hofe
Heult ihren Trau'rbericht Arlindens treu'ste Zofe
Und diesen Umstand noch, daß Marschall Menigor
Der Fürstinn Henker ist, in mein begierig Ohr.
Ich ward ein reißend Thier, so bald ich dieses hörte,
Hin stürzt' ich an das Cedernthor
Zum inneren Pallas, und sprengt es mit dem Schwerte:
Man schreyt, man lärmt, man kommt; mein Vater tritt hervor,
92.
Der Marschall hinter ihm. Kaum seh' ich meine Beute,
So schleuder' ich den König auf die Seite,
Ergreif' am Haar den Bösewicht
Mit meiner linken Hand, und meine Rechte tauchet
Das Schwert bis ans Gefäß in seine Brust. Er hauchet
Die Seel' aus, und sein Freund, sein König hilft ihm nicht:
Viel weniger die Höfling', alle schauen,
Und stehn bewegungslos, als wie aus Stein gehauen.
[36]
93.
Ich, auf des Leichnams Brust hintretend donnre: Fluch!
Fluch über ihn! und über Jeden Fluch,
Der Theil am Morde hat! ich sage
Mich ewig los von euch, ihr Schänder dieses Throns!
Im Brunnen liegen auch die Pflichten eures Sohns;
Ich habe keine mehr, ich eile nun und klage
Beym großen Pharamund euch ehrvergessnen Mann,
Dort gilt allein noch Recht, und dort klag' ich euch an.
94.
Doch eh' ich noch ihr Blut von euern Händen fodre,
So lodre du in hellen Flammen, lodre
Du blutbefleckter Schandpallast!
Hier hatt' ich auch die Fackel angefaßt,
Die neben mir ein Knab' empor gehalten:
Vergebens strömt auf mich der ganze Höfingsschwarm.
Ich drohe mit erhobnem Arm',
Dem Wehrenden das Haupt zu spalten:
95.
Ich laufe schon dem sammtnen Baldachin
Mit hoher Fackel zu: auf Einmahl seh' ich ihn,
Ihn, meinen Vater selbst, zu meinen Füßen fallen!
Mein Kind, verschone dieses Haus,
Wo deine Mutter starb! so ruft er schluchzend aus,
Vielmehr versammle die Vasallen,
Und brich mit ihnen ein, und treibe mich hinaus!
Ich weiß, du hast das Herz von allen.
[37]
96.
Er sprach's und mein Gemüth ward plötzlich umgewandt.
Mir sanken Schwert und Fackel aus der Hand.
Mein Vater, sagt' ich ihm, nicht ohne bitt're Zähren,
Mein Vater, was habt ihr gethan!
Steht auf! (ich hob ihn auf) nicht ich muß euch erhören,
Den Schrecklichen dort oben sehet an;
Der wird das gräßliche Verbrechen
An euch, an mir, vielleicht am ganzen Lande rächen!
97.
Ich eilte jetzt zum Unglücksbrunnen hin,
Und stieg hinab, und hohlte selbst die Reste
Der nun zwölf Stunden schon verklärten Dulderinn,
O heiligstes, o traurigstes der Feste,
Das ich alsdann beging! ich lag
Vor ihr auf meinen Knien den ganzen langen Tag:
Erst wie die Nacht, und zwar mit dunklerm Schleyer,
Als je, die Welt verhüllt, begann die Leichenfeyer,
98.
Ich ließ aus einem Schrank von Ebenholz den Sarg
Durch meinen Freund Alpin bereiten.
Und wie man drein die theure Leiche barg,
Legt' ich das Wertheste von meinen Kostbarkeiten,
Den größten rothen Diamant,
Der jemahls wuchs, hinein; in ihren letzten Tagen
Gab meine Mutter mir den Ring von ihrer Hand,
Als ich zum ersten Mahl den Dank davon getragen.
[38]
99.
Der Leiche folgeten nur ich,
Die Zofen und Alpin; man trug in großer Stille
(Dieß bath der König flehentlich)
Des schönsten Geistes schönste Hülle
Zur Schloßcapelle hin, da wehte kühl die Luft
Vom offnen Grab' uns an; ich zollte
Ein Thränenopfer noch dem Sarg', und horch! er rollte,
Und mit ihm all' mein Glück hinunter in die Gruft.
