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Dritter Gesang.


1.

Man glänzt nicht ungestraft. Die allgemeine Huld,
Womit der Hof Bliomberis beehret,
Beleidigt Clodion: er hat mit Ungeduld
Das laute Jauchzen angehöret,
Das bey dem Lanzenwurf dem fremden Sieger scholl.
Sein Herz, getaucht in Stolz und Galle, schwoll
Noch höher, als er jetzt vom Könige vernommen,
Zu welchem Zweck Bliomberis gekommen.

2.

Betrübter Zweck! Des Festes Tage sind
Verschwunden, und dein Glück, Bliomberis, mit ihnen.
So wie ein schöner Traum, wenn durch die Bettgardinen
Der lästge Morgen scheint, an dessen Strahl zerrinnt.
Schon gehen Neff und Ohm, in Eisen eingehüllet;
Das Herz von hundert Sorgen schwer,
Das Angesicht mit Ernst erfüllet,
Und fodern feyerlich Gehör. [78]

3.

Man führt sie ein; auf seinem Throne sitzet
Der große Pharamund; der Jüngling staunt ihn an.
O Gott! wie ganz ein andrer Mann,
Als der er gestern war! sein dunkles Auge blitzet
Noch schrecklicher als seines Panzers Stahl;
Die Stimme rauscht gebiethrisch durch den Saal,
Der Scepter strahlt wie furchtbare Cometen,
Die Krone gleicht dem Mond, den nahe Morde röthen.

4.

Herr König, spricht der Oheim jetzt,
Mit sichtbarn Schmerzen zwar, doch edel und gesetzt:
Der König Mart und Bort, mein Vater, künden
Den schmählichen Tribut euch auf;
Ihr müsset, denken sie, den Nachlaß billig finden.
Allein beständet ihr darauf;
So biethen sie euch Krieg, und ihre Treuen glänzen
In hellen Waffen schon an eures Reiches Gränzen.

5.

Hier schwieg er; nicht ein Wort erwiedert Pharamund,
Nur zu den Seinen spricht der König: die Rebellen!
Hört ihrs? so halten sie den oft beschwornen Bund?
Wer unter euch will ihren Hochmuth fällen?
Er endigte noch nicht, so kniete bittend schon
Der rasche Prinz vor seines Vaters Thron.
Ich, rufet er, und eine Handvoll Reiter
Sind mir in diesen Kampf hinlängliche Begleiter. [79]

6.

Der Vater nickt' ihm zu und gab
Sogleich in seine Hand den goldnen Feldherrnstab.
Eh', prahlet Clodion, zwey Monden noch vergehen
Sollt ihr die Königlein, dann ohne Königreich,
Und zwey gezähmten Rossen gleich,
Im Siegeswagen mich nach Turnay ziehen sehen.
Bey dieser Prahlerey erwacht
Der Zorn Bliomberis, droht, sagt er, in der Schlacht:

7.

Dort tödt' ich! rief der Prinz: und seine Blicke brannten.
Der König sieht es, winket ihn
Zur Pflicht zurück, und heißet die Gesandten
Noch diesen Tag aus Turnays Mauern ziehn.
Auch gab er seinem Sohn zu einem Kriegsgefährten
Den weisen Arbogast, und tapfern Volks so viel,
Als sie zum Krieg, der nur ein Spiel
Dem Prinzen däucht', ja mehr, als sie begehrten.

8.

Bliomberis befolgt, (dieß thut auch Lyonel)
Des strengen Pharamund Befehl,
Er zieht aus Turnay weg, nicht ohne herzlich Trauern.
Sein Blick schleicht rückwärts oft nach den beglückten Mauern,
Wo diese wohnt, die ihn das einz'ge Weib
Auf Erden dünket, nichts entfernt sich, als sein Leib,
Der itzo nur ein Pflanzenleben lebet,
Indessen seine Seel' um die Geliebte schwebet. [80]

9.

Sie finden der Bretonen Heer,
Vereint mit Sarniens unkriegerischen Schaaren,
Schon an den Gränzen; und so schwer
Das Herz des Jünglings ist, so mindern Kriegsgefahren
Und naher Ruhm doch seine Traurigkeit.
Mir, denket er, und meinem Ohm verzeiht
Der edle König leicht; er seh' mich nur in Schlachten!
Gewiß sein großes Herz wird dann mich doppelt achten.

10.

So hoffet er, doch ist er noch zu neu,
Sich selbst aufrichtig zu gestehen,
Was wohl das Ziel all seiner Wünsche sey.
Wozu auch nützt es ihm, tief in sein Herz zu sehen?
Beym ersten Blicke führ' empor
Die lästige Vernunft, daß sie sein Urtheil spräche,
Und ihm den Stab mit diesen Worten bräche:
Du liebst, und hoffest als ein Thor!

11.

Die Tochter Pharamunds, des ersten Manns auf Erden
Wird keines Bastard's Gattinn werden,
Deß ganze Hab' auf zwey Provinzen sich beschränkt,
Die ihm dereinst sein Ohm aus Mitleid schenkt.
Du bist nur zu beglückt, wenn das, was Bort gefehlet,
Dir Pharamund vergiebt, als Erben dich erkennt,
Wozu dich Lyonel mit halben Recht ernennt,
Und unter die Vasallen zählet. [81]

12.

Beym Heere langen bald der Neff' und Oheim an.
Der weise Lyonel besetzet einen Hügel,
Von dem man weit um sich her schauen kann.
Behutsam stellt er auf die Flügel
Sein Rossetummelnd Volk; im Mitteltreffen stehn
Die feigen Sarnier; das eherne Getön
Der Waffen schreckt dieß Volk, gewöhnt seit langen Zeiten
Die feigen Segel nur, nicht Fahnen zu verspreiten,

13.

Die stolzen Feinde zaudern nicht,
Schon stehn sie hier am Fuß des Berg's, wie Ähren dicht,
Schon rücken sie heran. An ihrer Spitze schimmert
Der junge Clodion und blendet das Gesicht.
Das Gold, das ihm vom Helm und von dem Harnisch flimmert,
Macht weit umher die Fluren licht,
Doch mischt sich dessen Glanz mit einem weißern Strahle
Von glattgeschliffenem und silbergleichem Stahle.

14.

So glänzt, wenn vom Olymp der Frühling nieder schwebt,
Die Schlange neu beschuppt und hebt
Das Kronenhaupt empor, voll jugendlicher Kräfte,
Sie sog im Winter nichts, als böser Kräuter Säfte
Und lag versteckt im Boden. Traut
Nicht ihrem goldnen Kamm, nicht ihrer bunten Haut,
In das Gewand der Schönheit ist Verderben
Gehüllet: hier gilt nichts als fliehen oder sterben. [82]

15.

Kaum hatte Clodion den schwächern Feind erblickt,
So läßt er schon, Trotz allem Widerstreben
Des weisen Arbogast, das Angriffszeichen geben.
Sein Zelter, stolz, wie er, und königlich geschmückt,
Bläs't eine Wolk' aus weiten Nasenlöchern.
Sein Volk eilt nach, wo sich die Wolke zeigt,
Es stürmet auf den Berg, obgleich von tausend Köchern
Der Tod in seine Reihen fleugt.

16.

Bald aber stürzen die Bretonen,
(Bliomberis führt an, befehligt von dem Ohm)
Den Berg herunter, wie ein Strohm.
Sie toben rings um ihn; so toben Millionen
Von Fluthen um den Wallfisch her,
Er furcht sich eine Bahn in's Meer.
Der kluge Steuermann, der ihn von ferne siehet,
Befürchtet Umsturz, spannt die Segel und entfliehet.

17.

Mit lautem Lärmen treffen itzt
Die Völker auf einander; schrecklich wüthet
Bliomberis, sein breiter Degen blitzt
Verderben, das sein Mund gebiethet.
Des Feldherrn und des Kriegers Pflicht
Erfüllet er; sein Herz, des hoher Muth beseelet,
Jauchzt in dem Speergemenge, dennoch fehlet
Ihm Gegenwart des Geistes nicht. [83]

18.

Nur dort, wo Clodion in goldnen Waffen brennet,
Und, wie ein Schwimmender den Schwall
Der Wasser, so die Reihn der dichten Feinde trennet,
Dort ist er nicht, sonst ist er überall.
Celinens Bruder zu durchbohren,
Der schrecklichen Gefahr, ja nur der Möglichkeit,
Lenkt er von weiten aus: nein! eh ein solcher Streit
Entscheide, sey die Schlacht, das Reich und er verloren.

19.

Doch dieses Streits bedarf es nicht;
Denn um den Königssohn, so löwengleich er ficht,
Hat Klugheit noch ihr Leitband nicht geschlungen,
Und Lyonel ist weiter vorgedrungen.
Doch machet Arbogast, was ungestümer Muth
Des Jünglings fehlt, durch Klugheit wieder gut;
Für alles weiß er Rath zu schaffen,
Er krieget mit dem Geist, sein Prinz nur mit den Waffen.

20.

Schon viermahl hat der graue Held
Den Feind zurückgedrängt, die Ordnung hergestellt.
Bliomberis erkennet nicht den Alten;
Denn seiner Stirn verehrenswerthe Falten
Umhüllt der Stahl, auch sitzt er ungekrümmt,
Gleich einem Jünglinge, zu Pferde.
Der Neffe Lyonels ergrimmt,
Daß der Bretonen Sieg durch ihn verzögert werde. [84]

21.

Er hält das Roß, reißt einen langen Speer
Aus eines Fußknechts Hand, und diesen schleudert er
Nach Arbogastens Brust; den sichern Speer verwendet
Ein Engel, auch zum Glück des Werfenden gesendet;
Die Spitze dringt nicht in die Brusthöhl ein,
Sie streift vorbey am Schlüsselbein',
Und bleibt nur in der Haut des edlen Greises stecken,
Die Wund' ist klein, doch groß sein Schrecken.

22.

Er wankt, verliert den Zaum und sinkt
Vom Roß herab; der Boden trinkt
Sein heilig Blut; die Franken sehn es fließen;
Sie stürzen helfend hin und schließen
Schnell einen Kreis um ihn, man ruft den Königssohn.
Was thatst du nicht für ihn, nun edler Clodion?
Du rufest Ärzte, weinst, flehst sie an, und den Himmel,
Du trägst den edlen Greis selbst aus dem Schlachtgetümmel.