100.
Ich wich nicht von der heil'gen Stäte;
Und als ich dort allein die Nacht
In seelenhebendem, in brünstigem Gebethe,
Und voll von Hoffnungen des Wiedersehns durchwacht:
So stillte sich der Aufruhr meiner Sinnen.
So bald der Morgenstrahl durch lichte Fenster brach,
Ging ich beruhigter von hinnen
In meines Vaters Schlafgemach.
101.
Er saß im Bett', gestützt auf seinen Arm und blickte
Mich seufzend an, und ohne Groll.
Bleich war sein Angesicht, sein Herz war kummervoll,
Indem Gewissensangst und Furcht zugleich es drückte.
Die Rache Pharamunds und meine Heftigkeit
Erschreckten ihn, er nahm die Seinigen in Eid:
Sie schwuren, nie der Welt die Gräul zu offenbaren,
Wovon sie Augenzeugen waren.
[39]
102.
Er that mit Rührung auch an mich
Dieselbe Foderung, und wälzete von sich
Der Blutschuld größern Theil auf dessen Haupt zurücke,
Der Rath und Arm hierzu ihm lieh.
Zwar fürcht' ich, seufzt er, du, mein Sohn, verzeihst mir nie;
Doch denke: Reu ist ja die goldne Brücke,
Die, wenn ein Sünder auch sich noch so weit verliert,
Ihn doch ins schöne Land der Unschuld wieder führt.
103.
Auch soll auf dieses Kind, das du in Schutz genommen,
So bald es nur die Last zu tragen fähig ist,
Die Krone seiner Mutter kommen.
Und du, wenn ja dein Herz Geschehenes vergißt,
Sey nicht nur, wie bisher, mein Stolz und meine Zierde,
Sey Mitbeherrscher auch von diesem Königreich',
Und durch Verleihung meiner Würde
Dem Zärtlichsten der Väter gleich.
104.
Ich nahm den Theil, der dich betroffen,
Von der Verheißung an, den andern lehnt' ich ab.
Herr, sagt' ich ihm, Arlindens Grab,
Das ist mein Thron: auch müsset ihr nicht hoffen,
Mich ferner noch in dieser Burg zu sehn.
Hier seh' ich überall die Todte vor mir stehn;
Nur wenn ihr mein bedürft, dann ruft mich, doch bedenket,
Daß jeder Schritt hierher mich unaussprechlich kränket.
[40]
105.
Ich sprachs und eilt' aus seinem Schlafgemach;
Er rief mit Zärtlichkeit mir seinen Segen nach.
Beschleunigt ward mein Ritt; zu dir, o Neffe, ging er;
Du, den ich ganz in Thränen fand,
Nahmst meinen dargebothnen Finger,
Und hieltst ihn fest, fest in der kleinen Hand,
Du wolltest mir, so gut du konntest, sagen:
Verlasse mich nicht jetzt in hülfbedürftgen Tagen.
106.
Auch hatt' ich lange dich in steter Angst bewacht
Und deine Wiege jede Nacht
Ein ganzes Jahr hindurch dicht an mein Bett gesetzet;
Besorget, daß die fromme Reu,
Ein Pflänzchen, das der Dunst der Höfe leicht verletzet,
In meines Vaters Brust vielleicht verwelket sey.
Und oft, wenn ich dich ächzen hörte,
Fuhr ich vom Schlaf' empor, und griff nach meinem Schwerte.
107.
Den König sah ich selten nur;
Denn wenn ich in den Hof des Schlosses ritt, so fuhr
Ein Todesschauer stets durch alle meine Glieder.
Jüngst als du achtzehn Jahr, und deine Mündigkeit
Erreicht hast, (das Gesetz bestimmet diese Zeit,)
Erschien ich, vor dem Vater wieder
Und sprach dein Erb' in deinem Nahmen an.
Er hörte mich gelassen, und begann:
[41]
108.
Da über Palameds und der Prinzessinn Liebe
Kein Priester einen Segen sprach;
So scheint, daß ich mit Recht des Lands Besitzer bliebe:
Doch geb' ich deinen Wünschen nach
Und will mein königlich Versprechen,
Wiewohl du, harter Sohn, mirs abgetrotzt, nicht brechen.