23.

Man setzet ihn an einen nahen Quell;
Dort untersuchet man, dort wäscht man seine Wunde
Und hält Gerüch' ihm vor; auch flieht von seinem Munde
Die Blässe bald, sein Auge, wieder hell,
Versendet um sich Forscherblicke,
Wie's mit der Schlacht und mit dem Prinzen steh;
Denn dieser flog schon zu der Höh,
Um die man kämpft, mit raschem Fuß zurücke. [85]

24.

Bald siehet Arbogast, daß der Bretonen Heer
Sich oben auf dem Hügel theile,
Und seitwärts Lyonel mit Vielen niedereile.
Wir sind verloren, rufet er,
Wenn die uns in den Rücken fallen!
Er sendet einen der Vasallen
An Clodion, und bittet ihn,
Noch, da er kann, sich ja zurück zu ziehn.

25.

Umsonst! der Prinz empfängt mit harten Worten
Den Lehensmann; gebeugt und traurig geht
Der zu dem Greis' zurück; doch Arbogast ersteht.
Nein! ruft er: wär' ich vor den Pforten
Des Todes auch, so gäb' ich doch nicht zu,
Daß dieser Trotzige samt meinen Franken nieder
Gemetzelt werde, führe du
Nur ungesäumt mich auf das Schlachtfeld wieder.

26.

Ein Knappe führt den Greis. Als sie zu Clodion,
Dem Einzigen, der stets noch vordrang, kamen,
Rief Arbogast mit ernstem Ton:
Mein Prinz, zieht euch zurück! in euers Vaters Nahmen
Befehl ich's euch, der Todten sind genug!
Der Prinz gehorcht. Doch wirft er seinen Degen
Mit Unmuth weg; der Greis lenkt so der Franken Zug,
Daß sie dem Sohne Borts noch zu entgehn vermögen. [86]

27.

Bliomberis verfolgt sie nicht zu weit,
Vermeidet die vom Greis' ihm schlaugelegten Schlingen
Und weiß sein Volk zur rechten Zeit
Ins Lager Lyonels zu bringen.
Der, als der junge Sieger kam,
Sprach freudig zu sich selbst: sey mir gesegnet, Morgen,
Als ich in meinen Schutz, auf meinen Arm ihn nahm!
O Liebling meiner Seel', o wohl belohnte Sorgen!

28.

Arlinde, sieh herab! das mir vertraute Pfand
Verwahrt' ich wohl: wenn ich dich wieder sehe,
O daß es bald, bald, bald geschehe!
So drücke mir zum Lohn die Hand.
Er sagt's, und seufzt; denn seine Freuden alle
Verfälscht der Gram, und geußt ihm Galle
In jeden Kelch der Lust, und weis't mit schwarzem Stab'
Ihm unablässig auf das Grab.

29.

Kaum ist das Morgenroth am Horizont erschienen,
So ruft ein schleuniger Befehl
Die Führer in das Zelt des weisen Lyonel,
Sie ziehen hin, Bliomberis mit ihnen.
Doch wie erstaunen sie, als ihnen aus dem Zelt
Musik entgegenschall't, und als sie ihren Held
Auf einer Gattung Throns erblicken,
Den rund umher Trophä'n und Lorberzweige schmücken. [87]

30.

Ihr Kriegsgefährten, so begann
Der edle Feldherr, seht um euch, doch niemand schelte
Die neue Pracht in meinem Zelte.
Denn diese gilt den tapfern Mann,
Dem wir allein den Sieg verdanken.
Nicht ich, ihr Freunde, nein! er, er nur schlug die Franken.
Wenn ich ihn nenne, stimmt gewiß
Mir jeder bey; es ist, es ist – Bliomberis.

31.

Er ist's! so tönt's zurück, die tapfern Führer schlagen
Zum Beyfallszeichen auf den Schild,
Ein Freudenlärm, der bald das ganze Lager füllt;
Und alle Krieger, alle sagen:
Recht so! er hats verdient! Nur jener, den es gilt,
Wagt nicht die Augen aufzuschlagen.
Erröthend steht er da, weit über seinen Werth
Glaubt der Bescheidne sich geehrt.

32.

O du, die sich die Stirn mit keiner stolzen Blume,
Nur mit Violen kränzt, o du, Bescheidenheit!
Du machst, daß man Verdienst und Tugenden verzeiht,
Du gehest gern mit wohl verdientem Ruhme
Gepaart einher; sein Strahlenkranz
Beleidigt ohne dich durch allzugrellen Glanz.
Doch wenn ihn deine Hand, o Göttliche, verschleyert,
Entzückt er und wird oft von Neidern selbst gefeyert. [88]

33.

Bliomberis, der erst sich sammeln mußte, schob
Auf seinen Ohm zurück das allgemeine Lob.
Er eignete von dem erfochtnen Siege
Sich wenig zu; doch hieß der Feldherr ihn
Zum kriegerischen Thron mit diesen Worten knien:
Wenn ich, auch vor der Zeit, dich nicht zum Ritter schlüge,
Dich, der sich vor der Zeit als Held
Gezeigt hat, so verargt' es mir die Ritterwelt.

34.

Er sagt es, jeder Schild ruft ihm mit hellem Tone
Nun wieder Beyfall zu; Bliomberis kniet da;
So kniete, was entzückt der ganze Himmel sah,
Der jüngste Seraph, erst geschaffen, vor dem Throne.
Die Krieger alle schau'n entzückt den jungen Held,
Und manche Thräne fleußt auf braune Wangen nieder,
Ja einer ruft prophetisch: sehet Brüder
Den Palamed der jungen Welt!

35.

Weit anders stand es in der Franken
Entferntem Lager. Ach! man sieht den Mißmuth hier
Von Zelt zu Zelt mit trüben Blicke wanken.
Er stumpft die edle Streitbegier,
Thut manche sorgenvolle Frage,
Zischt selber in der Tapfern Ohr,
Vergrößert, was geschehn, sieht nichts als Unheil vor
Und eine zweyte Niederlage. [89]

36.

Die Nachricht, wer besieget sey,
Langt bald in Turnay an; sie eine Schlacht verloren;
Das klingt den Galliern so ungewohnt und neu,
Als eines Geistes Stimm' in Gottesläugner Ohren.
Nur Pharamund scheint ruhig; er verschleußt
Den Schmerz in seiner Brust; er heißt
Den Kern der Ritterschaft mit ihm zu Pferde sitzen
Und läßt sein Schwert voran als Stern der Hoffnung blitzen.

37.

Er kommt ins Lager, sieh! da stürzet Clodion
Verzweiflungsvoll zu seinen Füßen
Und badet sie mit heißen Thränengüssen.
Er hebt ihn gütig auf: was ist dir, lieber Sohn?
Wer kann das Glück an einem Seile lenken?
Ist nicht das Glück ein Weib, das manchmahl kurze Zeit
Auch jenen neckt, dem sie ihr Herz geweiht?
Laß uns nicht mehr zurück, nur vorwärts laß uns denken.

38.

Er sprach's und siehet nun den edlen Arbogast,
Denn dieser nahet sich mit halb geheilter Wunde.
So zärtlich als ein Sohn umfaßt
Der König seinen Freund! es strömt von seinem Munde
Gefühlter Dank dem edlen Greise zu.
Heut, ruft er, lasset Speer und Schwert und Schild in Ruh,
Und leert dafür bey meinem Freudenmahle
Auf Arbogastens Wohl freundschaftliche Bokale. [90]

39.

So heiter scheint der Fürst; doch sinn't er still ergrimmt,
Wie er der Franken Schimpf im Blut der Sieger wasche,
Die falsche Heiterkeit ist Asche,
Worunter ungesehn verderblich Feuer glimmt.
Was für Gefühl in ihm bey Tische kochten,
Wußt' einzig Arbogast: den andern schenkt er ein.
Des Unmuths Gegengift ist Wein,
Und Bacchus hat nicht wenig Sieg' erfochten.

40.

Auch zu dem Frühmahl ruft der königliche Held
Des andern Tag's die Führer in sein Zelt.
Auf einmahl steht er auf; Laßt uns die Feinde schlagen!
So sagt er ihnen; und dem Sohn:
Du führest an, mein tapfrer Clodion!
Sie werden bald vor dir den Berg herunter jagen
Gleich bangen mutterlosen Reh'n.
Ich will dort an dem Quell die Flucht der Stolzen sehn.

41.

Er sagt's, besteigt sein Roß und stellt, wie unbekümmert,
Sich auf das Hügelchen, wo durch der Wiesen Grün
Ein kleiner Quell crystallen schimmert.
Nur Arbogast begleitet ihn.
Der König gab, bevor er hingezogen,
Dem Prinzen in die Schlacht noch weise Lehren mit
Und sah entzückt, wie rasch er auf die Feinde ritt,
So viele Pfeil auch schon, und Lanzen niederflogen. [91]

42.

Doch dieses war nur Vorspiel; itzt beginnt
Das Treffen selbst; die tapfern Franken sind
Empörten Wellen zu vergleichen.
Die schlagen an den Fels; das schreckliche Gebrüll
Erschallet in den fernsten Reichen
Des Wassergotts; der Fels steht still,
So die Bretonen, nicht ein einziger erlaubet
Sich einen Schritt zurück, sie stehn wie angeschraubet.

43.

Ja, wie Bliomberis den kleinen Spalt erschaut,
Den Clodion auf seinem linken Flügel
Gelassen hat, so richtet er im Bügel
Sich schnell empor, und ruft so laut,
Daß seine Stimme selbst das Klirren
Der Waffen übertönt: Mir, mir nach! ruft es, bricht
Zuerst die Bahn und merkt im Heldeneifer nicht,
Wie mancher Speer' um seine Schläfe schwirren.

44.