Doch schwöre mir zuerst des alten Vaters Schmach
An einem bösen Mann zu rächen.
109.
Ich schwur es ihm, o mein zu rascher Mund!
Der Mann, so fuhr er fort, ist König Pharamund.
Ich zog in vollem Staat zum letzten Ritterspiele
Nach Turnay hin, und sein Empfang war der:
Warum kam Lyonel an eurer Statt nicht her?
Des Zornes und der Scham Gefühle
Empörten meine Brust, und färbten mein Gesicht.
Er sah es wohl, und doch begnüg er dran sich nicht.
110.
Und weil er Marten auch mit zu erniedern dachte,
Den König Sarniens, den weisen Mart, so brachte
Der stolze Mann beym feyerlichen Mahl
So die Gesundheit aus: Es lebe Perceval,
Der Sieger! er ist mehr als Könige zu schätzen,
Die den ererbten Thron nicht zieren, nur besetzen.
Herr König Bort, Herr König Mart,
Was saget ihr dazu? dünkt euch der Ausspruch hart?
[42]
111.
Wir fühlten diesen Hohn nur allzutief und schwiegen;
Doch meine Lippe war voll Blut,
Auch funkelte die unterdrückte Wuth
Des Königs Mart aus allen seinen Zügen.
Wir schwuren uns den schmählichen Tribut,
(Auch Mart bezahlet ihn) dem Franken aufzukünden,
Und sträubet sich des Stolzen Uebermuth,
Uns wider ihn zum Kriege zu verbinden.
112.
Vergebens stellt' ich vor, Mart sey ein Bösewicht,
Die Sarnier schwach, muthlos in dem Streite,
Und nebst dem Recht sey auf des Franken Seite
Zu überwiegendes Gewicht.
Mein Vater zürnte mir und dräute:
Brichst du dein Wort, so denk' auch ich des meinen nicht
Und anderswo such' eine Königskrone
Dem allzutheuren Pflegesohne!
113.
Ich schwieg – und ziehe itzt mit nebeldüstrem Sinn
Zum großen Pharamund, dem ältsten meiner Freunde
Als böser Both', als Friedensstörer hin.
Unfehlbar scheiden wir als Feinde,
Doch nicht als Hasser; nein! sein Herz ist gut und groß:
Es kann das meine nicht verkennen,
Er weiß, Gehorchen ist mein Loos,
Er weiß, den Sohn des Bort von Lyoneln zu trennen.
[43]
114.
Wir aber, streben wir des ew'gen Schöpfers Rath,
So viel es möglich ist, im Staube nachzuahmen!
Er nützet auch des Unkrauts Samen
Und lenkt zu gutem Zweck die allerärgste That.
So suche du aus diesem Kriege
Dir weise Lehren abzuziehn,
Und mache, wenn auch itzt uns keine Lorbern blühn,
Selbst die verlorne Schlacht zur Schule künft'ger Siege.
115.
Doch daß du nun die Herrlichkeit
Erblicktest, die den Thron des großen Manns umglänzet,
Die Ritter, die sich ihm geweiht,
So tapfer und so schön, von Lieb' und Ruhm bekränzet,
Und Damen ohne Zahl, gleich Blumen in dem Flor;
Damit du dieß erblicktest, kohr
Dein Oheim dich, den nächsten Blutsverwandten,
Den Erben unsers Throns, zu seinem Mitgesandten.
116.
Hier schwieg der Held, und hieß Bliomberis der Ruh
Gedenken; doch umsonst! des Jünglings Augen sanken
Dem Sorgenstiller, Schlaf, nicht zu:
Er spinnet glüh'nder Stirn Gedanken aus Gedanken,
In seiner Phantasie fleußt die Vergangenheit,
Die Gegenwart und Folgezeit
Zusammen: Durch des Wachen Träume
Entwickeln sich all seine großen Keime.
[44]
117.
Wie wenn nach einer finstern Nacht
Im Frühlinge, der junge Tag erwacht,
Noch dehnet, undurchstrahlt von seinem matten Scheine,
Sich über Fluren, über Haine
Ein Nebelvorhang aus und schleyert ihre Pracht.
Doch siehe! nach und nach verdünnen
Die Schatten sich, und schwinden ganz von hinnen,
Und die Natur erscheint in ihrer Feyertracht.