Ihn siehet Pharamund, der jetzo weder Rast
Noch Ruhe hat, und fraget: Arbogast!
Kennst du den Führer nicht, der so verderblich wüthet?
Mein Aug', erwiedert ihm der Greis, glitscht ungewiß
An allem ab, doch ists, denk' ich, Bliomberis,
Es braucht Verstärkung hier, geh Arbogast! gebiethet
Der weise Pharamund, und lasse wider ihn
Des Nachtrabs rechte Hälfte ziehn. [92]

45.

Ich aber mache mit der Linken
Den schwer Bedrängten wieder Luft.
Er schweiget, läßt sein Schwert der goldnen Scheid' entblinken
Und eilet in die Schlacht: sein ganz Gefolge ruft:
Der König! dieses Wort verbreitet Löwenstärke
Durchs Frankenheer; mit frohem Sinn
Drängt jeder Krieger sich vor den Monarchen hin
Und thut, von ihm gesehen, Wunderwerke.

46.

Die Sarnier, die in den Mittelraum
Der kluge Lyonel gezwungen
Und also Widerstand den Schwachen abgedrungen,
Die Sarnier erblicken kaum
Die Silberlilien im königlichen Schilde;
So wird bey diesem Schreckenbilde
Ihr Blut zu Eis, weit werfen sie
Die Waffen weg, und flehn um Gnad' auf feigem Knie.

47.

Gezwungen beut auch Lyonel den Degen
Dem großen Frankenherrscher dar,
Und schont das Volk; denn wer im Krieg sein Unvermögen
Empfindet, wer auf sich die dräuende Gefahr
Vertilgend strömen sieht, und dennoch ihr entgegen
Arbeitet, ist nicht tapfer, ist verwegen.
Der Frankenkönig nimmt geneigt den Degen, lobt
Den weisen Held, und bald hat hier die Schlacht vertobt. [93]

48.

Doch raset sie noch auf dem linken Flügel.
Würgengeln gleicht Bliomberis,
Der tief und tiefer stets der Feinde Reihn zerriß.
Ihr schäumend Blut befleckt ihm Bügel,
Armschienen, Harnisch, Pferdgebiß.
Denn seine Rechte schob den Riegel
Vom Thor des Todes weg: so oft sein langes Schwert
Herab pfeift, reißet aus ein herrenloses Pferd.

49.

Schon waren Pharamund und Lyonel ihm nahe,
Schon rief der Herold, noch vom Lärmen übertäubt;
Als Pharamund ein Herz zerschneidend Schauspiel sahe.
Sein Sohn liegt unterm schwer verwundten Roß und sträubt
Umsonst sich wider eine Menge
Von Feinden; seht, o seht! der Kreis um ihn wird enge
Und enger, zwar des Königs Eisen treibt
Die äußern weg und macht sich Platz durch das Gedränge:

50.

Doch hin, hin war der theure Sohn,
Hätt' ihn Bliomberis, der nah' dabey gestritten,
Nicht noch erkannt; er wirft sich von dem Roß, steht mitten
Bey dem bedrängten Clodion,
Und deckt, bis ihn die Wutherfüllten hören,
Mit seiner Brust vor ihren bloßen Wehren
Den Liegenden; o seeliges Bemühn!
Celinens Bruder lebt durch ihn. [94]

51.

Als gleich hierauf der Waffenton verklungen,
So küßt, von Dankbarkeit durchdrungen,
Der große Pharamund den Jüngling öffentlich.
Doch der Bescheidne lässet sich
Schnell auf ein Knie vor dem Monarchen nieder.
Herr König, fleh't er, hab' ich einen kleinen Theil
Am Heile Clodions, so fleh' ich auch um Heil
Für meine wundenvollen Brüder.

52.

Laßt Ärzte nach der Wahlstatt gehn,
Um so wie euerm Volk, dem unsern beyzustehn
Denn nach vollendetem Gefechte
Behauptet wiederum die Menschheit ihre Rechte,
Und diese Rechte tilget nichts
Bey Königen, wie ihr. Er fleht, der Fürst verspricht's,
Nicht ohne laut den Edlen so zu preisen:
Was für ein sanftes Herz bey einem Arm von Eisen!

53.

So sagt der Fürst und heißet ihn
Mit sich ins Lager erst, und dann nach Turnay ziehn,
Auch Lyonel muß sie begleiten.
Der edle Pharamund beginnet unterm Reiten:
Ihr Freunde, gerne schick ich euch
Mit Gaben überhäuft, zurück in euer Reich;
Doch muß ich vor der Welt das schändliche Verbrechen
Meineidiger Tyrannen rächen. [95]

54.

Die Fürsten Bort und Mart erklär' ich ihrer Kron
Und ihres Lands verlustig, bis sie beyde
Und zwar in eigener Person
Geschmucklos, angethan mit einem schwarzen Kleide,
Vergebung sich auf ihren Knien erfleht:
Nicht daß mein Hochmuth sich an diesem Schauspiel weide,
Doch daß man künftig mehr die hehre Majestät
Der Franken scheu' und jeden Bruch der Eide.

55.

Ihr bleibt indeß auf euer Ehrenwort
Als Freund' an meinem Hof, zieht dann als Freunde fort,
Und ich bestätige Bliomberis Ernennung
Zum Erben Lyonels, auch soll die Anerkennung
Als König aller Ländereyn,
Die Ormund je besaß, ihm mit gewähret seyn.
Es seh die Welt, wie man vom ersten Throne
Zugleich Verbrechen straf' und Tugenden belohne.

56.

Der edle Lyonel, wiewohl des Vaters Schimpf
Ihm nahe geht, erkennet doch, daß Glimpf
Und die Bundbrüchigen zu leicht ertheilte Gnade
Das Laster kühner mach' und so der Menschheit schade.
Drum dankt er nur dem hohen Freund,
Zu billig und zu klug, noch blutig von dem Treffen,
Ihm mehr zu flehen, dankt für sich und seinen Neffen,
Auf dessen Angesicht die Freudensonne scheint. [96]

57.

Doch schien sie nicht ob der erhaltnen Krone;
Er denkt, er fühlt, er träumt allein
Das Glück, Celinen nun bald wieder nah zu seyn,
Den Erdkreis selbst hielt er nicht einer Bohne
Dagegen werth; den Liebetrunknen däucht
Er sehe, wie sie schon des Vaters Haupt bekränzet,
Dann ihm naht, und die Hand, die Liljen überglänzet,
Gern seinem langen Kusse reicht,

58.

Ihn Retter ihres Bruders heißet,
Und, wenigstens auf einen Augenblick
Die Scheidewände niederreißet,
Die Hofgepränge, Rang, Geschick
Hoch zwischen ihm und ihr emporgethürmet,
Ihm Dank und Lohn aus blauem Auge blickt,
Vielleicht wohl gar die Rechte drückt,
Die ihren Clodion geschirmet.

59.

In diesen wonnigen Gedanken ritt er fort
Und suchte, wann es ihm der Anstand nicht verwehrte,
Die Einsamkeit; denn jedes Wort,
Das sein behaglich Sinnen störte,
Traf unwillkommen an sein Ohr.
Auch fuhr er oft dabey so unruhvoll empor,
Gleich einem, den ein Lärm aus tiefem Schlafe wecket,
Daß er hierdurch den Redenden erschrecket. [97]

60.

Auch Clodion der Stolze mied,
So wie Bliomberis, doch aus verschiednen Gründen
Gesellschaft aller Art; daß ihm ein Streich mißrieth,
Den er so prahlend anzukünden,
Die Unvorsichtigkeit beging;
Dieß wühlt' in ihm mit allen Schmerzen
Beschämter Eitelkeit, und hing,
Gleich einem Klumpen Bley, an seinem kranken Herzen.

61.

Er dankte zwar Bliomberis,
Der ihn dem Tod', dem sichern Tod' entriß,
Doch mit den Lippen nur; er schätzet nicht ein Leben,
Das ihm ein Feind zurückgegeben,
Und liebt ihn minder noch, als er ihn je geliebt.
Den Stolzen kränkt der Dank, den er dir giebt,
Willst du am sichersten zu seiner Gunst gelangen,
So suche du von ihm Wohlthaten zu empfangen!

62.

Schon war der Franken Heer der Königsstadt so nah,
Daß man der Thürme Gold in blauen Lüften sah;
Als Clodion zu seinem Vater reitet.
Nur dießmahl, flehet er, erlaßt mich meiner Pflicht,
Den Ritterschwarm, der euch begleitet,
Zu mehren, denn – bey Gott! ich kann es nicht –
Mir ist, als ob auf dem verhaßten Wege
Bey jedem Haare mich ein Geist zurücke zöge. [98]

63.

Und saget selbst, was soll ich auch
In Turnay jetzt? auf allen Gassen
Vom Pöbel mich begaffen lassen?
Und sehn, daß jeder müß'ge Gauch
Den Nachbar mit dem Ellenbogen
Bedeutend stößt, auf mich mit tück'schem Finger weis't
Dann zischt: da kommt der Prinz gezogen,
Er scheint geschmeidiger, als da er weggereis't.

64.

Herr, die Erniedrigung könnt, müßt ihr mir ersparen,
Ich will auf Abenteuer ziehn,
Und ehe nicht zurück, als bis die Welt erfahren,
Daß auch für Clodion des Sieges Lorber blühn.
Ich zieh, so wie ich bin, und außer meinem Degen
Begleite mich nur einzig euer Segen.
Was mich am meisten kränkt – ist nur, daß ich nicht eh'
Celinen, und vielleicht sie gar nicht wieder seh'.

65.

Er fasset hier so zärtlich und so bange,
Er küßt, er drückt des Vaters Hand.
Auch diesem träuft der Schmerz der Trennung von der Wange;
Allein der weise Fürst ermannt
Sich wieder und beginnt: du willst auf Abenteuer?
So zeuch! Gott gebe dir nur gute, Clodion!
Zwar auf der Zukunft liegt ein dichtgewebter Schleyer.
Und du, du bist mein einz'ger Sohn. [99]

66.

Doch jeden Ritter, der auf Pfaden
Der Ehre wandelt, schützt der Vorsicht weise Huld,
Und läßt auf ihn nicht mehr des Übels laden,
Als was zu Prüfungen, zur Übung in Geduld
Gedeihlich ist: nur wir, wir selber schaden
Uns oft, verlieren oft, durch Leidenschaften blind,
Was durch des Lebens Labyrinth
Allein uns leiten kann, der Klugheit goldnen Faden.

67.

Wahr ists mein Sohn, an Stolz und Ruhmbegier
Wirds großen Herzen niemahls fehlen.
Durch diese nur gedeihn, durch diese wachsen wir
Hoch über die gemeinen Seelen,
Wie Palmen über niedriges Gesträuch;
Allein was hilft es auch, sich himmelan erheben,
Der wahre König muß zugleich
Von jedermann geliebt zu werden streben.

68.

Auch ist es nicht so schwer. Ein kluger Herrscher wird
Mit einem einzigen, dem rechten Mann gegeb'nen,
Sanftmüth'gen Wort oft schroffe Klippen ebnen.
Treuherzig eingestehn, man habe sich geirrt,
Ein lächelnd Angesicht und hulderfüllte Blicke
Ziehn aus dem Herzen manchen Dorn.
Oft dringt ein Unterthan zu uns mit Löwenzorn
Und schleicht also gezähmt, sanft wie ein Lamm zurücke. [100]

69.

Dieß freundliche Betragen, Clodion!
Das immer nützt, sollst du auf deinen Reisen,
Als ein Empfehlungsschreiben weisen.
Von Ehre nichts! Du bist mein Sohn!
Gott segne dich, wie ich dich segne,
Daß auf der Ritterbahn, die mit dem zweyten Jahr
Geendigt seyn muß, viel Gefahr,
Und doch kein Unheil dir begegne!

70.

So sprach gerührt der weise Fürst, und hieß
Den theuren Sohn, bevor er ihn entließ,
Von seinem Retter Abschied nehmen,
Er that es so: fürwahr ich muß mich schämen,
Herr Ritter! und es liegt auf meinem Herzen schwer,
Daß ich nur nackten Dank euch darzubringen habe.
Zwar dranget ihr das Leben, eure Gabe,
Mir selber auf; ich rief euch nicht zur Rettung her.

71.

Doch dank' ich euch, und wirds dem Schicksal je gefallen,
Mich auf den Thron der Väter zu erhöhn;
So sollet ihr als erster der Vasallen
Zunächst an meinem Throne stehn.
Indeß wird Pharamund, dem Gott von meinem Leben
Die Hälfte schenk', euch, tapfrer junger Mann!
So viel, als euer Stolz nur immer wünschen kann!
Aus seiner Gnade Füllhorn geben. [101]

72.

So sprach der Prinz und ritt beym letzten Wort,
Die Gegenrede nicht erwartend, eilig fort.
Indessen streckten sich die Schatten und es blickte
Vom Himmel mancher Stern hernieder, als der Zug
Den Mauern Turnays näher rückte.
Das Herz Bliomberis empörte sich und schlug
Beynah den Panzer durch; hell glühten seine Wangen,
Sein Odem keicht', all seine Pulse sprangen.

73.

Der Weg, den er zurückgelegt,
Scheint ihm nicht halb so lang, als die zweytausend Schritte,
Die's etwa bis zum heiß gewünschten Ziel beträgt.
Die Ungeduld wächst ihm bey jedem Tritte
Von seinem heute trägen Roß.
Doch sieh, o sieh! das königliche Schloß,
Die ganze Stadt beleuchtet! Fakeln wehen
Aus Turnays Thoren her, die weit geöffnet stehen.

74.

Nun macht der Fackeln Feuerstreif
Die ganze Straße licht, wie ein Cometenschweif
Das Firmament: schon sind sie nahe.
O glücklicher Bliomberis,
Der wie ein Heiliger durch einen Wolkenriß
Den Himmel sieht, im Glanz sie selbst, Celinen sahe.
Ein edler Rapp', auf dem die Fürstinn queer,
Nicht frech und männlich saß, fleugt stolz mit ihr daher. [102]

75.

Der Jüngling steiget nicht, er stürzet von dem Pferde
Und hebet sie herab: sie küßt des Vaters Hand,
Und fragt um Clodion (ihr suchend Auge fand
Den theuren Bruder nicht) mit ängstlicher Gebehrde.
Sey ruhig Kind, er lebt, er ist gesund,
Erwiedert ihr liebkosend, Pharamund,
Dank sey's Bliomberis! ihn eh'r als seinen Retter!
Es war ein fürchterlich, ein nahe dräuend Wetter!

76.

Celine hört die Nachricht hoch entzückt.
Der Augen süßer Strahl, den sie nun nach ihm schickt,
Ist fähig, daß daran auch eine Leich' erwarme:
Sie leget beyde Händ' auf seine beyden Arme
In reizender Betäubung hin.
Herr Ritter! sagt sie ihm mit freudetrunknem Sinn:
Indeß auf röth'rer Wang' ihr lichte Thränen glänzen,
Mein Dank ist gleich der Wohlthat – ohne Gränzen!

77.

Wie paradiesisch ist nunmehr der Aufenthalt
Bliomberis am Hof'; dem Edlen ward es bald,
Als wär' er hier geboren und erzogen,
Ihm ist der Damen Schaar gewogen.
Genug zum Glück! ein andrer mag nach Gold,
Nach Fürstengunst, nach hohen Würden streben;
Mir mache mein Gestirn der Weiber Seelen hold,
Der Rest ist Kleinigkeit und wird von selbst sich geben! [103]

78.

Auch Arbogastens Freundschaftsband
Mit Lyonels geliebtem Neffen
Wird immer enger: gern verzeiht er ihm das Treffen
Und die darin von seiner Hand
Empfangene, doch oft schon abgebet'ne Wunde;
Befürchtet tiefere für seines Jünglings Brust.
Der eignen Jugend sich noch deutlich g'nug bewußt,
Spricht er zum König' einst mit weisheitsvollem Munde:

79.

Herr König habt ihr wohl Bliomberis gesehn,
Sich gestern in dem Reihn mit der Prinzessinn drehn?
Er drückte fester noch, als es der Tanz erfordert,
Sie an sein Herz, worin gewiß ein Feuer lodert,
Das, eh' es noch ihm Unglück, euch Verdruß
Zuziehen kann, man klug ersticken muß.
Wie wenn ihr's länger nicht verschöbet,
Und einen Wink der klugen Tochter gäbet?

80.

Verdruß, und mir Verdruß? beginnt, indem sein Mund
Zum Lächeln sich verzieht, der sichre Pharamund.
Er liebt sie, sagt ihr, laßt ihn lieben!
Anbetung nur kann diese Liebe seyn.
Und käm' ein kühn'rer Wunsch auch ja dem Jüngling' ein,
(Wie wohl ihr selber ihn als weise mir beschrieben,
Und ich ihn weise fand,) so wirft ihr hoher Blick
Gewiß ihn wieder bald in seinen Stand zurück. [104]

81.

Nein! ein Vasall, ein Bastard wird sich dessen
Nicht unterfangen, nein! noch weniger wird je
Die Tochter Pharamunds sich selbst so sehr vergessen.
Doch daß sie gütig oft von ihrer stolzen Höh'
Auf ihn hernieder blickt, der Sklaven Zahl zu mehren,
Dem schönsten Jünglinge, der je am Hof' erschien,
Vergönnet, und dafür mit einem Blicklein ihn
Belohnet, glaub' ich selbst, und kann es ihr nicht wehren.

82.

Ich sehe gern sie endlich aufgereizt,
Sie ist beynah zu kalt: ihr saht, wie's Radagonden
Carlitus Sohn erging, der volle zehen Monden
Umsonst nach ihrer Huld gegeizt.
Und ist nicht Radagond schön, tapfer, und der Erbe
Von Aquitanien? Daß sie als Mädchen sterbe,
Ist nicht mein Wunsch; ihr wißt, ich theile gleich
Einst zwischen ihr und Clodion das Reich. Ich weiß, daß eine Sage den König Pharamund für den Urheber des Salischen Gesetzes angiebt; aber nicht nur einer ungewissen Sage, sondern auch erwiesenen Begebenheiten darf der Dichter widersprechen, wenn sie nicht allgemein bekannt sind. ( Anm.d.Verf.)

83.

Doch sie zu meinem Wunsche zwingen,
Das werd ich nicht, auch dürft' es nicht gelingen.
Ihr Herz, das immer leicht bey sanften Bitten schmolz,
Empört sich wider Zwang; sie hat des Bruders Stolz,
Jedoch gemäßiget durch Weiblichkeit und Güte;
Sie kennt die Liebe nicht. Wohlan, sagt ihr, man hüte
Sie ferner noch davor! Verzeiht, geliebter Freund,
Wenn mir das Gegentheil hier wünschenswerther scheint! [105]

84.

Habt ihr in einem Fels einmahl den Quell gefunden,
Dann ist in kurzer Zeit sein Rinnsal hingewunden,
Wohin ihr wollt; oft ists mit Mädchenherzen so:
Der erste weckt die schlummernden Gefühle,
Der zweyte dann wird der geweckten froh.
Celine nimmt wohl jetzt am unschuldsvollen Spiele
Der Liebe Theil; doch bleibt sie unbethört,
Sie fühlt den eigenen und ihrer Ahnen Werth.

85.

Drum laßt sie (denn man kann mit Sicherheit hier säumen)
Laßt sie noch ungestört in ihren süßen Träumen!
Mehr als ein Traum, woraus sie leicht gewecket wird,
Ists bey Celinen nicht; und wenn sich er verirrt,
Verirret, einen Wunsch zu wagen,
Wobey er sich und sie vergißt,
Wenn er, doch glaub' ichs nicht, so lieberasend ist,
Dann hat er nur sich selber anzuklagen.

86.

Der Alte schüttelt hier das Haupt;
Gefährlich dünkt es ihn mit Amors Pfeil zu spielen,
Und mit den redlichen Gefühlen
Des Unerfahrenen zu scherzen, unerlaubt.
Er weissagt, warnet, schilt; umsonst! der König lachet.
O, sagt er, daß ihr euch so eitle Sorgen machet!
Ihr thut nicht wohl daran, denn eine Kleinigkeit
Wird wichtig, wenn man ihr ein wichtig Ansehn leiht.


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